Liebe Leser,

was ist diese Woche nur los? Eine regelrechte Welle an Artikeln zum Thema Pädophilie ist auf diversen Seiten veröffentlicht worden, es scheint fast so, als ob die Journalisten die Flaute an Berichten während der Corona-Hochzeit nun ausgleichen wollen. Tatsächlich gibt es diese Woche so viel zu berichten, dass ich dem alleine nicht mehr Herr werden konnte und mir die Hilfe von ilytul und Ruby geholt habe. Diese Sonntagskiste ist also nicht das Werk einer einzelnen Person, sondern eine gemeinsame Anstrengung. Und das ist auch notwendig, denn es sind mal wieder alle gesammelten Inhalte – von einer sehr erfreulichen Ausnahme abgesehen – ziemlich kritikwürdig.

1. Admin eines Pädophilie-Forums gefasst

Im Falle einer bundesweit vernetzten Gruppe von Kindesmissbrauchstätern, die durch Ermittlungen aufgeflogen ist, welche in Bergisch-Gladbach ihren Anfang genommen haben, gab es diese Woche neue Entwicklungen, die groß durch die Medien gegangen sind. So wurde vor allem eine zentrale Figur des Missbrauchsnetzwerks von einem Einsatzkommando festgenommen, das mit einer Schrotflinte erst seine Haustür aufgeschossen und dann seine Wohnung gestürmt hat.

Für die Medien ist Missbrauch trotz jahrelanger Aufklärungsarbeit von Organisationen wie Kein Täter Werden und Schicksal und Herausforderung ja leider immer noch so ziemlich gleichbedeutend mit Pädophilie, und so wundert es nicht, dass zum Beispiel Spiegel Online groß verkündet, der Administrator eines Pädophilie-Forums sei gefasst worden. 

Besonders erschreckend fand ich in diesen Fall allerdings, dass diese Ansichten sich auch in den oberen Rängen der Ermittlungsbehörden offenbart haben. Der Kölner Polizeipräsident Uwe Jacob beschrieb den Festgenommenen etwa als "Administrator eines der Chatforen, in dem sich Pädophile ausgetauscht hätten" und verkündete, er würde den "Pädo-Kriminellen" den Kampf ansagen. 

Mich als Administrator eines Pädophilie-Forums und Betreiber eines Chatforums, in dem sich Pädophile austauschen ärgert es ganz besonders, dadurch direkt und ganz offiziell von den Ermittlungsbehörden auf eine Stufe mit Menschen gestellt zu werden, die den schweren Missbrauch Dutzender Kinder bundesweit organisiert und möglich gemacht haben. Und nicht nur das, es verstärkt bei mir das Gefühl, alleine schon aufgrund meiner sexuellen Orientierung und meines Engagements im Bereich der Selbsthilfe polizeilich unter Generalverdacht zu stehen. Wenn laut Polizeipräsident Jacob das schlimme des Chats es war, dass sich dort Pädophile ausgetauscht haben – muss ich dann auch befürchten, dass meine Tür demnächst mit einer Schrotflinte kaputt geschossen wird, weil ich die Aktivitäten eines bundesweit agierenden Pädophilen-Netzwerkes unterstütze?

2. Keine Sorge: auch die UN ist gegen Pädophilie

Auf der rechten Nachrichtenseite EinReich wurde ein Artikel veröffentlicht, welcher der UN vorwirft, Pädophilie legalisieren zu wollen. Darum geht es allerdings nur vordergründig: eigentlich geht es gegen Transgender und LGBT, und mit dem Vorwurf der Pädophilie soll eine bereits mehrere Jahre alte Entscheidung der UN in Verruf gebracht werden, einen Experten einzuberufen, der sich gegen die Stigmatisierung und Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität einsetzen soll. Damit bemüht sich der Artikel einer oft verwendeten Taktik homophober Menschen, indem eine Verbindung zwischen Pädophilie und Homosexualität (oder, wie in diesen Fall, Transgender) gezogen wird. 

Der Artikel ist an sich höchst absurd und kann eigentlich von niemanden mit gesundem Menschenverstand ernst genommen werden. Dennoch haben sich zwei Faktencheck-Seiten damit etwas genauer befasst. Anstatt sich aber mit der fehlerhaften Logik des Originalartikels und den zahlreichen Falschaussagen zu beschäftigen, stellen beide Seiten vor allem eines klar: dass die Vereinten Nationen Pädophile genauso verabscheuen, wie der Rest der Welt auch.

