Lieber Leser,

wir leben in schwierigen Zeiten. Die Medien werden regelmäßig von Missbrauchsskandalen erschüttert – wenn das Echo zu einem Fall gerade etwas abgeklungen ist, gibt es etwas Neues zu einem anderen Fall zu berichten, was die Maschinerie wieder ans Laufen bringt. Im Zuge dieser Berichterstattungen sind stigmatisierende Äußerungen gegen Pädophile zum Alltag geworden. Man liest öffentliche Forderungen nach Meldepflichten für Pädophile, und härteren Strafen. Im besten Fall findet man noch das ein oder andere Interview mit einem Therapeuten, der versichert, dass man mit ganz viel Glück und Therapie einen Pädophilen vielleicht doch entschärfen kann. Ich habe den Eindruck, mit jeder verstreichenden Woche werden die Aussagen gegen Pädophile in den Medien stärker und diskriminierender, und es ist nicht abzusehen, dass sich dieser Kurs in naher Zukunft ändert.  

1. Mehr und härtere Strafen

Bundesjustizministerin Lambrecht, die sich vor einigen Wochen noch gegen härtere Strafen für Kindesmissbrauch und -Pornographie ausgesprochen hatte, hat nun einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der vor allem härtere Strafen für Kindesmissbrauch und -Pornographie beinhaltet. So sollen beide Verbrechen jetzt mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Haft belegt werden. Für Taten ohne Körperkontakt (wie etwa Selbstbefriedigung vor Kindern) wird außerdem ein neuer Straftatbestand eingeführt. 

Doch der Entwurf bildet nicht das Ende populistischer Forderungen nach Gesetzesverschärfungen. Die BILD hat außerdem der Bundestagsabgeordneten Sylvia Pantel eine breite Plattform gegeben, auf der sie sich für ein Verbot von kindlich aussehenden Sexpuppen aussprechen konnte. Mehr dazu habe ich in einem eigenen Beitrag geschrieben.

Auch wenn den Ruf nach einem Verbot von Puppen scheinbar bisher niemand aufgenommen hat, so ist es denke ich absehbar, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ein solches Verbot ausgesprochen wird. Mit den von Lambrecht vorgestellten Gesetzesverschärfungen setzt sich ein seit Jahrzehnten bestehender Trend fort, die Gesetze in dem Bereich immer mehr zu verschärfen, und gleichzeitig den Katalog der Straftaten immer weiter zu fassen. Das ist sicherlich nicht immer schlecht gewesen, und auch der aktuelle Gesetzesentwurf enthält Inhalte wie zum Beispiel verbesserte Schulungen von Familienrichtern, die ich sinnvoll und richtig finde. 

Was die Gesetze angeht, so finde ich aber, dass wir so ziemlich am Ende dessen angekommen sind, was noch sinnvoll ist. Vor allem, wenn man bedenkt, dass andere Formen der Gewalt an Kindern nicht annähernd so hart bestraft wird. Härtere Strafen lösen das grundlegende Problem nicht, und auch die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen werden Fälle wie Lügde, Münster oder Bergisch-Gladbach nicht verhindern können. Sollte es nicht langsam Zeit sein, dies zu erkennen und an wirklich langfristig wirkende Lösungen zu arbeiten, anstatt nur kurzfristig die Strafen immer dann zu verschärfen, wenn etwas richtig Schlimmes an die Öffentlichkeit gelangt?

2. Mehr Patientenempathie!

– von Ruby

N-TV hat Prof. Dr. Klaus Beier zum Interview eingeladen

Alles in Allem findet man in diesem Artikel nichts, was man nicht auch erwarten würde. Natürlich ist die Prävention von sexuellen Übergriffen das oberste Ziel von „Kein Täter werden“ was ja auch gut und wichtig ist. Aber dabei das Wohl der Patienten aus den Augen zu verlieren ist, meiner Meinung nach, nicht gerade der Prävention dienlich. Beier verliert hier kaum ein Sterbenswörtchen über den Menschen hinter der Neigung. Die Möglichkeit ein erstrebenswertes, glückliches Leben als pädophiler Mensch zu führen. Therapeutische Unterstützung dabei zu bieten ein Leben nicht trotz, sondern MIT der Neigung zu leben. Er macht sehr deutlich wo seine Prioritäten liegen nämlich nicht bei den Patienten, sondern bei der Forschung. Wäre da nur nicht die Ethik...

