Liebe Leser, 

diese Woche sind viele Schlagzeilen zum Thema Pädophilie durch die Medien gegangen. Wie leider zu erwarten ist, ist der Großteil dieser Schlagzeilen wieder einmal negativ. Zum Einen hat ein "Pädophilie-Skandal" in Frankreich für recht viel Aufsehen gesorgt, der aber wie wir sehen werden nicht viel mit Pädophilie zu tun hat. Außerdem hat der Bundestag einige Gesetzesverschärfungen im Bereich Kinderpornographie und Cybergrooming verabschiedet, was einige Medien ebenfalls zu weniger netten Schlagzeilen veranlasst hat. Als Entschädigung dafür gibt es aber immerhin auch einen der besten Artikel zum Thema Pädophilie, die in der letzten Zeit veröffentlicht wurden. 

1. Kampf gegen Pädophile im Internet

Diese Woche hat der Bundestag zwei Gesetzesverschärfungen beschlossen. Zunächst einmal ist jetzt bereits der Versuch, einen sexuellen Kontakt zu Minderjährigen aufzubauen strafbar, anstatt wie bisher nur die tatsächliche Tat. Konkret bedeutet dies, dass Ermittler sich jetzt als Minderjährige im Internet ausgeben und diejenigen verhaften können, die sich ihnen anzüglich nähern, da es für eine Strafbarkeit nun schon ausreichend ist unter der Annahme zu handeln, mit einem Minderjährigen zu kommunizieren. 

Da Kinder eher keinen unbeaufsichtigten Internetzugang haben schützt diese Regelung wohl vor allem Jugendliche, die sich in Chaträumen aufhalten. Dennoch wird diese Gesetzesänderung als Erfolg in der Verfolgung von Pädophilen (mdr) gefeiert, obwohl Pädophilie per Definition eben nicht die Neigung zu Jugendlichen ist. Aber mehr zu dem Thema später.

Die zweite Gesetzesänderung ermöglicht es Ermittlern, in Sonderfällen computergenerierte Kinderpornographie zu verwenden, um damit Zutritt in entsprechende Zirkel zu bekommen. Auch diese Änderung wird von den Medien tendenziell vor allem als großer Erfolg im Kampf gegen Pädophile (trtdeutsch) gesehen: endlich werden Ermittler nicht mehr von lästigen moralischen Problemen daran gehindert, Pädophilen auf die Schliche zu kommen (Südkurier)!

Gerade bei dieser letzten Gesetzesänderungen stellen sich mir allerdings einige Fragen. Zunächst einmal finde ich die Grundsituation irgendwie absurd: Ermittler dürfen jetzt also fiktive Kinderpornographie produzieren, besitzen, und verbreiten, sie völlig legal an andere versenden – sobald diese sie aber annehmen, machen sie sich alleine schon des Besitzes wegen strafbar. Irgendwie wird hier mit zweierlei Maß gemessen, und ich frage mich wieder einmal, warum fiktive Kinderpornographie nicht generell legalisiert wird, wenn sie ja offenbar für andere nicht schädlich ist (und wenn sie es wäre, dann wäre es ja mehr als fragwürdig, dass Ermittler diese verwenden dürfen). Davon abgesehen kann ich den Medienoptimismus (der leider mal wieder nebenbei den "Pädophilen im Internet" als zu bekämpfendes Feindbild hinstellt) auch aus praktischen Gründen nicht teilen. Die Betreiber von kinderpornographischen Plattformen werden sich bewusst sein, dass sich jetzt Ermittler mit computergenerierten Material einschleusen dürfen, und vermutlich ein besonderes Auge darauf haben. Selbst Millionenschwere CGI-Produktionen aus Hollywood haben mit dem Uncanny Valley zu kämpfen. Ich halte es für unrealistisch, dass es möglich ist wirklich real wirkende Kinderpornographie zu generieren, die auch einer kritischen Betrachtung standhält – vor allem auch, da das Gesetz es ausdrücklich verbietet real existierende Personen bei der Generierung als Vorlage zu verwenden. 

2. Frankreichs "Pädophilie"-Skandal

Pädophilie ist das sexuelle und romantische Interesse an Kindern vor dem Erreichen der Pubertät. In der Regel fühlen sich pädophile Menschen also zu Kindern hingezogen, die meistens jünger als 12 Jahre sind. Pädophilie hat nichts mit dem Interesse an (pubertierenden) Jugendlichen zu tun. Pädophilie hat auch nichts damit zu tun, wenn ein 50-jähriger eine 14-jährige in eine sexuelle Beziehung drängt. Genau das hat die Verlegerin Vanessa Springora dem Schriftsteller Gabriel Matzneff vorgeworfen, und die Medien machen daraus einen riesigen Pädophilie-Skandal.

