Titelbild zu Kriminell ja, aber auch Pädo?
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Heterokrimineller kommt um Sicherungsverwahrung herum

Ein Jahr und neun Monate: Das Frankfurter Landgericht hat einen vorbestraften Heterokriminellen verurteilt, der sich mehrfach Frauen genähert hatte. Eine Sicherungsverwahrung ordneten die Richter nicht an.

Festnahmen bei Razzia gegen Heterokriminalität in Frankreich

Innenminister Gérald Darmanin sprach im Onlinedienst X von einem „großen Schlag gegen die Heterokriminalität“. Nach seinen Angaben dauern die Ermittlungen weiter an. Etwa ein Dutzend der Festgenommenen stehen in Verdacht, Frauen sexuell belästigt oder vergewaltigt zu haben.

Schweizer Polizei enttarnt weltweit 2200 Heterokriminelle

Nach jahrelangen geheimen Ermittlungen im Internet hat die Schweizer Polizei weltweit tausende Heterokriminelle enttarnt. Dank der Operation „Ninja Turtle“ konnten mehr als 2200 Verdächtige unter anderem in der Schweiz, in Kroatien, Brasilien, Frankreich, Peru, Rumänien und Spanien festgenommen werden, wie die Polizei am Dienstag mitteilte. Einige davon hätten selbst Frauen misshandelt.

Diese Schlagzeilen klingen irgendwie absurd, oder?

Das liegt vor allem daran, dass ich sie frei erfunden habe. Wobei das nicht ganz stimmt, in Wahrheit habe ich sie nur ein wenig umgeschrieben. Im Original lauteten die Schlagzeilen nämlich so:

Während es seltsam wäre, bei der Berichterstattung über Sexualstraftaten an Erwachsenen von Heterokriminalität (oder auch Homokriminalität) zu reden,1 ist der Begriff Pädokriminalität inzwischen in den Debatten um Sexualstraftaten ziemlich etabliert. Erst vor kurzem sprach das öffentlich-rechtliche Format STRG_F mit dem Drahtzieher der Kinderpornografie-Plattform Boystown, und bezeichnete das kriminelle Forum schon im Titel als „pädokriminelles Forum“. Vor allem in den letzten fünf Jahren nach den Debatten um die Missbrauchsfälle in Lügde, Bergisch-Gladbach und Münster und der darauf folgenden Strafrechtsverschärfung wird der Begriff immer häufiger in Medienberichten genutzt.

Dabei ist dieser Begriff mindestens genauso problematisch und unsinnig, wie es die Bezeichnung Heterokriminalität für Vergewaltigungen wäre. Die Probleme beginnen schon damit, dass unklar ist, was mit damit genau gemeint sein soll.

Was bedeutet Pädokriminalität überhaupt?

Es ist nicht genau herauszufinden, wo das Wort ursprünglich herkam. Ein Telepolis-Artikel aus dem Jahr 2009 schreibt den Begriff den Kinderschutzvereinen Carechild und Innocence in Danger zu, und dessen frühe Popularisierung der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen. Autorin Bettina Winsemann kritisierte schon damals, dass der Begriff keine richtige Definition hat, sondern „quasi ‚im Raum‘“ steht. Daran hat sich auch heute, 15 Jahre später nichts geändert. Noch nicht einmal der Duden kennt das Wort.

Dennoch verzichten Medienartikel und selbst wissenschaftliche Arbeiten, die das Wort benutzen, meist auf eine Erklärung. Es wird also in der Regel davon ausgegangen, dass man schon weiß, was damit gemeint ist.

Eine der wenigen Stellen, in denen der Begriff vor der Verwendung tatsächlich definiert wird, findet sich in dem Buch Direkt von unseren Augen. Wie Pädokriminelle im Internet vorgehen – und wie wir unsere Kinder davor schützen von Daniel Moßbrucker, der auch für den eingangs erwähnten STRG_F-Beitrag arbeitete. Dort heißt es (auf Seiten 36f.):

[Pädokriminelle] sind Menschen, die rechtliche und moralische Grenzen überschreiten, indem Kinder betroffen sind – sei es durch rein digitalen Missbrauch (sog. hands-off) oder realen körperlichen Missbrauch (hands-on). Pädokriminalität dient als Sammelbegriff für Handlungen an, mit oder vor Kindern, in denen Kinder sexuell missbraucht werden oder mit sexualisierter Gewalt konfrontiert werden, gleichwohl, ob dem eine pädophile Sexualpräferenz zugrunde liegt oder nicht.

