Münster, Bergisch-Gladbach. Das Kentler-Experiment. In den letzten Wochen und Monaten wurden immer mehr Fälle von organisiertem Kindesmissbrauch aufgedeckt, deren Ausmaß das Land schockiert. Es folgten Fassungslosigkeit, Wut und dann der Ruf nach härteren Strafen. Die Politik, die im Angesicht eines von der BILD befeuerten Volkszorns im Grunde gar keine Wahl in der Sache hatte, versprach schnellstmögliche Maßnahmen. Am Mittwoch hat die Bundesjustizministerin nun ein Reformpaket vorgestellt, das unter anderem den Forderungen nach härteren Strafen nachkommt. Sexualisierte Gewalt gegen Kinder soll nun in jedem Fall als Verbrechen eingestuft werden. Schon der Besitz eines einzigen Kinderpornographischen Bildes auf dem Handy soll ausreichen, um eine Haftstrafe von mindestens einem Jahr auszusprechen.

Doch die Rufe nach härteren Strafen verstummen immer noch nicht. Es soll nicht nur härter, sondern auch mehr bestraft werden. Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel hat mit Schrecken festgestellt, dass der Besitz von kindlich aussehenden Sexpuppen in Deutschland absolut legal ist. Ihr zu Folge ist das ein "Zustand, der nicht geht, dass das erlaubt ist", und so nutzt sie die aktuelle aufgebrachte Stimmung, um sich in einem Interview mit der BILD für ein sofortiges Verbot solcher Gegenstände auszusprechen.

Den Umgang mit Kindern an Puppen üben

Die Aussagen, mit denen Frau Pantel für ein Verbot argumentiert, sind dabei durchaus bemerkenswert und entlarven eine äußerst problematische Geisteshaltung.

Zunächst betont Frau Pantel: "Das Einüben an Puppen, wie man dann mit Kindern umgeht, ist so grauenhaft."

Das wirft einige Fragen auf. Zunächst einmal unterstellt sie pauschal allen Käufern von kindlichen Sexpuppen, damit einen realen Missbrauch "einüben" zu wollen. Dabei sind Kinder, also lebende Menschen, ja durchaus nicht zu vergleichen mit Puppen, sprich toten Gegenständen, die alles passiv über sich ergehen lassen – was sie als fünffache Mutter und zweifache Großmutter eigentlich auch wissen sollte. Es ist also nicht klar, was genau an Puppen "eingeübt" werden soll, und von Frau Pantel wird das auch nicht näher erläutert. Man könnte auf den Gedanken kommen, als habe sie die absurde Ansicht, Missbrauchstäter würden sich mit kindlicher Anatomie überhaupt nicht auskennen und müssen daher erst einmal Puppen studieren, um die richtigen Körperteile zu lokalisieren.

Der Gedanke, dass Käufer von kindlichen Sexpuppen gerade deswegen Puppen haben wollen, weil sie zwar Kinder sexuell ansprechend finden, sich aber eben nicht an realen Kindern vergehen wollen, scheint ihr überhaupt nicht zu kommen. Sie vertritt ihre These vom "Einüben" realen Missbrauchs mit einem Selbstbewusstsein, als sei es ein bewiesener Fakt, dass auf jeden Puppenkauf ein realer Missbrauch folgt. Dabei gibt es absolut keine wissenschaftlichen Studien, welche diese Hypothese unterstützen.

Angst und Abscheu

Frau Pantels Idee, dass mit Puppen realer Missbrauch eingeübt wird, erweist sich beim näheren Betrachten also als ziemlich löchriges Argument. Was aber gar nichts macht, denn wenn man auf ihre Wortwahl achtet wird klar, dass sie nicht versucht mit Logik zu überzeugen, sondern mit einem wesentlich mächtigeren Werkzeug: Emotionen.

Die von Frau Pantel geäußerte "Vorstellung, dass man sich an so einer Puppe erst vergeht und danach eben Kinder sucht", schürt vor allem eines: Angst. Angst davor, dass jeder Kauf einer der frei verfügbaren Puppen gleichbedeutend mit einem (zukünftigen) Kindesmissbrauch ist. Angst davor, dass da draußen Menschen herumlaufen, welche Kinder so sehen wie die Sexpuppen, welche sie im Schrank stehen haben, und nur auf eine Gelegenheit warten, die Kinder auf die gleiche Art zu "benutzen". Der Ruf nach einem Verbot ist dann natürlich mehr als nachvollziehbar, schon alleine um das eigene Sicherheitsbedürfnis zu befriedigen. Ob diese Angst jedoch überhaupt begründet ist, kann gar nicht hinterfragt werden, denn an dieser Stelle kommen weitere Emotionen ins Spiel, die es verhindern, dass man sich mit dem Thema lange beschäftigen möchte: Abscheu und Ekel.

