Lieber Leser,

kennst du das frustrierende Gefühl, gegen jemanden zu argumentieren, der im Kern irgendwie recht hat, es aber einfach zu weit treibt? So ging es mir diese Woche irgendwie ziemlich häufig: und zwar gab es viele Berichte über Missstände, die grundsätzlich völlig zurecht angeprangert wurden… Nur, dass dann in den Formulierungen unnötigerweise von "Pädophilen" die Rede ist und wir in eine Art Kollektivschuld genommen werden, die weder richtig noch fair ist. Da das Thema Pädophilie im Zusammenhang mit Missbrauch momentan wegen der Missbrauchsfälle von Münster immer noch in aller Munde ist, gab es diese Woche ziemlich viele Medienerzeugnisse zu dem Thema, und es wurde unter anderem auch bei Maybrit Illner und Markus Lanz diskutiert. 

Die Fundstücke, die ich diese Woche in meiner Kiste gesammelt habe, stellen daher nur einen kleinen Ausschnitt der gesamten Berichterstattung dar. Außerdem habe ich mir wieder die Hilfe von Ruby und ilytul geholt, um gemeinsam dieser Masse an Berichten halbwegs Herr werden zu können.

1. Aufarbeitung des Kentler-Experiments

Über viele Jahrzehnte hinweg, angefangen 1969, wurden mit dem Segen der Berliner Ämter Kinder und Jugendliche aus Berlin, die Behinderungen hatten oder als schwer erziehbar galten, in die Obhut vorbestrafter Sexualstraftäter gegeben. Ins Leben gerufen wurde dies von Helmut Kentler, einem Sexualwissenschaftler und Sozialpädagogen, der sich unter anderem für die positive Wirkung von sexuellen Kontakten zwischen Kindern und Erwachsenen ausgesprochen hat – so schrieb er über solche Beziehungen etwa in einem Vorwort zu einem Aufklärungsbuch für Kinder: "Werden solche Beziehungen von der Umwelt nicht diskriminiert, dann sind um so eher positive Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung zu erwarten, je mehr sich der Ältere für den Jüngeren verantwortlich fühlt". Dieser auch als "Kentler-Experiment" bekannt gewordene Versuch war laut Kentler ein voller Erfolg, auch wenn es zahlreiche Hinweise auf Missbrauch der vermittelten Kinder und Jugendlichen gab, die jedoch jahrelang ignoriert wurden. So sprach Kentler in einer FDP-Fraktionsanhörung: "Diese Leute haben diese schwachsinnigen Jungen nur deswegen ausgehalten, weil sie eben in sie verliebt, verknallt und vernarrt waren."

Auch wenn es Hinweise auf Missbrauch gab, Kentler als Initiator in öffentlichen Schriften und Reden immer wieder eine Position offenbart hat, nach der so ein Missbrauch sogar pädagogisch wertvoll und entwicklungsfördernd sein soll, und seine Nutzung von Wörtern wie "schwachsinnig" in Bezug auf Kinder und Jugendliche mit Behinderung insgesamt auf ein eher schwieriges Menschenbild hindeuten, so wurde dieses "Experiment" dennoch jahrzehntelang von den Behörden gedeckt und unterstützt. Das wurde in einer Studie der Universität Hildesheim aufgearbeitet, die veröffentlicht wurde und massives Behördenversagen in mehreren Jugendämtern aufdecken.

Es gibt also vieles, über das man sich in diesen Fall Gedanken machen kann: dass so ein Projekt von Kentler, dessen Ansichten ja kein Geheimnis waren, überhaupt gestartet werden konnte; dass die Kinder und Jugendlichen einfach in die Obhut von Sexualstraftätern gegeben wurden, ohne dass es eine vernünftige Aufsicht gab; oder, dass Hinweisen auf Missbrauch nicht nachgegangen worden ist. Das Feindbild, das die Medien jetzt allerdings wieder zeichnen, ist wieder einmal: Pädophilie.

