Wenn im offenen Bereich des Forums Gemeinsam statt allein eine Diskussion über zu sogenannten Ersatzmaterialien stattfindet, nimmt dies in der Regel kein gutes Ende. Ersatzmaterialien meint dabei Materialien wie Zeichnungen oder kindliche Puppen, die sexuelle und emotionale Bedürfnisse pädophiler Menschen erfüllen können, ohne dass dabei reale Kinder involviert sind. Das letzte Mal hat es den Trägerverein Schicksal und Herausforderung e. V. (SuH) zu einer inzwischen scheinbar gelöschten Stellungnahme veranlasst, in der Befürworter:innen von Ersatzmaterialien eine Nähe zu Pro-Cs unterstellt wurde, was viele Menschen irritiert und verärgert hat. Nun gab es kürzlich im Forum wieder eine Diskussion um das Thema, die erneut aus dem Ruder gelaufen ist und in einer öffentlichen Stellungnahme mündete, die in Teilen sehr ärgerlich ist.
Um den Zusammenhang zu verstehen, ist es notwendig, den Verlauf der Debatte kurz nachzuzeichnen. Im November letzten Jahres kochte eine alte Diskussion über Sexpuppen mit kindlichem Aussehen erneut wieder auf. In der Diskussion äußerten einige Teilnehmer die innerhalb der Gesellschaft weit verbreitete Befürchtung, dass die Legalisierung die Hemmschwelle zu Missbrauch senken würde. Andere Nutzer, die zum Teil selber Puppen besaßen oder gerne besitzen würden, wiesen darauf hin, dass es dafür bis heute keine diesbezügliche wissenschaftliche Evidenz gibt und protestierten gegen die Behauptung, die Nutzung von Puppen und anderen Ersatzmaterialien würde ihre Hemmschwelle für realen Missbrauch senken. Die Diskussion fand im öffentlichen Bereich des Forums statt, in dem eine Teilnahme auch ohne Account möglich ist.
Besonders ein Nutzer argumentierte scharf gegen die Nutzung von Puppen. Er warf Menschen, die Puppen zur sexuellen Befriedigung nutzen wollen vor, in eine ungesunde Fantasiewelt zu flüchten und sich selber zu belügen. Kinder mit Sex zu verbinden sei generell „krass“ und für ihn unverständlich. Wer sexuelle Fantasien mit Kindern insbesondere unter Zuhilfenahme von Ersatzmaterialien genießt, statt sie zu unterdrücken, bewege sich in einem „sehr gefährlich[en] Bereich“ und sei im Grunde schon auf dem Weg in Richtung eines Missbrauchs.
Nun ist diese Argumentation grundsätzlich schon sehr übergriffig, da es allen Menschen, die Ersatzmaterialien nutzen oder nutzen wollen Verantwortungslosigkeit und ein Risiko für realen Kindesmissbrauch unterstellt. Besonders frustrierend ist in dem Fall zudem, dass es sich bei dem Nutzer um einen Menschen handelt, der laut eigenen Angaben seine eigene Tochter missbraucht hat. Jemand, der also eines der schlimmsten Vertrauensbrüche begangen hat, den man als Vater nur begehen kann, maßt sich also jetzt an anderen Menschen, die sich derartige Taten nie vorstellen könnten zu erzählen, dass sie sich auf einem gefährlichen Weg befänden.
Verständlicherweise stieß diese Haltung auf viel Unmut, auch wenn davon womöglich wegen selektiver Moderation im Forum selber nicht mehr viel davon zu lesen ist. Auf Kinder im Herzen machte sich Ruby ihrem Ärger Luft. Wenig später wurden wir daraufhin vom SuH-Team angeschrieben und gebeten, den Artikel offline zu nehmen, was wir ablehnten. Einige Tage danach veröffentlichte das Team schließlich ihre Stellungnahme zu der Sache im Forum, schloss die Diskussion und sperrte unseren Forenaccount.
