Markus ist 29 Jahre alt, erfolgreicher Architekt - und pädophil. Niemand weiß von seiner Neigung und er verachtet sich dafür. Während er immer weiter in einen Strudel aus Selbsthass, Fremdhass, Sehnsüchten und Verlangen gerät, lernt er den Nachbarsjungen Arthur kennen. Dessen Mutter Jessica verliebt sich in Markus. Die Frage, die sich mir als Betroffener stellte war: Kann Markus es schaffen, aus diesem Strudel auszubrechen und ein glückliches Leben zu führen? Das war wohl nicht die Frage, die der Regisseur und Drehbuchautor Savaş Ceviz im Sinn hatte.

Kopfplatzen hat eine lange Entstehungsgeschichte. Bereits 2006, als Kein Täter werden noch in den Kinderschuhen steckte, entstand das Grundkonzept. Seitdem hat sich einiges getan. Die Forschung zum Thema ist ein gutes Stück weiter, immer mehr selbst Betroffene trauen sich, über ihre Neigung zu sprechen. Dennoch ist der Weg noch lang. Ich stelle mir die Entstehung von Kopfplatzen demnach vor wie ein Wachsen mit der Forschung und den Umständen in Deutschland. Das fertige Werk somit als eine Art Zeuge des Zeitgeistes der vergangenen 14 Jahre. Bleibt abzuwarten, ob er ein für die Betroffenen positives Fazit ziehen kann.

Und ...?

Kurzum und ohne zu viel zu verraten: Nein. Das Bild, das Kopfplatzen zeichnet, ist ein sehr düsteres. Das an sich ist kein Vergehen. Die Lebenswelt pädophiler Menschen ist divers. Auch ein düsterer Film hat seine Daseinsberechtigung. Und da beginnt das Dilemma: Auch. Leider prägen düstere Szenarien zum Thema Pädophilie das Bild der Filmproduktionen. In der Entstehungszeit von Kopfplatzen erblickten einige Filme zum Thema Pädophilie das Licht der Welt. Nennen möchte ich hier Bloch: Der Kinderfreund, Guter Junge und This is Love. Alle diese Filme hatten eines gemeinsam. Sie zeigten einen verzweifelten pädophilen Charakter. Eine geplagte Seele. Eine tickende Zeitbombe. Der zuerst erschienene Film dieser drei Der Kinderfreund ließ interessanterweise zumindest Ansätze einer Differenzierung erkennen, die am Ende jedoch im Nichts verliefen. All diese Filme sagen eines aus: Du bist pädophil … dann gibt es für dich nur drei mögliche Szenarien. 1.) Missbrauch 2.) Lebenslanges Unglück und Verzweiflung 3.) Suizid. Wie würden Sie sich als Jugendlicher fühlen, der seine Neigungen gerade entdeckt, würde man Ihnen so etwas erzählen?

Auch Kopfplatzen lässt sich in dieses Schema sortieren. Der Film bleibt ohne nennenswerte Überraschungen, lässt Chancen für mutige Handlungsstränge ungenutzt, selbst wenn diese sich aufdrängen. Kurzum: Der Film ist vorhersehbar. Wenn man selbst pädophil ist und schon einige Filme zum Thema gesehen hat, erlebt man keine großen Überraschungen. Wobei, vielleicht eine. Dazu komme ich später. Zuerst einmal möchte ich sagen, dass Kopfplatzen trotz seiner Ambitionen kein mutiger Film ist, auch wenn er gerade als solcher aktuell gefeiert wird. Es scheint sich die Mentalität eingeschlichen zu haben, das Thema Pädophilie nicht totzuschweigen, sei bereits ziemlich mutig. Was dazu führt, dass verschiedene Medien gerade in extrem diskriminierender Weise über das Thema berichten und sich dabei auch noch für ihren Mut zu feiern scheinen.

