Fast drei Monate ist es nun her, dass die Frageplattform GuteFrage.net ihre Richtlinien zum Umgang mit dem Thema Pädophilie angepasst hat. Mit fadenscheinigen und teils frei erfundenen Fallbeispielen wurde jegliche Auseinandersetzung praktisch unmöglich gemacht und als anstößig, obszön und vulgär diffamiert. Regenbogenfisch hat damals ausführlich darüber geschrieben.
Ähnlich wie Regenbogenfisch habe ich die Plattform dabei lange Zeit als einen angenehmen Ort für Aufklärung und Informationen empfunden. Es kamen häufig ernst gemeinte und interessante Fragen herein. Sachliche Diskussionen unter den Fragen wurden zugelassen, während offene Beleidigungen, Bedrohungen und sonstige Formen digitaler Gewalt gegen pädophile Nutzer:innen zeitnah gelöscht wurden.
Die neuen Richtlinien waren damit eine signifikante Abkehr von diesem einst grundsätzlich toleranten Umgang. Die Vorzeichen dieses Gesinnungswandels waren dabei schon lange vorher zu merken. Früher konnten wir etwa eine Zeit lang wir unsere Online-Präsenzen kinder-im-herzen.net, wir-sind-auch-menschen.de und p-punkte.de noch an passenden Stellen in Antworten verlinken. Irgendwann hat GuteFrage schon jegliche Erwähnung der Projekte pauschal unterbunden. Begründet wurde dies auf unsere Nachfrage mit dem Vorwurf des „Agenda-Setting“, ohne nähere Erläuterung, was damit genau gemeint sein sollte. Seitdem ist es nicht mehr möglich, zum Beispiel unser Selbsthilfeangebot „Die P-Punkte“ zu verlinken, wenn jemand verzweifelt schreibt, dass er Angst habe pädophil zu sein und nicht weiß, wie er damit umgehen soll (Links auf präventive Therapieangebote sind natürlich weiterhin erlaubt). Auch wurden beleidigende und stigmatisierende Äußerungen bereits Monate vor der Richtlinienänderung deutlich seltener entfernt, oder kamen zum Teil noch von Moderatoren der Plattform selber.
Und wie sieht die Situation jetzt nach der Änderung aus? Die neue Richtlinie verbietet nicht grundsätzlich Pädophilen den Aufenthalt auf der Plattform. Accounts offen pädophiler Nutzer:innen werden (für den Moment zumindest) noch geduldet. Auch mein Account ist noch nicht sanktioniert worden. Es ist jedoch so gut wie unmöglich geworden, das Thema überhaupt zu behandeln.
Allgemeine Fragen zum Thema Pädophilie werden in der Regel innerhalb von einer Stunde gelöscht. Übrig bleiben vor allem Fragen, die Pädophilie mit Missbrauch gleichsetzen. Als Konsequenz gibt es für mich kaum noch einen Grund, mich auf der Plattform aufzuhalten. Dies zeigt sich deutlich in den Statistiken zu meinem Account (mit dem ich ausschließlich zum Thema Pädophilie schreibe), die GuteFrage selber bereitstellt: sowohl die Anzahl meiner Beiträge, wie häufig diese gelesen wurden und die Anzahl erhaltener positiver Bewertungen ist seit der Richtlinienänderung signifikant zurückgegangen.
Regenbogenfisch hat seinen Account in der Zwischenzeit sogar komplett gelöscht. Insgesamt hat es GuteFrage damit geschafft, Pädophile von ihrer Plattform auszusperren, ohne sich dabei durch direkte Sperrungen selber die Hände schmutzig machen zu müssen.
Phasen der Ausgrenzung
Betrachtet man sich die Entwicklung rückblickend, lässt sich die Entwicklung der Plattform bezüglich ihres Umgangs mit Pädophilen ganz grob in vier Phasen unterteilen.
