Pädophilie als „abnormale Sexualpräferenz“ – eine ganz schlimme Krankheit, in etwa vergleichbar mit Krebs, oder eigentlich schlimmer noch, denn Krebs ist zumindest oft heilbar, Pädophilie „leider“ nie. Betroffene haben sich von Kindern fernzuhalten und sollten sexuelle Gedanken zu Kindern immer wegschieben, da sich sonst diese krankhafte Neigung verfestigen könne. Die neuste Folge des ZDF-Podcasts Aktenzeichen XY – Unvergessene Verbrechen ist ein Gruselkabinett an stigmatisierenden Vorurteilen und entwürdigenden Aussagen, die dadurch besonders boshaft wirkt, dass sie sich als differenzierte Aufklärung versucht selbst zu inszenieren, dabei so tut, als wolle sie jenseits der gesellschaftlichen Hetze nach echten Antworten suchen, und dabei am Ende doch nur die altbekannten Stereotype verfestigt.

Diese Boshaftigkeit, anders kann ich es nicht nennen, fängt schon im Titel an: Pädophilie – Wenn Sexualität Opfer schafft. Die Möglichkeit, dass ein Pädophiler keine Spur an traumatisierten Kindern hinterlässt, ist so im Grunde schon in der Überschrift ausgeschlossen. Dabei wird irgendwann in den ersten zehn Minuten durchaus gesagt, dass Pädophilie ja „eigentlich“ nicht dasselbe ist wie Kindesmissbrauch. Nur fühlt sich das inzwischen wie eine ausgelutschte Floskel an, die man halt so sagt, wenn man sich bei dem Thema als aufgeklärt und differenziert präsentieren will, aber an die eigentlich niemand so wirklich glaubt. Die Überschrift bringt dies auf den Punkt, aber auch an anderer Stelle wird trotz voriger Differenzierung die Themen Missbrauch und Pädophilie vermischt. Dies wird ebenfalls durch die eigentlich vorhandene Differenzierung im Podcast nicht relativiert, sondern eher verschlimmert. Ihr behautet, es besser zu wissen, warum sagt ihr dann trotzdem so einen Scheiß?

Das Format des Podcasts ist auch nichts Neues. Die Moderatoren Rudi Cerne und Nicola Haenisch-Korus wollen mehr über Pädophilie erfahren und reden dazu mit einem alten, weißen und vermutlich nicht-pädophilen Mann. Gast der Folge ist Prof. Dr. Kolja Schiltz, der seit 2021 die Ambulanz von Kein Täter Werden (KTW) im LMU-Klinikum München leitet (Bayerns Justizminister Georg Eisenreich bewarb die Eröffnung von Schiltz' Ambulanz einst mit den Worten, dass damit die „Strafverfolgungsstrukturen optimiert“ werden sollen). Zwar werden gelegentlich Schnipsel eines Interviews mit „Felix“, einem Teilnehmer bei KTW, eingespielt, das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Deutungshoheit bei dem Thema dennoch bei KTW und Schiltz liegt. Felix ist kein gleichberechtigter Gesprächspartner, schon alleine deshalb nicht, weil der Podcast eben kein Gespräch mit Felix ist, sondern vorab ausgewählte Passagen aus einem Interview lediglich von Schiltz kommentiert und „eingeordnet“ werden. Felix wird so zum Stichwortgeber für Prof. Schiltz degradiert, der am Ende derjenige ist, der den Zuhörenden die Natur der Pädophilie zu erklären versucht. Die Folge ist damit im Wesentlichen ein weiteres Beispiel dafür, wie fortwährend über, aber nie wirklich mit uns geredet wird.

Ich werde im Folgenden einige Aussagen aus dem Podcast auseinandernehmen und dafür nicht so nette Worte verlieren (falls das aus der Einleitung noch nicht deutlich geworden ist, ich bin kein Fan dieser Folge). Die Kritik richtet sich aber ausdrücklich nicht gegen Felix. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schwer und beängstigend es ist, sich mit Journalist:innen als Pädophiler zu treffen und die eigene Geschichte zu erzählen, und Felix hat sich alles in allem gut geschlagen. Meine Kritik gilt vor allem den Verantwortlichen des Podcasts, den Medienprofis also, die entscheiden, welche Stimmen in solchen Folgen zu Wort kommen, welche Themen besprochen und welche Fragen gestellt werden, und in was für ein Gesamtkonzept all dies am Ende eingebettet wird. Meine Kritik gilt auch Prof. Schiltz, dessen Aussagen an vielen Stellen fragwürdig, problematisch und potenziell schädlich sind.

