Der Frühling ist da! Und das bedeutet vor allem: Es wird wärmer, die Tage länger, die Büsche bilden die ersten zarten Knospen aus, und das Innenministerium stellt zusammen mit dem Bundeskriminalamt die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) des vergangenen Jahres vor. Die Veröffentlichung der PKS, begleitet von meist alarmistischen Clickbait-Schlagzeilen und fragwürdigen sicherheitspolitischen Forderungen, ist schon lange ebenso wie das Ergrünen der Bäume ein fester Teil des Frühlings.
In der polizeilichen Kriminalstatistik werden bundesweit alle Fälle zusammengefasst, die von der Polizei in dem Jahr bearbeitet wurden. Bei der Interpretation dieser Statistik ist dabei Vorsicht angesagt. Die PKS misst nur die Anzahl der von der Polizei erfassten Fälle, über nicht erfasste Straftaten im Dunkelfeld kann sie keine Aussage machen. Änderungen der Fallzahlen können viele Gründe haben, die nicht unbedingt damit zu tun haben, dass tatsächlich auch mehr oder weniger Straftaten verübt wurden: Mehr oder weniger Aufmerksamkeit, die einzelne Kriminalitätsfelder bekommen haben, mehr oder weniger Anzeigen durch Betroffene, Aufhellung oder Abdunklung des Dunkelfeldes, sich verändernde politische und gesellschaftliche Einstellungen, geänderte Gesetze etc. Ein offener Brief von Wissenschaftler:innen und zivilgesellschaftlichen Organisationen kam daher kürzlich zu dem Schluss: Die polizeiliche Kriminalstatistik ist als Instrument zur Bewertung der Sicherheitslage ungeeignet.
Ein Beispiel: die Statistik für das vergangene Jahr verzeichnet 21 582 Fälle der Verbreitung von Kinderpornografie, aber nur 335 Fälle der Verbreitung von Gewalt- und Tierpornografie. Nun kann es natürlich sein, dass Kinderpornografie tatsächlich 65x so oft verbreitet wird, wie Gewaltpornografie. Genauso plausibel ist aber, dass die hohe Zahl bei Kinderpornografie durch den besonders großen Einsatz von Ressourcen bei der Strafverfolgung zustande kommt, während Gewalt- und Tierpornografie eher wenig Aufmerksamkeit erfährt. Oder vielleicht liegt es auch daran, dass Kinderpornografie gesellschaftlich deutlich geächteter ist, als Darstellungen von Gewalt, und es daher bei Gewaltpornografie seltener zu Anzeigen kommt und die Polizei seltener Ermittlungen aufnimmt. Viele Menschen sind sich vielleicht gar nicht bewusst, dass die Verbreitung von Gewalt- und Tierpornografie strafbar ist, während die Strafbarkeit von Kinderpornografie allgemein bekannt sein dürfte. Möglicherweise ist es aber auch so, dass die vergleichsweise hohen Fallzahlen dadurch zustande kommen, dass deutlich mehr unter den Begriff Kinderpornografie fällt, als im Vergleich als Gewalt- oder Tierpornografie eingestuft wird. Oder es liegt daran, dass im Gegensatz zu Gewalt- und Tierpornografie bei Kinderpornografie schon der Besitz strafbar ist, gegen viele der Tatverdächtigen ursprünglich wegen Besitz ermittelt wurde und sich erst im Laufe der Ermittlungen herausgestellt hat, dass eventuell auch eine Verbreitung begangen wurde. Vielleicht liegt die Ursache auch ganz woanders. Jeder kann sich aussuchen, welche Erklärung ihm am besten gefällt, aus den Zahlen selber geht nicht hervor, was davon stimmt.
Die Kriminalstatistik misst also nicht das Ausmaß tatsächlicher Kriminalität, sondern ist eher als Tätigkeitsbericht der Polizei zu verstehen. Unter dem Aspekt ist es ganz interessant, sich einmal anzuschauen, in welchen Bereichen die Polizei vergangenes Jahr besonders aktiv war.
