Eigentlich wollte ich mein eigenes Blog schon im Februar online haben. Leider verzögert sich die Veröffentlichung noch immer. Damit nicht noch mehr Zeit ins Land geht, möchte ich hier gern schon einmal ein paar Gedanken zum Verhältnis zwischen Selbsthilfe und politischer Einflussnahme skizzieren, die mit zu meinem Weggang von Schicksal und Herausforderung beigetragen haben. Über den Vertrauensverlust zum Team habe ich ja in meinem dortigen Abschiedspost bereits geschrieben. Beim Zündfunken für meine letzte Entscheidung aber ging es auch um das Verhältnis zwischen Selbsthilfe und Politik. Um die Frage, welche Art politischer Arbeit der Verein SuH leisten sollte. Ich habe mir darüber schon jahrelang viele Gedanken gemacht und auch immer wieder im Team darüber gesprochen und Zuspruch erhalten. Im letzten November plötzlich nicht mehr. Worum geht es und worin genau gingen unsere Ansichten anscheinend so weit auseinander?

In vielen Ländern inklusive Deutschlands verschlechtert sich meinem Eindruck nach seit ca. 2017 die Situation nicht-übergriffiger Pädophiler und derer, die gegen ihre Stigmatisierung eintreten. Soziale Medien haben etwa gezielte Schritte unternommen, die Redefreiheit zum Thema einzuschränken, und einst respektable Medien nahmen vorbildliche Artikel vom Netz. Viele Aktivisten beklagten die überraschende Sperrung ihrer Nutzerkonten. Sogar Fachleute und Künstler werden für die öffentliche Aussprache gegen die Stigmatisierung nicht-übergriffiger Pädophiler angegriffen. Vergleiche etwa die Sache mit Dr. Allyn Walker, der den Arbeitsplatz verlor oder die Zensur des WDR in einer Show des Komikers Moritz Neumeier.

Das löst bei vielen Betroffenen Hilflosigkeit, Angst und Wut aus. Was liegt da näher als irgendetwas dagegen zu unternehmen? Eine Änderung unfairer Zustände zu fordern? Und als respektable Organisation wurde SuH wiederholt gebeten, sich solcher Dinge anzunehmen.

Im November 2022 gaben Teile des Vorstands dem nach und verschickten ein Schreiben mit Forderungen an die Politik voreilig als im Namen des Vereins an die Justizminister der deutschen Bundesländer. Daraufhin diskutierte ich das mit meinen Vorstandskollegen NewMan und Caspar ausführlich. Es wurde klar, dass sie sowie ein paar weitere Foren- und Vereinsmitglieder die Aufgabe des Schicksal und Herausforderung e.V. auch darin sahen, direkter als bisher in die Politik einzugreifen um gegen diskriminierende Gesetze vorzugehen.
Ich nicht. Warum?

Die Arbeit/Kernaufgabe von SuH richtet sich von jeher auf die Aufklärung und Hilfe zur Selbsthilfe. Wenn man etwas als Kernaufgabe betrachtet kann man erwarten, dass alle Aktivitäten, die die Erfüllung dieser einen Aufgabe gefährden, ausbleiben geschweige denn Priorität erhalten. Meiner Ansicht nach wäre das der Fall, wenn die Tätigkeit des Vereins weiter als bisher in politisches Terrain geführt wird: es wird die Selbsthilfe und Aufklärung erschweren oder gefährden. Deshalb sollten diese Aktivitäten von anderen Vereinigungen übernommen werden aber nicht von SuH. <!--Die November-Aktion hat allein mit dem Bruch im Team bereits beträchtlichen Schaden angerichtet.-->

Warum mehr Politik in meinen Augen ein Problem ist

Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind zwar wertvolle Güter in unserer Gesellschaft. Doch Politik ist auch notorisch unehrlich, korrupt, langsam und zerstritten. Das Bestreben, daran gezielt etwas zu verbessern, funktioniert grundsätzlich anders als die Selbsthilfe. Es ist auch bekanntermaßen ein äußerst zermürbender Kraftfresser, der engagierte Leute verschleißt und oft kraftlos oder desillusioniert wieder ausspuckt. Ich habe schon selbst beobachtet, wie politische Diskussionen über Formulierungen oder nebensächliche Details ganze Projekte geschädigt oder zerstört haben. Das wünsche ich mir für kein Projekt nicht-übergriffiger Pädos.