Auf mimikama etwa wird zugegeben, dass sich die UN durchaus gegen Gewalt und Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität einsetze. Das würde Pädophilie aber nicht einschließen, denn: "Pädophilie [ist] allerdings keine sexuelle Orientierung, sondern eine paraphile Störung. […] Auf die LGBTQ-Community trifft dies jedoch nicht zu." Mal abgesehen davon, dass laut DSM-V und ICD-11 Pädophilie keine Störung ist und einige Wissenschaftler in dem Bereich der Ansicht sind, dass man Pädophilie durchaus als sexuelle Orientierung sehen kann – selbst wenn man es als Störung sieht ist das doch kein Grund, weshalb wir nicht Schutz gegen Gewalt und Diskriminierung verdient hätten, oder?

Noch schlimmer ist es auf der Faktencheck-Seite correctiv, wo schon in der Überschrift verkündet wird, dass die UN natürlich alle Formen der Gewalt gegen Kinder verurteilt und deswegen offensichtlich "Pädophilie nicht legalisieren" möchte. Der Artikel geht noch weiter als der von mimikama und behauptet nicht nur, dass die UN sich nicht für Pädophile einsetzen würde, sondern dass sie darüber hinaus Pädophilie sogar "verurteilen" würde.

Und mit Schrecken musste ich beim Blick in die Quellen des Artikels feststellen, dass der Autor damit sogar recht hat. So heißt es in einer Resolution der UN aus dem Jahr 2017:

Die Generalversammlung […] verurteilt alle Formen der Gewalt gegen Kinder in allen Umfeldern, namentlich körperliche, seelische, psychische und sexuelle Gewalt, […] Pädophilie, […] und fordert die Staaten nachdrücklich auf, verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, um im Wege eines umfassenden Ansatzes jede derartige Gewalt gegen Kinder zu verhüten und sie davor zu schützen

Dass die UN auf der einen Seite die Notwendigkeit anerkennt und Anstrengungen unternimmt, sexuelle und geschlechtliche Minderheiten vor den Folgen von Stigmatisierung zu schützen, aber sich dann selber an der Stigmatisierung pädophiler Menschen beteiligt, ist für mich mehr als bitter. 

3. Polizei will Pädophilen mit fiktiven Kinderpornos Falle stellen

- von Ruby

Die Internetseite "20minuten" berichtet in einem Artikel über die rechtliche Situation in der Schweiz bezüglich der Verwendung von künstlich erstellter Kinderpornographie zu Ermittlungszwecken. Dies ist dort derzeit, im Gegensatz zu Deutschland, nicht erlaubt.

Interessant finde ich folgende Aussage von Stephan Walder, den stellvertretenden leitenden Staatsanwalt im Kanton Zürich und Cyber-Experten:

Es wird kontrovers diskutiert, ob die Verbreitung von Kinderpornografie zu Strafverfolgungszwecken verhältnismässig ist. Wohl könnte man ins Feld führen, die verbreiteten Bilder seien künstlich generiert, also habe keine sexuelle Missbrauchshandlung gegenüber einem Kind bei der Herstellung der Datei stattgefunden. Andererseits befriedigen genau solche Bilder und Filme die Bedürfnisse der Täter gleichwohl, da die Erzeugnisse sehr echt wirken.

Besonders der von mir fett markierte letzte Satz zeigt noch einmal deutlich die gesellschaftliche Einstellung und einen häufigen Denkfehler bei diesem Thema auf. Den Einsatz fiktiver Kinderpornographie für Ermittler zu legalisieren wird positiv hervorgehoben mit der Begründung, dass man dadurch in Kinderpornotauschringe gelangen kann, um Straftäter zu fassen. Durch die Herstellung entstehe kein Schaden an realen Kindern, da diese fiktiv ohne Einsatz von echtem Material am Computer erstellt würden. 

Gleichzeitig sagt dieses Zitat aber aus, dass dieses nun als unschädlich geltende Material nicht für Pädophile zur Verfügung stehen darf, obwohl es den gleichen Effekt auf sie hat wie echtes Material: die Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse der Konsumenten.

Die Idee, dass diese fiktive Kinderpornographie, wenn sie doch kaum von echter zu unterscheiden ist, für Pädophile (und andere Interessierte) zu erlauben, um damit eventuell Missbrauch zu verhindern, kommt ihnen gar nicht. 

Das Material selbst kann nicht durch die Nutzung unterschiedlicher Menschen entweder schädlich oder unschädlich sein. Entweder ist die Existenz und Herstellung von solchem Material problematisch oder sie ist es nicht. Zu sagen, Ermittler dürfen es für "den höheren Zweck" nutzen, den Besitz und die Herstellung dieses Materials im privaten Rahmen zur Ersatzbefriedigung aber zu kriminalisieren ist absurd, insbesondere wenn dadurch von diesen Menschen kein echtes Material konsumiert werden würde. 