Weniger registrierte Fälle von Kinderpornografie
Etwas hat dieses Jahr in der Medienberichterstattung gefehlt: die fast schon routineartigen Artikel darüber, dass die Fallzahlen bei Kinderpornografie wieder einmal gestiegen sind (hier ein paar Beispiele bei der PKS 2021, PKS 2022 und PKS 2023). Ein erster Blick in die Statistik zeigt auch warum: zum ersten Mal seit mindestens acht Jahren sind die Fallzahlen nicht gestiegen, sondern gesunken, insgesamt um etwa 5 %. Aus der Presse erfährt man dies jedoch nicht. Lediglich in den Bundesländern, in denen entgegen dem bundesweiten Trend mehr Fälle verzeichnet wurden, gab es vorab Berichterstattung über den regionalen Anstieg (Bayern, Sachsen-Anhalt). Aus den anderen Bundesländern, in denen die Zahlen demnach umso stärker gesunken sein müssen, wurde darüber nicht berichtet. In den Medien scheint das Interesse daran, über einen Anstieg von Kinderpornografiefällen zu berichten also deutlich größer zu sein, als über einen Rückgang zu informieren. Über die Gründe können wir nur spekulieren. Sicher ist aber, dass diese einseitige Berichterstattung zu verzerrten Wahrnehmungen in der Bevölkerung führt.
Für den Rückgang selber gibt es mehrere mögliche Erklärungen. Relevant ist sicherlich eine Gesetzesentschärfung, die es seit Juni 2024 wieder ermöglicht, bei weniger schweren Fällen die Ermittlungen einzustellen. Wenn dies den Rückgang erklärt, dann ist zu erwarten, dass sich dieser Trend nächstes Jahr fortsetzt, da diese Entschärfung nur in der zweiten Hälfte von 2024 gültig war. Zu erwähnen ist allerdings auch, dass 2024 das erste Jahr komplett ohne Corona-Maßnahmen war. Die Pandemie hatte teils sehr verzerrende Wirkungen auf die Kriminalstatistik. Auch hier können wir nur mit Sicherheit sagen, dass es einen Rückgang gegeben hat, aber über die Ursachen können wir nur spekulieren.
Ebenfalls erwähnen möchte ich, dass die Aufklärungsquote im Bereich Kinderpornografie dieses Jahr wie auch die letzten Jahre sehr hoch war. Während insgesamt nur 58 % aller angezeigten Straftaten aufgeklärt wurden, lag die Aufklärungsquote im Bereich Kinderpornografie bei 86,4 %, und bei Straftaten im Bereich Kindesmissbrauch bei ähnlich hohen 86,1 %. Mir ist es aus einem Grund wichtig, darauf hinzuweisen. Derzeit zeichnet sich ab, dass die nächste Regierung die schon längst als verfassungswidrige bewertete Vorratsdatenspeicherung in naher Zukunft wieder einsetzen wird. Bestärkt und vermeintlich legitimiert wird diese Position von Justiz- und Innenministern und Polizeisprechern, die immer wieder behaupten, dass nur damit Fälle von Kinderpornografie überhaupt aufgeklärt werden können, und in Angesicht dessen die Grundrechte der Bürger:innen gegenüber dem Kinderschutz halt mal zurücktreten müssten. Die durchweg sehr guten Aufklärungsquoten in dem Bereich, völlig ohne invasive Vorratsdatenspeicherung erreicht, straft diese Behauptungen Lügen.
Kriminalisierung von Kindern
Bei Kinderpornografie und Kindesmissbrauch denken die meisten wohl an schlimmste Straftaten, die Kindern zugefügt werden. Der Blick in die polizeiliche Kriminalstatistik zeigt allerdings, dass in erschreckend vielen Fällen Kinder und Jugendliche nicht in der Rolle als Opfer, sondern als potenzielle Täter:innen in Kontakt mit der Polizei kommen.
Im Bereich Kinderpornografie etwa war jede:r fünfte Tatverdächtige ein Kind unter 14. Fast jede:r zweite Tatverdächtige war minderjährig. Das alleine wäre schon erschreckend genug, erzählt aber noch nicht die ganze Geschichte. Minderjährige machen fast die Hälfte der Tatverdächtigen, aber gleichzeitig einen wesentlich geringeren Teil der Gesamtbevölkerung aus. Das bedeutet, der Anteil der Minderjährigen, gegen die wegen Kinderpornografie ermittelt wurde, ist deutlich höher als der Anteil bei Erwachsenen. Laut Tatverdächtigungsbelastungszahlen gab es pro 100 000 Erwachsene in der Altersklasse ab 21 etwa 25 Tatverdächtige. In der Altersklasse der 8-20-jährigen sind es etwa 6x so viel. Anders gesagt: die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind oder Jugendlicher als Tatverdächtiger wegen Delikten im Bereich Kinderpornografie in den Fokus der Polizei gerät, ist sechsmal so hoch wie bei Erwachsenen. Besonders sticht dabei die Gruppe der 14-15-jährigen heraus, also derjenigen, die gerade strafmündig und damit alt genug sind, um auch tatsächlich strafrechtlich belangt zu werden: hier ist die Wahrscheinlichkeit, Tatverdächtiger zu sein, sogar 14x so hoch wie bei Erwachsenen ab 21.