Da es beim Bruch zwischen dem Team und mir darum gegangen ist, die Änderung einer Reihe von Gesetzen zu fordern, bleibe ich mal direkt bei diesem Beispiel: Stellt euch vor, eine Organisation wie SuH versucht ein Gesetz zu ändern. Welche Schritte sind dazu nötig? - Recherche, interne Diskussion und Abstimmung um einen Entwurf für ein Schreiben dazu zu verfassen - mind. 1-2 Gespräche und Nachbearbeitung um im Team bzw Verein Konsens über die Formulierungen und konkreten Forderungen zu erreichen - Dieses Schreiben landet auf dem Schreibtisch der Adressaten statt im Papierkorb und wird auch gelesen - Die Adressaten bringen die Forderungen wirklich in die Diskussion mit ihren Kolleg*innen ein (zu einem Thema, wo sie leicht als „Pädophilenfreund“ bei Wähler*innen in Ungnade fallen könnten) - Ein Gesetz wird tatsächlich zugunsten des Schutzes pädophiler Menschen vor Diskriminierung geändert - Diese Gesetzesänderung wird so effektiv umgesetzt, dass sie tatsächlich unsere Situation in der Gesellschaft merklich verbessert

Jeder dieser Schritte kostet entweder Zeit und Kraft oder ist ziemlich unwahrscheinlich. Und zum letzten Punkt muss man bedenken, dass viele diskriminierende Dinge schon vor Jahrzehnten gesetzlich verboten worden sind. Haben aber auch nur eine der betroffenen Bevölkerungsgruppen wirklich schon Ruhe? Ist der Sexismus bereits begraben worden? Oder der Rassismus?

Ein Erfolg hängt hier also von viel Arbeit und einer ganzen Reihe relativ unwahrscheinlicher Ereignisse ab. Lasst uns rechnen: Sagen wir, ein Schreiben zu verfassen koste 2 Leute vom Team circa eine Woche an Zeit und von 50 Briefen würde einer auch zu einer Gesetzesänderung führen (was ich beides für sehr optimistische Schätzungen halte). Das vernachlässigt komplett die Notwendigkeit der Mitsprache von weiteren Teammitgliedern aber lassen wir das erstmal so. Dann wäre die Arbeitskraft von 2 Teammitgliedern etwa ein Jahr lang gebunden pro Gesetz. Also nicht mehr verfügbar für das Kerngeschäft des Selbsthilfevereins. Und wie wirken sich die 49 quasi erfolglosen Wochen voll Arbeit auf die Energie und die Psyche der Teammitglieder aus? Wie wirkt sich das wiederholte Abstimmen und sich-Einigen auf konkrete Forderungen aus? Oder ständig mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu leben?

Dieses Beispiel geht jetzt von ständiger Arbeit an den Gesetzen aus. Wie wäre es damit, ab und zu mal einen Brief zu schreiben? Das Potential für Frustration und Streit bleibt. Oder sich in diese politischen Themen zu verrennen. Sind wirklich alle Mitglieder/Entscheider an Bord mit den Forderungen? Es ist im Forum kein Geheimnis, dass einzelne Mitglieder des Vereins/Teams von SuH zB ganz unterschiedliche Ansichten zu gezeichneter Kinderpornographie oder kindlichen Sexpuppen haben. Welche Forderung stellt der Verein dann an die Politik: Die, wo Mitglied A ignoriert wird, oder die, wo Mitglieder B und C nicht voll dahinterstehen können? Selbst professionell durchorganisierte Teams oder enge persönliche Freunde kann sowas auseinander bringen.