Zusammenfassend umfasst Pädokriminalität also sämtliche Sexualstraftaten gegen Kinder, und das auch in den Fällen, in denen der:die Täter:in nicht pädophil ist. Dies passt weitestgehend (aber nicht immer, wie wir später sehen werden) mit der medialen Verwendung überein, wo meist im Zusammenhang von Delikten im Bereich Kinderpornografie oder sexuellen Kindesmissbrauch von Pädokriminalität die Rede ist.

Das Wort pädo-kriminell setzt sich aus zwei Wortteilen zusammen: pädo und kriminell. Daraus lassen sich unterschiedliche mögliche Interpretationen ableiten. Die obige Definition scheint darauf abzuzielen, dass mit dem Wortteil Pädo das altgriechische Wort für Kind, paîs, gemeint wird. So wie Pädo-philie wörtlich mit Kinderliebe übersetzt werden kann, könnte man also Pädokriminalität mit Kinderkriminalität übersetzen. Eigentlich müsste nach dieser Leseart Pädokriminalität zwar durch Kinder, und nicht an Kindern begangene Straftaten bedeuten, aber übergehen wir dieses Detail für den Moment.

Das größere Problem ist, dass in dieser Interpretation Pädokriminalität eigentlich für alle Formen von Straftaten stehen müsste, die gegen Kinder verübt werden, also zum Beispiel auch Vernachlässigung oder körperliche Gewalt. Benutzt wird das Wort aber ausschließlich im Kontext einer bestimmten Kategorie von Kriminalität, nämlich Sexualstraftaten. Daraus lassen sich wiederum zwei mögliche Schlussfolgerungen ableiten. Entweder werden alle Formen von Kriminalität gegen Kinder, die keinen sexuellen Bezug haben, als zweitrangig und im Grunde vernachlässigbar gesehen, so als verdienen sie kaum die Klassifikation als Form von Kriminalität. Oder die Argumentation, dass mit dem Pädo in Pädokriminalität Kinder gemeint sind, ist nur vorgeschoben, und es soll eigentlich eine ganz andere Assoziation geweckt werden.

Von Pädokriminalität zu sprechen ist stigmatisierend

Die zweite mögliche Interpretation des Begriffs versteht den Wortteil Pädo nicht als Kind, sondern als Kurzform von pädophil. In dieser Leseart würde Pädokriminalität also von Pädophilen begangene Straftaten bedeuten. Auch hier geht es offensichtlich nicht allgemein um Straftaten – pädokriminell ist nicht der Ladendieb, der zufällig auch pädophil ist – sondern wieder nur um Sexualstraftaten gegen Kinder.

Nach Moßbruckers Definition können Pädokriminelle auch Straftäter sein, die nicht pädophil sind – was gerade im Bereich Kindesmissbrauch die Mehrheit ist. Ich halte das für vorgeschoben und behaupte, dass bei dem Wort die meisten Menschen nicht an altgriechische Vokabeln denken, sondern an Pädophilie, und das Wort mit „pädophile Kriminelle“ übersetzen. Pädokriminelle, die nicht pädophil sein sollen, dürfte vielen wie ein Oxymoron vorkommen. Moßbrucker selbst scheint nicht so ganz an seine eigene Definition zu glauben, wenn er später im Buch schreibt, dass Pädokriminelle oft „zusätzlich zu ihrer Neigung zu Kindern“ auch Fetischisten seien, und damit doch selber wieder impliziert, dass alle Pädokriminelle auch pädophil seien.

Dadurch trägt der Begriff weiter dazu bei, die Konzepte Pädophilie und Missbrauch zu verwischen und gleichzustellen. Davor warnte Bettina Winsemann bei Telepolis schon vor 14 Jahren:

Um jemanden zu beschreiben, der straffällig geworden ist, ist es aber nicht notwendig, seine sexuelle Präferenz in den Begriff des Kriminellen mit einzubeziehen. Zum anderen wird hier erneut durch den Begriff allein dafür gesorgt, dass sexuelle Gewalt gegenüber Kindern automatisch mit Pädophilie gleichgesetzt wird. Somit werden nicht nur Pädophile bereits verunglimpft, ohne dass sie sich etwas haben zu Schulden kommen lassen, es wird auch ausgeblendet, dass sexuelle Gewalt an Kindern aus den verschiedensten Gründen heraus entsteht.