Diese Zahlen beziehen sich auf alle Tatvarianten von Kinderpornografie: Besitz, Herstellung und Verbreitung. Wenn es wiederum nur um Verbreitung geht, sind sogar die allermeisten Tatverdächtigen Kinder. Geschieht die Herstellung ohne Verbreitungsabsicht, haben etwa zwei Drittel der Tatverdächtigen das 14. Lebensjahr nicht vollendet, bei Herstellung mit Verbreitungsabsicht sind es sogar 70 %. Gleichzeitig ist dieser Teilbereich einer der am stärksten wachsenden in der PKS, gegenüber dem Vorjahr sind die Fälle um etwa 40 % auf insgesamt 1442 gestiegen.
Auch hier können wir nur die Zahlen sehen und wissen nicht, was im Einzelnen hinter diesen Fällen steht. Aber wenn Kinder als Produzenten von Kinderpornografie verfolgt werden, liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei dieser Kinderpornografie um Inhalte handelt, die sie von sich selber angefertigt haben. Das Gesetz kennt hier keine Ausnahme, übrigens auch dann nicht, wenn diese Bilder durch äußeren Druck entstehen. Bringt ein Erwachsener ein Kind im Rahmen von Cybergrooming dazu, Nacktbilder von sich selber zu erstellen, begeht nicht nur der Erwachsene, sondern auch das Kind eine Straftat. Die Kriminalisierung von Kindern, die sich entweder selber sexuell entdecken oder eigentlich Opfer von Sexualstraftaten sind, ist dabei kein Versehen. Im Rahmen der letzten Gesetzesänderung wurde von einigen Sachverständigen vorgeschlagen, solche Fälle explizit straffrei zu machen, was der Gesetzgeber aber abgelehnt hat.
Auch im Bereich Kindesmissbrauch sind Minderjährige überproportional oft Tatverdächtige. Kinder und Jugendliche unter 18 machen hier zwar „nur“ 30 % aller Tatverdächtigen aus, aber auch hier gilt, dass das Risiko, Tatverdächtiger von Kindesmissbrauch zu werden bei Minderjährigen deutlich erhöht ist. Unter den 14-15-jährigen ist der Anteil der Tatverdächtigen zum Beispiel 9x so hoch, wie bei Erwachsenen ab 21. Gegen fast 800 Kinder unter 14 wurde ermittelt, weil sie sexuelle Handlungen an anderen Kindern vorgenommen haben. Auch hier stellt sich die Frage, wie viele dieser Fälle einvernehmliche sexuelle Handlungen und Experimentieren unter Gleichaltrigen war. Zwar sind Kinder nicht strafmündig und können daher in solchen Fällen auch nicht verurteilt werden. Problematisch sind trotzdem Konstellationen, in denen eine Partei schon 14 ist, die andere aber zum Beispiel noch 12, da der 14-Jährige dann tatsächlich wegen Kindesmissbrauch strafrechtlich verfolgt und verurteilt werden kann. Die Statistik nennt zumindest 795 Tatverdächtige im Alter von 14 oder 15 Jahren, gegen die wegen sexueller Handlungen an Kindern ermittelt wurde. Insgesamt befindet sich etwa jeder siebte Tatverdächtige in dem Deliktbereich in dieser kritischen Altersspanne.
Zum Abschluss möchte ich mir noch einen Hinweis erlauben. Immer mal wieder liebäugeln Vertreter unserer zukünftigen Regierungspartei mit dem Gedanken, das Alter für Strafmündigkeit von 14 auf 12 herunterzusetzen. Im Jahr 2024 hätte dies dazu geführt, dass 835 Kindern wegen Kindesmissbrauch, und 3559 Kindern wegen Kinderpornografie strafrechtliche Konsequenzen gedroht hätten. Es mag jeder für sich entscheiden, ob das etwas Erstrebenswertes ist.
