Die Debatte um eine fehlgeleitete Strafrechtsverschärfung

Die Strafrechtsverschärfung vom Juli 2021 ist rückblickend betrachtet ein Paradebeispiel dafür, was passiert, wenn Populismus gegenüber rationalem Sachverstand gewinnt. Der damalige Gesetzgeber hatte unter dem Motto „Verbrechen statt Vergehen“ trotz der ausdrücklichen Warnung aller Sachverständigen die Strafmaße für Delikte im Bereich der Kinderpornografie massiv erhöht. Während für den Besitz vorher Geldstrafen bis maximal drei Jahre Haft möglich waren, wurden daraus ein bis fünf Jahre Haft. Bei Herstellung und Verbreitung wurden aus drei Monaten bis fünf Jahren Haft ein Strafrahmen von ein bis zehn Jahren Haft.

Diese Hochstufung der Strafen hatte den erwünschten Effekt, dass Straftaten in dem Bereich rechtlich nun als Verbrechen zählten. Was sich medial gut verkaufen ließ, kostete in der Praxis einen hohen Preis: Ermittlungsverfahren konnten nicht mehr eingestellt werden, es muss jetzt immer zu einer Verhandlung kommen. Und das auch in Fällen, in denen Betroffene sich den Besitz von Kinderpornografie verschafft haben, um diese zum Beispiel der Polizei zu übergeben.

Vor diesen Nebeneffekten hatten damals einstimmig sämtliche Sachverständige, die sich zu der Verschärfung geäußert hatten, gewarnt. Der damalige Gesetzgeber hat diese Warnungen jedoch ignoriert und die Verschärfung dennoch umgesetzt. Seitdem klagen Strafverfolgungsbehörden von einer zunehmenden Überlastung, und mehrere Richter sehen in dem Strafmaß sogar einen Verstoß gegen das Grundgesetz und haben Beschwerde vor dem Verfassungsgericht eingereicht.

Das Bundesjustizministerium unter Marco Buschmann hat daher im November einen Entwurf für eine Entschärfung des Strafrechts vorgestellt, der die Strafen wieder reduzieren soll. Der Entwurf geht nicht völlig zu den Strafmaßen zurück, die es vor 2021 gab – insbesondere die Höchststrafen bleiben unangetastet, aber auch die vorgeschlagenen neuen Mindeststrafen sind höher, als sie es vor der Verschärfung waren. Insgesamt ist das neu vorgeschlagene Strafmaß immer noch etwa doppelt so hoch wie jenes, das vor 2021 galt, würde allerdings zu einer Rückstufung von einem Verbrechen zu einem Vergehen führen und damit wieder die Einstellung von Verfahren ermöglichen, die als Bagatellfälle gesehen werden.

Zu dem Entwurf haben im Dezember 21 Verbände, Organisationen und Expert:innen Stellungnahmen veröffentlicht: Kinder- und Opferschützer, Polizei-Gewerkschaften, Jurist:innen und Wissenschaftler:innen. Die gesamte Liste kann auf der Seite des BMJ eingesehen und heruntergeladen werden. Ich habe mir den Entwurf und alle Stellungnahmen dazu einmal angeschaut und ein paar der interessanteren Punkte herausgearbeitet.

Große Zustimmung zum Entwurf

Bemerkenswert ist zunächst einmal, dass 20 von 21 Stellungnahmen den Entwurf grundsätzlich begrüßten. Es besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass die Verschärfung ein Fehler war, der unbedingt korrigiert werden muss. Lediglich im Detail bestehen unterschiedliche Vorstellungen davon, wie eine Reform genau aussehen sollte. Das ist vor allem auch deshalb bemerkenswert, weil einige Stellungnahmen von Vereinen stammen, die sich in Stellungnahmen vor der Verschärfung noch positiv dazu geäußert hatten.

