Liebe Leser,

wieder einmal bringe ich Euch eine prall gefüllte Kiste mit allerlei Medienberichten zum Thema Pädophilie. Diese Woche geht es unter anderem um ein Verbot von Konversionstherapien, ein Interview mit "Kopfplatzen"-Regisseur Savaş Ceviz und einen haarsträubenden Artikel eines katholischen Internetmagazins. 

1. Konversionstherapien werden verboten (aber nicht für Pädophile)

Letzten November hat Gesundheitsminister Spahn einen Gesetzesentwurf vorgeschlagen, der Konversionstherapien für Homosexuelle an Minderjährigen verbieten soll (siehe meine Sonntagskiste #6). Im Dezember wurde ein entsprechender Gesetzesentwurf von dem Bundeskabinett beschlossen (siehe meine Sonntagskiste #12). Diese Gesetzesänderung ist nun vom Bundestag abgesegnet worden.

Wesentlicher Teil des Verbots war es von Anfang an, dass das Verbot nicht für sexuelle Identitäten außerhalb der Homosexualität gilt. Daran hat sich auch nichts geändert, wie der Bundestag noch einmal klargestellt hat: 

Vom Verbot nicht umfasst sind Behandlungen bei Störungen der Sexualpräferenz, also etwa Exhibitionismus oder Pädophilie.

Interessant ist allerdings ein Blick in die konkrete Formulierung der beschlossenen Gesetzesänderung. Dort ist an keiner Stelle von Pädophilie die Rede, stattdessen wird der Anwendungsbereich des Gesetzes durch folgenden Paragraphen eingeschränkt:

(1) Dieses Gesetz gilt für alle am Menschen durchgeführten Behandlungen, die auf die Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung oder der selbstempfundenen geschlechtlichen Identität gerichtet sind (Konversionsbehandlung). (2) Dieses Gesetz ist nicht anzuwenden auf die Behandlung von medizinisch anerkannten Störungen der Sexualpräferenz.(3) Eine Konversionsbehandlung liegt nicht vor bei operativen medizinischen Eingriffen oder Hormonbehandlungen, die darauf gerichtet sind, die selbstempfundene geschlechtliche Identität einer Person zum Ausdruck zu bringen oder dem Wunsch einer Person nach einem eher männlichen oder eher weiblichen körperlichen Erscheinungsbild zu entsprechen.

Die Tendenz in der Wissenschaft und Medizin geht zunehmend in die Richtung, dass Pädophilie nicht als eine Störung der Sexualpräferenz gesehen wird. In dem amerikanischen Handbuch für psychische Störungen DSM-V ist Pädophilie schon nicht mehr gelistet, und auch in der nächsten Überarbeitung des europäischen Handbuchs ICD-11 wird Pädophilie voraussichtlich nicht mehr als Störung gelistet sein. Viele prominente Wissenschaftler, darunter auch Prof. Dr. Klaus Beier von der Charité in Berlin, sehen Pädophilie eher als sexuelle Orientierung, die mit Homo- oder Heterosexualität durchaus vergleichbar ist. 

Kurz gesagt, es ist gut möglich, dass Pädophilie in absehbarer Zukunft keine "medizinisch anerkannte Störung der Sexualpräferenz" mehr ist. Wird dann das Verbot von Konversionstherapien doch noch auch auf Menschen mit Pädophilie anwendbar sein?

2. Medikamente gegen Pädophilie

Viele der Negativbeispiele aus der Welt der Medien, die ich regelmäßig in meiner Kiste sammel, lassen sich durch einfache journalistische Faulheit erklären. Anstatt kurz innezuhalten und zum Thema zu recherchieren, werden schnell Phrasen und Floskeln unreflektiert wiederholt, die sowieso in aller Munde sind. Hin und wieder gibt es aber auch Beispiele, bei denen ich mich frage, ob hier nicht aus reiner Bosheit mit voller Absicht stigmatisierende Falschaussagen verbreitet werden. Ein solches Beispiel wurde neulich auf MEDMIX veröffentlicht, worüber auch ilytul vor ein paar Tagen schon einen Blogbeitrag geschrieben hat.