Studie sieht pädophiles Netzwerk auch in Behörden, titelt etwa groß der Deutschlandfunk. Pädophiles Netzwerk reichte weit in Berliner Behörden, schreibt die Berliner Zeitung. Immer wieder ist davon die Rede, dass Pflegekinder in die Obhut "pädophiler Pflegeväter" gegeben worden seien, etwa im Tagesspiegel, bei der taz, und bei RTL. Auch die Hildesheimer Studie selber bezeichnet Kentlers Haltungen als "pädophile Positionen" und impliziert damit, dass jeder pädophile Mensch so denken würde. 

Die Schuld an den Missbrauchsfällen wird also kollektiv Pädophilen in die Schuhe geschoben. Es wird gar nicht infrage gestellt, dass alle Täter pädophil gewesen sein müssen, auch wenn viele der vermittelten Pflegekinder schon pubertierende Jugendliche waren. Das Schockierende an den Fällen sollte eigentlich sein, dass Pflegekinder, deren Schicksal scheinbar allen Verantwortlichen ziemlich egal waren, an verurteilte Kindesmissbrauchstäter vermittelt wurden, und nicht, dass sie an Pädophile vermittelt wurden. 

2. ER LEGTE SOGAR SEINE HAND AUF MEINE SCHULTER!

– von Ruby

Auf bild.de berichtete ein dort angestellter Reporter von seinen Begegnungen als Jugendlicher mit einem vermeintlich pädophilen Mann.

Dass die Bildzeitung nicht gerade für ihre Seriosität bekannt ist, ist nichts Neues – trotzdem sollte man nicht müde werden auch ihren Inhalt zu beleuchten um deutlich zu machen, warum vieles davon einfach bloß polemisch ist.

Gleich zu Beginn, unter dem obligatorischen Symbolfoto, ein Hinweis der klischeehafter nicht sein könnte:

Täter arbeiten mit perfiden Tricks, sie locken mit Süßigkeiten, Spielzeug und niedlichen Tieren. Tipp für die Sicherheit Ihres Kindes: Sprechen Sie mit ihm über solche Lockangebote

Im ganzen Artikel wird nicht klar genannt wie alt die Opfer von "Herr Feist" eigentlich waren. Besagter Reporter war laut eigener Aussage damals jedenfalls 15 Jahre alt. 

Hier wird also direkt einmal das Interesse an Kindern mit dem an Jugendlichen vermischt. Pädophilie beschreibt aber ausschließlich das romantische und/oder sexuelle Interesse an Kindern, das heißt Menschen vor Eintritt der Pubertät – das trifft auf einen gewöhnlichen 15-Jährigen schon längst nicht mehr zu.

Die Vermischung geht weiter, mit Aussagen wie:

Hat jemals etwas auf seine pädophile Neigung hingewiesen? Hat Herr Feist, der ein kleines Unternehmen führte, womöglich auch seine Auszubildenden missbraucht? Jungs im Teenageralter. Genau wie einige Kinder, an denen er sich verging.

Der Reporter erzählt, dass der Mann ihm "sogar die Hand auf die Schulter gelegt habe" und von damit verbundenen Ekelgefühlen bei der Erinnerung daran. Diese sind an sich natürlich durchaus legitim, wenn es darum geht, dass dieser Mann Jugendliche missbraucht hat (was er nach Aussage des Reporters später auch gestanden hat). 

Trotzdem hat das Ganze nichts mit Pädophilie zu tun. Es ist ein sehr abstruses Bild. Einerseits das kleine Kind zu porträtieren (süße Tiere, Spielzeug...) und im nächsten Satz dann wieder von Jugendlichen gegen Ende der Pubertät zu sprechen.

Die Erzählung geht weiter mit:

Saßen neben ihm Kinder auf den Bierbänken? Umarmte er Jungs aus dem Dorf? Missbrauchte er sie auf den Festen? Wieder wird mir übel. Es vermischen sich Erinnerungen an den lachenden Herrn Feist mit ekelerregenden Fantasiebildern. Der pädophile Nachbar mit dem herzhaften Lachen.