Geht es hierbei also wirklich um den Kinderschutz oder nicht doch viel eher darum, pädophilen Menschen ihre Fantasien und Bedürfnisse nicht zu gestatten?

4. Der Pädo, der kein Pädo war

- von ilytul

Der Fall, über den ich jetzt schreibe, beginnt bereits im Jahre 2019. Ein Rentner möchte seinem Enkel eine Hüpfburg zeigen und fotografiert diese dazu nichtsahnend mit seinem Handy, dies sehr zum Leidwesen aufgebrachter Passanten. Diese konfrontieren ihn, woraufhin der Rentner sich vermeintlich in Widersprüche verwickelt (wir reden wohlgemerkt von einem 78-Jährigen, der sich konfrontiert sieht, ein Pädo zu sein, etwas, das man auch in der heutigen Gesellschaft nicht sein sollte) und rufen anschließend die Polizei. 

Die herbeigerufenen Beamten ermitteln, stellen bei dem stundenlang auf der Dienststelle festgehaltenen Senior keine Straftat fest und lassen ihn anschließend laufen. 

Soweit, so gut. 

Die Beamten lassen es sich allerdings nicht nehmen, einer Person, bei der kein Hinweis auf eine Straftat vorliegt, eine „eindringliche Ansprache“ zu halten (was auch immer das bedeuten mag; ist damit eine Gefährderansprache gemeint?) und die Daten an die Kriminalpolizei weiterzuleiten. Diese untersucht den Fall zusätzlich auf eine mögliche sexuelle Motivation des Rentners, verneinen dies anschließend, brandmarken ihn aber dennoch in den Datenbanken als möglichen Pädophilen. Der Rentner stellt irgendwann einen Auskunfts- und Löschantrag, welcher allerdings mit der Begründung abgelehnt wird, dies baue seine Hemmschwelle als Pädophiler ab und erhöhe die Gefahr, aus einer sexuellen Motivation heraus Kinder zu fotografieren.

Der hinzugezogene Datenschutzbeauftragte Petri stellt dazu fest, dass aufgrund der fehlenden sexuellen Neigung die Daten sofort hätten gelöscht werden müssen, was allerdings ausblieb. 

An diesem Punkt stellen sich mir einige Fragen: 

  1. Wie kann ein Mensch, der laut Ermittlungen kein Pädo ist mit 78 Jahren noch zum Pädo werden? Wie können die mit dem Löschantrag befassten Beamten das mit allen Erkenntnissen, die Sexualforscher gewonnen haben, vereinbaren?
  2. Warum wird ein Mensch, bei dem explizit keinerlei Hinweise auf pädophile Neigungen vorlagen, als potentieller Pädo markiert?
  3. Warum werden überhaupt noch Menschen aufgrund ihrer Sexualität bei den Behörden markiert, selbst wenn keine Straftat vorlag und warum ist auch das offenbar in Ordnung?
  4. Warum ist es in Ordnung, Kinder zu fotografieren, wenn keine Pädophilie vorliegt? Wie ist diese Doppelmoral zu erklären?
  5. Warum weigert sich die Behörde, einen unschuldigen Mann in ihren Datenbanken und Akten als unschuldig zu bezeichnen und muss ihm unbedingt einen Stempel aufdrücken? Wie ist das mit der Professionalität, die gerade in diesem Beruf von überragender Bedeutung ist, in Einklang zu bringen?

Dieser Fall zeigt wieder sehr eindrücklich, wie mit Menschen umgegangen wird, bei dem nur der leiseste Verdacht auf eine pädophile Neigung vorliegt, selbst wenn dieser entkräftet wurde. Pädophile scheinen bei allem sonstigen Fortschritt, den das Land in den letzten Jahrzehnten gemacht hat, immer noch eine extrem vorverurteilte Gruppe zu sein, die selbst von einigen in der Staatsmacht mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gegängelt werden. Was diese Beamten mit unserem Rechtsstaat veranstaltet haben und noch tun, ist eine absolute Schande.

6. Wie aus einem Traum Realität wurde

Puh, lasst uns für den Moment einmal den Blick von den ganzen Negativen Presseerzeugnissen dieser Woche abwenden und uns zur Abwechslung den Blick auf etwas Gutes richten, das diese Woche veröffentlicht wurde. 