Der Artikel beginnt schon mit einer Aussage, die schlicht falsch ist: "Etwa jedes zehnte Mädchen und jeder zwanzigste Junge wird sexuell missbraucht. Hauptsächlich durch Männer mit Pädophilie beziehungsweise einer pädophilen Störung." Tatsächlich ist nur eine Minderheit der Missbrauchstäter pädophil. Was mich an ein Versehen zweifeln lässt, ist, dass diese Information in der einzigen Quelle genannt wird, die der Artikel zitiert: von den Missbrauchstätern, die strafrechtlich verfolgt wurden, hatten ungefähr die Hälfte eine pädophile Störung, heißt es da. Die Autorin hat also entweder ihre eigene und einzige Quelle nicht gelesen, oder aber sie verbreitet ganz bewusst Falschinformationen. 

3. Pädophilie und Homosexualität: der wahre Grund für den katholischen Missbrauchsskandal

Ein bemerkenswerter Artikel ist auf katholisches.info erschienen, einem Internetmagazin "für Kirche und Kultur". Der Artikel sucht sehr ausschweifend nach einem Schuldigen für den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche, und findet ihn überall außer in der Kirche selber. Nicht nur das, dem Autor zu Folge ist die katholische Kirche sogar die Kraft, die "tatsächlich am entschiedensten sexuellen Missbrauch verurteilt und bekämpft." Die Ursache für die ganzen Missbrauchsskandale sei demnach in der Gesellschaft zu suchen, die Missbrauch und Perversionen zunehmend akzeptiert und demnach auch dem Missbrauch in der Kirche die Tür weit geöffnet habe. Als Beleg für diese Perversionen nennt der Autor unter anderem die Akzeptanz von Kunst mit "perversen Inhalten", etwa vom "pädophilen Fotografen David Hamilton" oder vom "pädophilen Balthus". Als Forderung, um "tatsächlich Missbrauch zu verhindern", fordert der Autor die Rückkehr zu den alten Werten einer gottesfürchtigen Gesellschaft: so sollen Familien ermutigt werden, "ihre Söhne zu Männern und ihre Töchter zu Frauen zu erziehen" (was auch immer das heißen mag), Homosexualität soll wieder strafbar gemacht werden, und betroffene Männer (Frauen haben wohl Glück gehabt) mit dieser "Triebanomalie" sollen unterstützt werden, diese "Gewohnheiten abzulegen". 

Auch wenn diesen Artikel abgesehen vielleicht von einigen Fundamentalisten kaum jemand ernst nehmen wird, illustriert er dennoch eine häufig angewendete und durchaus wirkungsvolle Taktik von Menschen mit homophoben Gedankengut: nämlich die Vermischung von Pädophilie, Kindesmissbrauch und Homosexualität, die es ihnen ermöglicht ihren Kampf gegen Homosexualität als Einsatz für das Wohl von Kindern und Jugendlichen umzudeuten. Leider hat diese Taktik den Effekt, dass sich viele homosexuelle Menschen meiner Erfahrung nach schon reflexartig gegen jegliche noch so entfernte Verbindung zu Pädophilie wehren, und damit häufig die Stigmatisierung pädophiler Menschen mit am stärksten unterstützen. 

4. Kulturjournal über "Kopfplatzen"

Noch einmal Kopfplatzen. Das Kulturjournal im NDR hat eine fünfminütige Nachbesprechung des Films ausgestrahlt, die auch ein kurzes Interview mit dem Regisseur Savaş Ceviz enthält. Es erscheint etwas seltsam, dass Ceviz bereit war mitten in der Corona-Krise dem NDR ein Interview zu geben, nachdem eine Interviewanfrage von David mit der Begründung abgelehnt wurde, dass während der Pandemie keine Interviews möglich sind. 