Besonders entlarvend ist außerdem, dass Pädokriminalität eben nicht für alle Formen von Kriminalität steht, sondern sehr spezifisch nur für Sexualstraftaten gegen Kinder. Der Begriff ist intuitiv also ohne weitere Erklärung überhaupt nur verständlich, wenn er vor dem stigmatisierenden Vorurteil gedacht wird, dass Pädophilie und Sexualstraftaten gegen Kinder im Prinzip gleichbedeutend seien. Pädokriminalität bedeutet demnach Straftaten, die laut diesem Vorurteil eben üblicherweise von Pädophilen begangen werden. Dies zeigt, dass die Stigmatisierung von Pädophilen tief in der DNA dieses Begriffs verwurzelt ist.

Das dürfte auch der Grund sein, warum es im Vergleich dazu so absurd wirkt, von Hetero- oder Homokriminalität zu sprechen. Nicht, weil diese Begriffe weniger Sinn ergeben würden als Pädokriminalität, sondern weil Hetero- und Homosexualität weniger stark stigmatisiert und mit Sexualverbrechen in Verbindung gebracht werden, und damit ein Stigma im Hintergrund als Bindeglied fehlt, das den Begriffen überhaupt eine scheinbare Sinnhaftigkeit verleihen würde.

Insbesondere öffentlich-rechtliche Medien haben in letzter Zeit das Wort für sich entdeckt, von ARTE bis hin zur Tagesschau. Dabei handelt es sich um Medien, die journalistische Grundsätze tendenziell eher berücksichtigen und daher in der Berichterstattung oft (wenn auch nicht immer) darauf verzichten, von Pädophilen zu sprechen, wenn eigentlich Straftäter gemeint sind. Das Wort Pädokriminalität gibt diesen Medien nun die Möglichkeit, einen Begriff zu nutzen, der eine Assoziation zu Pädophilie herstellt, und gleichzeitig zu behaupten sich journalistisch korrekt zu verhalten, da sie ja nicht direkt von Pädophilie reden. Aus der ersten Freude, dass die Medien bei der Berichterstattung über Straftaten nun statt Pädophilie einen anderen Begriff verwenden muss daher die Ernüchterung folgen, dass dieser Begriff ihnen gleichzeitig eine Ausrede gibt, das Wortfragment Pädo deutlich häufiger in ihre Kriminalberichterstattung einzubauen.

Mehr als nur Kriminalität

In Moßbruckers Definition heißt es, Pädokriminelle sind Menschen, die „rechtliche und moralische Grenzen überschreiten“. Schaut man darauf, wie der Begriff in der Realität verwendet wird, wäre es treffender zu sagen, dass damit Menschen gemeint sind, die rechtliche oder moralische Grenzen überschreiten. Immer öfter wird mit Pädokriminalität nämlich auch Verhalten bezeichnet, das gar nicht strafbar ist.

Besonders populär sind aktuell Erzählungen von Pädokriminellen, die harmlose Kinderbilder aus sozialen Medien „klauen“ würden.2 Auch Menschen, die sich solche Bilder lediglich anschauen, werden dabei als Pädokriminelle bezeichnet. Moßbrucker zum Beispiel nennt in seinem Buch Menschen pädokriminell, die sich Bilder anschauen, die er selber als „harmlos“ und „unverfänglich“ beschreibt. Hier ist festzustellen, ganz egal was für Gefühle man persönlich dazu hat, dass das Betrachten legaler Kinderfotos keine Straftat ist und es sich um keine Form von Kriminalität handelt.3 Auch das ausdrücklich legale Jungsforum, das Moßbrucker mit voller Adresse nennt, bezeichnet er in seinem Buch als Plattform für Pädokriminelle.4

Dadurch werden sich völlig legal verhaltende Menschen auf eine Stufe mit Straftätern gestellt und sprachlich auch ganz direkt so bezeichnet. Maßstab, ob jemand als pädokriminell gilt oder nicht, scheint weniger das Gesetz, sondern individuelles moralisches Empfinden zu sein. Für Pädophile wiederum kann die Botschaft nur sein, dass noch nicht einmal legales Verhalten davor bewahrt, öffentlichkeitswirksam in den Medien als Krimineller bezeichnet zu werden.