Kritisch äußern insbesondere einige Kinderschutzorganisationen die Befürchtung, die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung könnte zu häufig genutzt werden. Die Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung (BKSF) spricht sich daher dafür aus, die Mindeststrafen nur bei Besitz zu reduzieren, und bei Verbreitung und Herstellung stattdessen einen minder schweren Fall einzuführen.

Anderen wiederum geht der Entwurf nicht weit genug. Vor allem der Deutsche Anwaltverein (DAV) wünscht sich eine Rückkehr zu den Mindeststrafen, die vor 2021 galten, und weist darauf, dass Gerichte zuvor in fast jedem zweiten Fall eine Geldstrafe für angemessen hielten. Auch nach dem Entwurf wären Geldstrafen nicht möglich, womit der Gesetzgeber indirekt sagt, dass Richter vorher in jedem zweiten Fall falsch geurteilt haben.

Teils wird auch vorgeschlagen, bestimmte Konstellationen wie einvernehmliches Sexting unter Minderjährigen oder die Besitzbeschaffung von Kinderpornografie zur Beweissicherung explizit straffrei zu machen. In diesen Fällen sei es nicht angemessen, die mögliche Einstellung eines Verfahrens der Staatsanwaltschaft zu überlassen, was immer noch die Möglichkeit offen lässt dafür strafrechtlich verfolgt zu werden. Auch der Verein Deutsche Kinderhilfe, der sich ansonsten als einziger Verein gegen eine Strafmilderung positioniert hat, befürwortet stattdessen eine Straffreiheit in bestimmten Konstellationen.

Davon abgesehen nutzen einige Stellungnahmen die Gelegenheit, sich weitere Änderungen am Strafgesetzbuch zu wünschen, die mal mehr, mal weniger mit dem eigentlichen Entwurf zu tun haben. Von mehreren Kinderschutzorganisationen wird etwa angeregt, bei der Änderung den Begriff „Kinderpornografie“ aus dem Gesetzbuch zu streichen und durch Formulierungen wie „Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern / Jugendlichen“ zu ersetzen. Die Gewerkschaft der Polizei wiederum wünscht sich in ihrer Stellungnahme gleich einen ganzen Blumenstrauß an Überwachungsbefugnissen, inklusiver der als verfassungswidrig eingestuften Vorratsdatenspeicherung und ebenfalls sehr umstrittenen biometrischen Überwachungsmaßnahmen.

Mit Diskriminierung erkauft

Eine Strafentschärfung im Bereich Sexualverbrechen gegen Kinder anzustoßen, bringt immer ein hohes politisches Risiko mit sich. Kein Politiker möchte den Eindruck erwecken, beim Thema Kinderpornografie nicht hart durchzugreifen (schon jetzt versucht etwa das rechte Medium NiUS, Buschmann aufgrund seines Vorschlages als Anwärter für „Kinderschänder“ zu denunzieren).

Buschmann versucht dieses Dilemma zu lösen, indem er immer wieder versichert, dass bei den wirklich schlimmen Fällen weiterhin hart durchgegriffen wird. Deswegen werden auch nur die Mindest-, nicht aber die Höchststrafen reduziert, die für die schlimmen Fälle weiterhin reserviert bleiben.

Was die wirklich schlimmen Fälle sind, erklärt der Referentenentwurf näher. Hier ist einmal die Rede von jugendlichen Täter:innen, die „in der Regel nicht pädophil“ sind sowie Personen, die „offensichtlich nicht aus pädokrimineller Energie“ gehandelt haben. Entscheidend ist also nicht, ob kriminelle, sondern ob pädo-kriminelle Energie vorliegt.

Dies konstruiert ein perfides und diskriminierendes Framing, bei dem die ursprüngliche Verschärfung zwar gut gemeint war, aber vergessen hat, dass nicht alle Täter:innen Pädophile sind. Der Entwurf soll nun dieses Versehen beheben, indem mildere Strafmaße eingeführt werden, die für die Fälle reserviert sind, die nichts mit Pädophilie zu tun haben. Dies befördert Diskriminierung, indem für das Strafmaß nicht die Taten, sondern die (vermutete) sexuelle Orientierung des Täters ausschlaggebend werden, und geht gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz, dass vor Gericht alle gleich sind.