Wie dem auch sei, Ceviz betont in dem Interview, dass Max Riemelt, der den pädophilen Markus spielt und im Vorfeld des Films ebenso wenig mit einem pädophilen Menschen gesprochen hat, besonders wert darauf gelegt hat, dem Thema und der damit einhergehenden Verantwortung gerecht zu werden. Diese Behauptung wirft bei mir wiederum einige Fragen auf.

Max Riemelt spielt in "Kopfplatzen" einen Menschen, der zu einer der am stärksten stigmatisierten Randgruppen unserer Gesellschaft gehört. Eine Randgruppe, die in Filmen bisher fast gar nicht dargestellt wird, und höchstens als Monster und Antagonist in Geschichten auftaucht. Wenn man sich wirklich verantwortungsvoll verhalten möchte, sollte man dann nicht zumindest einmal mit Betroffenen reden, bevor man einen ganzen Film über sie dreht? Wäre es nicht Teil dieser Verantwortung, uns nicht zu ignorieren und so zu behandeln als würden wir nicht existieren, so als wären unsere Ansichten für eine Geschichte über Pädophilie irrelevant? Und was ist mit der Verantwortung gegenüber den vielen pädophilen Menschen da draußen, die sich Riemelts Charakter angesehen haben in der Hoffnung, in ihm eine Identifikationsfigur zu finden, aber in seiner Geschichte keine Hoffnung oder Perspektive finden werden bis auf die deprimierende Aussicht auf ein Leben in Zerrissenheit, Einsamkeit und aussichtslosen Leid?

Was ist mit der Verantwortung gegenüber pädophilen Menschen? Kam den Filmemachern überhaupt je während der Produktion des Films der Gedanke, dass sie eventuell auch gegenüber den Menschen auch eine Verantwortung haben, die sie versuchen darzustellen? Von uns wird immer verlangt, dass wir verantwortungsvoll mit unserer Neigung umgehen – ist es dann zu viel verlangt, dass Andere auch verantwortungsvoll mit uns umgehen?

Der Beitrag im Kulturjournal kann bis zum 25.05.2020 in der ARD Mediathek abgerufen werden.

5. Eine Fachmeinung zum Cybergrooming-Gesetz

Auf anwalt.de ist ein Interessanter Kommentar von Rechtsanwältin Anne Patsch zum kürzlich verabschiedeten Gesetz gegen Cybergrooming und Kinderpornographie. Zur Erinnerung: das neue Gesetz stattet Ermittler mit den Befugnissen aus, sich mit computergenerierter Kinderpornographie den Zugang zu Tauschbörsen zu erkaufen, und als verdeckte Ermittler gegen Personen zu agieren, die versuchen sexuelle Kontakte zu Minderjährigen anzubahnen. Frau Patsch kritisiert die neuen Gesetze und erläutert dabei auch ihre Perspektive auf das Thema Pädophilie als Strafverteidigerin.

6. Kriminalisierung pädophiler Menschen in den Medien

Nicht jeder pädophile Mensch wird zum Straftäter, und die meisten Kindesmissbrauchstäter und Konsumenten von Kinderpornographie sind nicht pädophil. 

Leider wird diese wichtige Unterscheidung in den Medien oft nicht gemacht, und Pädophilie mit Straftaten oft in einen Topf geworfen. Gerade das trägt aber massiv zur Stigmatisierung pädophiler Menschen bei, da die meisten Menschen so den Eindruck gewinnen, dass Pädophilie und Kindesmissbrauch ein und dieselbe Sache ist. Um auf dieses Problem aufmerksam zu machen, möchte ich hier jede Woche Beispiele für diese Behandlung des Themas Pädophilie in den Medien sammeln.

7. O Kinder

Diese Woche möchte ich mit dem Lied O Children von Nick Cave & The Bad Seeds beenden, das durch die Harry Potter-Filme neue Bekanntheit erlangt hat. Das Lied kontrastiert das Potential und die Hoffnung von Kindern, deren Geschichte gerade erst am Anfang steht, mit der Resignation und dem Einsehen, dass manche Sachen trotz bester Intentionen nie gut werden können, das oft mit dem Erwachsenwerden einhergeht. 

Bis nächste Woche,
 Sirius