Das Kind beim Namen nennen

Der Begriff Pädokriminalität gesellt sich zu dem ähnlich problematischen Begriff der Pädosexualität (den Hinindil demnächst genauer betrachten möchte) als Bezeichnung für Sexualstraftaten an Kindern, die über den Pädo- Präfix eine Verbindung zu Pädophilie herstellen. Anstatt sauber zu differenzieren und zwischen Pädophilie und Missbrauch zu unterscheiden, wird durch diesen Wald an Begriffen, der inzwischen selbst für Fachleute nicht mehr einfach zu durchblicken ist, die Situation noch weiter verwaschen und unklar gemacht. Unterm Strich bleibt dabei meistens hängen, dass Pädophilie gleich Missbrauch ist.

Das ist nicht zuletzt auch für die Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder kontraproduktiv. Durch die Implikation, diese Taten werden vor allem von Pädophilen begangen, wird der Großteil der von nicht-pädophilen Täter:innen begangenen Taten verharmlost und aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt. Bei nicht-pädophilen Menschen, die sich bereits übergriffig gegenüber Kindern verhalten haben, wird der Schritt zur selbstkritischen Auseinandersetzung mit ihren Taten erschwert. Denn sie sind ja nicht pädophil, wie sollten sie da pädokriminell sein können? Gleichzeitig wird Aufklärung und Prävention behindert, indem der falsche Mythos aufrechterhalten wird, sexualisierte Gewalt sei wesentlich durch sexuelle Präferenzen motiviert.

Dabei gibt es wirklich zahlreiche bessere Alternativen als Bezeichnung für Sexualstraftaten gegen Kinder, die präzise beschreiben, worum es geht und den Fokus auf die Tat und nicht auf die vermutete Sexualität des:der Täter:in legt: Kindesmissbrauch, Kinderpornografie, sexuelle bzw. sexualisierte Gewalt gegen Kinder, Kindesmissbrauchsabbildungen, Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder, um nur einige zu nennen. Gegenüber Moßbrucker habe ich diese Alternativen als Vorschlag auch erwähnt, den er immerhin in einem Satz erwähnt, um ihn dann ohne Begründung für den Rest des Buches zu ignorieren. Der Wunsch unter Medienschaffenden, bei der Diskussion dieses Themenbereichs die Silben pädo noch irgendwie hineinzuquetschen, scheint wohl einfach zu groß zu sein.


  1. Eine Websuche nach den Begriffen liefert fast nur Ergebnisse, die über diese Begriffe argumentieren, dass es unsinnig ist von Pädokriminalität zu reden. Und ich dachte, ich wäre originell. 

  2. Auch das Reden von „klauen“ ist aus meiner Sicht fragwürdig. Klauen legt nahe, dass jemanden etwas weggenommen wird, was er dann nicht mehr hat. Wer aber ein für ihn frei verfügbares Bild herunterlädt, „klaut“ mitnichten etwas, schließlich bleibt das ursprüngliche Bild erhalten. Das Hochladen an anderer Stelle kann eine Verletzung des Urheberrechts oder des Rechts am eigenen Bild darstellen, ist aber auch keine Form von Diebstahl. 

  3. Sind wir wirklich soweit gekommen, dass ich ernsthaft argumentieren muss, dass legales Verhalten keine Straftat ist? 

  4. Das Jungsforum ist aus diversen anderen Gründen problematisch, aber eben nicht illegal. 

CC BY-SA

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Sirius

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Mein Name hier ist Sirius – angelehnt an den Doppelstern im Großen Hund. Ich bin etwa Anfang 30, und studierter Informatiker. Seit meiner Jugend weiß ich, dass ich mich zu Kindern besonders hingezogen fühle. Und auch wenn der Umgang damit nicht immer einfach war, so hat es mich doch auch unter anderem zu meinem Rotkäppchen geführt, mit der ich in einer glücklichen Beziehung lebe. In meiner Freizeit versuche ich einen Beitrag zur Aufklärung über Pädophilie zu leisten, mache gerne Musik und verzweifle gelegentlich an der Gesellschaft.

