Vor ein paar Tagen bekamen Ruby und ich Besuch, und wir haben uns entschlossen das gute, frühsommerliche Wetter zu nutzen um ans Meer zu fahren. Dort angekommen haben wir erst einmal unser Lager nahe der endlos rauschenden Wellen aufgeschlagen. Das Wasser erwies sich schnell als zu kalt, um weiter als hüfttief hineinzugehen, also gaben wir unseren Plan zu schwimmen auf und gingen stattdessen ein wenig entlang des Wassers spazieren. 

Nach einer Weile des Laufens gingen wir schließlich auf eine Stelle zu, an der sich eine Familie mit zwei Kindern niedergelassen hatte. Das jüngere Kind (ein Mädchen von etwa sieben Jahren) sollte sich bald umziehen, und daraufhin spielte sich vor unseren Augen eine leicht skurrile Szene ab. Die beiden Eltern und der ältere Bruder stellten sich im Kreis um sie auf und bauten mit einem großen Handtuch ein von allen Seiten (oben eingeschlossen) blickdichtes Zelt auf, unter dem sich das Mädchen hektisch umzuziehen begann. Das Zelt wurde erst abgebrochen, als sie vollständig angezogen war.

Scham und ihre Folgen

Diese Szene hat mich ein wenig zum Nachdenken gebracht, und so grübelte ich während wir weiter am Wasser spazieren gingen. Mir kam der Wirbel, den die Familie veranstaltet hat, um das Mädchen vor fremden Blicken zu schützen, ein wenig übertrieben vor. Wird nicht gerade dadurch Kindern, die sich ja oft bis zu einem gewissen Alter bei Nacktheit nichts denken, eine übertriebene Körperscham eingeredet, die sie womöglich noch lange im Erwachsenenalter beeinflussen und einschränken könnte?

Ich dachte an meine eigenen Erfahrungen und meine Einstellung zu Nacktheit zurück. Auch wenn ich mich nicht mehr sicher daran erinnern kann, dass meine Eltern ähnlich reagiert haben, so weiß ich noch, dass ich ein sehr schambehaftetes Kind war. In meiner Familie war Nacktheit jedenfalls etwas, das nur hinter verschlossenen Türen stattfand; ich kann mich nicht daran erinnern, meine Eltern je nackt gesehen zu haben. Irgendwann wollte ich dann auch, dass ich abgeschirmt wurde, wenn ich mich am Strand oder im Freibad umgezogen habe. Schon im Kindergartenalter blieb ich lieber alleine, als zu anderen Kindern ins Planschbecken zu gehen, was mangels mitgebrachter Badekleidung bedeutet hätte mich nackig zu machen. 

Ich bin der Überzeugung, dass Scham in den allermeisten Fällen ein sehr destruktives Gefühl ist, vor allem dann, wenn sie auf Eigenschaften bezogen ist, an denen man nicht wirklich etwas ändern kann – wie etwa die eigene Sexualität oder eben den eigenen Körper. In meinen Fall hat mich die Scham in sehr vielen Bereichen stark eingeschränkt. Sammelumkleiden waren für mich eine Qual. Baden ging nur mit Badehose (und selbst da habe ich mich oft unwohl gefühlt), und das auch nur, wenn es eine Umkleidekabine in der Nähe gab. Manche Sachen, die ich eigentlich ausprobieren wollte wie zum Beispiel einen Besuch in der Sauna, scheiterten an der Notwendigkeit zur Nacktheit vor Anderen. Und eine der vielen Gründe, weshalb ich für lange Zeit eine Partnerschaft für unmöglich gehalten habe, war der Gedanke, mich dann vor meiner Partnerin auch nackt zeigen zu müssen.

Irgendwann hat mich diese starke Körperscham so sehr eingeschränkt und genervt, dass ich in einer Art selbst verschriebener Konfrontationstherapie einen FKK-Strand aufgesucht habe, um mich davon ein für alle Mal zu entledigen. Und nach der anfänglichen (und ziemlich immensen) Überwindung, welche der Schritt erfordert hatte, war diese Art der Therapie äußerst erfolgreich und es dauerte nicht lange, bis es für mich plötzlich völlig normal war mich nackt unter Fremden zu bewegen. Heute habe ich mit Nacktheit überhaupt kein Problem und muss im Vergleich sagen, dass mir diese Situation viel besser gefällt. Rückblickend hätte ich mir gewünscht, dass ich als Kind unverkrampfter mit Nacktheit umgegangen wäre und diese Scham gar nicht erst entwickelt hätte.

Ich denke, schon junge Kinder frenetisch vor fremden Blicken schützen zu wollen, kann schnell dazu führen, dass sie eine Scham vor ihrem eigenen Körper entwickeln und verinnerlichen, welche so wie bei mir später nur schwer wieder abgelegt werden kann. 

Auf der anderen Seite … Es hat ja einen Grund, weshalb Eltern ihren Kindern nicht erlauben, nackt in der Öffentlichkeit zu sein … Und ich kann da ein gewisses Eigeninteresse schließlich auch nicht verleugnen, oder?

Ist es schlimm, wenn Kinder von Pädophilen nackt gesehen werden?