Davon abgesehen, dass Herr Feist wahrscheinlich nicht pädophil war, ist es genauso schlimm neben einem Pädophilen auf einer Bank zu sitzen wie neben jedem anderen Bekannten oder Unbekannten. Und auch Umarmungen sind von einem pädophilen Menschen ausgehend nicht automatisch Kindesmissbrauch, nur weil er zufällig pädophil ist.

Die Vorstellung, dass ein Pädophiler sofort über jedes Kind herfällt, das er sieht, und bei allem, was er tut, sexuelle Absichten hat, ist eine Vorstellung die, wie hier gut zu beobachten, rein dem Kopfkino der Person entspringt. Es vermischt sich Angst mit Ekel, mit der Realität hat das aber wenig zu tun.

Und es gibt einen weiteren Haken an der Sache: Eine derartige Berichterstattung schmälert das Gewicht der eigentlichen Problematik in meinen Augen erheblich. Die Taten dieses Mannes sind verachtenswert an sich, dazu muss man das Thema nicht unnötig mit falschen Begrifflichkeiten aufbauschen, damit es schlimmer wirkt. 

3. FOCUS-Interview mit Prof. Dr. Klaus Beier

– von ilytul

Am Freitag erschien ein Interview des Focus mit Prof. Dr. Klaus Beier. Darin ging es um die Frage, wie sein Präventionsprojekt „Kein Täter Werden“ Kinder schützt. Auch wenn Beier zu Recht erwähnt, dass Pädophile nicht stigmatisiert werden sollten, 

Die große Mehrheit wünscht sich, dass diese Menschen in Haft kommen – oder tot sind. Die Stigmatisierungsgefahr bei der Pädophilie ist extrem hoch. Was viele vergessen: Für die Neigung können die Betroffenen nichts.

gelingen ihm und dem Focus Redakteur Christian Döbber dies an vielen Stellen leider selbst nicht. Dies äußert sich bereits im Aufhänger darin, dass Döbber die Pädophile als einen „Trieb“, gegen den es „erbittert“ anzukämpfen gelte, bezeichnet.

Was viele nicht wissen: Ein Großteil davon will nicht zu Tätern werden - und führt einen erbitterten Kampf gegen den Trieb, sich selbst und die Angst vor gesellschaftlicher Ächtung.

Beier erkennt zwar an, dass viele Pädos nicht zu Tätern werden, bringt dies jedoch immer wieder mit einem Kampf gegen das eigene Selbst in Verbindung. Das mag ja plausibel erscheinen, wenn man bedenkt, dass sich Kein Täter Werden an eben solche Pädos, die ein Problem mit ihrer Neigung sehen oder sogar befürchten, ein Täter zu werden, wendet. Diese Menschen sind ja schließlich deren Zielgruppe. Doch führt dies immer wieder dazu, dass Pädophile, die weder Täter sind oder werden wollen noch ein Problem haben, die eigene Sexualität verantwortungsbewusst zu leben, in seinen Ausführungen verschwiegen werden und maximal am Rande Erwähnung finden. Nicht gerade wenige Pädos bestätigen, dass sie nicht gegen die Neigung aktiv ankämpfen müssen, sondern es einfach eine Selbstverständlichkeit ist, die eigene Sexualität keinem Kind aufzubürden.

Vor diesem Hintergrund sind seine Aussagen in mehrfacher Hinsicht problematisch: Denn einerseits wird Pädos in ihrem Coming-In von einem führenden deutschen Experten zu dem Thema eingeredet, sie seien unbedingt behandlungsbedürftig, obwohl dies noch nicht einmal stimmen muss. Andererseits fungiert diese Aussage für viele Pädos als eine selbsterfüllende Prophezeiung: Was man sich einredet, wird auch wahr. Dabei kann ich aus eigener Erfahrung sprechen. 

