Hinweis: Dieser Beitrag beschäftigt sich mit dem Thema Suizid.

Neulich las ich einen Artikel über eine Studie, die 2017 in den USA publiziert wurde. Die Studie untersuchte die Entwicklung der Suizidrate unter Jugendlichen über einen Zeitraum von 15 Jahren und stellte dabei fest, dass in Bundesstaaten, welche die gleichgeschlechtliche Ehe in dem Zeitraum legalisiert hatten, die Suizidrate insbesondere unter queeren Jugendlichen signifikant zurückgegangen ist.

Eine mögliche Erklärung für diesen bemerkenswerten Rückgang liegt in der gesellschaftlichen Entstigmatisierung, die mit der Legalisierung einhergeht, und durch die sich psychische Belastungen von LGBT-Personen reduzieren. Dies passt auch zu Erkenntnissen aus der Stigma-Forschung, wo sich immer wieder gezeigt hat, dass soziale Ablehnung, Stigmatisierung und Vorurteile gegen marginalisierte Gruppen mit einer Vielzahl von gesundheitlichen und psychischen Folgen für die Mitglieder dieser Gruppen verbunden sind.

Minderheitenstress

In der Forschung gibt es dafür den Begriff Minderheitenstress (Minority Stress), der ausdrückt, dass die Symptome gesellschaftlicher Ausgrenzung und sozialer Ächtung vergleichbar zu chronischem Langzeitstress sind und diese Dauerbelastung zahlreiche Folgeprobleme auslösen können. Dazu zählen körperliche Belastungen wie erhöhter Blutdruck und ein allgemein erhöhtes Erkrankungsrisiko ebenso wie psychische Probleme, beispielsweise Angststörungen, Suchtkrankheiten, Depressionen bis hin zu Suizidalität. Auch wenn sich die eigene Sexualität grundsätzlich verstecken lässt, und Menschen mit einer stigmatisierten Sexualität daher nicht zwingend direkter Diskriminierung ausgesetzt sind heißt das also nicht, dass die Stigmatisierung dieser Minderheiten folgenlos ist. Im schlimmsten Fall kann sie sogar zum Tod eines Menschen führen.

Auch wenn sich die Stigma-Forschung vor allem mit LGBT-Personen, queeren Menschen und ethnischen Minderheiten beschäftigt hat, so sind all diese Folgen beim Thema Pädophilie ebenfalls höchst relevant. In Umfragen und Studien zeigt sich immer wieder, dass stigmatisierende Einstellungen und ablehnende Haltungen gegenüber pädophilen Menschen in der Bevölkerung stärker vorhanden sind, als bei jeder anderen Minderheit und marginalisierten Gruppe. Entsprechend hoch ist auch die Prävalenz schwerwiegender psychischer Erkrankungen unter pädophilen Menschen. In einer Umfrage hat die amerikanische Organisation B4U-Act ermittelt, dass circa die Hälfte der Befragten schon einmal wegen Gründen, die mit ihrer sexuellen Präferenz zu Minderjährigen zusammenhängen, ernsthaft über Suizid nachgedacht haben.

Besonders vulnerabel für suizidale Tendenzen sind dabei Minderjährige. In der Umfrage traten bei den meisten die ersten suizidale Gedanken bereits im Jugendalter auf, das häufigste Alter eines ersten Suizidversuchs war 14. Bedenkt man, dass pädophile Menschen ihre Sexualität wie alle Anderen meistens im Jugendalter entdecken und gleichzeitig ohne Vorbilder, Rollenmodelle oder Menschen, denen sie sich anvertrauen können, häufig damit auf sich alleine gestellt sind, ohne dass ihnen positive Lebensperspektiven vermittelt werden, ist das aus meiner Sicht auch nicht überraschend.

Das Puppenverbot als Ausdruck gesellschaftlicher Stigmatisierung

Ich bin der Ansicht, dass die Debatte um den Besitz von kindlichen Puppen in Bezug auf Pädophilie einen ähnlichen Stellenwert besitzt, wie die Debatte um die Ehe für alle in Bezug auf Homosexualität. Sexuelle und romantische Beziehungen zu Kindern als pädophiler Mensch schließen sich aus offensichtlichen Gründen grundsätzlich aus. Während homosexuelle Menschen ihre Sexualität also mit anderen Menschen gleichen Geschlechts durchaus ausleben können, bleibt für pädophile Menschen die Auslebung auf Alternativen beschränkt, die keine realen Kinder involvieren. Puppen sind, bzw. waren bis sie 2021 strafrechtlich verboten wurden, so eine Alternative, welche für viele nicht nur eine Form von Sexualpartner waren, sondern auch ein romantischer Partner und eine emotionale Stütze.

Die Möglichkeit, auch Menschen des gleichen Geschlechts heiraten zu können gibt homosexuellen Menschen mehr Perspektiven für erfüllende Lebensmodelle und schadet niemanden, wird aber dennoch von konservativen Kreisen grundlos als Bedrohung der gesellschaftlichen Ordnung inszeniert. Ähnlich eröffnet die Möglichkeit, als pädophiler Mensch kindliche Puppen besitzen und eine Art „Ersatzbeziehung“ mit ihnen führen zu können Alternativen für einen erfüllenden Umgang mit der eigenen Sexualität, die dennoch von Gegnern ohne irgendeinen handfesten Beweis als Bedrohung der öffentlichen gesellschaftlichen Ordnung diskreditiert wird.