Phase 1: Toleranz. Zu Beginn sind Debatten zum Thema Pädophilie noch akzeptiert. Solange man sachlich argumentiert hat man keine Sanktionen zu erwarten, auch wenn man unpopuläre Standpunkte vertritt. Gleichzeitig bietet die Plattform noch einen gewissen Schutzraum für Pädophile, indem auf Meldungen von digitaler Gewalt gegen pädophiler Nutzer:innen reagiert wird und Hasskommentare, Beleidigungen oder Drohungen zeitnah gelöscht werden.
Phase 2: Gesinnungswandel. Meist ohne erkennbaren Anlass ist langsam zu bemerken, dass die Plattform ihre Einstellung gegenüber Pädophilen ändert. Es wird mehr und mehr deutlich, dass pädophile Menschen und ihre Ansichten nicht erwünscht sind. Meldungen von digitaler Gewalt führen seltener zu Handlungen, dafür werden willkürlich auch sachliche Beiträge pädophiler Nutzer:innen gelöscht. Nutzer:innen, die offen als pädophil auftreten, werden ohne nachvollziehbare Gründe durch Maßnahmen wie Accountsperren und Löschungen sanktioniert.
Phase 3: Reglementierung. Als nächstes wird aus subtiler Ausgrenzung offene Diskriminierung. Nachdem die Plattform über lange Zeit immer feindlicher gegenüber pädophilen Nutzer:innen geworden ist, werden hier schließlich die fundamentalen Regeln angepasst. Offene Diskussionen des Themas werden dabei untersagt, oder pädophile Nutzer:innen grundsätzlich ausgeschlossen. Begründet wird dies etwa damit, dass schon alleine die Präsenz Pädophiler eine Verharmlosung von Missbrauch sei oder eine Gefährdung Minderjähriger darstellt.
Phase 4: Exodus. Die Anpassung der Regeln entfaltet langsam ihre Wirkung. Mehr und mehr pädophile Nutzer:innen verlassen die Plattform. Gruppen und Communitys, die sich auf der Plattform gebildet haben, lösen sich auf oder wandern woanders hin. Diejenigen, die bleiben und versuchen, auf der Plattform zu überleben werden mit Sanktionen konfrontiert oder haben schlicht keinen Ansatzpunkt mehr, sich zu beteiligen, da Diskussionen schnell dicht gemacht und gelöscht werden.
US-Firmen haben es vorgemacht
Die Entwicklung von GuteFrage passt ziemlich gut in diese vier Phasen, ist aber bei weitem nicht die erste Plattform, die sich so entwickelt hat. Lange, bevor ich mir einen Account auf GuteFrage erstellt habe, war ich auf der amerikanischen Plattform Reddit zum Thema Pädophilie aktiv mit dem Ziel, zu informieren und aufzuklären. Auch hier gab es lange Zeit eine Phase der Akzeptanz, die interessante und sachliche Diskussionen möglich gemacht haben. Ruby und ich konnten sogar ein AmA (Ask Me Anything) dort veranstalten, dass insgesamt von der Community sehr gut angenommen wurde.
Auch hier wurde irgendwann ein Gesinnungswandel spürbar. Immer häufiger wurden meine Accounts ohne Angabe von Gründen urplötzlich gesperrt. Eine Regeländerung gab es zwar nicht, allerdings wurde die Interpretation einer bereits existierende Regel gegen die Verbreitung sexueller Inhalte mit Minderjährigen erweitert, um damit den systematischen Ausschluss pädophiler Nutzer:innen zu legitimieren. Irgendwann reichte es schon offen zu sagen, dass man pädophil ist, um aufgrund dieser Regel ohne Vorwarnung wegen angeblicher „Sexualisierung Minderjähriger“ gesperrt zu werden.1 Eine offensichtlich fadenscheinige Begründung, um unliebsame Minderheiten von der Plattform zu vertreiben. Als ich die Plattform schließlich endgültig verließ, war es so schlimm, dass selbst Morddrohungen gegen Pädophile stehen gelassen wurden, während das Wehren gegen diese Formen von Gewalt mit einer sofortigen Sperre quittiert wurde (siehe auch mein Bericht dazu von vor drei Jahren).