Soweit alles klar? Dann kann es ja losgehen.

[Haenisch-Korus] Rudi, das heutige Thema ist für mich ehrlich gesagt eines der schwierigsten, über die wir je gesprochen haben. Als Eltern, du hast eine Tochter, ich habe auch eine, berührt es uns auf einer sehr persönlichen Ebene. Aber ich bin sicher, dass dieses Thema auch viele andere Menschen auch ohne Kinder tief bewegt. Ja, wir sprechen heute über Pädophilie.

Inzwischen ist es für Medienerzeugnisse, die sich mit dem Thema Pädophilie beschäftigen regelrecht obligatorisch, entweder mit einer Triggerwarnung anzufangen, oder halt mit einer Einleitung, die betont, was für ein schweres Thema Pädophilie ja ist. Als Pädophiler lässt mich sowas ja immer etwas ratlos zurück. Ist mein Dasein wirklich so schrecklich? Den Episodenbeschreibungen nach hat sich der Podcast in Dutzenden Folgen mit Gewaltverbrechen und Morden in allen möglichen grausamen Variationen beschäftigt, mehrmals auch mit Fällen, in denen Kindern und Jugendliche Opfer waren. Eine Folge trägt verdammt noch mal den Titel „Der tote Säugling vom Waller See“ … aber die Tatsache, dass Menschen wie ich existieren, soll „eines der schwierigsten“ Themen der Sendung gewesen sein? Schlimmer als Serienmorde und Infantizide? Im Ernst?

Pädophil sein, Säuglinge töten: im Grunde gleich schlimm?
Ich weiß nicht, ob Haenisch-Korus dies wirklich so empfindet oder nur so sagt, um die Zuhörenden emotional abzuholen und sich vorauseilend gegen Vorwürfe zu wehren, das Thema zu „verharmlosen“. Eigentlich ist es auch egal. Wer Pädophilie als ähnlich schlimm oder gar schlimmer als Mord sieht, hat auf jeden Fall höchst problematische und menschenverachtende Einstellungen, und genauso problematisch ist es, dass diese Haltung durch die Einleitung des Podcasts noch bestätigt und als „normal“ entschuldigt werden.

[Haenisch-Korus] Heute wollen wir aber eine andere Perspektive beleuchten. Es geht nicht darum, Verbrechen aufzuarbeiten, sondern darum, Wege zu finden, wie diese überhaupt verhindert werden können.

Okay, aber warum ist das Thema der Sendung dann Pädophilie? Durch diese Einleitung wird ganz nebenbei allen Pädophilen unterstellt, (potenzielle) Täter:innen zu sein. Dabei wird Moderator Rudi Cerne später selber sagen, dass „nicht alle Menschen, die sich sexuell an Kindern vergreifen, auch wirklich pädophil sind.“ Wenn es angeblich darum gehen soll, Verbrechen präventiv zu verhindern, warum schaut man sich dann nicht die tatsächliche Gruppe der Täter:innen an, anstatt die ganze Thematik wieder einmal nur auf Pädophilie zu reduzieren?

Ganz bestimmt wird irgendwann auch auf Risikofaktoren eingegangen, die nichts mit Pädophilie zu tun haben, ja?
Wäre die Anmoderation ehrlich, würde sie wohl eher so klingen: Heute geht es darum, Wege zu finden, wie Verbrechen überhaupt verhindert werden können. Dafür gucken wir uns aber nicht an, welche Faktoren tatsächlich zu Missbrauch führen können, sondern wir stellen Menschen mit einer ungewöhnlichen sexuellen Orientierung an den Pranger, auch wenn diese erwiesenermaßen nur einen kleinen Teil der Täter:innen ausmachen. Denn es ist einfacher, die Schuld bei dem als gefährlich erklärten Anderen zu suchen, als sich mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, dass grundsätzlich jede:r Täter:in sein oder werden könnte – auch Menschen, die man mag, die gewiss nicht pädophil sind (sonst würde man sie ja nicht mögen), oder gar man selber.

