Vor etwa einem Monat hat das öffentlich-rechtliche Reportageformat STRG_F eine Reportage mit dem Titel Pädokriminelle Foren: Warum löscht niemand die Aufnahmen? veröffentlicht. Um den Inhalt des Videos selber soll es mir hier aber gar nicht gehen, sondern um die Videobeschreibung, welche die Mitarbeiter von STRG_F zu dem Video verfasst haben. In der Beschreibung gehen die Autoren nämlich auch kurz auf Begriffe im Umfeld der Pädophilie ein, und das ist durchaus bemerkenswert und offenbart typische Verwechslungen, die bei dem Thema Pädophilie häufig zu finden sind.

Lesen wir uns die relevanten Passagen erst einmal im Ganzen durch:

Pädophilie bedeutet eine krankhafte Entwicklung der Sexualität, das Ausleben dieser sexuellen Neigung – auch mit Fotos – ist Missbrauch am Kind. Daher sprechen wir bei der realisierten sexuellen Handlung einer erwachsenen Person an einem Kind von Pädosexualität. Die Pädophilie hingegen umfasst eine sexuelle Ausrichtung, die nicht unbedingt dazu führt, dass ein pädosexuelles Verhalten auch aktiv vollzogen wird. Bei Pädosexuellen, die ihre sexuelle Ausrichtung im echten Leben oder virtuell ausleben, sprechen wir von Pädokriminellen.

Wir hoffen, unsere Wortwahl ist so verständlich. Zu bedenken gilt: Einige Pädosexuelle befürworten den Begriff "pädosexuell", da er ihre Sexualität in eine Reihe mit Hetero- oder Homosexualität stellt. Daher lehnen ihn andere auch heftig ab, da der Begriff verharmlose. Sie sprechen dann grundsätzlich nur von Pädokriminellen, da eine sexuelle Handlung mit Minderjährigen grundsätzlich eine Straftat darstellt.

Der Eindruck, den die Beschreibung erwecken soll, ist zunächst vor allem, dass hier ein sorgfältiger und bedachter Umgang mit Begriffen gewählt wurde. Leider scheitern diese kurzen Abschnitte genau an diesem Anspruch, werfen einige Konzepte völlig durcheinander und schaffen damit unterm Strich vor allem Verwirrung und Fehlinformationen über ein Thema, das bereits von Falschvorstellungen dominiert wird.

Gucken wir uns also mal die Sätze der Reihe nach an und überlegen, was damit tatsächlich ausgedrückt wird.

Pädophilie bedeutet eine krankhafte Entwicklung der Sexualität,

Direkt der erste Satz beginnt mit einer Falschinformation und einer subtilen Unterstellung. Pädophilie wird von keinem der aktuell gültigen Diagnosehandbücher grundsätzlich als Krankheit gelistet, und auch wenn theoretisch Ärzte in Deutschland heute noch eine Pädophilie als Krankheit nach ICD-10 diagnostizieren können, so wird dieser bald durch das ICD-11 abgelöst, nach dem Pädophilie nicht mehr als Störung gelistet ist.

Interessant ist hier auch, dass nicht von einer "Krankheit", sondern von einer "krankhafte[n] Entwicklung" die Rede ist. Die subtile Implikation dahinter: man ist nicht pädophil, sondern man wird pädophil – und zwar dann, wenn irgendwo in der persönlichen Entwicklung etwas schiefläuft. Gleich zu Beginn haben wir also eine ziemlich abwertende und beleidigende Charakterisierung von Pädophilen, die an Formulierungen erinnert, welche früher mal im Kontext von Homosexualität geläufig waren.

Direkt der erste Halbsatz lässt also darauf schließen, dass die Journalisten eine voreingenommene negative Haltung gegenüber dem Thema Pädophilie haben, die vor allem durch Vorurteile geprägt zu sein scheint.

das Ausleben dieser sexuellen Neigung – auch mit Fotos – ist Missbrauch am Kind.

Eine Aussage, die – je nachdem, wie man sie genau interpretiert – durchaus fragwürdig ist. Im besten Fall beziehen sich die Autoren hier auf Missbrauchsabbildungen, also Dokumentationen von tatsächlichem Kindesmissbrauch; in dem Fall ist die Aussage zumindest nachvollziehbar. Andernfalls erscheint es mir als ziemlich weit hergeholt zu behaupten, dass etwa die Masturbation zu legalen Kinderbildern aus Werbeprospekten ein "Missbrauch am Kind" ist. Falls dies aber so gemeint sein sollte, verharmlost das wohl eher das Leid von Menschen, die als Kind sexuelle Gewalt erfahren mussten, indem dies auf eine Stufe gestellt wird.

Daher sprechen wir bei der realisierten sexuellen Handlung einer erwachsenen Person an einem Kind von Pädosexualität. Die Pädophilie hingegen umfasst eine sexuelle Ausrichtung, die nicht unbedingt dazu führt, dass ein pädosexuelles Verhalten auch aktiv vollzogen wird.