Das Interview mit der BILD wird eingeleitet von einer kurzen Anmoderation, die von Bildern zierlich aussehender Puppen begleitet wird. Immer wieder beschwört Frau Pantel das Bild, wie jemand diese Puppen, die man laut einer schockierten Moderatorin sogar nach Größe und Aussehen im Detail anpassen kann, für seine sexuelle Befriedigung benutzt. Und sie betont, wie "grauenhaft" und "schlimm" das sei, und dass ihr schon beim Gedanken daran schlecht werde. Diese Abscheu, die sie offensichtlich bei dem Thema empfindet, möchte sie auch beim Zuschauer hervorrufen. Ein Gefühl von Ekel verhindert es, dass man sich näher mit einem Thema beschäftigen möchte und dabei womöglich die Lücken in der Argumentation bemerkt. Ekel ist ein sehr unangenehmes Gefühl, und der Ruf nach einem Verbot daher schon alleine deswegen naheliegend, um das Thema aus der eigenen Wahrnehmung zu verdrängen und somit nicht mehr mit diesem unangenehmen Gefühl konfrontiert zu werden.

Dabei möchte ich Frau Pantel oder den Zuschauern des Interviews keineswegs ihre Gefühle absprechen. Es ist ihr gutes Recht, Ekel bei dem Gedanken zu verspüren, dass jemand Sex mit einer Puppe hat, die wie ein Kind aussieht. Aber Ekel kann und darf keine Basis sein, um gesetzliche Verbote auszusprechen. Und Ängste müssen hinterfragt werden und begründet sein, bevor man sie instrumentalisiert, um damit die Freiheiten Anderer einzuschränken.

Pädophilie verbieten?

Das Gefährliche an Frau Pantels Aussagen hat noch nicht einmal konkret mit dem möglichen Verbot kindlicher Sexpuppen zu tun. Vielmehr offenbart sich dahinter eine Geisteshaltung, die höchst problematisch ist, und sich gegen jede Person richtet, die sexuelle Gefühle bei Kindern verspüren kann.

"Jeder weiß, wer dahinter steckt, jeder weiß, was damit passiert", erklärt Frau Pantel bedeutungsschwanger. Wen sie damit meint, ist klar: Pädophile. An anderer Stelle wird sie expliziter und macht darauf aufmerksam, dass ein Verbot gerade deswegen zu befürworten wäre, weil man "ja immer weiß, welch Pädophiler sich dahinter verbirgt." Damit sagt Frau Pantel im Prinzip, dass sie ganz gezielt versucht, mit ihrem Verbot Menschen mit Pädophilie zu treffen. Wenn sie also sagt, "so etwas gehört verboten", so meint sie mit Blick auf pädophile Menschen eigentlich: "so jemand gehört verboten."

Als pädophiler Mensch ist man heute bereits in der Situation, dass fast jede Form des Auslebens der eigenen Sexualität verboten ist, auch dann, wenn keinen real existierenden Kindern damit ein Leid zugefügt wird. Pornographische Zeichnungen, computergenerierte Grafiken, VR, fiktive Geschichten, das Austauschen von Fantasien in Chats – all das fällt laut Gesetz unter Besitz, Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie und ist damit unter Androhung von Gefängnisstrafen verboten. Unter bestimmten Umständen können sogar nicht-sexuelle Bilder von Kindern oder Pornographie mit Erwachsenen, die nur jünger als 18 aussehen, illegal sein. Kindliche Sexpuppen, deren Besitz in Deutschland bisher erlaubt ist, bilden da tatsächlich (noch) eine Ausnahme – aber schon Fotos solcher Puppen können sehr schnell auch als Kinderpornographie gewertet werden und damit gesetzeswidrig sein.

Es kommt daher der Eindruck auf, als gehe es bei diesen Verboten nicht darum, Kinder zu schützen – denn welche Kinder sollen zum Beispiel beim Verbot von rein fiktiven Zeichnungen genau geschützt werden? Stattdessen scheint es eher darum zu gehen, Pädophilie an sich zu verbieten, oder zumindest nach Möglichkeit zu verhindern, dass ein pädophiler Mensch in irgendeiner Form Freude aus seiner Sexualität zieht. Da man (noch) niemanden in den Kopf schauen kann, um eine pädophile Neigung zu erkennen, werden stattdessen also alle Optionen verboten, die auf eine pädophile Neigung hindeuten könnten. Damit werden aber genau diejenigen bestraft, die man stattdessen vielleicht lieber in ihrem Tun unterstützen sollte: nämlich diejenigen, die nach Möglichkeiten suchen mit ihrer Sexualität umzugehen, ohne dass dabei Kinder leiden müssen.

Aus Frau Pantels Aussagen wird deutlich, dass sie eine grundsätzliche Abscheu gegenüber pädophilen Menschen empfindet. Das ist an und für sich ihr gutes Recht. Was aber nicht sein darf, ist sich dann von diesem Ekel leiten zu lassen um Gesetze zu beschließen, deren Ziel es ist möglichst viele pädophile Menschen zu identifizieren und zu kriminalisieren.