Letzten Endes geht es genau darum, wenn alles Schlechte, was Kindern (und Jugendlichen) zustoßen kann Pädophilen zugeschrieben wird: dass sich die nicht-pädophile Mehrheitsgesellschaft beruhigen und selbstgerecht zurücklehnen kann und sich gar nicht erst damit beschäftigen braucht, ihr eigenes Verhalten gegenüber Kindern zu reflektieren. Wenn alles Schlimme auf Pädophilie reduziert wird, heißt das im Umkehrschluss ja auch, dass man als nicht-Pädophiler ja gar nichts (wirklich) Schlimmes Kindern antun kann, und sich somit gar nicht zu hinterfragen braucht. Das Ergebnis: Unschuldige werden stigmatisiert und Täter:innen gedeckt.

[Haenisch-Korus] Bevor wir tiefer in das Thema einsteigen, wollten wir wissen, wie Menschen auf der Straße über pädophile Neigungen denken. Wir haben uns dafür auf den Weg in die Münchner Innenstadt gemacht, zum Viktualienmarkt und zum Sendlinger Tor und Passanten gefragt, was fällt ihnen ein, wenn sie das Wort Pädophilie hören? Die Antworten sind so unterschiedlich wie die Menschen selbst, von klaren Meinungen bis hin zu großer Unsicherheit.

Was für Meinungen sollen dazu schon kommen? Natürlich reden die Passanten davon, dass wir krank seien, weggesperrt gehören und überhaupt härter bestraft werden sollten. Genauso gut könnte man in eine rechtsextreme Gruppe gehen und dort fragen, wie die Leute zu Homosexualität eingestellt sind, man würde wohl ähnliche Antworten bekommen. Der Unterschied ist, dass in Bezug auf Pädophilie eben die ganze Welt rechtsextrem ist. Und, dass menschenfeindlichen Aussagen gegen Homosexuelle in den öffentlich-rechtlichen wohl keine Bühne bekommen würde, sie jedenfalls nicht als „klare Meinung“ bagatellisiert und verharmlost werden würden (okay, das ändert sich zugegebenermaßen grad auch immer mehr).

Man hätte sich wenigstens die Mühe machen können, solche Aussagen als das zu bezeichnen, was sie sind: Hassbotschaften, die sich gegen eine sexuelle Minderheit richten. Stattdessen ist die schärfste Verurteilung, die in dem Podcast zu hören ist, dass diese Aussagen ja schon „sehr negativ“ seien, aber immer mit dem Unterton, dass die fehlende Akzeptanz für „solche Neigungen und insbesondere solche Handlungen“ (wieder die Vermischung!) bei diesem sehr schweren Thema ja irgendwie auch nachvollziehbar sei.

[Schiltz] Die Definition, was als Erkrankung angesehen wird, ist ja eine gesellschaftliche Frage, die wir sozusagen in einem gesellschaftlichen Konsens treffen müssen. Wir können das und es wird auch heutzutage unter Medizinern schon als eine abnorme Sexualpräferenz bezeichnet. Es wird in einem Katalog der Erkrankungen aufgeführt. Insofern hat es einen gewissen Krankheitswert.

Diese Aussage kommt direkt nach dem Einspielen der Straßenumfrage, muss also als Ergänzung der stigmatisierenden Abwertungen verstanden werden. Obwohl Schiltz also direkt hören konnte, wozu diese abwertende Pathologisierung von Pädophilen als „krank“ und „gestört“ führt, hält er dennoch an dieser Einstufung fest, ohne deren Folgen kritisch zu hinterfragen. Mehr noch, im Grunde legitimiert er sie dadurch, dass er die Pathologisierung von Sexualitäten zu einer Frage des gesellschaftlichen Konsenses macht. Wenn die Mehrheit also Pädophile für krank und gestört hält, dann ist das halt einfach so und wird zu einer objektiven Wahrheit. Spannend ist hier lediglich die Frage, ob er auch die historische Pathologisierung Homosexueller für gerechtfertigt hält, die immerhin bis 1990 laut Weltgesundheitsorganisation als krank galten und die lange Zeit auch von einer gesellschaftlichen Mehrheit gedeckt war.