Kindersexpuppen und Missbrauchsanleitungen
Interessant sind außerdem die Statistiken zu Kindersexpuppen. Dieses Jahr wurde in insgesamt 58 Fällen gegen 52 Männer und eine Frau wegen Erwerb, Besitz oder Inverkehrbringen von Kindersexpuppen ermittelt. Damit ist die Anzahl der Fälle gegenüber dem Vorjahr um 34,9 % gestiegen, und insgesamt haben sich die Fälle seit der ersten Zählung im Jahr 2022 fast verdoppelt. In diesen Anstieg sollte man allerdings nicht zu viel hineininterpretieren, denn die Anzahl der Fälle ist insgesamt noch so gering, dass sich aus dem Trend nicht wirklich etwas ableiten lässt. Schon ein Zufallsfund kann die Statistik deutlich verzerren, und tatsächlich wurden 2024 alleine bei einer Razzia sieben Kindersexpuppen gefunden, was den Anstieg mit erklären könnte.
Die Anzahl der Fälle von Kindersexpuppen ist insgesamt also nach wie vor verschwindend gering. Ich möchte an dieser Stelle ein paar Vermutungen wagen. Da die Polizei nicht grundlos in Privaträume schauen darf, dürfte sich der Besitz einer Kindersexpuppe recht gut vor der Polizei verstecken lassen. Es erscheint daher plausibel, dass die meisten Kindersexpuppen im Rahmen einer Hausdurchsuchung aufgrund anderer Vorwürfe gefunden werden. Eine Untersuchung von Fällen in Australien, wo der Besitz von Kindersexpuppen ebenfalls verboten ist, scheint diese Vermutung zu bestätigen. Gleichzeitig dürfte es sehr wahrscheinlich sein, dass eine sperrige Kindersexpuppe während einer Hausdurchsuchung aufgrund eines anderen Vorwurfs gefunden wird. Die geringe Anzahl der Fälle kann also als Hinweis gedeutet werden, dass sich die meisten Besitzer:innen von Puppen nicht anderer Straftaten, insbesondere keinem Kindesmissbrauch schuldig machen.
Gucken wir andersherum, in wie vielen Missbrauchsfällen möglicherweise der Besitz einer Puppe überhaupt relevant gewesen sein könnte, ergibt sich ein ziemlich eindeutiges Bild. Wenn wir davon ausgehen, dass gegen jede:n Tatverdächtige auch wegen Missbrauch ermittelt wurde (was sehr unwahrscheinlich ist) und uns auf die von Erwachsenen begangenen Missbrauchsfälle beschränken, dann machen Puppenbesitzer:innen höchstens etwa ein halbes Prozent aller Missbrauchstäter:innen aus. Daraus kann man zwar nicht ableiten, dass Kindersexpuppen die Hemmschwellen für echte Missbrauchshandlungen nicht senken. Aber es zeigt nun im dritten Jahr im Folge, dass in weit über 99 % der Missbrauchsfälle Puppen überhaupt keine Rolle gespielt haben können.
Dasselbe gilt auch für Missbrauchsanleitungen, die im selben Jahr wie auch die Kindersexpuppen unter Strafe gestellt wurden. Hier wurde 2024 nur gegen 16 Männer (und Jungs) sowie sechs Frauen (und Mädchen) wegen Besitz oder Verbreitung ermittelt. Kurioserweise waren unter den Tatverdächtigen auch ein Mädchen im Kindergartenalter (0–5 Jahre) und ein Junge im Vorschulalter (6–7 Jahre). Wie es gehen soll, dass Kinder, die noch nicht einmal lesen können, sich des Besitzes oder der Verbreitung von Missbrauchsanleitungen schuldig machen können, ist ein Mysterium für mich.
Missbrauchshandbücher waren also in den angezeigten Fällen von Kindesmissbrauch im Wesentlichen ebenfalls kein relevanter Faktor. Insgesamt sind Ermittlungen um solche Anleitungen ein derart seltenes Randphänomen, dass fraglich ist, ob sich eine Kriminalisierung eigentlich lohnt. Zum Schutz von Kindern trägt das Verbot jedenfalls kaum bei. Dennoch wird die Kriminalisierung von Kinderschutz-Aktivisten immer wieder als wichtige Maßnahme gegen Kindesmissbrauch gefordert, meist unter der stigmatisierenden und falschen Bezeichnung „Pädophilen-Handbücher“. Dieser Begriff, der wieder einmal Pädophilie mit Missbrauch verbindet, hat es dadurch inzwischen sogar in den Text eines Gesetzentwurfes der EU geschafft.