Dieses Framing wird weitestgehend von den Stellungnahmen übernommen und weitergesponnen. Von den 21 Stellungnahmen schlossen sich neun der Darstellung an, dass pädophile Täter:innen härter bestraft gehören, indem etwa die Formulierung der „pädokriminellen Energie“ übernommen wurde oder in konkreten Beispielen für nicht strafwürdige Fälle explizit darauf hingewiesen wurde, dass die Angeklagten nicht pädophil seien.

Besonders negativ fällt hier die Stellungnahme des Weißen Ring e. V. auf. Die Stellungnahme benutzt nicht nur mehrfach die stigmatisierende Bezeichnung „Pädophilenringe“ für kriminelle Vereinigungen, sondern erwähnt außerdem explizit, dass Freiheitsstrafen bei Fällen „ohne Anhaltspunkte für pädophile Neigungen des Besitzers […] nicht mehr schuldangemessen“ seien. Aber auch zum Beispiel die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltsverein und die Gewerkschaft der Polizei äußert sich ähnlich.

Gegen dieses Framing wehrt sich lediglich die Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKSF). Das BKSF schreibt in seiner Stellungnahme, dass „auch Täter\*innen, die nicht den ‚Markt befeuern‘ und keine pädosexuellen Neigungen haben“ die Rechte der abgebildeten Kinder verletzen und demnach nicht alleine daraus, dass ein:e Täter:in nicht pädophil ist abgeleitet werden darf, dass eventuelle Taten folgenlos und in Ordnung seien.

Fiktivpornografie

Interessant ist auch ein Blick auf die Frage, was der Entwurf für Handlungen zu bedeutet, die mit Fiktivpornografie zu tun haben. Grundsätzlich unterscheidet das Strafgesetzbuch zwischen echten bzw. wirklichkeitsnahen Inhalten, und nicht wirklichkeitsnahen Inhalten – wie zum Beispiel Zeichnungen, die klar erkennbar keine echten Kinder zeigen. Während der Besitz von fiktiver Kinderpornografie legal ist, wird die Verbreitung unter Strafe gestellt, allerdings mit einem geringeren Strafmaß. Der Gesetzgeber hat bei der letzten Verschärfung hier das alte Strafmaß von drei Monaten bis fünf Jahren Haft beibehalten, dafür allerdings schon die versuchte Verbreitung explizit unter Strafe gestellt.

Bei Verbrechenstatbeständen ist der Versuch immer strafbar, weshalb für echte und wirklichkeitsnahe Kinderpornografie keine gesonderte Regel zur Versuchsstrafbarkeit eingeführt wurde. Das führt allerdings zu der irrsinnigen Situation, dass bei der Herabstufung zu einem Vergehen die versuchte Verbreitung bei realen Missbrauchsabbildungen legal wäre, bei Fiktivpornografie aber weiterhin unter Strafe stünde – und in der Konstellation somit fiktive Inhalte stärker kriminalisiert wären als reale.

Einige Stellungnahmen fordern, bei echter Kinderpornografie explizit den Versuch weiterhin unter Strafe zu stellen, was zumindest das Problem beheben würde, dass Fiktivpornografie härter als echte Missbrauchsabbildungen kriminalisiert wären. Der Deutsche Anwaltverein stellt darüber hinaus grundsätzlich infrage, ob fiktive Kinderpornografie überhaupt in irgendeiner Konstellation strafbar sein sollte. Dabei beruft sich der Verein auf die Reformkommission zum Sexualstrafrecht, die bereits 2017 gefordert hatte, fiktive Kinderpornografie grundsätzlich zu legalisieren, da bei rein fiktiver Pornografie nicht ersichtlich sei, welche Rechtsgüter verletzt werden.