(nach-welt.com)

(faz.net)

(fr.de)

(deutschlandfunk.de)



(tagesspiegel.de)

(derstandard.de)

(Übrigens - pädophile Bücher wären dem Wortsinn nach Bücher, die pädophil sind, sich also zu vorpubertären Kindern hingezogen fühlen. Ich hab keine Ahnung, wie ein Buch sowas schaffen kann, aber das zeigt vielleicht wie viele gedankenlose Formulierungen, die bei näherer Betrachtung überhaupt keinen Sinn ergeben, inzwischen ganz natürlich den Weg in diese Debatten gefunden haben.)

Es ist eine Sache, wenn uns Pädophilen die Schuld für Kindesmissbrauchstaten kollektiv in die Schuhe geschoben werden. Zumindest ist da noch ein Zusammenhang zu erkennen: fühlt sich sexuell zu Kindern hingezogen <–> wird Kindern gegenüber sexuell übergriffig. Dass auch Missbrauchstaten, die selbst in der Hinsicht absolut nichts mit Pädophilie zu tun haben auch von eigentlich seriösen Medien ganz natürlich als "Pädophilie-Skandal" bezeichnet werden und uns damit in gewisser Weise impliziert wird, dass unsere Neigung, und damit ein integraler Bestandteil unserer Identität, eine Mitschuld an solchen Taten haben, hinterlässt bei mir nur einen umso bitteren Nachgeschmack. 

3. Der Versuch eines Verständnisses

Zur Abwechslung jetzt mal etwas Positives. Auf Vice ist ein sehr lesenswerter Artikel über Silas, einen Patienten der Schweizer Einrichtung Forio erschienen. Silas ist kernpädophil, weitflächig geoutet und hat in seinem Leben nie eine Straftat begangen. Sein Antrieb, die Situation für nicht-übergriffige pädophile Menschen zu verbessern hat ihn dazu gebracht, mit der Vice-Journalistin Johanna Venn zu sprechen, die einen der besten in letzter Zeit erschienenen Artikel zum Thema daraus gemacht hat. Ehrlich reflektiert sie ihre eigenen Zweifel und Skepsis, und ist gleichzeitig bereit sich selber in Frage zu stellen: 

Silas macht eigentlich alles richtig. Er geht zur Therapie, konsumiert keine Missbrauchsdarstellungen, kommt Kindern nicht zu nahe. Dennoch erwarte ich, dass er sich schämt. Aber wie soll jemand für etwas Reue empfinden, das er sich nicht ausgesucht hat? Wie soll jemand für etwas Reue empfinden, wenn er noch nie etwas gemacht hat, das es zu bereuen gäbe?

Skepsis, Ekel, Wut – all das sind verständliche Emotionen, wenn man sich erstmals mit dem Thema Pädophilie und der Vorstellung befasst, dass es Menschen gibt, die sich zu der Vorstellung, Sex mit Kindern zu haben befriedigen. Aber hier den Schritt weiter zu gehen, und die simple Frage zu stellen ob die intuitiven Reaktionen überhaupt passend und fair sind, ist ein so wichtiger erster Schritt um ein gegenseitiges Verständnis zu schaffen. 

Einziger Wermutstropfen: leider ist der Artikel voller Links zu weitaus weniger verständnisvollen Artikeln an den unpassensten Stellen. 

4. Kriminalisierung pädophiler Menschen in den Medien

Nicht jeder pädophile Mensch wird zum Straftäter, und die meisten Kindesmissbrauchstäter und Konsumenten von Kinderpornographie sind nicht pädophil. 

Leider wird diese wichtige Unterscheidung in den Medien oft nicht gemacht, und Pädophilie mit Straftaten oft in einen Topf geworfen. Gerade das trägt aber massiv zur Stigmatisierung pädophiler Menschen bei, da die meisten Menschen so den Eindruck gewinnen, dass Pädophilie und Kindesmissbrauch ein und dieselbe Sache ist. Um auf dieses Problem aufmerksam zu machen, möchte ich hier jede Woche Beispiele für diese Behandlung des Themas Pädophilie in den Medien sammeln.

(mdr.de)

(weser-kurier.de)

(trtdeutsch.com)

5. Vater und Tochter

Zum Abschluss habe ich diesmal ein nettes kleines Lied von Paul Simon mitgebracht: Father and Daughter. In dem Lied, in dem auch Simons Sohn im Hintergrund zu hören ist, besingt er seine väterliche Liebe zu seiner Tochter.

Bis zum nächsten Sonntag
Sirius