Die versteckte Wertung

Was macht Kopfplatzen nun aber gut, vielleicht besser, als seine Vorgänger? Im ersten Moment wertet der Film nicht. Er stellt ein Szenario vor und überlässt dem Zuschauer die Interpretation. Dies führt dann auch zu der größten Überraschung des Films. Spoilerwarnung. Das Ende. Kopfplatzen verzichtet darauf, dem Zuschauer vorzukauen, wie das Szenario zu enden hat. Er stellt den Protagonisten Markus, und somit auch das Publikum, vor die Wahl, Arthurs Wunsch Folge zu leisten und ihn heimlich zu sehen, oder Suizid zu begehen. Der Zuschauer kann selbst entscheiden, was er Markus wünscht. Der Film endet, ohne Markus‘ Entscheidung zu zeigen.

Was meine ich nun aber mit „Im ersten Moment wertet der Film nicht“? Recherchiert man ein wenig und liest man Interviews mit dem Drehbuchautor und Regisseur, sowie mit Max Riemelt, dem Schauspieler von Markus, so zeigt sich ein anderes Bild. Es findet eine Wertung statt. Die Macher des Filmes schaffen es nicht, ihre eigenen Voreingenommenheiten aus dem Spiel zu lassen. Da spricht Riemelt dann urplötzlich davon, es sei in dem Film nicht um eine Solidarisierung mit Betroffenen gegangen, die eine solche Neigung haben. Ceviz legt auf einmal dar, der Film solle die Frage aufwerfen, ob man Pädophile als Menschen betrachten kann, oder nicht. Da bekommt man als Betroffener schon das Gefühl im Regen stehen gelassen zu werden. Und man merkt, dass eben doch gewertet wird. Der Film soll nicht wertungsfrei das Leben eines Pädophilen beschreiben, er soll die Gefahr zeigen, die von Pädophilen angeblich ausgeht. Und um Gottes Willen soll er nicht mit Pädophilen solidarisieren. Der Film wird für mich in dem Kontext betrachtet also zu einem Film für die Allgemeinbevölkerung auf Kosten pädophiler Menschen, wie es so häufig der Fall ist. Es wird nicht mit uns, sondern über uns geredet. In einem weiteren Interview hat Riemelt zugegeben, dass er nie mit einem Betroffenen gesprochen hat. Da werden die Verhältnisse klar. Und es wird klar, was das Ziel des Filmes ist und was nicht. Schade drum. Denn der Filmverleih Salzgeber lässt sich dem sogenannten queeren Kino zuordnen. Er veröffentlicht Filme zu Themen des LGBTQ+-Spektrums. Es geht um Toleranz und den Kampf gegen Ausgrenzung. Gerade dann einen Film über eine sexuelle Orientierung zu drehen, der die Ausgrenzung von Menschen mit dieser sexuellen Orientierung fördert, ist traurig.

Es wird nicht mit uns, sondern über uns geredet.

Aber wie fördert Kopfplatzen denn nun Ausgrenzung? Ganz einfach: Pädophile werden als generelle Gefahr dargestellt. Die Figur von Markus kommt in der Bevölkerung als der Pädophile an. Es wird nicht differenziert. Riemelt selbst sagte dazu fairerweise in einem Interview Folgendes: "Denn genau das will der Film vermitteln: jeder, der davon betroffen ist, hat trotzdem noch ein ganz individuelles Leben und einen gewissen Alltag ist (sic!), der nicht ohne weiteres mit anderen vergleichbar ist. Wir erzählen von einem einzelnen Menschen, nicht generell von einer sexuellen Neigung." Für diese Klarstellung möchte ich mich bedanken. Nur leider ist das bei der Allgemeinbevölkerung nicht angekommen. Da kann man jetzt natürlich argumentieren, dass der Film nichts dafür kann, wenn die Zuschauer seinem Anspruch nicht gewachsen sind. Jedoch scheint es auch bei den Filmemachern selbst nicht so richtig angekommen zu sein, denn Aussagen wie die obigen (Stichwort: Keine Solidarisierung) revidieren das Gesagte wieder.

Warum diese Unklarheit?