Die Krone setzt Beier aber mit folgendem Vergleich auf:

Sie müssen sich das vorstellen wie bei einem Motor: Läuft er hochtourig, müssen sie sehr viel Kraft ins Gegensteuern investieren. Fährt man ihn hingegen runter, steuert man wesentlich leichter entgegen. Genau diesen Effekt bewirken die Medikamente: Sie drosseln den Erregungs-Motor. Das erleben die Betroffenen als sehr entlastend.

Damit meint er wahrscheinlich nur die Pädos, deren "Motor" eben hochtourig "läuft". Dennoch sollte ein bekannter Wissenschaftler auf dem Gebiet, der zuvor noch vor Stigmatisierung gewarnt hat, hier andere Worte wählen oder die Bedingung klarer benennen. Denn beim Leser wird sehr wahrscheinlich nur wieder die Verbindung "Pädo -> stark ausgeprägter Trieb, denn hochtourig laufender Motor -> ACHTUNG, schützt Eure Kinder" gesetzt. 

Folgende Zitate fassen die Problematik auch gut in Worte:

Der eine kann die Frustration, seine sexuellen Fantasien nicht ausleben zu können, länger aushalten als der andere. Manche haben sehr intensive Impulse und zudem noch wenig Einfühlungsvermögen in das Kind, bei anderen ist es genau anders herum. Und die Verantwortungsübernahme kann sehr unterschiedlich sein. Die einen leben ihre Wünsche aus, auch wenn es auf Kosten anderer geht. Andere wollen sich verantwortlich verhalten und dem Kind nicht schaden. Letzteren wollen wir helfen.

Sehr negativ - Laut dieses Zitats ist ein Pädo jemand, der frustriert ist (und ist er nicht frustriert, wird er irgendwann frustriert sein), wenig Einfühlungsvermögen und zusätzlich wenig Impulskontrolle hat oder jemand, der zwar verantwortlich agieren möchte, aber dennoch Hilfe dabei braucht. 

Unser therapeutisches Ziel ist die vollständige Verhaltenskontrolle. Um das zu erreichen, ist auch eine emotionale Stabilität ungemein wichtig. Wenn sich Betroffene allein oder ausgegrenzt fühlen, ist die Gefahr hoch, dass sie ihre sexuellen Fantasien ausleben. Einsamkeit ist ein großer Risikofaktor. Umso wichtiger ist es, dass wir ihnen einen sozialen Raum geben, in dem sie Unterstützung erfahren. Wir versuchen deshalb, sozusagen als Back-up, auch Angehörige und Freunde mit in den Therapieprozess einzubeziehen.

Diese Einsamkeit wird aber auch dadurch angefeuert, dass Menschen wie Beier die Pädophilie als grundsätzlich zu kontrollierende Neigung darstellt. Denn wie erfährt man mehr Abgrenzung zum Rest der Gesellschaft, wenn man sich selbst als entmenschlichte tickende Zeitbombe sieht, die nur durch harte Arbeit an sich selbst, abgemildert werden kann, auch wenn Beier und die Therapeut*innen des Netzwerkes das so explizit nicht sagen?

Letztendlich ist es nicht das erste Mal, dass sich Beier und auch andere Vertreter des Netzwerkes nicht differenzierend genug ausdrücken. Ich kann es sogar insofern verstehen, dass ihre Finanzierung davon abhängt, eben öffentlich den Fokus auf Pädos, die Hilfe benötigen, zu legen. Und er warnt ja auch vor einer Gleichsetzung von Missbrauch und Neigung. Doch in den konkreten Beschreibungen über die Arbeit des Netzwerkes wird diese Differenzierung meist nicht verwendet. So wissen Leser*innen zwar, dass es auch Pädos gibt, die verantwortlich damit umgehen, aber denken dennoch, dass dies nur mit Therapie gelingen wird. Und das halte ich für fatal, denn das Vorgehen trägt vielleicht zur Entstigmatisierung des Menschen bei, aber nicht zu der Entstigmatisierung der Neigung an sich.