Kindersexpuppen

Mit der Strafverschärfung 2021 wurde auch der Besitz von Sexpuppen mit kindlichem Aussehen kriminalisiert. Eventuelle Hoffnungen, dass die Reform auch hier die Strafbarkeit zurücknimmt, hat Buschmann bereits im April vergangenen Jahres zerschlagen. Der Entwurf enthält hier keine Überraschungen: Kindliche Sexpuppen werden an keiner Stelle erwähnt, die Strafbarkeit bleibt hier also unangetastet.

Enttäuschend ist dies dennoch, da es in den vergangenen Jahren durchaus neue wissenschaftliche Erkenntnisse gegeben hat, welche die Argumente der Befürworter:innen eines Verbots infrage stellen. Aus der letzten Kriminalstatistik ergibt sich außerdem, dass bei mehr als 99,8 % der wegen Kindesmissbrauch Verdächtigen kindliche Sexpuppen überhaupt keine Rolle gespielt haben. All das hätte eine Neubewertung der Strafbarkeit im Sinne einer evidenzbasierten Kriminalpolitik durchaus sinnvoll gemacht.

Kein Paradigmenwechsel

Der Entwurf würde die erste signifikante Entschärfung des § 184 b StGB bedeuten, der seit seiner Einführung 2004 bislang immer nur verschärft wurde. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass es sich hier keineswegs um einen Paradigmenwechsel handelt. Der Entwurf enthält lediglich das Nötigste, um die gröbsten Probleme der letzten Strafverschärfung zu beheben und insbesondere die derzeit überlastete Justiz wieder zu entlasten.

Grundlegende Probleme werden allerdings nicht angefasst, was auch in verschiedenen Stellungnahmen zu dem Entwurf angemerkt wird. Missbrauchsbetroffene und Personen in deren Umfeld, die zur Beweissicherung Inhalte speichern werden weiterhin mit hohen Strafen bedroht, und sind auf die Gnade der Staatsanwaltschaft angewiesen, derartige Verfahren einzustellen. Das Gleiche gilt auch für Jugendliche, die untereinander einvernehmliche sexten. Die Empfehlung der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission zur Reform des Sexualstrafrechts, Fiktivpornografie komplett aus dem Gesetz zu streichen, wird ebenso nicht umgesetzt und wäre im Gegenteil nach aktuellem Stand sogar zum Teil stärker kriminalisiert, als echte Missbrauchsabbildungen.

Dass diese Entschärfung grundsätzlich dringend notwendig ist, zeigt die breite Zustimmung in den Stellungnahmen, die selbst unter Kinderschutzvereinen fast einstimmig vorhanden ist, die sonst eher für Strafverschärfungen stimmen.

Besorgniserregend ist jedoch, mit welchen Framing die Entschärfung verkauft werden soll. Bundesjustizminister Buschmann versichert potenziellen Kritikern, dass die „richtigen“ Täter:innen auch nach der Entschärfung hart bestraft werden. Die richtigen Täter:innen, das meint dabei vor allem: Täter:innen, die pädophil sind oder dafür gehalten werden.

Dabei würde nur eine klitzekleine Änderung ausreichen, um den Entwurf weniger diskriminierend zu machen. Anstatt eine geringe Schuld anzunehmen, wenn die beschuldigte Person „offensichtlich nicht aus pädokrimineller Energie gehandelt hat“, wie es im aktuellen Entwurf heißt, sollte von Beschuldigten die Rede sein, die nicht aus „krimineller Energie“ handeln. Die Streichung der unnötigen Vorsilbe „pädo-“ würde schon einen großen Schritt tun, um einer Ungleichbehandlung pädophiler Menschen vor Gericht vorzubeugen. Denn eine kriminelle Handlung wird schließlich nicht weniger schlimm dadurch, dass die Beschuldigten nichts mit Pädophilie am Hut haben.