Man darf jedenfalls froh sein, dass zumindest die Justiz nicht so funktioniert, wie es die Sexualmedizin laut Schiltz tut. Man stelle sich vor, Richter fangen an auch völlig straffrei lebende Pädophile zu lebenslanger Haft zu verurteilen, weil es gesellschaftlicher Konsens ist, dass Pädophile weggesperrt gehören.

Fraglich ist ebenfalls, was für einen „Katalog der Erkrankungen“ er meint. Der amerikanische DSM kann es jedenfalls nicht sein, dort ist Pädophilie nicht grundsätzlich als Krankheit verzeichnet. Im neuen ICD-11 ebenfalls nicht. Bezieht es sich auf die alte Version, den ICD-10, in dem Pädophilie tatsächlich noch pauschal als Störung klassifiziert wird (neben Sachen wie BDSM und Transsexualität übrigens)? Warum sich auf eine alte Version stützen, die von der Weltgesundheitsorganisation längst überholt wurde?

Tatsächlich hat die Arbeit am ICD-11 grob 15 Jahre gedauert
Gerade hier wäre es bereichernd gewesen, Betroffene zu befragen, ob sie sich selber als krank sehen, statt nur einen vermeintlichen Experten zu Wort kommen zu lassen, der sich anmaßt, diese Einschätzung für alle Pädophilen vorzunehmen. Ich sehe mich jedenfalls nicht als krank, und ähnlich geht es auch mehr als zwei Drittel der 624 Teilnehmenden einer Umfrage im englischsprachigen Selbsthilfeforum VirPed.

[Schiltz] Es gibt zum Beispiel Personen, die durch Neugeborene sexuell angesprochen werden, auch exklusiv nur dadurch. Das ist dann eine sogenannte Neonatophilie, eine Unterform.

Neonatophilie?

Den Begriff hat er sich doch gerade ausgedacht, oder?

[Schiltz] Bei Männern weiß man, dass etwa 1 % Pädophilie vorliegt. Das sind Prävalenzdaten, die mittlerweile relativ gut etabliert sind. Bei Frauen kann man das nicht sagen, da weiß man es nicht. Man geht aber davon aus, dass dort die Prävalenz, also das Vorliegen in der Normalbevölkerung, in der nicht straffälligen, viel geringer ist.

Wenn man es nicht weiß, warum geht man dann davon aus, dass die Prävalenz viel geringer sein muss? Wenn man nichts weiß, dann weiß man nichts. Gerade in einem derart stigmatisierten Bereich muss man mit Vermutungen sehr vorsichtig sein, da diese meist doch eher von eigenen Vorurteilen geleitet sind, also von dem definitiv falschen aber weit verbreiteten Bild, dass Pädophile immer Männer sind und Frauen gar nicht pädophil sein können.

Schiltz hätte bei „man weiß es nicht“ aufhören können, er fühlte sich aber – warum auch immer – gedrängt, noch hinzuzufügen, dass es vermutlich kaum Frauen gibt. Auch im weiteren Podcast ist in Bezug auf Pädophile ausschließlich von Männern die Rede und selbst die theoretische Existenz pädophiler Frauen wird völlig ausgeblendet. Solche Vermutungen produzieren eine völlig unnötige Marginalisierung von pädophilen Frauen und ihren Erfahrungen, deren Relevanz dadurch grundsätzlich infrage gestellt wird.

Und weil ich mir nicht anmaßen möchte, für Menschen zu sprechen statt sie selber zu Wort kommen zu lassen, habe ich mal meine Frau, eine dieser angeblich super seltenen Individuen aus der nicht-straffälligen Normalbevölkerung gefragt, was sie von Schiltz' Aussagen hält.

Es nervt mich. Es nervt mich, weil es dem Bias hilft. Woher will man wissen, dass es weniger Frauen gibt, wenn man Frauen immer ausschließt? Nur, weil der noch keine Frauen gesehen hat, heißt das nicht, dass es weniger gibt. Warum sollte es bei Frauen auch anders sein als bei Männern? Bei Homosexualität ist das schließlich auch nicht so.

Wissen ist wissen, Nichtwissen ist nicht wissen. Das ist Wissen. - Konfuzius

Mehr braucht man dazu nicht sagen.