4. Gesetzesänderungen

Die Missbrauchsfälle von Münster beschäftigt weiterhin die Nation. In erster Linie nutzen diverse Interessenträger den Schock, den diese Verbrechen ausgelöst haben jetzt, um diverse gesetzliche Forderungen im Eilverfahren durchzusetzen. Nach anfänglichen Zögern möchte Bundesjustizministerin jetzt sogar noch vor der Sommerpause einen Gesetzesentwurf für härtere Strafen vorstellen, und fordert in der jüngsten Sendung von Markus Lanz, dass schon der Besitz von Kinderpornographie als Verbrechen mit Haftstrafe gewertet wird. 

Eine weitere Forderung, welche dieser Tage die Runde macht, ist die nach der Vorratsdatenspeicherung. Dafür haben sich unter anderem die Innenminister von Bund und Ländern eingesetzt. Thema war das auch bei Markus Lanz, sowie in der letzten Sendung von Maybrit Illner. Beide Sendungen diskutieren das Thema alarmierend einseitig, es gibt keine Position gegen die Vorratsdatenspeicherung, die zu Wort kommt. Genauso wenig wird erwähnt, dass die Vorratsdatenspeicherung bisher in keinem Land einen signifikanten Einfluss auf die Verbrechensbekämpfung hat, und in Deutschland bereits mehrfach als verfassungswidrig eingestuft wurde. Ich finde, von öffentlich-rechtlichen Sendern muss man an dieser Stelle eine ausgewogenere Diskussion erwarten.

Dann noch zu der Sendung von Maybrit Illner. Positiv zu erwähnen ist hier definitiv der Auftritt von Peer Briken, Professor für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie. Mehrfach stellt er klar, dass es einen Unterschied zwischen Pädophilie und Kindesmissbrauch gibt, und nicht jeder Kindesmissbrauchstäter pädophil ist. Leider scheint das von den anderen Teilnehmern der Sendung nicht wirklich gehört zu werden, und so ist trotzdem laufend von "pädophilen Tätern" oder auch "Pädophilenkreisen" die Rede. 

5. Serien-homosexueller ehemaliger Arzt verurteilt

– von Ruby

Der 56-Jährige Urologe aus Oberösterreich, der über 100 männliche Jugendliche missbraucht hat, wurde inzwischen verurteilt. 

Sirius ist in früheren Sonntagskisten bereits ausführlicher auf den Fall eingegangen, da aber aktuell weiter darüber berichtet wird, will ich darauf auch einmal kurz eingehen.

Diverse Seiten verkünden das Urteil von 13 Jahren Haft im Maßnahmenvollzug (vergleichbar mit dem Maßregelvollzug in Deutschland) für den ehemaligen Arzt. Unter anderem wird von der Austria Presse Agentur, der Krone und dem Redaktionsnetzwerk Deutschland betont, dass der Verurteilte "in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher" untergebracht wird. Diese Bezeichnung ist zwar korrekt, da sie so auch im österreichischen StGB steht. Sie wirkt aber auf mich in dieser Formulierung eher so, als wäre sie eine "erlaubte" Beleidigung die sich in erster Linie gegen die angebliche pädophile Neigung des Urologen richtet.

Zitate wie dieses von der Austria Presse Agentur:

Weil laut einem Sachverständigen die Pädophilie des Angeklagten so stark sei, dass er sich neuerlich an Kindern vergreifen könnte, wurde er zusätzlich zur Haftstrafe in eine Anstalt eingewiesen.

sind interessant, da der ehemalige Arzt selbst, als er seine Taten gesteht, von Pubertierenden spricht:

Ich habe im Rahmen der sexuellen Aufklärung Übergriffe auf pubertierende Burschen begangen

Es wird auch in diesem Fall wieder einmal nicht benannt wie alt die unter 14-Jährigen tatsächlich waren. Fakt ist: Die Pubertät beginnt deutlich vor dem 14. Lebensjahr. Dies macht einen großen Unterschied, nicht für die begangenen Taten, sehr wohl aber für die gewählte Bezeichnung des Mannes.

Er hat gezielt über Jahre hinweg Jugendliche missbraucht, keine Kinder. Damit kann eine eventuell zusätzlich vorhandene pädophile Neigung nicht für diese Taten verantwortlich gemacht werden - dennoch wird dies wie selbstverständlich von den Medien und sogar angeblichen Experten getan. 