Kann man da Unsicherheiten beobachten? Ich denke schon. In Interviews reden die Akteure offen über ihre Berührungsängste mit der Thematik. Im Film selbst meint man eine regelrechte Angst beinahe mit Händen greifen zu können. Wie eine Wolke des Unwohlseins, die über sämtlichen Akteuren schwebt. Legt man das noch mit dem Grund für die lange Entstehungsgeschichte zusammen (Schwierigkeiten bei der Finanzierung durch Ängste und Ablehnung der Beteiligten), kann man durchaus die Theorie entwickeln, mutige Entscheidungen des Drehbuchs könnten gezielt torpediert worden sein. Durch die Bewertung des Filmes in diesem Kontext, entwickelt sich bei mir das Gefühl, die harten Aussagen des Therapeuten im Film z.B. seien genau das, was man sicherheitshalber sagen wollte, um sich ja nicht Pädo-Solidarisierung vorwerfen lassen zu müssen. Der Therapeut wird damit bloß zum Sprachrohr, das permanent knallharte Handlungsanweisungen für alle Pädophilen in die Welt rausbrüllt. Bleibt nur die Frage, ob es Ceviz selbst ist, der aus diesem Therapeuten spricht, oder die Filmförderung, die darauf bestand.

Vielleicht sind diese Interpretationen unfair. Vielleicht auch nicht. Fest steht, dass in mehreren Wertungen zum Film und in Interviews mit den Machern vermittelt wird, Pädophile seien eine Gefahr für Kinder. Aus meinem eigenen Leben und dem anderer mir bekannter Betroffener weiß ich, dass das nicht stimmt. Nein, man muss es noch klarer ausdrücken: Es ist schlicht und ergreifend gelogen. Es ist plumpe Propaganda. Als Betroffener weiß man das. Viele Menschen in der Allgemeinbevölkerung wissen es nicht.

So erkennt man als Pädophiler die Lebenswelt von Markus als Resultat seiner Verzweiflung, seines Selbsthasses, seiner Selbstisolation. Da der Film selbst darauf verzichtet, zu werten, erfährt man darin nichts davon. Aber durch die Interviews bekommt man den Eindruck, den Machern sei dieser Umstand selbst gar nicht klar gewesen. Markus‘ Verhalten wird auf seine Pädophilie zurückgeführt, Pädophile werden als Gefahr etabliert. Schade.

Abschließend

Zum Schluss möchte ich noch eine kleine Kritik zu Begrifflichkeiten anbringen. Seitens des Filmverleihs und der Mitwirkenden, wie auch dadurch in der Berichterstattung zum Film, wird Markus mal als pädophil, mal als pädosexuell bezeichnet. Es wird nicht klar, wie diese Begriffe sich unterscheiden sollen, sie werden augenscheinlich synonym benutzt. Der Begriff Pädosexualität wird von einigen Sexualwissenschaftlern jedoch verwendet, um Menschen zu beschreiben, die aktiv Sex mit Kindern haben. Dies schürt weiter den Eindruck, Markus missbrauche insgeheim aktiv Kinder, obwohl nichts im Film darauf hinweist. Bei einer 14-jährigen Recherche zum Thema, kann man, denke ich, zumindest die Kenntnis über Begrifflichkeiten voraussetzen.

Ferner bleibt noch zu sagen, dass wir im Rahmen des Erscheinens von Kopfplatzen eine Interviewanfrage an den Filmverleih gestellt haben. Diese Anfrage wurde leider abgelehnt. Als Grund wurde die aktuelle Corona-Pandemie angegeben. Wir haben angeboten, unsere Fragen per Text zu übermitteln, oder bis zum Ende der Pandemie bzw. bis zum Kinostart zu warten. Auch dies wurde abgelehnt. Das stärkt für uns weiter den Eindruck, dass kein wirkliches Interesse an einem Austausch mit Pädophilen besteht. Es stärkt den Eindruck, es sei von vornherein darum gegangen, über uns zu sprechen und nicht mit uns. Vielleicht ist auch das eine unfaire Schlussfolgerung. Doch ich stelle mir vor, dass jemand, der wirklich aufrichtiges Interesse am Austausch mit uns hat, sicherlich nach Lösungen suchen würde, statt zu wiederholen, dass es nicht geht. Auch im Hinblick darauf, dass im Rahmen der Recherche zum Film, wie bereits erwähnt, scheinbar kein Kontakt zu Betroffenen und somit kein Austausch bestand. Dennoch danke ich dem Filmverleih Salzgeber, dass sie überhaupt geantwortet haben. Das ist leider in unserer aktuellen Gesellschaft nicht selbstverständlich.