Insgesamt zeigt sich aber auch dieses Jahr: Wer des Missbrauchs verdächtigt wird, hat vorher nicht von Anleitungen gelernt, und ist auch nicht von Puppen angespornt worden. Die Befürchtung, dass die Benutzung Kindersexpuppen irgendwann zu echten Missbrauch führt, lässt sich damit empirisch in den Daten immer noch nicht bestätigen.
Immer mehr Scheinkindfälle
In den letzten Jahren gibt es immer mehr Gruppen, die sich selber als „Pädojäger“ inszenieren, sodass inzwischen schon von einem globalen Trend gesprochen werden kann. Das Vorgehen dieser Gruppen ist eigentlich immer recht ähnlich: Sie geben sich online als minderjährig aus, schreiben mit Menschen, die (vermeintlich) ein sexuelles Interesse an ihnen äußern, und locken sie dann zu einem Treffen. Die Gruppen unterscheiden sich allerdings daran, was bei diesem Treffen am Ende geschieht: während einige Gruppen die Menschen, die ihnen in die Falle gehen lediglich der Polizei übergeben, machen andere ein Social-Media-Spektakel für Tausende Zuschauer:innen daraus, und wieder andere üben brutale Selbstjustiz bis hin zu Mord aus.
In Deutschland wurde dieses Vorgehen wesentlich durch eine Gesetzesverschärfung ermöglicht und legitimiert, die sogenannte „Scheinkindkonstellationen“ unter Strafe stellt. Das sind Konstellationen, bei denen gar keine Kinder involviert sind, sondern nur eine Partei glaubt, mit einem Kind zu interagieren, hinter dem sich aber ein Erwachsener verbirgt. Da es sich dabei um eigene Straftatvarianten handelt, können wir in der PKS nachvollziehen, wie sich die Fallzahlen in den letzten Jahren entwickelt haben.
Aufgeschlüsselt sind diese Fälle in der PKS unter den Titeln Versuch des sexuellen Missbrauchs von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind und Versuch der Vorbereitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Und tatsächlich ist hier ein Trend zu beobachten: während 2022 noch 222 Fälle angezeigt wurden, waren es ein Jahr später schon 303, und in der aktuellen PKS 394 Fälle. Das ist ein Anstieg von fast 80 % innerhalb von zwei Jahren. Dieser Anstieg fand parallel zu der zunehmenden Verbreitung sogenannter „Pädojäger“-Gruppen statt.
Nun kennen wir auch hier keine Hintergründe zu den Fällen und können daher nicht wissen, ob all diese Fälle wirklich auf solche „Pädojäger“-Gruppen zurückgehen, und nicht etwa aus anderen Umständen resultieren. Wenn wir aber einmal annehmen, dass die Fälle tatsächlich zum Großteil auf das Konto von Privatmenschen gehen, die in ihrer Freizeit solche Scheinkindkonstellationen herstellen, scheint das auf den ersten Blick für diese Gruppen und ihre Erfolge zu sprechen.
Zu beachten ist hier allerdings, dass die PKS die Anzahl der polizeilich registrierten Tatverdächtigen auflistet, und nicht die der Täter:innen. Das ist auch der Grund, warum überhaupt Kinder in der PKS vorkommen, obwohl diese mangels Strafmündigkeit gar nicht verurteilt werden können. Die PKS misst eben nicht die tatsächliche Kriminalität, und es geht aus der Statistik nicht hervor, wie viele der Tatverdächtigen am Ende auch verurteilt werden. Wird ein Tatverdächtiger zum Beispiel aufgrund eines Mangels an Beweisen vor Gericht freigesprochen, ist er in der PKS immer noch als Tatverdächtiger gelistet. Dies ist besonders erwähnenswert, da die Aktionen der Pädojäger oftmals vor allem auf Öffentlichkeitswirksamkeit ausgerichtet sind und die laienhaft gesammelten Beweise vor Gericht häufig nicht verwertbar sind, oder für eine Verurteilung nicht ausreichen.