Die Legalisierung der Ehe für alle beweist, dass eine Gesellschaft bereit ist, queere Menschen als wertvolle Mitglieder der Gesellschaft zu akzeptieren und ihnen das Recht auf ein glückliches Leben abseits traditioneller, heteronormativer Lebensentwürfe zuzugestehen. Analog zeigt die Kriminalisierung von kindlichen Puppen, dass die Gesellschaft auch dann nicht bereit ist, das Ausleben einer Pädophilie zu akzeptieren, wenn niemand involviert ist oder dadurch verletzt wird. In Ermangelung einer wissenschaftlich fundierten Basis wurde das Verbot mit emotional aufgeladenen Scheinargumenten legitimiert, die sich vor allem durch die inflationäre Verwendung von Adjektiven wie „widerlich“ oder „abartig“ auszeichnete. Diese Adjektive hätten genauso gut direkt gegen pädophile Menschen gerichtet sein können. Insgesamt geht von dem Verbot das Signal aus, dass pädophile Menschen so, wie sie sind, in dieser Gesellschaft nicht erwünscht sind, und jeglicher Versuch einer gesunden Sublimierung romantischer und sexueller Wünsche nach Möglichkeit kriminalisiert werden wird.

Das Puppenverbot ist also einerseits das Ergebnis der gewaltigen gesellschaftlichen Ablehnung pädophiler Menschen. Es konnte nur umgesetzt werden, weil es Ekel- und Angstgefühle, die gegen pädophile Menschen in der Bevölkerung vorherrschen, anspricht und scheinbar beruhigt. Gleichzeitig befeuert das Verbot das Stigma selbst weiter, indem schon die rein fiktive Auslebung pädophiler Fantasien an einem leblosen Gegenstand kriminalisiert wird.

Betroffen von dem Verbot sind daher unter Umständen nicht nur Besitzer:innen, Hersteller:innen und Verkäufer:innen von kindlichen Puppen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Verbot von kindlichen Puppen aufgrund der stigmatisierenden gesellschaftlichen Botschaft, die davon ausgeht negative Auswirkungen hat, die weit über die direkt Betroffenen hinausgehen – ganz analog dazu, wie die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe positive Auswirkungen auf Jugendliche hat, für die das Thema Ehe auch keine unmittelbare Relevanz hat.

Anekdotisch kann ich das bestätigen. Ich habe nie eine Puppe besessen noch hatte ich je ernsthaft vor, eine Puppe zu erwerben. Im Grunde hat sich für mich mit Beschluss des Verbots genau gar nichts geändert. Trotzdem hat es mich zutiefst erschüttert, als das Gesetz 2021 im Bundestag beschlossen wurde. Eben aufgrund der Botschaft, die durch das Verbot an pädophile Menschen gesendet wird, und weil es die Bereitschaft der Regierung gezeigt hat, pädophilen Menschen ohne Angabe nachvollziehbarer Gründe Freiheiten wegzunehmen. Ich weiß, dass es nicht nur mir so geht und ich kann mir aus meiner eigenen Perspektive gut vorstellen, dass so etwas psychische Belastungen erzeugen oder bestehende verschlimmern kann.

Die Konsequenzen voreiliger Verbote

Die Frage, die sich mir beim Lesen des eingangs erwähnten Artikel daher gestellt hat, ist diese: Wenn gesetzliche Entkriminalisierungen, die Ausdruck einer fortschreitenden Entstigmatisierung und Gleichbehandlung sind, mit einer sinkenden Suizidrate zusammenhängen, gilt dieser Zusammenhang auch umgekehrt? Folgt auf rechtliche Kriminalisierungen, die Ausdruck einer fortschreitenden Stigmatisierung und Ausgrenzung sind, eine Zunahme an Suizidversuchen?

Konkret auf das Thema Pädophilie und Kinderpuppen bezogen:
Müssen wir damit rechnen, dass seit der Kriminalisierung von Sexpuppen mit kindlichem Aussehen mehr pädophile Jugendliche Suizidversuche begangen haben?

Aufgrund fehlender Daten können wir hier nur spekulieren. Aber es gibt zumindest einige Indizien, die darauf hindeuten, dass dies prinzipiell möglich sein könnte. Wir wissen aus anderen Bereichen, dass politische Gesetzesverfahren bei marginalisierten Minderheiten Auswirkungen auf die Suizidrate haben können; wir wissen, dass die gesellschaftliche Stigmatisierung von Menschen psychische und gesundheitliche Auswirkungen hat, die im schlimmsten Fall bis hin zu Suizidversuchen münden können; und es liegt nahe, dass das Verbot von harmlosen Alternativen und die Stigmatisierung pädophiler Menschen direkt zusammenhängen.

Während die Gesellschaft in den letzten Jahren toleranter und offener gegenüber queeren Menschen geworden ist, scheinen die Einstellungen gegenüber pädophilen Menschen tendenziell in die entgegengesetzte Richtung zu gehen. Wichtig ist es daher vielleicht gar nicht mal, die obige Frage eindeutig zu beantworten. Wichtig ist es, dass die Gesellschaft im Ganzen und der Gesetzgeber insbesondere überhaupt erst einmal anfängt, diese Frage zu stellen, und sich der möglichen Folgen ihres Handelns bewusst zu machen. Stigmatisierung und Diskriminierung haben direkte gesundheitliche Auswirkungen, die Minderjährige mindestens genauso treffen wie Erwachsene. Es darf nicht sein, dass negative und potenziell lebensbedrohende Auswirkungen ignoriert werden und damit leblose Gegenstände im Namen eines vorgeblichen Kinderschutzes mehr Schutz und Rücksichtnahme erfahren, als real existierende pädophile Jugendliche.