Wie "stark" eine pädophile Neigung ausgeprägt ist, sagt zudem rein gar nichts über die Motivation aus Kinder zu missbrauchen. Kernpädophile neigen nicht automatisch eher zu übergriffigem Verhalten als nicht-exklusive. Das zu behaupten ist einfach unwissenschaftlich. Mich würde an dieser Stelle sehr interessieren welche sonstigen Diagnosen dem Urologen gestellt wurden.

6. Promi-Pochers pauschalisierende Predigt problematischer Pädophilie-Pamphlete

Der Kampf der Pochers gegen "Pädophilie auf Instagram" hat die nächste Eskalationsstufe erreicht. Ein "Anonymer Kinderfreund" hat Oliver Pocher eine Mail geschickt zusammen mit einigen Screenshots aus einem Darknet-Portal, in der Kinder in Kategorien wie zum Beispiel "Fickbarkeit" bewertet werden können. Die Mail selber beginnt erst sogar noch recht vielversprechend, driftet aber sehr schnell in Bereiche ab, die… na ja, lest einfach selber:

Sehr geehrter Herr Pocher,Pädophile haben in unserer Gesellschaft leider einen ziemlich schlechten Ruf, dabei vergehen sich die meisten von uns niemals an Kindern. Ihre Sorge, die Fotos der Kinder von Anne Wünsche, Janni und Peer Kusmagk, Sarah Harrison oder Nina Bott, könnten in falsche Hände geraten, ist vollkommen unbegründet. Um das zu zeigen, habe ich ihnen ein paar Screenshots geschickt, um zu zeigen, dass wir Kinder sehr schätzen und bewundern. Selbst solche fetten Kinder wie Yoko, die Tochter von Janni und Peer, haben in unseren Kreisen viele Bewunderer. […]Einige Männer brauchen als Wichsvorlage Playboy-Fotos von Laura Müller, aber uns erregen solche alten Frauen leider nicht. Das haben wir uns auch nicht ausgesucht, leider verurteilt uns die Gesellschaft dafür. Ich hoffe sie verstehen, dass von uns keine Gefahr für die Kinder ausgeht, nur, weil wir uns häufig einen auf sie runterholen.Mit freundlichen Grüßen,
 Ein Anonymer Kinderfreund

Die gesamte Mail lesen die Pochers in einer Videobotschaft vor.

Der Punkt ist: die Pochers haben mit ihren Aktionen ja grundsätzlich noch nicht einmal unrecht. Ich bin mir nicht sicher, was dieser "anonyme Kinderfreund" versucht hat zu bezwecken, für mich sieht es nach einer Troll-Aktion aus oder einfach einen Versuch, zu schockieren. Auf jeden Fall gibt es wohl kaum einen Text, der schlechter dafür geeignet wäre mehr Verständnis für Pädophile zu erzeugen. Und das Veröffentlichen von Bildern der eigenen Kinder auf Social-Media-Plattformen kritisch zu betrachten ist ja auch nicht falsch, gerade bei Personen, die in der Öffentlichkeit stehen und deren Bilder schnell von Tausenden gesehen und verbreitet werden können.

Das Problem ist auch hier, wenn Pädophilen die ganze Schuld in die Schuhe geschoben wird. Wenn es also um einen "Kampf gegen Pädophile" wird, womit impliziert wird, dass Pädophile grundsätzlich zu bekämpfen sind, gewissermaßen also keine Existenzberechtigung haben. Oder wenn, wie es für RTL der Fall ist, das "Unfassbare" an der Mail gerade die Aussage ist, die am wenigsten kontrovers sein sollte: nämlich, dass ein Pädophiler "um Verständnis für seine sexuelle Neigung" bittet.