Wahrnehmungsverzerrungen, geringe Opferempathie, soziale Isolation, aber auch eine starke Befasstheit mit sexuellen Inhalten, was uns zeigt, dass die emotionale Regulation sehr intensiv über Sexualität erfolgt. Diese Faktoren können wir alle erfassen und dann mit der Behandlung beeinflussen, was sich wiederum messen lässt. Allerdings sind aus ethischen Gründen dann doch Einschränkungen für unsere Forschungsmethodik hinzunehmen.

Sie sind seiner Auffassung nach aber nicht deshalb aus „ethischen Gründen“ nicht umsetzbar, weil man die Patienten nicht dazu zwingen kann oder dergleichen, nein...

Der Königsweg wissenschaftlicher Forschung würde ja verlangen, dass man die Behandelten in einen Vergleich setzt mit einer Gruppe, die keine Behandlung erfahren hat. Und genau das funktioniert hier nicht, weil sie ja bei einem drohenden Risiko für das Kind auf jeden Fall behandeln würden. Besonders deutlich wird das ja beim Einsatz von Medikamenten, von denen wir wissen, dass sie das sexuelle Verlangen dämpfen. Bei einem bestehenden Übergriffsrisiko würde man selbstverständlich dieses Medikament verabreichen und den Vergleich mit der Einnahme eines sogenannten Placebos, also eines Scheinmedikaments, das gar keine wirksame Substanz enthält, mit Blick auf den Kinderschutz eher scheuen. Das ist das ethische Dilemma an der Sache: Die Königswege der Wissenschaft sind in diesem Gebiet nur sehr begrenzt zu beschreiten.

Der Patient ist für ihn scheinbar bloß ein potenzieller Täter, den es zu entschärfen gilt. Es wirkt, als ob es nur eine Nebensächlichkeit wäre, ob dieser dabei eigentlich glücklich ist.

Vielleicht möchte er damit aber auch bloß davon ablenken, dass es aktuell gar keine unangefochtenen wissenschaftlichen Beweise dafür gibt, dass eine Therapie bei Kein Täter Werden so effektiv ist wie er es sich wünschen würde...

Kernpädophile haben wohl Pech gehabt, ihnen bleibt scheinbar nur ein trostloses, einsames Leben. Mit Glück gibt es ein paar „Aufpasser“ im Familien- und Bekanntenkreis. Ein paar Freunde die sich nicht endgültig abwenden. Die Möglichkeit unverfänglichen Kontakt zu Kindern zu haben, wird nicht erwähnt und ist wohl für Beier auch eher kein erstrebenswertes Ziel.

Die Beziehung mit einem erwachsenen Partner wird als der Inbegriff von Normalität und oberstes Ziel für Nicht-Exklusive verkauft. „Wenn die böse Pädophilie nicht wäre, könnten wir so glücklich sein“. Die Neigung wird ausschließlich als Makel gesehen. Ein Outing ist nur als eine Art Beichte in der Partnerschaft zu verstehen. Eine geteilte, schwere Bürde, mit der nun gleich zwei Menschen leben müssen. Mir ist klar, dass das in den meisten Fällen auch von einem nichtpädophilen Partner so empfunden wird, aber muss man das als das Aushängeschild von KTW auch noch in Interviews so weitergeben als wäre es die einzig mögliche Art die Pädophilie zu betrachten?

3. Drei Interviews mit Pädophilen

Es gibt drei neue Interviews mit Pädophilen, die in den Medien veröffentlicht wurden.

Das erste Interview wurde in der Sendung "Tabubruch" ausgestrahlt, in der auf Deutschlandfunk ungewöhnliche und tabubehaftete Lebensgeschichten vorgestellt werden. In der jüngsten Folge wurde fast eine Stunde lang ein Interview mit Georg geführt. Besonders lobenswert ist hier die Arbeit von Theresa Liebig, die das Gespräch geführt hat und gleichzeitig so neutral wie möglich an das Thema herangeht, aber auch ihre eigenen Vorurteile und Gefühle ehrlich benennt und reflektiert.