[Haenisch-Korus] Herr Schiltz, ist die Vermeidung im Umgang mit Kindern also eine gute Strategie?
[Schiltz] Das ist eine sehr gute Strategie. Wir machen das auch, wenn wir mit bereits straffälligen Personen arbeiten und die Resozialisierung irgendwann nach vielen Jahren dann zum Beispiel aus einer Klinik heraus oder auch aus dem Gefängnis heraus kommt, dass wir die sogenannte Stimuluskontrolle mit diesen Personen etablieren oder Reizkontrolle. Das bedeutet, dass man versucht, Reize, die sie in problematische Triebsituationen bringen könnten, grundsätzlich zu vermeiden. Und das erstreckt sich sowohl auf die Wahrnehmung pornografischen Materials, Kinderpornografie, das soll nicht gemacht werden, als auch auf tatsächliche Reize, wie zum Beispiel vor einem Schulhof stehen, im Kindergarten arbeiten, im Schwimmbad herumhängen und dort Beobachtungen machen. Alles dieses sollte vermieden werden und das wird mit den Betroffenen auch erarbeitet. […] Dass sie Situationen vermeiden, in denen sie diesen kindlichen Reizen, die sie ansprechen, ausgesetzt sind.

Schiltz illustriert hier wunderbar, warum ich solchen Therapien wie die von ihm angebotenen für Pädophile inzwischen sehr kritisch gegenüber eingestellt bin. Hier werden Strategien und Behandlungsmethoden, die ursprünglich für die Behandlung von Sexualstraftätern entwickelt wurden und dort vielleicht sogar Sinn ergeben (ich weiß es nicht), eins zu eins auch auf Pädophile angewandt, die nie ein Kind missbraucht haben. Nur weil für Menschen, die bereits bewiesen haben, dass sie in der Lage sind ein Kind zu missbrauchen es vielleicht eine gute Strategie ist, sich von Kindern fernzuhalten, heißt das nicht, dass es eine gute Strategie für alle Pädophilen ist. Als Nichttäter aber genauso behandelt (im Sinne von therapeutischer Behandlung) zu werden, wie ein Vergewaltiger, ist sowohl entwürdigend als auch ethisch fragwürdig.

Es stellt sich auch die Frage, wie diese Vermeidung im Alltag genau aussehen soll. Sollen wir im Sommer nicht mehr an Seen und in Freibäder gehen, weil dort leicht bekleidete (oder gar nackte) Kinder herumlaufen könnten? Jedes Mal absagen, wenn uns unsere Freunde dahin einladen? Auf Distanz gehen, wenn diese Freunde eigene Kinder bekommen? Zum Urlaub nicht mehr in warme Gegenden, sondern nur noch in Skigebiete fahren, wo Kinder nur dick eingekleidet zu sehen sind? Sollen wir auf Familienfeiern den Kindern in unseren Familien nur noch kalt und abweisend begegnen, oder diese Feiern auch gleich ganz absagen? Ist Kindern wirklich geholfen, wenn sie von ihrem Onkel ohne einen für sie verständlichen Grund ignoriert und weggeschickt werden?

Schiltz scheint zu glauben, Kinder seien für uns gar keine Menschen mehr, sondern nur noch sexuelle „Reize“ und Stimuli auf kurzen Beinen. Was Schiltz fordert, fördert soziale Isolation und ist letztendlich der Ausschluss pädophiler Menschen aus ganzen gesellschaftlichen Bereichen. Zunächst vielleicht noch auf Basis einer freiwilligen Selbstverpflichtung, aber Expertenaussagen wie „Pädophile sollten nicht im Kindergarten arbeiten“ und „Pädophile sollten nicht ins Freibad gehen“ können schnell auch als vermeintliche Legitimation für diskriminierende Regeln dienen.

Und selbst aus der Perspektive der Reduzierung von Risiken ergibt der Ratschlag wenig Sinn. Eigentlich ist es psychologische Küchenweisheit, dass man Probleme nicht durch Vermeiden löst, sondern diese dadurch lediglich größer werden. Im Zweifel würde ich eher für einen pädophilen Erzieher meine Hand ins Feuer legen, der täglich Kontakt mit Kindern hat als für jemanden, der jeden Kontakt zu Kindern vermeidet und dann doch irgendwann einmal in eine Situation kommt, die sich nicht vermeiden lässt, und in der dann alle seit Jahren verdrängten Gefühle hochkommen.