7. Ein Abstecher ins Wunderland

Ich habe vor ein paar Wochen ja schon einmal über den neu erschienenen Krimi "Der Fall Alice im Wunderland" von Guillermo Martínez berichtet. Leider bin ich immer noch nicht dazu gekommen, den Roman zu lesen, auch wenn sich die Idee des Krimis durchaus spannend anhört. Einige Literaturkritiker sind mir da jedoch ein paar Schritte voraus, und so gab es ein paar Besprechungen des Romans, auf die zumindest ich doch eingehen möchte.

Zunächst vielleicht ein paar Worte zu meinem Bezug zu Lewis Carroll. Mal abgesehen davon, dass "Alice im Wunderland" und "Hinter den Spiegeln" zu meinen Lieblingsromanen zählen, so ist Carroll außerdem ein bisschen ein persönliches Vorbild für mich. Meiner Ansicht nach besteht absolut kein Zweifel daran, dass Carroll pädophil war. Er hat Mädchen geliebt, und sich bemüht ihnen Freude zu bereiten, etwa indem er ihnen Geschichten und Gedichte geschrieben hat, die bis heute Kinder auf der ganzen Welt verzaubern. Dabei hat er sich soweit wir wissen ihnen gegenüber nie übergriffig verhalten. Kurz gesagt, er ist mit seiner Neigung auf eine Art umgegangen, wie ich auch damit umgehen möchte: indem er sich über alles andere um das Wohl der Kinder gekümmert hat. Da wir in einer Welt leben, die nicht gerade von positiven Identifikationsfiguren für pädophile Menschen überschwemmt wird, ist Carroll damit für mich eine wichtige Ausnahme. 

Es tut mir daher sehr weh zu sehen, dass Carrolls Pädophilie immer nur wie ein möglicher Makel behandelt wird. Liebhaber von "Alice im Wunderland" streiten vehement die pädophile Neigung von Carroll, ohne die es das Buch vielleicht nie gegeben hätte, ab, so als wäre das ein Persönlichkeitsfehler vergleichbar damit, dass Carroll ein Rassist oder Massenmörder wäre. So spricht Sylvia Staude in der Frankfurter Rundschau etwa von einer "Pädophilie-Problematik". Noch schlimmer macht es der Spiegel, der direkt die Frage nach "harmloser Schwärmerei oder pädophiler Neigung" aufstellt und damit keinen Zweifel offen lässt, dass die Pädophilie von Carroll nicht harmlos gewesen sein kann – und bezeichnet gleich die ganze Thematik als "verstörend". 

Ich finde es sehr betrüblich, dass in der ganzen Diskussion um Carroll er gerade wegen der Persönlichkeitseigenschaft in den Dreck gezogen wird, die ihn vor allem auszeichnet: nämlich dass er pädophil war, und damit – ohne jegliche Hilfe oder Anleitung von außen – wohl so gut umgegangen ist, wie man es nur kann. In diesen Punkt scheint es für Carroll nur Verdammung oder Verleugnung zu geben. 

8. Kriminalisierung pädophiler Menschen in den Medien

Nicht jeder pädophile Mensch wird zum Straftäter, und die meisten Kindesmissbrauchstäter und Konsumenten von Kinderpornographie sind nicht pädophil. 

Leider wird diese wichtige Unterscheidung in den Medien oft nicht gemacht, und Pädophilie mit Straftaten oft in einen Topf geworfen. Gerade das trägt aber massiv zur Stigmatisierung pädophiler Menschen bei, da die meisten Menschen so den Eindruck gewinnen, dass Pädophilie und Kindesmissbrauch ein und dieselbe Sache ist. Um auf dieses Problem aufmerksam zu machen, möchte ich hier jede Woche Beispiele für diese Behandlung des Themas Pädophilie in den Medien sammeln.

9. Alice im Wunderland

In Anspielung auf den Abschnitt über den Krimi, der sich mit Lewis Carroll beschäftigt, beende ich diese Woche mit einem Jazz-Klassiker: Alice in Wonderland, eine Bearbeitung der Titelmelodie aus der Disney-Verfilmung von Carrolls Klassiker, hier eingespielt von Chet Baker.

Bis nächste Woche,
 Sirius