Davon abgesehen ist es mehr als fragwürdig, ob Täter:innen in solchen Scheinkindkonstellationen, die auf die Fallen von „Pädojäger“-Gruppen hereinfallen sich tatsächlich auch je gegen echte Kinder strafbar gemacht hätten. Man kann die Statistik nämlich auch so deuten: hier wurde mit den Scheinkindkonstellationen ein ganzer stark wachsender Deliktbereich für Hobbydetektive geschaffen, der Polizeiressourcen bindet, die nun immer mehr für den Schutz echter Kinder fehlen.
Dazu kommt, dass auch in diesen Deliktbereich ein großer Anteil der Tatverdächtigen Kinder oder Jugendliche sind. Ungefähr 10 % der Tatverdächtigen bei solchen Scheinkindkonstellationen sind selber minderjährig. Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass sich die Handlungen der „Pädojäger“ in einigen Fällen gar gegen Kinder und Jugendliche richten, die glauben, mit etwa gleichaltrigen zu schreiben.
Fazit
Die Kriminalstatistik ist keine objektive Messung der Kriminalität, sondern eine Messung der Arbeit der Ermittlungsbehörden. Unter dem Aspekt ist es besonders erschreckend, dass in dieser Arbeit Kinder und Jugendliche sehr oft nicht als Opfer, sondern als Tatverdächtige vorkommen, und einzelne Kriminalitätsbereiche, insbesondere die Herstellung von Kinderpornografie, regelrecht eine Kriminalitätsdomäne von Kindern sind.
Die PKS wird jedes Jahr gerne zur Rechtfertigung politischer Forderungen instrumentalisiert. Vor allem im Bereich Kinderpornografie hat sich in den letzten Jahren eine Art Feedback-Loop gebildet: hohe Fallzahlen werden genutzt, um härtere Strafen zu fordern, die wiederum zu mehr aufgezeichneten Fällen führen, mit denen noch höhere Strafen gefordert werden, und so weiter. Dieses Jahr sind die Zahlen erstmals gesunken, das bedeutet aber keineswegs, dass wir nun Lockerungen der Gesetze erwartet können. Einerseits wurde in der sehr einseitigen Berichterstattung die Senkung der Fallzahlen weitestgehend verschwiegen, und andererseits können auch fallende Zahlen genutzt werden um zu argumentieren, dass der bisherige Ansatz funktioniert und (in Form von härteren Strafen) fortgeführt werden muss. Für die politische Instrumentalisierung ist es eigentlich egal, ob die Zahlen steigen oder fallen, wer Gesetze verschärfen möchte, findet einen Weg, die Notwendigkeit einer Verschärfung irgendwie aus der PKS abzuleiten. Leidtragende sind, wie die PKS jedes Jahr zeigt, vor allem Kinder und Jugendliche, die inzwischen fast die Hälfte aller Tatverdächtigen ausmachen, gegen die ermittelt wird.
Viele gerne wiederholte Narrativen wiederum lassen sich mit Blick auf die Kriminalstatistik wiederum kaum halten. So behaupten Ermittlungsbehörden oft, aufgrund der Verbreitung von Technologien wie Verschlüsselung viele Fälle von Kinderpornografie und Kindesmissbrauch nicht aufklären zu können, und fordern darauf aufbauend mehr Befugnisse für sich und Einschnitte in die Grundrechte der Bürger:innen. Dass dem nicht so ist, zeigt ein Blick auf die hohen Aufklärungsquoten in dem Deliktbereich, die schon seit Jahren konstant weit über dem allgemeinen Bundesdurchschnitt liegen. Auch die Darstellung, dass etwa das Verbot von Missbrauchsanleitungen, meist stigmatisierend als „Pädophilen-Handbücher“ bezeichnet, dringend notwendig war, um Kinder zu schützen, lässt sich anhand der verschwindend geringen Fallzahlen nicht halten. Ebenso ist die Behauptung, dass Kindersexpuppen zu realen Missbrauch führen, auch dieses Jahr nicht von den Daten der PKS gedeckt.
Wenn die PKS aber eines zeigt, dann dass wir dringend eine Lösung dafür brauchen, dass so überproportional viele Kinder und Jugendliche als Tatverdächtige in das Visier der Polizei geraten. Polizeiliche Abschreckungskampagnen, die Minderjährigen Angst einjagen sollen, die einvernehmliches Sexting ausprobieren wollen, reichen einfach nicht.