[Haenisch-Korus] Wie ist es denn, wenn jemand, der pädophile Neigung hat, eigene Kinder haben möchte zum Beispiel, also der sich damit trägt, beziehungsweise seine Partnerin vielleicht auch den Wunsch vorbringt, Kinder haben zu wollen. Ist das ein großes Risiko?
[Schiltz] Also das ist in der Tat eine wichtige Frage, weil wir ja zum Teil pädophile Personen haben, die bereits Kinder haben, gar nicht darüber nachgedacht haben, ob sie jetzt mit der Pädophilie welche bekommen wollen, sondern einfach schon welche bekommen haben und dann mehr und mehr pädophile Probleme möglicherweise bekommen haben. Zum anderen wissen wir auch, dass Pädophile ja teilweise Beziehungen eingehen mit Frauen, die schon Kinder haben und ähnliches. Aber man kann durchaus, wenn diese Personen ihre Neigung kennen und kontrollieren können, kann man das verantworten unter Umständen. Es ist halt abhängig von der Beurteilung der Einzelfallsituation.

Immerhin ist es ganz nett zu hören, dass Schiltz Pädophilen zumindest den Umgang mit den eigenen Kindern zugesteht. Dennoch stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem vorigen Ratschlag, Situationen mit Kindern grundsätzlich zu vermeiden. Was soll ein pädophiler Vater (pädophile Mütter werden in seiner Beschreibung wieder komplett ausgeklammert) tun, wenn das Kind Freunde zum Übernachten nach Hause bringen möchte, oder gar mal ins Schwimmbad möchte?

[Haenisch-Korus] Spielt denn Missbrauch in der Kindheit, also eigene Erfahrung in der Richtung, eine Rolle bei der Ausprägung einer solchen Neigung?
[Schiltz] Auch das ist eine Forschungsfrage, die letzten Endes noch nicht geklärt ist. Wenn man Umfragen macht oder wenn man die klinische Beobachtung eigentlich heranzieht, die man hat bei den Personen, die eine Pädophilie haben, dann sieht es so aus, dass hier doch häufig über eigenen Missbrauch berichtet wird, also selbst Opfer gewesen zu sein in der Kindheit. Es gab dann auch Theorien über the abused abuser, also den missbrauchten Missbraucher, wo das postuliert wurde, dass das tatsächlich eine wichtige Begründung für die Entwicklung sei.

Moderatorin Haenisch-Korus fragt, ob Missbrauch zur Entwicklung einer Pädophilie führen kann, und Schiltz antwortet mit einer Theorie, nach der Missbrauchstäter oft selber Missbrauch erlebt haben. Es ist krass und ziemlich entmutigend, wie sehr diese Vermischung von Pädophilie und Missbrauch selbst in den Köpfen von Experten vorhanden ist. Schiltz hat erst ein paar Minuten vorher noch eben genau diese Vermischung als „großes Problem“ angeprangert, und macht es hier selber, vermutlich ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein.

Vielleicht ist es ja auch nur dann ein großes Problem, wenn die anderen es machen?

[Cerne] Ein Thema, das nicht fehlen darf, auch hier nicht, KI, künstliche Intelligenz, ist auch im Bereich Pädophilie, insbesondere in Bezug auf Missbrauchsdarstellungen, ein wichtiges Thema. Der ein oder andere könnte ja denken, prima, hier steht ja kein reales Opfer dahinter. Und die Darstellungen sind inzwischen ja auch täuschend echt. Was sagen Sie Ihren Patienten dazu?
[Schiltz] Wir sagen den Patienten dazu das Gleiche, was wir auch über die Nutzung sonstiger Missbrauchsabbildungen sagen, dass man das unterlassen sollte. Es geht hier darum, dass diejenigen, die die auch durch KI generierten Missbrauchsabbildungen oder pornografischen Abbildungen benutzen, dadurch ja ihre eigene Vorstellung von diesen sexuellen Aktivitäten einüben, dass sie sie wiederholen und dadurch verstärken. Man nennt das eine Iteration von sexuellen Skripten. Das wäre der Fachbegriff, dass man also immer wieder etwas durchgeht und wieder tut und wieder tut und dadurch es einübt und dadurch werden diese Tendenzen, so zu denken, das zu nutzen und dadurch eine Befriedigung zu erlangen, auch stärker. Das ist das Gleiche, wie wenn Sie Elfmeterschießen üben. Irgendwann treffen Sie ganz automatisch und machen das auch ganz automatisch, das will man natürlich verhindern und deshalb wird da auf jeden Fall von abgeraten.