Eine weitere US-Plattform, die eine ähnliche Entwicklung durchgemacht hat, ist Twitter. Auch hier gab es lange Zeit eine Phase der Toleranz, in der die Plattform sogar zu einer Art Zentrum der MAP-Community wurde (MAP steht für Minor Attracted Person, also eine pädo- hebe oder ephebophile Person). Ein Gesinnungswandel war spürbar, als immer wieder Accounts von pädophilen Aktivist:innen willkürlich gesperrt wurden, obwohl sogar weltweit führende Expert:innen dagegen in einem offenen Brief protestierten.
Die Regelanpassung (Phase 3) kam im Oktober 2020. Während vorher Diskussionen über Pädophilie in den Richtlinien sogar explizit erlaubt waren, ist es seitdem verboten, über Pädophilie als eine Form sexueller Identität zu reden. Die Regel findet sich im Abschnitt zu Kinderschutz gleichwertig neben Punkten wie dem Verbot der Verbreitung von Kinderpornografie, oder dem Verbot des Anschreibens Minderjähriger mit sexuellen Absichten. Ähnlich wie Reddits Ausschluss von Pädophilen mit der fadenscheinigen Begründung der Sexualisierung Minderjähriger ist also auch für Twitter schon alleine das Reden über Pädophilie eine Gefährdung von Kindern, und etwa gleichwertig zu Straftaten wie Cybergrooming oder Kinderpornografie.
Erst kürzlich wurde auf Twitter übrigens ein elf Jahre alter Account gesperrt, der eine selbstgemachte Pride-Flagge für Pädophile vorgestellt hat. Elon Musk höchstpersönlich kommentierte den Fall mit den Worten „auf dieser Plattform nicht toleriert“. Musk, der sich hier dafür zelebrieren ließ, mit unverhältnismäßiger Härte gegen einen Nutzer vorgegangen zu sein, der nichts wirklich Schlimmes getan hat, kündigte übrigens fristlos als eine seiner ersten Amtshandlungen nach Übernahme von Twitter quasi die komplette für Kinderschutz zuständige Belegschaft. Ebenso reaktivierte er zahlreiche Accounts, die zuvor wegen Rassismus, Rechtsextremismus oder Verbreitung von Hassbotschaften gesperrt worden waren (darunter auch Ex-Präsident Donald Trump), und verhalf zuletzt Querdenkern, Antisemiten, Rassisten und russischen Propagandisten per blauem Haken zu mehr Reichweite.
Kriegsverbrecher, Neonazis und Volksverhetzer sind in der Social-Media-Welt von Elon Musk scheinbar tolerierbar. Bei Pädophilen aber, da ist für ihn die Grenze erreicht.
Die Angst vorm Pädophilen
Über den Grund für diese plötzlichen Sinneswandel bei sozialen Plattformen, die lange Zeit durchaus tolerant und fair gegenüber pädophilen Nutzer:innen waren, kann man jetzt nur spekulieren. Meine Vermutung ist, dass es dabei vor allem um Angst geht, die sich gleich auf mehreren Ebenen äußert.
Einmal ist es die Angst davor, irgendetwas vermeintlich Schlimmes zu „verharmlosen“ und damit am Ende Kindern zu schaden. Da hinein spielt auch das häufig verbreitete Vorurteil, dass Pädophile sehr manipulativ seien und Menschen geschickt für sich gewinnen können, mit dem Endziel sich Kindern sexuell zu nähern. Um es einmal klar zu sagen: das ist absoluter Quatsch. Weder stimmt das Vorurteil, noch ist es unser Endziel uns Kindern sexuell zu nähern. Die Ablehnung jeglicher sexueller Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen ist auf all unseren oben erwähnten Webseiten mehrmals nachzulesen.
