Nachdem Sirius schon im September vergangenen Jahres meinen Artikel angekündigt hat, will ich diesen nun endlich veröffentlichen. Ich will hierin herausarbeiten, warum die Empfehlung der Unabhängigen Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), den Begriff ’Pädosexualität’ statt ’Pädophilie’ zu verwenden, unsinnig ist.
Die UBSKM schreibt auf ihrer Website bei der Definition der Begriffe Pädophilie und Pädosexualität das Folgende: ”In den Sozialwissenschaften ist der medizinische Begriff Pädophilie umstritten, weil ’-philie’ (griech.) Liebe bedeutet. Als angemessener gilt der Begriff Pädosexualität, weil er das sexuelle Begehren in den Vordergrund rückt.” Die UBSKM empfehle die Nutzung des Begriffs ’Pädosexualität’ statt des Begriffs ’Pädophilie’.
Ich halte diese Empfehlung für widersinnig, aus unterschiedlichen Gründen.
Zunächst finde ich es schwierig, wie die romantische Anziehung, die ein zentraler Teil der Pädophilie ist, in der Wissenschaft allgemein und hier im spezifischen durch die Wortwahl ignoriert wird. Bei einigen Pädophilen, mich eingeschlossen, ist dieser Teil für das eigene Empfinden bedeutender als der sexuelle Anteil der Pädophilie. Der Begriff ’Pädosexualität’ wird vollkommen ad absurdum geführt, wenn man bedenkt, dass es auch asexuelle Pädophile gibt. Folgt man der Empfehlung der UBSKM, wäre eine solche Person ein ’asexueller Pädosexueller’ und damit ein lebendes Oxymoron.
Doch selbst wenn man diese romantische Anziehung komplett ignoriert, ist die Argumentation der UBSKM in sich nicht schlüssig. So verbinde ich die Endung ’-sexualität’ eher mit Hetero- und Homosexualität als mit einer rein sexuellen Beziehung. Niemand würde behaupten, dass Homosexualität nichts mit Liebe zu tun hätte. Eine solche Aussage würde aus der Schwulen- und Lesbencommunity aufs schärfste kritisiert werden, und das zu Recht. Rückt man nun durch Nutzung des Wortes ’Pädosexualität’ gedanklich in die Nähe der ’normalen’ Sexualitäten, so rückt man sie auch näher an die (sexuelle) Liebe, deutlich näher als durch das Verwenden des Begriffs ”Pädophilie”, da für viele Laien die genaue Bedeutung der Endung ’-philie’ unbekannt sein dürfte. Damit ist aus meiner Sicht der Grund für die Nutzung dieses anderen Wortes für dieselbe Sache hinfällig. Will man trotz der Bedeutung der romantischen Anziehung für Pädophile das ’sexuelle Begehren’ in den Vordergrund rücken, so sollte man hierfür ein weiteres Wort einführen.
Dies führt uns zur nächsten Problematik: die vielen Wörter im begrifflichen Umfeld der Pädophilie mit unklarer Definition. Oft gibt es Wörter mit unterschiedlichen Definitionen oder mehrere Wörter für ein und dasselbe Phänomen. Die UBSKM ist sich durchaus im Klaren darüber, dass der Begriff ’Pädophilie’ in der Medizin für die sexuelle und / oder romantische Anziehung Erwachsener zu präpubertären Kindern verwendet wird. Dadurch verschärft die Beauftragte die genannte Problematik. In diesem Fall handelt es sich jedoch nicht nur um einen anderen Begriff für ein Phänomen, das bereits von einem anderen Wort erfasst wird, sondern um einen Begriff, der von manchen Medizinern in einem anderen Zusammenhang bereits verwendet wird. Mit 'Pädosexualität' werden dort sexuelle Handlungen eines Erwachsenen vor, an oder mit einem (vorpubertären) Kind bezeichnet, also Fälle von dediziertem Kindesmissbrauch. Dass es problematisch ist, wenn zwei Personen das gleiche Wort nutzen und die eine Person sexuellen Kindesmissbrauch meint, während die andere die bloße sexuelle und romantische Anziehung Erwachsener zu Kindern meint, sollte jedem verständlich sein. Hier kann es zu gefährlichen Missverständnissen kommen. Gerade wenn man berücksichtigt, dass sowohl die UBSKM und Mediziner*innen und Psycholog*innen, die im Umfeld der Pädophilie forschen und arbeiten, von einem besseren Kinderschutz angetrieben werden, dann sind diese Missverständnisse und Ungenauigkeiten um so tragischer, insbesondere, da sie sich vergleichsweise einfach vermeiden lassen. Bei einem Thema von so hoher Bedeutung wie dem Kinderschutz kann man sich dies aus meiner Sicht nicht leisten. In der exakten Wissenschaft, gerade wenn so viel auf dem Spiel steht, ist eine exakte Sprache von höchster Bedeutung. Ist man sich über die Bedeutung von Wörtern nicht einig, fällt das Gerüst der Fachsprache in sich zusammen. Das erschwert es, Erkenntnisse so zu kommunizieren, dass Missverständnisse vermieden werden und macht die Zusammenarbeit zwischen einzelnen Wissenschaftlern über Fachgrenzen hinweg deutlich komplizierter und erschwert damit sowohl den Kinderschutz als auch einen vernünftigen Umgang mit der Pädophilie.