Vor inzwischen eineinhalb Jahren trat in Deutschland ein Verbot von Besitz, Herstellung und Verkauf von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild in Kraft. Die Begründung für dieses Verbot war dabei mehr als fragwürdig. Die Benutzung von Puppen tut offenbar niemanden direkt weh. Dafür, dass die Puppen indirekt gefährlich sind, indem sie bei den Benutzer:innen die Hemmschwelle für sexuelle Übergriffe gegen Kinder aus Fleisch und Blut senken, fehlt wiederum bis heute jeglicher empirischer Beweis.

Anstelle handfester Evidenz wurde das Verbot daher auf sehr wackeligen argumentativen Konstrukten gebaut. Laut CDU-Abgeordneten Thorsten Frei sei aus der Praxis bekannt, dass Kindersexpuppen „in der Regel die Vorstufe für echten sexuellen Missbrauch“ sind, der dann „häufig“ folgen würde. Immer wieder wurden zur Rechtfertigung des Verbots Fälle angeführt, in denen bei Missbrauchstäter:innen angeblich solche Puppen gefunden wurden. Diese Fälle seien ein Beweis dafür, dass „der Wunsch geweckt beziehungsweise verstärkt werden [kann], die an dem Objekt eingeübten sexuellen Handlungen in der Realität an einem Kind vorzunehmen“ – wie es hinterher in der Gesetzesbegründung hieß.

Erste handfeste Zahlen

Bisher war es nicht möglich, diese Behauptungen zu überprüfen. Konkrete Zahlen wurden nie genannt, stattdessen war immer nur von Einzelfällen die Rede, welche aber angeblich mit erschreckender Häufigkeit vorkommen würden.

Dies hat sich nun geändert. Kürzlich wurde die polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2022 vorgestellt. In dieser Statistik, genauer gesagt in Tabelle T20 (Tatverdächtige insgesamt nach Alter und Geschlecht – bei vollendeten Fällen, V1.0) finden sich erstmals handfeste Zahlen zu der Frage, wie verbreitet Straftaten im Zusammenhang mit kindlichen Sexpuppen sind.

Und die Antwort ist: nicht sehr. In ganz Deutschland gab es 2022 insgesamt gerade einmal 29 Menschen, gegen die wegen Inverkehrbringen, Erwerb und Besitz von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild ermittelt wurde. Davon waren 26 Männer und drei Frauen. Einer der Tatverdächtigen war dabei lediglich 16–17 Jahre alt.

Vergleichen wir dies einmal mit den Zahlen zu sexuellem Kindesmissbrauch. Dort sind letztes Jahr insgesamt 11 130 Tatverdächtige registriert worden. Wenn wir davon ausgehen, dass bei Ermittlungen wegen Kindesmissbrauch in der Regel auch eine Hausdurchsuchung erfolgt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit kindliche Sexpuppen im Besitz des:der Tatverdächtigen findet, folgt daraus, dass ein Anteil von maximal 0,2 % der überführten Kindesmissbrauchstäter:innen eine kindliche Sexpuppe besessen haben. Tatsächlich dürfte der Anteil eher noch geringer sein, da vermutlich nicht jede:r Tatverdächtige von Kindersexpuppen aufgrund von Missbrauchsermittlungen in den Fokus der Ermittlungsbehörden gekommen ist.

Soviel also dazu, dass solche Puppen bei Täter:innen ständig gefunden werden.

Der Mythos vom einstudierten Missbrauch

Noch eindeutiger sehen die Zahlen bei der Verbreitung und Besitz von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern aus. Dieser Straftatbestand wurde ebenfalls 2021 eingeführt, auch mit der Begründung, dass diese „nicht selten“ bei Beschuldigten von Kindesmissbrauch gefunden werden würden und dies beweisen würde, dass diese Anleitungen die Hemmschwelle für Missbrauch senken.

Hier wurden im gesamten Jahr 2022 allerdings gerade einmal neun Tatverdächtige registriert: zwei Frauen und sieben Männer, einer davon ein 14-15-jähriger Jugendlicher. Dies macht im Vergleich sogar nur einen Anteil von maximal 0,08 % der Tatverdächtigen von Missbrauch aus.

Oder, um es anders zu formulieren: mehr als 99 % der Tatverdächtigen im Bereich Kindesmissbrauch haben ihre Taten begangen, ohne dabei eine Anleitung oder eine Übungspuppe gebraucht zu haben. Der Gedanke, dass ein Missbrauch erst langwierig einstudiert und geprobt werden muss, entspricht offenbar nicht der Realität – andernfalls hätte die Kriminalstatistik annähernd so viele Fälle von Missbrauchsanleitungen und Kindersexpuppen registrieren müssen, wie auch Fälle von Missbrauch registriert wurden.

Kollateralschäden

Bei all dem dürfen wir außerdem nicht vergessen, dass das grundsätzliche Argument schon auf Sand gebaut ist. Selbst wenn Kindersexpuppen häufig bei Missbrauchstäter:innen gefunden werden würde, ließe sich daraus noch lange nicht schließen, dass diese Puppen zu den Missbrauchstaten geführt hätten. Auch andere Objekte finden sich häufig im Besitz von Missbrauchstäter:innen: Wasserkocher, Kleiderschränke, Spülmaschinen. Niemand würde auf die Idee kommen daraus zu schließen, dass diese Objekte irgendeinen Anteil an den verübten Taten hätten.

Man müsste andersherum vorgehen und zeigen, dass Besitzer:innen von Kindersexpuppen übermäßig häufig Missbrauch begehen. Und selbst das würde erst einmal nur eine statistische Korrelation zeigen und nicht zwingend bedeuten, dass es auch einen kausalen Zusammenhang gibt. Um dies zu beweisen wäre wesentlich mehr Forschung notwendig – die dank der Kriminalisierung in Deutschland aber nun signifikant erschwert ist.

Das Argument wäre also selbst dann unlogisch und falsch, wenn die Fallzahlen es stützen würden.

Was übrig bleibt, sind 29 Menschen, denen eine Haftstrafe droht, weil sie sich an einem Stück Plastik vergangen haben – aufgrund eines Gesetzes, das auf logischen Fehlschlüssen und falschen Zahlen basiert.