Das zweite Interview wurde vom Journalisten Andrew Gold mit Silas geführt. Und auch wenn die Herangehensweise von Andrew wesentlich effekthascherischer ist – stellenweise hatte ich den Eindruck, als seien die Pädophilen, die er getroffen hat für ihn fast schon so wie Ausstellungsstücke in einer Freakshow – so ist das Interview dennoch stellenweise sehr interessant, was vor allem an Silas liegt, der sich gut präsentiert und über seine Geschichte und Erfahrungen erzählt. 

Das dritte Interview ist im SWR erschienen. Dort erzählt Noah, ein hebephiler Mann, über seine Lebensgeschichte, die bei ihm leider nicht ohne einen sexuellen Übergriff verlaufen ist. Noah berichtet über seinen Weg zur Therapie nach KTW und wie ihm die Therapie dort seinem Empfinden nach geholfen hat, sein Risiko für einen weiteren Übergriff zu senken.

4. Große Zahlen in Bergisch-Gladbach

Nachdem es um den Missbrauchsfall in Münster langsam wieder ruhig wird, gibt es neue Meldungen zum Fall aus Bergisch-Gladbach. Justizminister Biesenbach sprach am Montag in einer Pressekonferenz von 30.000 Verdächtigen, gegen die ermittelt werden. 30.000 – eine ungeheure Zahl, und die sogleich von zahlreichen Medien aufgegriffen wurde.

… und so weiter.

Normalerweise werden solche Zahlen von den Medien gerne geschluckt, da sie für gute Schlagzeilen sorgen (s. oben). Diesmal gab es allerdings Nachfragen, was diese Zahl von 30.000 eigentlich zu bedeuten hat. Und so musste das NRW-Justizministerium wenig später korrigieren, dass es nicht um 30.000 Verdächtige gehe, sondern um 30.000 Hinweise zu Verdächtigen. Das seien IP-Adressen, Chatpseudonyme und ähnliches. Wie viele Verdächtige genau dahinter stehen, wisse zu diesem Zeitpunkt noch niemand, wie Biesenbach dem ZDF gegenüber dann auch einräumte. 

Nicht Spuren zu 30.000 Verdächtigen also, sondern 30.000 Spuren zu Verdächtigen.

Das Problematische an dieser inflationären Verwendung unfassbar groß klingender Zahlen ist es, dass damit eine Stimmung von Fassungslosigkeit und Angst erzeugt werden kann, mit der dann bestimmte politische Forderungen durchgesetzt werden können – wie aktuell etwa die Forderung nach der (mehrfach als verfassungswidrig erklärten) Vorratsdatenspeicherung. Das dokumentierte auch Andrej Reisin in einem Kommentar für die Tagesschau

Immerhin haben es nach der Korrektur einige Medien tatsächlich auf die Reihe bekommen, die 30.000 in den richtigen Kontext zu setzen:

5. … und es hätte besser niemand geredet

Ich finde, jemand, der auf Kinder steht, darf keinen Platz in unserer Gesellschaft haben!

Bei all der Stigmatisierung gegen pädophile Menschen, die in den Medien so ziemlich alltäglich ist, kommt es dennoch selten vor, dass man so eine Aussage derart explizit zu hören bekommt. Eine Aussage, die diskriminierender kaum sein kann. Eine Aussage, die den gesellschaftlichen Ausschluss von Hunderttausenden Menschen in Deutschland fordert – nicht aufgrund ihrer Taten und ihres Verhaltens, sondern alleine aufgrund ihrer Sexualität.

Geäußert wurde diese Aussage von der Journalistin Patricia Patiel in der Talkshow Jetzt reden vier - der Talk der Woche. Eventuell würde es Frau Patiel als Journalistin gut tun, sich Ziffer 12 des Pressekodex einmal mehr zu Herzen zu nehmen:

Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.

6. Kurz kommentiert

Nicht immer sind viele Worte vonnöten. Hier ist eine Liste von interessanten Fundstücken, die ich ohne groß Worte zu verlieren vorstellen möchte.

