Eine weitere Woche geht zu Ende, und damit ist es wieder einmal Zeit meine Kiste aus ihrem Versteck zu holen und auszupacken. Diese Woche gab es besonders viel Tumult zum Thema Pädophilie, und zum ersten Mal musste ich tatsächlich eine Auswahl treffen, welche Sachen ich in die Kiste packe und was ich aus Platzgründen rauslassen muss. Die meisten meiner Fundstücke sind leider – wieder einmal – eher negativ, vor allem scheinen es viele Medien einfach nicht zu schaffen den Unterschied zwischen Pädophilie und Kindesmissbrauch richtig darzustellen.
1. Mord an Richard Huckle
Das Thema, das diese Woche am meisten durch die Medien ging, war der Mord an dem Sexualstraftäter Richard Huckle, der wegen Besitz von Kinderpornographie und 200-fachen Kindesmissbrauch verurteilten wurde und in seiner Zelle am Montag erstochen aufgefunden worden ist.
Die Medienberichterstattung zu dem Fall ist leider wieder von einer Vermischung von Pädophilie und Kindesmissbrauch gekennzeichnet, die alle Medien durchzieht, die zu dem Thema geschrieben haben. "Serien-Pädophiler von Vergewaltiger erstochen" titelte etwa die BILD groß, die Berliner Zeitung formulierte auf ähnliche Art: "Serien-Pädophiler vergewaltige 200 Kinder – im Knast wurde er erstochen". Der Westen redete von einem "phädophilen [sic] Serientäter", auf rtl.de liest man, dass Großbritanniens schlimmster Pädophiler erstochen wurde, und der FOCUS nennt Huckle den berüchtigsten Pädophilen Englands. Auch die tz schreibt über Huckle nur als den Pädophilen, und selbst auf Spiegel Online beginnt der Artikel zu dem Thema mit dem Satz "Ein verurteilter Pädophiler ist tot in seiner Zelle in einem Gefängnis in Nordengland aufgefunden worden". Tatsächlich habe ich in meiner Recherche keinen einzigen Artikel über Huckle gefunden, der ihn nicht in irgendeiner Form als Pädophilen bezeichnet.
Um es noch einmal klar zu sagen: Kindesmissbrauch ist die Straftat, Pädophilie ist eine sexuelle Orientierung und keine Handlung. Von einem "Serien-Pädophilen" zu sprechen ergibt daher genauso wenig Sinn, wie einen mehrfachen Vergewaltiger als "Serien-Heterosexuellen" zu bezeichnen. Nicht jeder pädophile Mensch begeht irgendwann eine Sexualstraftat gegen Kinder, und die meisten Missbrauchstäter sind nicht pädophil. Huckle daher wie selbstverständlich wahlweise als "Serien-Pädophilen", "berüchtigten Pädophilen", "schlimmsten Pädophilen" oder "verurteilten Pädophilen" zu bezeichnen ist äußerst stigmatisierend, da es die Ansicht aufrecht erhält, dass Pädophilie und Kindesmissbrauch das Gleiche ist.
2. Polen versucht, Pädophilie zu stoppen
(faz.net, 17.10.2019)
In Polen wurde diese Woche ein Gesetzesentwurf vom Parlament abgesegnet, welches die Sexualaufklärung in dem Land massiv einschränkt. Laut Ansicht der rechtskonservativen Partei PiS ist es ein Akt der Pädophilie, Minderjährige (also vor allem Jugendliche) über Themen wie Geschlechtsverkehr oder Masturbation zu unterrichten, und verführt sie zu sexueller Verdorbenheit. Aus dem Grund wurde von dem konservativen Bündnis "Stop Pedofilii" (Stoppt Pädophilie) der Gesetzesentwurf zur Abstimmung vorgelegt, der es im Wesentlichen verbietet über die Massenmedien (also auch im Schulunterricht) darüber zu reden, dass Minderjährige Geschlechtsverkehr haben können. Das Bündnis hat früher schon Homosexualität mit Pädophilie gleichgestellt um damit LGBT-feindliche Aussagen zu verbreiten. Meiner Ansicht nach ist dieses Gesetz damit ein imposantes Beispiel dafür, wie der vorgebliche Kinderschutz und die Angst vor Pädophilen instrumentalisiert werden kann, um damit politische Forderungen durchzusetzen. Besonders absurd ist dies, da es hier vor allem um die Aufklärung Jugendlicher geht; scheinbar kann also auch ein 17-jährige zum unschuldigen Kind werden, wenn dies die zu verbreitende Narrative verlangt.