In meinen Augen ist dies eine zermürbende und kraftzehrende Arbeit: ein Unterfangen mit den Erfolgsaussichten eines Glücksspiels und einem hohen Risiko für die Stabilität eines Teams.

Selbsthilfe und Aufklärung: leise aber mächtig

Selbsthilfearbeit und Aufklärung sind keinesfalls einfach. Doch sie bieten die Möglichkeit, Menschen direkt zu erreichen und zu helfen. Lange bevor es zu irgendwelchen Gesetzesänderungen kommt sorgen sie schon für Unterstützung und eine gewisse Abhilfe. Manchmal hat man dabei das Gefühl, gegen Windmühlen zu kämpfen, weil eben die Gesetze und die gesellschaftliche Situation sich noch nicht ändern. Dasselbe Gefühl des Ausgeliefert-seins, mit dem auch die Ratsuchenden zu tun haben. Doch der Erfolg ist weder von Verkettungen günstiger Zufälle abhängig noch von großen Änderungen. Man erreicht viele Menschen, berührt ihr Herz und bereichert direkt ihr Leben.

Und betrachten wir es auch von der politischen Seite aus, unter dem Gesichtspunkt des die-Gesellschaft-verändern-wollens: Kommen wirkliche Veränderungen in der Gesellschaft durch Gesetze zustande? Schafft beispielsweise ein Antidiskriminierungsgesetz ein Stigma und die Diskriminierung ab? Nein, sondern erst wenn ein Großteil der Gesellschaft die Grundsätze hinter diesem Gesetz verinnerlicht hat, dann verändert sich die Diskriminierung merklich. Wenn Menschen einen Zusammenhang neu begreifen, dann verändern sich ihre Haltung und ihr Leben. Nur Aufklärung bewirkt dies. Und wird sie lang genug konsequent weitergeführt kommt die Veränderung irgendwann, quasi von unten, auch auf der Ebene der Gesetze an und verändert sie.

Deswegen halte ich insgesamt Aufklärung und Hilfe für den weit stärkeren und gesünderen Weg.

Warum gesünder? Ein gezieltes Feilen an der Politik scheitert öfter als dass es gelingt und bringt all das negative Potential mit sich, das ich oben erläutert habe.
 Doch selbst wenn sich die Gesetze und die gesellschaftliche Situation nie ändern würden, wären Selbsthilfe und Aufklärungsarbeit nicht umsonst. Das ist das Besondere daran: der Weg ist hierbei buchstäblich das Ziel. Denn unabhängig von Stigmatisierung und Gesetzen hilft man unterwegs schon vielen vielen Menschen. Man kann sozusagen nicht einmal scheitern. Und solche Arbeit gibt oft auch viel mehr Kraft als man investiert.

Fazit

Die übliche Art politischer Arbeit, die manche aus der Community gern von SuH gemacht sehen wollen (für die im GSA-Forum auch flammende Beiträge verfasst wurden) und für die sich auch meine ehemaligen Vorstandskollegen NewMan und Caspar im letzten Jahr entschieden hatten, halte ich also für großteils vergeblich. Für ernsthaft schädlich halte ich sie, weil unter diesem zusätzlichen Kraftfresser die Selbsthilfe als Kerngeschäft leidet und auch die Stabilität des Teams.

Opfert das Team diesem Kraftfresser Energie dann fehlt diese, um die Ziele zu verfolgen, mit denen SuH seit Jahren gute Arbeit leistet. Und sollte sich der Verein irgendwann über politische Forderungen zerstreiten, dann gehen sowohl Politik als auch Selbsthilfe kaputt.

Versteht mich nicht falsch, wer die politische Arbeit machen will soll sie gern machen. Was ich kritisiere ist vor die Vermischung mit der Selbsthilfe. Wenn andere Vereinigungen oder Privatpersonen gezielter an der Politik arbeiten wollen: Nur her damit! Macht das, wofür euer Herz schlägt.