  • Schattenseiten sind extrem (watson.de)
    Über den Kreuzzug von Oliver und Amira Pocher gegen Prominente, die Kinderbilder auf Instagram teilen, habe ich hier ja schon einige Male geschrieben. Watson, ein Magazin, das ihren "Kampf gegen Pädophilie" bisher mehrfach eine Plattform gegeben hat, nimmt dieses Mal eine kritische Haltung ein und lässt einige Eltern zu Wort kommen, die nach den populistischen Angriffen der Pochers mit Hassnachrichten zu kämpfen haben.
  • Was in der Diskussion richtig schief läuft (vice.com)
    VICE nimmt hier einige Aspekte der Diskussion nach Lügde, Bergisch-Gladbach und Münster kritisch unter die Lupe. Darunter auch den Hang, solche Taten zu "exotisieren", etwa wenn Lambrecht wiederholt von "monströsen Fällen" spricht. Dabei fordert die Autorin Theresa Locker, das Thema von Tabus zu befreien und die Schwelle von Therapieangeboten für pädophile Menschen so niedrig wie möglich zu halten. Auch wenn das grundsätzlich eine richtige und wichtige Forderung ist, ist es schade, dass sie damit impliziert, dass solche Taten ausschließlich in der Verantwortung pädophiler Menschen liegen. 
  • Pädophilie: keine Straftat (deutschlandfunk.de)
    Stefan Fries erklärt in der Rubrik "Sagen und Meinen" bei Deutschlandfunk die wichtige Unterscheidung zwischen Pädophilie und Kindesmissbrauch, die in der Berichterstattung sonst allzu oft vergessen wird, und betont, dass man an den Taten einer Person nicht auf dessen sexuelle Präferenzen schließen kann, und deswegen lieber von "Sexualstraftätern" sprechen sollte.
  • Lücken bei Prävention sollen geschlossen werden (br.de)
    Pädophile Menschen, die an einer Therapie bei KTW interessiert sind, haben häufig das Problem, dass der Weg zum nächstgelegenen Standort sehr weit ist. Besonders ausgeprägt ist das Problem in Bayern, seit der Standort in Regensburg aus Personalmangel ersatzlos gestrichen wurde und Bamberg damit im ganzen Bundesland zur einzigen Anlaufstelle wurde. Über dieses Problem berichtet hier der Bayerische Rundfunk.
  • Zwischen Kunst und Pädophilie (deutschlandfunkkultur.de)
    Eine recht plumpe Besprechung des literarischen Klassikers "Lolita" von Vladimir Nabokov. Die thematische Komplexität des Romans (der sowieso eigentlich mehr mit Hebephilie als mit Pädophilie zu tun hat; Lolita ist 12 zu Beginn des Films und wohl schon in der Pubertät) wird auf eine Gegenüberstellung von "Kunst vs. Pädophilie" reduziert. Die Gegenüberstellung alleine sollte schon zeigen, dass Pädophilie dabei nicht gerade als Kompliment gemeint ist, sondern eher als Anklage gegen den Roman verwendet wird.

7. Kriminalisierung pädophiler Menschen in den Medien

Nicht jeder pädophile Mensch wird zum Straftäter, und die meisten Kindesmissbrauchstäter und Konsumenten von Kinderpornographie sind nicht pädophil. 

Leider wird diese wichtige Unterscheidung in den Medien oft nicht gemacht, und Pädophilie mit Straftaten oft in einen Topf geworfen. Gerade das trägt aber massiv zur Stigmatisierung pädophiler Menschen bei, da die meisten Menschen so den Eindruck gewinnen, dass Pädophilie und Kindesmissbrauch ein und dieselbe Sache ist. Um auf dieses Problem aufmerksam zu machen, möchte ich hier jede Woche Beispiele für diese Behandlung des Themas Pädophilie in den Medien sammeln.

8. Das Narrenschiff

– von Max Weber

In der Sonntagskiste sind wir ja immer wieder mit Fragen rund um Fortschrittlichkeit, Freiheitsrechte und Diskriminierung beschäftigt. Dazu haben wir heute ein außergewöhnliches Lied von Reinhard Mey rausgesucht: Das Narrenschiff. Das Lied ist bitter gesellschaftskritisch. Es prangert das Verkommen ehemals hoher Ideale unserer Gesellschaft an. Ideale, die die recht starke freiheitlich-demokratische Orientierung der Gesellschaft Deutschlands und ganz Europas maßgeblich geformt haben. Aus Reinhard Meys Jugend etwa. Es fragt nach, wo denn die jungen Wilden von einst geblieben sind und was sie heute tun. Eine Abrechnung mit der Politik und der bequemen Ignoranz oder auch Doppelzüngigkeit selbst in sich fortschrittlich schimpfenden Teilen der Gesellschaft.

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Bis nächste Woche,
 Sirius