Wieder einmal wird künstlich generierte Kinderpornografie pauschal verdammt und sogar mit realen Missbrauchsabbildungen auf eine Stufe gestellt, anstatt die Auseinandersetzung mit dem möglichen Nutzen auch nur zuzulassen. Für mich ist das ein Zeichen, dass der Boden der sachlichen Auseinandersetzung schon lange verlassen wurde und es nicht mehr um die Vermeidung konkreter Schädigungen geht, sondern um die Verdammung pädophiler Sexualität an sich. Egal, wie man insgesamt zu KI-generierter Kinderpornografie steht, diese auf eine Stufe mit Aufnahmen tatsächlich passierten Missbrauchshandlungen zu stellen, ist absurd und bagatellisiert nicht zuletzt auch realen Kindesmissbrauch und die Traumatisierungen, die daraus entstehen können.

Der Rest von Schiltz' Aussage ist im Grunde eine Kampfansage an pädophile Fantasien an sich. Die Beschäftigung mit sexuellen Wünschen, die auch für Pädophile ganz natürlich ist, von Schiltz aber als „Präokkupation“ pathologisiert wird, soll generell nicht stattfinden, da diese dann verstärkt werden können. Auch hier ist also nicht die Suche nach einem gesunden Umgang, sondern Vermeidung die Methode der Wahl. Wer aber pädophil ist, findet nun einmal Vorstellungen von sexuellen Handlungen mit Kindern ansprechend. Man kann versuchen, das wegzuschieben und zu unterdrücken, aber das ändert nichts daran, dass man immer noch pädophil ist und diese Vorstellungen ansprechend findet.

Sexualität ist eben nicht vergleichbar mit einem Skill wie Elfmeterschießen, den man erlernen und dann auch wieder verlernen kann. Wenn ich nie Elfmeterschießen übe, werde ich immer eine Niete darin sein. Die eigene Sexualität wiederum ist immer da, ganz egal, wie andere oder man selber das findet. Zu Kindern zu fantasieren „verstärkt“ eine Pädophilie nicht, sondern ermöglicht einen Umgang damit, der niemanden wehtut. Anders sieht es aus, wenn man zwanghaft versucht, jeden sexuellen Gedanken an Kinder wegzuschieben.

Im Laufe der Folge ist immer wieder von einem „Trieb“ die Rede, der kontrolliert werden muss, auch Felix berichtet davon, wie schwer es ihm fällt gegen diese „sehr starken“ Triebe zu kämpfen und keine Kinderpornografie zu konsumieren. Ich behaupte, wenn der einzige Umgang mit den eigenen sexuellen Wünschen aus unterdrücken und verdrängen besteht, ist das kein Wunder. Egal, wie oft man sich sagt „ich darf daran nicht denken“ oder „ich darf das nicht schön finden“, am Ende des Tages kann man nichts daran ändern, pädophil zu sein. Die Unterdrückung führt nur dazu, dass dieser Aspekt in den schlechtesten Momenten hervorbricht und sich eben als schwer zu beherrschender Trieb manifestiert. So war es einst für mich, und geändert hat sich dies erst, als ich gelernt habe pädophile Fantasien nicht nur zuzulassen, sondern auch auszugestalten und zu genießen – also das genaue Gegenteil von dem zu tun, was Schiltz propagiert. Erst zu lernen, dass die Fantasien an sich schon erfüllend sind, hat Sexualität für mich von einem drängenden, belastenden Trieb zu etwas Positiven und Erfüllenden transformiert.