Hier wird nun der Begriff der Pädosexualität eingeführt, und im Wesentlichen als sexueller Kindesmissbrauch definiert. Wenn wir uns die Definition genau anschauen können wir feststellen, dass damit jeglicher sexueller Kindesmissbrauch gemeint ist. Die meisten Kindesmissbrauchstäter sind nicht pädophil, aber auch diese Fälle würden nach der Definition als Pädosexualität zählen, da über die sexuelle Ausrichtung des Täters keine Aussage gemacht wird.

Die Ausführungen zur Pädophilie wiederum sind an dieser Stelle völlig richtig.

Wichtig: an dieser Stelle wird Pädosexualität als Handlung bzw. als Tat definiert. In Abgrenzung dazu wird die Pädophilie korrekterweise als sexuelle Präferenz charakterisiert. Behalten wir dies im Hinterkopf und schauen uns an, was im Weiteren daraus gemacht wird.

Bei Pädosexuellen, die ihre sexuelle Ausrichtung im echten Leben oder virtuell ausleben, sprechen wir von Pädokriminellen.

Schon im nächsten Satz fangen diese Definitionen an, völlig auseinander zu fallen. Pädosexualität haben wir gerade eben noch als Handlung (Kindesmissbrauch) definiert – ein Pädosexueller wäre nach der Definition jemand, der die Handlung durchführt – sprich: ein Missbrauchstäter.

Trotz dieser Definition von Pädosexualität wird der Begriff hier aber völlig anders verwendet. Die Rede ist hier von Pädosexuellen, die "ihre sexuelle Ausrichtung" ausleben. Wir erinnern uns aber, dass die ursprüngliche Definition des Begriffs in den vorigen Sätzen gar keine Einschränkung über die sexuelle Ausrichtung des Täters getroffen hat – ein Pädosexueller könnte demnach jede beliebige sexuelle Ausrichtung haben.

Stillschweigend wird hier scheinbar der Begriff Pädosexuelle verwendet und dabei das gemeint, was vorher eigentlich in Abgrenzung dazu eingeführt wurde: nämlich Pädophile, sprich Menschen mit einer sexuellen Präferenz für Kinder. Dafür wird hier im gleichen Satz ein dritter Begriff eingeführt, der jetzt mehr oder weniger den Platz für das einnimmt, was oben als Pädosexuelle bezeichnet wurde: Pädokriminelle, hier definiert als Missbrauchstäter oder Konsumenten von Kinderpornografie.

Schon jetzt haben wir hier innerhalb von drei Sätzen ein ziemliches Begriffschaos vorliegen, dass diverse Konzepte völlig durcheinander wirft. Wenn wir weiterlesen sehen wir, dass es nicht besser wird.

Einige Pädosexuelle befürworten den Begriff "pädosexuell", da er ihre Sexualität in eine Reihe mit Hetero- oder Homosexualität stellt. Daher lehnen ihn andere auch heftig ab, da der Begriff verharmlose.

Wir sehen hier wieder, dass das Wort Pädosexuelle scheinbar als Synonym für Pädophile gebraucht wird, und nicht wie zuerst definiert als Synonym für Kindesmissbrauchstäter. Würden wir den Begriff immer noch so verwenden, wie er vor vier Sätzen eingeführt wurde, dann würde dieser Abschnitt reichlich absurd erscheinen. Warum sollte sich jemand darum reißen, als jemand bezeichnet zu werden, der schlimme Verbrechen begeht?

Ebenso wirkt es recht seltsam, wenn ein Wort, das eben noch als Synonym für eines der schlimmstmöglichen Verbrechen eingeführt wurde, nun plötzlich abgelehnt wird, weil es verharmlosend sei.

Sie sprechen dann grundsätzlich nur von Pädokriminellen, da eine sexuelle Handlung mit Minderjährigen grundsätzlich eine Straftat darstellt.

Und damit ist die Verwirrung komplett. Der Begriff Pädokriminelle wurde eingeführt, um damit Missbrauchstäter oder Kinderpornografie-Konsumenten zu bezeichnen. Hier wird der Begriff als nicht-verharmlosende Alternative zum Wort Pädosexuelle vorgestellt. Pädosexuelle hat zwischendurch die Bedeutung gewechselt, um doch als Synonym für Pädophile herzuhalten. Wenn wir alles zusammen nehmen… Was soll dieser Satz also aussagen? Dass alle Pädophile Straftäter sind, ohne Ausnahme?