Anfang 2019 sprach ich mit einer Kommilitonin der TU Dortmund, woraus dann ein Artikel für eine Uni-Zeitschrift wurde. Einige Monate später sprachen für einen weiteren Artikel noch einmal über Skype. In der Zwischenzeit hatte sich bei mir einiges geändert. Die Möglichkeit einer Beziehung, die ich beim ersten Interview noch als eine Art unrealistischen Wunschtraum beschrieben hatte, war plötzlich und ganz unvermittelt für mich zur Realität geworden. 

Aus den Interviews ist nun ein sehr schöner und lesenswerter Artikel auf jetzt geworden. 

7. Angeklagter wehrt sich gegen Pädophilie-Vorwürfe

Normalerweise wehren wir uns ja dagegen, direkt mit Missbrauchstätern gleich gesetzt zu werden. In dem Fall um einen Urologen in Österreich, der über 100 Jungen missbraucht haben soll, ist es interessanterweise genau anders herum. 

Wie ich bereits in meiner Sonntagskiste #29 erwähnt habe, wäre es genauer ihn als homosexuell zu bezeichnen anstatt als pädophil, da jeder der Opfer männlich, aber nur eine Minderheit überhaupt potentiell vorpubertär sind. Der Angeklagte selber gibt lediglich zu, "im Rahmen der sexuellen Aufklärung Übergriffe auf pubertierende Burschen" begangen zu haben. Obwohl es also womöglich noch nicht einmal tatsächlich vorpubertäre Opfer gibt oder sie zumindest nur einen vergleichsweise kleinen Anteil bilden, wurde er in einem Gutachten als pädophil diagnostiziert. 

Der Arzt versucht jetzt, sich gegen dieses Gutachten zu wehren. Denn im Falle einer Verurteilung könnte die Pädophilie-Diagnose bedeuten, dass er zusätzlich zur Haftstrafe in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen werden könnte. Genauso wie die Gleichstellung mit Missbrauchstätern für uns also massive negative Konsequenzen in Form von fortgesetzter Stigmatisierung hat, so kann interessanterweise also auch die Gleichstellung mit uns für Missbrauchstäter negative Konsequenzen in Form von härterer Bestrafung haben.

8. Polens pädophile Priester

Leider hat es sich ja schon so ziemlich eingebürgert, dass der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche mit Pädophilie in Verbindung gebracht wird. "Pädophile Priester" sind in aller Munde und inzwischen zu einer Art Witzfigur geworden. 

Normalerweise gehe ich also gar nicht mehr groß auf einzelne Artikel ein, die von "pädophilen Priestern" oder "Pädophilie in der Kirche" sprechen, weil es einfach nicht viel Neues dazu zu sagen gibt. Bei DW ist allerdings ein Artikel über einen Missbrauchsskandal in der polnischen Kirche erschienen, der vom Ausmaß dieser stigmatisierenden Formulierungen her doch noch eine Erwähnung wert ist. Der Artikel redet nicht nur von "pädophilen Priestern", sondern auch von "pädophilen Taten", "Pädophilie unter den Geistlichen", und einer "Demonstration gegen Pädophilie". 

Bei dieser penetranten Erwähnung von Pädophilie, wenn doch eigentlich Missbrauch gemeint ist, stellt sich fast schon die Frage eines bewussten Vorsatzes. 

9. Kriminalisierung pädophiler Menschen in den Medien

Nicht jeder pädophile Mensch wird zum Straftäter, und die meisten Kindesmissbrauchstäter und Konsumenten von Kinderpornographie sind nicht pädophil. 

Leider wird diese wichtige Unterscheidung in den Medien oft nicht gemacht, und Pädophilie mit Straftaten oft in einen Topf geworfen. Gerade das trägt aber massiv zur Stigmatisierung pädophiler Menschen bei, da die meisten Menschen so den Eindruck gewinnen, dass Pädophilie und Kindesmissbrauch ein und dieselbe Sache ist. Um auf dieses Problem aufmerksam zu machen, möchte ich hier jede Woche Beispiele für diese Behandlung des Themas Pädophilie in den Medien sammeln.

10. Engländer in New York

Englishman in New York gehört zu einem der bekanntesten Lieder des Sängers Sting und hat natürlich erst einmal überhaupt nichts mit Pädophilie zu tun. Wenn man genauer auf den Text hört, lassen sich aber durchaus einige Parallelen zum Thema finden: das Gefühl fremd und unpassend in der Gesellschaft zu sein, und die Ignoranz anderer lächelnd ertragen zu müssen. Und das Lied schließt mit einem ganz wichtigen Satz, der gerade für pädophile Menschen relevant ist: Sei du selbst, egal was die anderen sagen.

Vielen Dank an Ruby und ilytul für die „Rettung“ aus der überfüllten Kiste!

Bis nächste Woche,
 Sirius