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Eine kleine Anekdote zum Thema Frauen: selbst Krafft-Ebing hat schon 1886 in seiner Psychopathia sexualis erkannt, dass „diese Paedophilia erotica auch beim Weibe vorkommt“. Er beschrieb dort unter anderem den Fall einer exklusiv pädophilen jungen Frau, bei der der bloße Anblick eines Kindes, in das sie sich verliebt hatte ausreichte, um sie zum Orgasmus (inklusive Ejakulation) zu bringen. Knapp 150 Jahre später erzählen uns jetzt anerkannte Experten wie Schiltz, Beier oder Graf, dass es angeblich keine pädophilen Frauen (zumindest in relevanter Anzahl) geben würde. Manchmal fühlt es sich so an, als ob sich im Bereich Pädophilie die Entwicklung und der Wissensstand sei Jahrzehnten rückwärts entwickelt.
Der satz "(im Sinne einer Löschung sexueller Fantasien) " ist schon heftig. Wirklich erstaunlich wie man einfach so gelassen in einer Klammer, die Manipulation der Gedankenwelt fordert. Die Gedankenfreiheit ist eines der zentralen Menschenrechte, denn sonst sind wir nur wandelnde Fleischhaufen...
Danke für die sachliche Kritik, ich versuche mal auf die einzelnen Punkte zu antworten. Einen Titel wie "Pädophilie – Wenn Sexualität Opfer schafft" verstehe ich zunächst als sachlich korrekt, da eine mit Kindern ausgelebte Pädosexualität Verbrechen ist und Opfer schafft. Ich empfinde das ehrlich gesagt so ein wenig als Wortklauberei. Sexualität ist eigentlich mehr als nur das Sexualverhalten, sondern beschreibt die Gesamtheit des sexuellen Verhaltens, aber auch der sexuellen Präferenzen und der sexuellen Identität einer Person. Unter der Interpretation kann man Pädophilie durchaus als Sexualität verstehen, und ich bin der Meinung, dass der Titel diese Interpretation auch nahe legt. Aber auch wenn wir sagen, dass Sexualität nur das Verhalten beschreibt, wird durch den Titel eine enge Verbindung nahe gelegt. Es wird eben nicht differenziert, sondern impliziert, dass das Schaffen von Opfern eine wesentliche Eigenschaft der Pädophilie ist. Eine Kinderleiche am See ist sicher viel abstrakter als das, was Eltern über Pädos eingetrichtert wird. Aber das ist doch genau das Schlimme: Das es für viele Eltern schwieriger ist, sich mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, dass jemand in Gedanken ihr Kind sexuell begehrenswert finden könnte, als mit dem Gedanken, dass ihr Kind als Leiche im See enden könnte. Dass die bloße Existenz von Pädophilen als schwieriger zu Verdauen gilt als selbst schlimmste Gewalttaten an Kindern, zeigt, wie krank, hysterisch und verzerrt die Diskussionen zu dem Thema eigentlich inzwischen geworden sind. Sein letzter Satz den dein Zitat leider auslässt (warum?) dreht wieder die sachliche Aussage: Pädophilie allein hat keinen (oder weniger) Krankheitswert. Es stimmt, dass er mit dem letzten Satz seine Aussage ein Stück weit wieder relativiert. Dennoch, die vorigen, von mir zitierten Sätze beantworten die Frage eigentlich relativ klar: Pädophilie gilt „unter Medizinern“ als eine „abnorme Sexualpräferenz“, die schon „einen gewissen Krankheitswert hat“. Mal abgesehen davon, dass er damit einen wissenschaftlichen Konsens zu der Frage impliziert, den es so schlicht nicht gibt, verstehe ich in dem Zusammenhang den letzten Satz eher so, dass die Handlungen lediglich beeinflussen, wie krank ein Pädophiler wirklich ist, aber nicht, ob ein Pädophiler grundsätzlich krank ist. Ich habe das Zitat um den letzten Satz dennoch einmal ergänzt, da ich durchaus sehen kann, dass er die Interpretation der Aussagen beeinflussen kann. Das Zitat in deinem Text bezieht diese Reizkontrolle wiederholt klar auf - Straftäter, nicht auf non-offender - Tätigkeiten, die klar über normalen privaten Umgang mit Kindern hinausgehen […] Deine ganze weitere Argumentation zu diesem Punkt stützt sich auf diesen Strohmann, Schiltz habe explizit nicht-Täter eingeschlossen und die individuelle Betrachtung voll verneint ("Situationen mit Kindern grundsätzlich zu vermeiden"). Ich habe in die Stelle im Podcast reingehört und kann diese Interpretation irgendwie nicht nachvollziehen. Ich denke schon, dass sich die Aussagen von Schiltz zur Vermeidung von Kinderkontakt allgemein auf Pädophile beziehen: Die Frage war ganz klar, ob „Vermeidung im Umgang mit Kindern“ allgemein eine gute Strategie für Pädophile sei, und nicht nur auf Straftäter beschränkt. Und Schiltz' Antwort war ebenso klar und eindeutig: „Das ist eine sehr gute Strategie.“ Er sagt: „Wir machen das [Vermeidung von Kinderkontakt] auch, wenn wir mit bereits straffälligen Personen arbeiten“. Das zeigt, dass er in seiner Antwort über nicht straffällige Personen redet und die Strategien, die er Straftätern vermittelt auch für nicht-straffällige Pädophile anwenden will. Dazu kommt, dass seine Antwort jegliche Differenzierung vermissen lässt. Er sagt nicht „es kommt drauf an, wie es der Person im Umgang geht“ oder „es kommt drauf an, ob sich die Person im Umgang mit Kindern vernünftig verhält“. Nein, stattdessen: Vermeidung im Umgang mit Kindern ist immer eine „sehr gute Strategie“, Punkt. Die Beispiele, die er nennt, resultieren eher aus einem Unvermögen sich vorzustellen, dass Pädophile auch die Nähe von Kindern suchen können, ohne sich creepy zu verhalten oder die Kinder zur sexuellen Erregung zu instrumentalisieren.
Ach Sirius, ich weiß immer nicht so recht wie ich damit umgehen soll: ich sehe mich wiederholt in der ziemlich unangenehmen Lage, zwar im Grunde mit dir übereinzustimmen aber einige deiner Argumente daneben oder unausgegoren zu finden. Leicht anbgreifbar eben. Ich schneide hier mal nur vier dieser Punkte an: Der Titel: Wenn man auf der Trennung von Verhalten und Neigung bestehst dann finde ich, muss man das auch den Journalisten zugestehen: Pädophilie ist eben keine Sexualität (Handlungsweise) sondern eine sexuelle Präferenz. Einen Titel wie "Pädophilie – Wenn Sexualität Opfer schafft" verstehe ich zunächst als sachlich korrekt, da eine mit Kindern ausgelebte Pädosexualität Verbrechen ist und Opfer schafft. Bösartig ist der Titel ganz klar dennoch, da den Journalist*innen einerseits die Wirkung dieses Framings bewusst gewesen sein muss. Und andererseits offenbart der weitere Kontext, dass sie tatsächlich gar nicht sinnvoll differenzieren wie du in deinen Worten zur Einleitung weiter unten gut illustrierst. Eines der schwierigsten Themen Sie sagt "schwierig", nicht "schlimm", wie du sie zitierst und kritisierst. Inwiefern schwierig, das erklären die Moderatoren ja auch gleich indem sie ihre Familien erwähnen: es ist emotional schwierig und das glaube ich Normalos auch. Eine Kinderleiche am See ist sicher viel abstrakter als das, was Eltern über Pädos eingetrichtert wird. Trotzdem stimme ich zu: indem sie die "Schwierigkeit" betonen gewinnen sie keinen Blumentopf sondern reiben das Stigma nochmals stärker rein. Zeigen hier unnötiges Verständnis für ignorante Leute. Allerdings hängt der [Krankheitswert] natürlich auch immer davon ab, inwiefern eine Person nach dieser Neigung handelt. Herr Schiltz finde ich äußert sich hier hörbar vorsichtig. Er zaudert wie nirgends sonst im Interview, hört ihr das auch? Warum frage ich mich. Warum haut er nicht klar raus: "Die Neigung an sich wird schon als "komisch" gesehen aber Krankheitswert