Interessanterweise ist die Gleichstellung von Pädophilie und Kindesmissbrauch schon jetzt im polnischen Gesetz verankert. Paragraph 200b des polnischen Strafgesetzbuches verbietet seit 1997 die Verbreitung und das Gutheißen "pädophiler Verhaltensweisen". Dieser Paragraph soll nun so erweitert werden, dass es danach auch strafbar ist es gut zu heißen, wenn Minderjährige sexuell aktiv sind. Wenn das Gesetz tatsächlich verabschiedet wird, könnten in Polen Lehrern und Ärzten bald bis zu drei Jahre Gefängnis drohen, wenn sie Jugendliche über Sexualität aufklären.
3. Pädophile: entweder Täter oder Tatgeneigte?
(ka-news.de, 14.10.2019)
Ein Interview der Karlsruher Nachrichtenseite ka-news.de mit Sarah Allard, der therapeutischen Leiterin der Behandlungsinitiative Opferschutz e.V. (BIOS). BIOS ist ein Verein, der vor allem therapeutische Hilfe für Opfer und Täter von Kindesmissbrauch anbietet, sich aber auch an Menschen mit pädophilen Neigungen richtet.
Ich empfinde die Aussagen des Interviews teilweise als ziemlich erschreckend. Zunächst einmal werden Menschen mit Pädophilie von dem Verein grundsätzlich als "Tatgeneigte" bezeichnet. Mit diesem Wort werden auch auf der Webseite des Vereins hilfesuchende pädophile Menschen angesprochen, so steht unter dem Menüpunkt "Für Tatgeneigte" etwa:
Unter dem Begriff „Tatgeneigte" werden Personen erfasst, die - soweit bekannt - noch nicht wegen eines begangenen Gewalt- oder Sexualdeliktes auffällig geworden sind, die sich jedoch entweder in ihren Phantasien die Begehung eines Gewalt- oder Sexualdelikts vorstellen bzw. sich dazu gedrängt fühlen oder aber im Dunkelfeld bereits als Täter agiert haben und bei denen mit der Begehung eines solchen Übergriffs zu rechnen ist.Es handelt sich im Regelfall um Personen männlichen Geschlechts, die allen sozialen Schichten angehören.
Mir stellt sich da die Frage, ob es einen Übergriff bzw. Rückfall nicht eher begünstigt, wenn man lernt sich selber als "Tatgeneigt" zu sehen ("ich bin tatgeneigt und konnte deshalb nicht anders handeln"). Davon abgesehen wird in dem Interview die Ansicht deutlich, dass grundsätzlich alle Menschen mit pädophilen Fantasien als tatgeneigt gesehen werden. Das halte ich grundsätzlich für falsch, sexuelle Fantasien mit Kindern zu haben heißt nicht, dass man diese auch in der Realität ausleben möchte oder in Gefahr schwebt, in einem "schwachen Moment" diese tatsächlich auszuleben. Ich sehe mich selber jedenfalls nicht als tatgeneigt und empfinde es eher als eine Art Beleidigung, so genannt zu werden.
4. "Pädophilie ist keine Sünde, sondern ein Verbrechen"
(kurier.at, 16.10.2019)
Der Kurier hat den französischen Regisseur François Ozon anlässlich seines neuen Films über die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche interviewt. Von folgender Aussage war ich leider sehr enttäuscht:
(KURIER) Sie betonen in Ihrem Film immer wieder den Unterschied zwischen Homosexualität und Pädophilie. Wird das immer noch gerne zusammen gedacht?Ein Problem der Kirche ist, dass für lange Zeit Pädophilie einfach „nur“ als Sünde galt, so wie Homosexualität oder eheliche Untreue. Es hat ziemlich lange gedauert, bis anerkannt wurde, dass Pädophilie ein Verbrechen und eine weitverbreitete Plage innerhalb der Institution ist, und nicht „bloß eine Sünde“.