Auch hier ist es eigentlich küchenpsychologische Weisheit, dass es sehr schwer ist, sich vorzunehmen, etwas nicht zu tun bzw. zu denken. Je mehr man versucht, einen Gedanken zu vermeiden, desto stärker wird dieser Gedanke. Denkbar, dass Schiltz, der selber zugibt keine Beweise dafür zu haben, ob die Therapie bei KTW überhaupt etwas bringt, mit seiner Behandlungsmethode das genaue Gegenteil von dem erreicht, was er erreichen will.

Es ist wichtig, wie Schiltz auch immer wieder betont, Pädophilie als Aspekt der eigenen Identität anzuerkennen und zu akzeptieren. Dazu gehört aber auch, Wege zu finden, diese Sexualität so auszuleben und zu genießen, dass niemand darunter leidet, auch man selber nicht. Wegschieben ist fundamental das Gegenteil von Akzeptanz. An dieser Stelle hätte der Podcast ebenfalls davon profitiert, mehr pädophile Menschen über ihr Erleben von Sexualität direkt sprechen zu lassen, statt einen Professor lediglich über das Erleben von Pädophilen in therapeutischer Behandlung reden zu lassen.

[Schiltz] Das Programm verfolgt in erster Linie das Ziel, sexuelle Übergriffe gegen Kinder zu vermeiden. Das muss man ganz klar an erster Stelle nennen. Und alle anderen Aspekte sind diesem Ziel untergeordnet. […] Was treibt mich an? Mich interessiert das Problem aus zunächst neurowissenschaftlicher, medizinwissenschaftlicher Sicht habe ich mich dem angenähert, bin dann mehr in die Patientenversorgung auch hineingekommen in meiner Tätigkeit als Neurologe und Psychiater und habe einfach Interesse an den Personen, an der Lösung der Probleme auf individueller Ebene. Mir ist aber auch natürlich wichtig, dass wir hier die kriminalpräventive Wirkung bei diesen Personen im individuellen, aber auch im gesellschaftlichen Kontext erreichen können.

Ich muss sagen, dass mich diese manipulative Pseudo-Empathie inzwischen mehr triggert, als selbst die Hassbotschaften, die zu Beginn des Podcasts abgespielt wurden. Auf den ersten Blick präsentiert sich Schiltz als Gegenpol zu den ignoranten Ansichten, die es in der Bevölkerung gibt. Im Vergleich zu Menschen, die von „wegsperren“ und „härter bestrafen“ reden, wirkt er wie jemand, der in der Lage ist, mit Empathie auf Pädophile zuzugehen. Diese Empathie dient am Ende aber nur dazu, Leute zu bringen, sich in Therapie zu begeben, wo sie (wie oben beschrieben) behandelt werden, als seien sie Sexualverbrecher aus der Forensik. Das Ziel der Therapie ist dabei „ganz klar“ nicht das Wohlbefinden der Klienten, tatsächlich wird auch im Podcast kein einziges Mal von Wohlbefinden oder psychischer Gesundheit gesprochen, dafür aber ständig von „Kontrolle“ und „Prävention“. Darin, dass pädophile Fantasien ausgelöscht werden sollten, unterscheidet sich der Ansatz von Schiltz nicht von der Meinung der Allgemeinheit.

Prävention ist auch nur ein anderes Wort für Diskriminierung, wenn sie nur auf eine Minderheit beschränkt wird.
Das meine ich mit „manipulativer Pseudo-Empathie“. Der Podcast inszeniert sich als objektive und sachliche Behandlung des Themas, die über die emotional getriebene Ablehnung Pädophiler hinausgeht. Damit stellt Schiltz auch sich und seine Ambulanz als Schutzraum vor dem überwältigenden Stigma und der Ablehnung Pädophiler dar. Er wirbt dafür, dass pädophile Menschen zu ihm kommen sollen, wenn diese bei ihm bestenfalls an zweiter Stelle stehen, es nicht um sie geht, sondern um die hypothetischen Opfer, die diese angeblich ohne therapeutische Supervision schaffen würden. Therapie wird so von einer Lebenshilfe zu einer gesellschaftlichen Kontrollinstanz, und Schiltz wirkt mehr als motiviert, diese Rolle zu erfüllen.

Im Vergleich dazu sind die Hassbotschaften wenigstens ehrlich und tun nicht so, als ob sie uns verstehen wollen.


© Titelbild: ZDF und Nadine Rupp.