Ich kann natürlich nur vermuten, warum sich das Mädchen nur hinter vorgehaltenen Handtuch umgezogen hat. Bei vielen Eltern wird wohl die Angst dahinter stecken, dass jemand den Anblick des nackten Kindes erregend finden könnte. Und nun ja, unbegründet ist diese Angst ja erst einmal nicht. In der Situation wäre es sogar noch schlimmer gekommen, als es sich die meisten Eltern wohl vorstellen, und das Mädchen wäre nicht nur von einer, sondern gleich von mehreren pädophilen Personen nackt gesehen worden. Ich kann auch nicht verleugnen, dass ich den Anblick wahrscheinlich interessant und auch erregend gefunden hätte. Die Bedrohung, vor der die Eltern vermutlich ihr Kind durch das Handtuch-Zelt schützen wollten, war in diesen Fall also sehr real und unmittelbar.

Aber woraus besteht diese Bedrohung eigentlich genau?

Ich kann verstehen, dass die meisten Eltern der Gedanke, dass wir ihre Kinder ansehen und sexuell ansprechend finden könnten nicht gerade begeistert, sondern sogar eher anekelt. Dahinter steckt vielleicht auch die Angst, dass sich jemand dem Kind gegenüber übergriffig verhalten könnte: anstarren, gaffen, berühren, oder vielleicht sogar anlocken, entführen und missbrauchen. Sexualität, vor allem männliche Sexualität, und ganz vor allem pädophile Sexualität wird immer noch als etwas äußerst Triebhaftes gesehen. Erregung führe demnach zu einer Art Handlungszwang – einem starken Trieb, zu starren und zu berühren – und Situationen zuzulassen, die pädophile Menschen als erregend empfinden könnten setzt die Kinder damit einer Grundgefahr aus. 

Spulen wir etwas vor. Wir sind immer noch am Strand, inzwischen wieder an unseren Liegeplatz angekommen, mit dem Mädchen und ihrer Familie weit außer Sichtweite als sich eine andere Familie mit drei kleinen Kindern in unserer Nähe niederlässt. Die Mutter quittiert unseren zweiten erfolglosen Versuch, ins Meer zu springen mit einem sympathischen Lachen und der kurzen Bemerkung „ist noch zu kalt, nicht wahr?“ Im kompletten Gegensatz zu der Szene, die wir vorher beim Strandspaziergang gesehen haben ziehen, sich die Kinder währenddessen ganz unbedarft aus und fangen an, nackt am Wasser und im Sand zu spielen. 

Die Situation ist also die Manifestation dessen, wovor die Eltern vorher womöglich Angst hatten. Die Kinder spielten unbekleidet mitten in der Öffentlichkeit, wo jeder sie sehen konnte, und befanden sich dann auch gleich noch in der Nähe von pädophilen Menschen. Und was ist passiert?

Nun, ich kann auch nicht verleugnen, dass ich den Anblick durchaus schön fand. Aber das war es dann halt auch schon. Keiner von uns hatte den Impuls, eines der Kinder anzufassen oder ins Gebüsch zu zerren. Und selbst wenn: was hätte passieren sollen, wenn die Eltern die ganze Zeit daneben saßen? Der Gedanke war in der Situation genauso absurd, wie vermutlich für die meisten anderen Menschen der Gedanke absurd ist, jemanden zu vergewaltigen nur, weil sie diese Person attraktiv finden. Sexualität und Erregung ist eben erst einmal doch nur ein Gefühl und kein zwanghafter Trieb, der alles andere überschreibt. 

Kurz gesagt: obwohl die Kinder unbekleidet in der Nähe von Menschen mit pädophilen Neigungen herumgelaufen sind, schwebten sie zu keiner Zeit in irgendeiner Gefahr (jedenfalls nicht durch uns). 

Kleidung schützt vor Missbrauch nicht

Damit der Anblick eines Kindes für einen pädophilen Menschen erregend sein kann, muss dieses Kind nicht unbedingt nackt sein. Oftmals macht gerade der Versuch, etwas zu verdecken – etwa durch Badekleidung oder durch ein Handtuch – die Situation umso interessanter. Einige pädophile Menschen gehen sogar so weit und erzählen, Badekleidung bei Kindern wirke „genauso wie Reizwäsche“ [1

Es lässt sich also nicht vermeiden, dass pädophile Menschen das eigene Kind attraktiv finden, indem man es nicht mehr nackt herumlaufen lässt. Oft hat es womöglich sogar den gegenteiligen Effekt. Und jemand, der wirklich bösartige Absichten hat, wird sich auch von ein wenig Stoff nicht abhalten lassen. 

Kleidung ist kein hinreichender Schutz gegen die Befürchtungen, die manche Eltern vielleicht dazu bringt, ihr Kind nur hinter einem Sichtschutz umziehen zu lassen. Der Versuch kann aber unter Umständen eine tiefe Scham beim Kind auslösen, und dazu führen, dass das Kind eine negative Einstellung gegenüber dem eigenen Körper entwickelt, die später nur sehr schwer wieder abgeworfen werden kann. 

Diese Gedanken sollen nicht den Anspruch erheben, eine abschließende Betrachtung des Themas zu sein, die alle Aspekte berücksichtigt. Das eigene Schamgefühl ist sehr individuell, und das wichtigste sollte das Wohlbefinden des Kindes sein. Wenn sich ein Kind unwohl dabei fühlt, sich in aller Öffentlichkeit umzuziehen, dann finde ich es auch richtig, das Kind vor ungewollten Blicken zu schützen. 

Mich macht der Gedanke aber traurig, wenn die Freiheit von Kindern eingeschränkt wird und sie sich nicht mehr unbedarft bewegen dürfen, aufgrund einer Angst vor uns, den Pädophilen, die meinem Erachten nach gar nicht notwendig ist. 

  1. Max Weber: Für ein Kinderlachen. Buchvorstellung bei SuH