Ich habe den Film noch nicht gesehen, aber der Aussage nach scheint es leider so zu sein, dass dort kein Unterschied zwischen Kindesmissbrauch und Pädophilie gemacht wird. Das finde ich enttäuschend, denn auch wenn es in dem Film um Missbrauchsopfer und nicht um Pädophilie geht finde ich es wichtig, bei solchen wichtigen Filmen ordentlich zu recherchieren und auch solche fundamentalen Unterschiede richtig darzustellen.
5. Wer wurde hier kritisiert?
(focus.de, 16.10.2019)
Der FOCUS wagt sich nach seinem letzten Artikel noch einmal an das Thema Metzelder. "Und auch die Rolle der Medien ist bei der Aufdeckung des Fall in die Kritik geraten," schreibt der FOCUS dabei mit beeindruckender Scheinheiligkeit. Dass es gerade auch die Berichterstattung des FOCUS war, die in Kritik geraten ist (unter Anderen von unseren Autoren David und ilytul), wird dabei bequemerweise nicht erwähnt.
6. Kinderpornographie im Internet
(nzz.ch, 16.10.2019)
Zur Abwechslung mal ein Artikel, der mich sehr positiv überrascht hat. Der Artikel berichtet über den Umgang der Polizei mit der steigenden Anzahl von Kinderpornographie im Internet, und tut dies ganz ohne pädophile Menschen zu stigmatisieren. Schon in der Einleitung wird klar gestellt: "Der Grossteil der Konsumenten illegaler Bilder im Internet ist indes eher nicht pädophil, wohl aber pornosüchtig", und ein ganzer Abschnitt zum Schluss des Berichts stellt diese Unterscheidung noch einmal ausführlicher klar. Und das Ganze ist auch noch bei einer Schweizer Zeitung veröffentlicht worden, wobei in der Schweiz meiner Erfahrung nach normalerweise wesentlich stigmatisierender über Pädophilie berichtet wird als in Deutschland. Super, weiter so!
7. Private Krankenkassen weigern sich, KTW mitzufinanzieren
(taz.de, 15.10.2019)
Seit 2018 wird das Therapieprojekt Kein Täter Werden von den Krankenkassen finanziert – allerdings nur von den gesetzlichen. Unter dem etwas reißerischen Titel "Kein Geld für Kinderschutz" berichtet die taz, dass sich die Privaten Krankenkassen weigern, sich an der Finanzierung des Projekts zu beteiligen. Grund dafür sei allerdings nicht eine grundsätzliche Ablehnung des Projekts oder der Arbeit mit pädophilen Menschen, sondern dass KTW ein Projekt für die Kriminalprävention sei, was eine "versicherungsfremde Leistung" ist. Bislang hat sich KTW in der Öffentlichkeit so präsentiert, dass es bei dem Projekt um die Verhinderung von Straftaten geht (und eher zweitrangig um das psychische Wohlergehen von Menschen mit Pädophilie). Kann es vielleicht sein, dass sich genau diese Rechtfertigung jetzt zum Nachteil des Projekts erweist?
8. Kinderszenen
Wie immer möchte ich den Beitrag dieser Woche mit etwas Musikalischen abschließen. Dieses Mal etwas rein instrumentales: die Kinderszenen von Robert Schumann. Jedes der relativ kurzen Klavierstücke stellt eine Szene aus dem Leben eines Kindes da, vom faszinierten Zuhören einer "Kuriosen Geschichte", zur "Träumerei" bis das Kind schließlich friedlich am Einschlummern ist.
Und damit ist meine Kiste auch schon wieder vollständig ausgepackt. Ich wünsche allen Lesern einen ruhigen Sonntag abend und eine gute nächste Woche!