hat sie nur, wenn daraus Leiden entsteht bliblablubberklärung"? Sein letzter Satz den dein Zitat leider auslässt (warum?) dreht wieder die sachliche Aussage: Pädophilie allein hat keinen (oder weniger) Krankheitswert. Trotzdem lässt er angebrachte Kritik an der Fragestellung aus, wie ich sie teils von Dr. Ahlers geliebt habe, der oft erstmal die Fragesteller freundlich zusammengefaltet hat bevor er die richtige Frage beantwortete. Sowas hätte ich mir von Schiltz hier auch gewünscht. ich denke das wollte er hier nicht. Und dieser letzte Satz wird nicht das sein, was beim Zuhörer hängenbleibt. Nicht zuletzt, da weder der Grund für die Einordnung als abnormal noch die Abhängigkeit vom Handeln nach der Neigung erläuert wird. Daher bin ich bei der Kritik und den Vergleichen zur Situation Homosexueller wieder voll bei dir. Hier werden Strategien und Behandlungsmethoden, die ursprünglich für die Behandlung von Sexualstraftätern entwickelt wurden und dort vielleicht sogar Sinn ergeben (ich weiß es nicht), eins zu eins auch auf Pädophile angewandt, die nie ein Kind missbraucht haben. Auf diesen Punkt habe ich im Interview sehr geachtet und ich muss widersprechen: Nein das tut er (im Interview) nicht. Das Zitat in deinem Text bezieht diese Reizkontrolle wiederholt klar auf - Straftäter, nicht auf non-offender - Tätigkeiten, die klar über normalen privaten Umgang mit Kindern hinausgehen: "vor einem Schulhof stehen, [...] im Schwimmbad herumhängen und dort Beobachtungen machen." also Kinder beglotzen. Und ob ein Straftäter frei sein sollte, später "im Kindergarten [zu] arbeiten", da kann man durchaus geteilter Meinung drüber sein. - "Reize, die sie in problematische Triebsituationen bringen könnten", wozu auch erläutert wird, das dies hochindividuell sei. Deine ganze weitere Argumentation zu diesem Punkt stützt sich auf diesen Strohmann, Schiltz habe explizit nicht-Täter eingeschlossen und die individuelle Betrachtung voll verneint ("Situationen mit Kindern grundsätzlich zu vermeiden"). Beides ist, finde ich, falsch. Soviel zu den angekündigten 4 Beispielen. Was Pädophilie bei Frauen angeht: Welchen Vorteil bringt es diese Vermutung bei jeder Erwähnung extra zu betonen? , dass es wahrscheinlich nur super wenige gäbe??!? Das regt mich auch ENDLOS auf. Warum? - Entweder es gibt wesentlich mehr pädophile Frauen als die Wissenschaft vermutet. Dann ist das falsch, kontraproduktiv, invalidierend und suuuper schädlich für die Selbstwahrnehmung krass vieler Menschen. - Oder es gibt tatsächlich nur super wenige pädophile Frauen. Dann wär es zwar nicht sachlich falsch aber schädlich und trotzdem kontraproduktiv, dass so darauf herumgeritten wird. - Und die Vermutung einfach auszulassen und es beim "Wir wissen es nicht" mit kurzer neutraler Begründung zu belassen würde nichts von diesem Schaden anrichten. Letzteres wäre neutral und sachlich. Oh, was soll denn eigentlich neutral und sachlich bleiben? Richtig, der Journalismus. Liebes Aktenzeichen-Team: Aufgabe verfehlt.
Derartige Ungenauigkeiten finden sich leider ständig in wissenschaftlichen Artikeln zum Thema. Dennoch erwähnt der Artikel einige, wie ich finde, sehr valide Punkte, allen voran: Es gibt überhaupt keinen Beweis dafür, dass Kein Täter Werden überhaupt hält, was es verspricht. Die Zahlen, die bisher im Projekt veröffentlicht wurden, zeigen, dass es bei Klienten, die Täter sind sehr hohe Rückfallquoten gibt, während einige Nicht-Täter sogar erst im Verlauf der Therapie zu Ersttätern werden. Im Bezug auf das PPJ kritisiert König den Einsatz von Medikamenten, den ich bei Minderjährigen ebenfalls sehr fragwürdig finde.