Die zweite Angst ist wohl die Angst vor einer Art „Kontaktschuld“. Das Stigma gegenüber Pädophilen ist so stark, das es auch Menschen und Organisationen, die sich in der öffentlichen Wahrnehmung nicht deutlich genug gegen Pädophile positionieren fast genauso stark trifft, wie uns als Pädophile selbst. Als abschreckendes Beispiel dienen hier vielleicht die Grünen, denen selbst nach Jahrzehnten noch vorgeworfen wird, dass einst Teile ihrer Partei in der Vergangenheit ein offenes Ohr für Menschen hatte, die Sex mit Kindern legalisieren wollten (obwohl dies, wie gesagt, gar nicht unser Ziel ist).
Nicht zuletzt geht es vielleicht auch um Angst vor einem Kontrollverlust. Derzeit dominieren gesamtgesellschaftlich einseitige Narrativen das Thema Pädophilie, nach denen Pädophile immer (potenzielle) Täter sind. Entsprechend wird das Thema immer inhärent mit den Themen Missbrauch und Prävention verknüpft. Aspekte wie Solidarität, soziale Gerechtigkeit, positive Lebensperspektiven, oder Würde und Gleichbehandlung pädophiler Menschen spielen hingegen kaum eine ernsthafte Rolle. Das Fehlen ernstzunehmender Stimmen, die sich für die Belange pädophiler Menschen einsetzen, und die einseitige Natur der Debatten spielt nicht zuletzt auch zahlreichen Akteuren in die Hände, die das Thema gerne für ihre eigene politische Agenda instrumentalisieren. Dementsprechend gibt es durchaus ein gewisses gesellschaftliches Interesse daran, dass Pädophile nicht die Gelegenheit bekommen, sich zu verteidigen und am Diskurs zu partizipieren.
Nehmt uns ernst, hört uns zu
Am Ende ist das Gesamtergebnis, dass viel über uns geredet wird – und das häufig von Menschen, die noch nicht einmal wissen, was Pädophilie eigentlich ist und Pädophile mit Missbrauchstäter:innen gleichsetzen. Versuche unsererseits, emanzipiert und selbstbestimmt aufzutreten, werden häufig mit fadenscheinigen und unglaubwürdigen Scheinargumenten unterdrückt. Soziale Medien bedienen sich dabei gerne des diskriminierenden Framings, nach dem schon alleine Pädophilen zuzuhören eine Gefährdung schutzbedürftiger Minderjähriger ist, womit ein pauschaler Ausschluss aus dem Diskurs gerechtfertigt wird. Neben sozialen Medien betrifft das auch Kommentarspalten unter Medienartikeln über Pädophilie.
Auch dieser Blogbeitrag wird vermutlich nicht diejenigen erreichen, die er erreichen müsste. Für den Fall, dass ich mich irre, möchte ich ihn dennoch mit einem Appell abschließen.
Hört zu, was wir zu sagen haben, und lehnt es nicht automatisch ab, weil es von Pädophilen gesagt wurde. Gebt uns eine faire Chance, uns an dem gesellschaftlichen Diskurs zu beteiligen. Es ist nicht unser Ziel, Kindern zu schaden. Was wir erreichen wollen, ist eine Gesellschaft, in der wir uns sicher und akzeptiert fühlen können, die uns fair behandelt und Möglichkeiten für ein zufriedenes und menschenwürdiges Leben bietet.
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Der Gedanke, dass schon alleine die Anerkennung der Existenz pädophiler Menschen eine sexuelle Grenzverletzung gegenüber Minderjährigen darstellt, ist natürlich gefährlicher Unsinn. Das ist in etwa gleichbedeutend mit Männern, die sich sofort sexuell angemacht fühlen, wenn sich ein Kumpel ihnen gegenüber als schwul outet. ↩