Unterm Strich ist alles Missbrauch

Was wir hier beobachten konnten, ist eine Verwendung von Begriffen, die derart unpräzise ist, dass jeder Begriff im Prinzip alles aussagen kann. Die Rede ist von Pädosexuellen, Pädophilen und Pädokriminellen, wobei sich die genaue Definition dieser Worte fast in jedem Satz zu ändern scheint:

  • Erst ist Pädosexualität = Kindesmissbrauch und Pädophil = sexuelle Ausrichtung (auf Kinder)
  • Dann ist Pädosexueller = Pädophiler und Pädokrimineller = Kindesmissbrauchstäter
  • Und zum Schluss heißt es dann Pädosexueller = Pädokrimineller

Wenn wir die logischen Schlussfolgerungen aus diesen Gleichstellungen ziehen, kommen wir insgesamt vor allem zu einem Ergebnis:

Pädophilie = Kindesmissbrauch

In anderen Worten: durch eine unpräzise Verwendung von Begriffen und die subtile Verschiebung der Bedeutungen, die mit bestimmten Worten verknüpft wird, erreicht es diese kurze Beschreibung, Pädophile grundsätzlich als Straftäter darzustellen und damit Falschvorstellungen zu dem Thema zu verstärken, die für das massive Stigma gegenüber verantwortlich ist.

Die Verwendung mehrerer, unterschiedlicher Begrifflichkeiten macht Sinn, um zwischen verschiedenen Konzepten differenzieren zu können. In den zwei Abschnitten werden drei Begriffe eingeführt, doch durch die völlige Verwischung dieser Begriffe letzten Endes das genaue Gegenteil erreicht. Dies ist besonders tragisch, da der Begriff Pädosexualität ursprünglich gerade eingeführt wurde, um zwischen Pädophilen und Missbrauchstätern differenzieren zu können. Nun wird genau dieser Begriff verwendet, um wieder eine Gleichstellung dieser Konzepte zu konstruieren.

Verharmlosung und Verantwortung

Die Angst, durch die Verwendung eines falschen Begriffs etwas zu verharmlosen, sitzt derzeit tief. Bei der letzten großen Gesetzesänderung im Bereich Kindesmissbrauch wurde etwa ein signifikanter Teil der Diskussionszeit nicht für die Besprechung der tatsächlichen Gesetzesänderungen aufgewendet, sondern darum, ob "sexueller Missbrauch" oder "sexualisierte Gewalt" die stärker verharmlosende Formulierung sei.

Im Zuge dessen werden zum Teil auch etablierte Begriffe neu definiert, und das, wie wir gesehen haben, manchmal sogar innerhalb weniger Sätze. Pädophil wird von einigen als verharmlosend empfunden, weil es Anspielungen auf das griechische Wort für "Liebe" enthält. Pädosexuell wird von anderen als verharmlosend empfunden, weil es zu sehr nach "gesunden" Sexualitäten wie Heterosexualität klingt. Bleibt noch pädokriminell, wo kaum jemand den Vorwurf der Bagatellisierung geltend machen kann – immerhin steckt da das Wort "kriminell" schon mit drin. Dass auf der anderen Seite, wenn man nicht aufpasst, dadurch unschuldige Menschen als Kriminelle redefiniert werden, scheint dabei kaum zu stören.

Wenn wir einmal als Gedankenspiel die Konsequenzen dieser Vorgänge überlegen, kommen wir schnell bei einem sprachlichen Orwellianismus an. Wenn jeder Begriff im Zusammenhang mit Pädophilie so lange redefiniert wird, bis er irgendwann als Synonym für Missbrauch steht, werden sprachlich alle Pädophile zu Kriminellen. In den Köpfen der Menschen werden Formulierungen wie "nicht straffällige Pädophile" zunehmend zu Oxymorons, analog zu Wortschöpfungen wie "lebendige Leiche" oder "ohrenbetäubende Stille." Was bedeutet es aber, wenn schon durch sprachliche Bedeutungsverschiebungen konzeptionell ein Pädophiler, der nicht kriminell ist, zur Unmöglichkeit erklärt wird? Werden in der Zukunft Pädophile (noch mehr als heute) pauschal wie Kriminelle behandelt, und aus der Gesellschaft ausgeschlossen? Und werden nicht gerade dadurch viele Pädophile das Gefühl haben, keine andere Wahl zu haben als Straftaten zu begehen, und damit vermehrt zu Kriminellen werden?

Die beiden Absätze aus der Videobeschreibung, die wir hier analysiert haben, sind nur exemplarisch zu sehen. Es ist ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür, wie unter dem Deckmantel der Aufklärung letzten Endes das genaue Gegenteil erreicht wird, indem klar voneinander abgegrenzte Konzepte wie Pädophilie und Missbrauch durch eine unpräzise und uneinheitliche Verwendung von Begriffen verwischt und zu Synonymen erklärt werden. Ähnliche Beispiele finden sich in ganz vielen Texten zum Thema Pädophilie – und das allzu häufig auch aus an und für sich journalistisch anspruchsvollen Quellen.

Wie schön wäre es doch, wenn irgendwann einmal die Autoren derartiger Texte zu der Erkenntnis kommen würden, auch eine Verantwortung gegenüber nicht straffälligen Pädophilen zu haben, diese nicht mit Straftätern gleichzustellen?