Es gibt einen Satz in dieser Stellungnahme, der mir besonders aufgestoßen ist, sodass ich der Versuchung nicht widerstehen konnte, hier noch einmal darauf zu reagieren. „In der Überschrift wird eine Überlegenheit angesprochen“, heißt es in Bezug auf Rubys Artikel, „obwohl sich der Artikel selbst ebendieser Überlegenheit bedient.“ Dass Ruby sich moralisch über den betreffenden Nutzer erhebt und gleichzeitig dessen anmaßende moralische Positionierung kritisiert, wird also als Widerspruch angeklagt, als eine Form von Heuchelei, die scheinbar enttarnt und ihr triumphierend zurückgeworfen wird.
Das Ganze hätte vielleicht eine gewisse Validität, wenn da nicht ein kleines, unbedeutendes Detail wäre.
Ruby hat im Gegensatz zu dem betreffenden Nutzer nie ein Kind missbraucht.
Auf der einen Seite steht ein Täter, der an seiner Tochter sexualisierte Gewalt ausgeübt hat, nun vorschreiben möchte, wie andere ihre Sexualität ausleben sollten und der sie als gefährlich erklärt, wenn dies nicht seinen Vorstellungen entspricht. Auf der anderen Seite steht eine Nichttäterin, die sich über diese Anmaßung ärgert. Dass dies für das GSA-Team gleichbedeutend und in beidem Fällen ein Beispiel von vermeintlicher Überheblichkeit1 ist, lässt tief blicken.
Nun bin ich absolut nicht der Meinung, dass Täter kein Recht auf Rehabilitation haben und nie mehr Teil der Gesellschaft sein dürfen. Es ist aber auch falsch so zu tun, als bestünde zwischen Missbrauchstätern und Menschen, die sich nie sexuell übergriffig verhalten haben, gar kein Unterschied. Derartige Gleichstellungen erwarte ich bei Vertreter:innen der stigmatisierenden Mehrheitsgesellschaft, nicht bei Moderatoren eines Selbsthilfeforums für Pädophile. Insbesondere bei der Frage, wie man sozialverträglich und ohne Menschen zu schaden mit seiner Sexualität umgehen kann, sind die Positionen nicht gleichberechtigt, weil dieses Ziel eben nur eine Seite erreicht hat. Aber auch deshalb, weil die ablehnende Haltung des Täters gegenüber Ersatzmaterialien von einem an sich durchaus verständlichen Eigeninteresse getrieben sein wird.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass man als Täter nach Rechtfertigungen sucht und sich an Aspekte klammert, die einen selber nicht ganz so schlecht da stehen lassen. Die Narrative, dass ja eigentlich jeder irgendwie zu Handlungen wie dem Missbrauch des eigenen Kindes fähig wäre, lassen die eigenen Taten weniger schlimm erscheinen. In der Unterstellung, andere könnten allein durch den Verkehr mit Puppen ebenso leicht zu Missbrauch fähig sein, steckt schlussendlich auch eine Verharmlosung der eigenen Verbrechen. Diese werden von einer bewussten, aktiven Entscheidung für eine Handlung zu etwas gemacht, was einfach so passieren kann, wenn die Umstände halt entsprechend sind. Die Verantwortung für die Taten wird so auf äußere Umstände verschoben, über die man als Täter im Grunde kaum Kontrolle hat. Diese Rechtfertigungsstrategien sind bei Täter:innen nicht unüblich, schon vor eineinhalb Jahren schrieb ich darüber, wie das Stigma Täter:innen hilft, ihre Taten (auch vor sich selber) zu rechtfertigen.
Gleichzeitig ermöglicht die scharfe Verurteilung der Sexualität anderer Menschen eine gute Gelegenheit zur eigenen Rehabilitation. Das Problematisieren tatsächlich ungefährlicher, aber gesellschaftlich verabscheuter Ausdrucksformen pädophiler Sexualität bietet die Chance, sich als geläutert und ungefährlich darzustellen und als jemand zu präsentieren, der gelernt hat wie „gefährlich“ pädophile Wünsche seien. Es ist der Versuch der Resozialisierung auf den Rücken von Menschen, deren Freiheit jetzt schon eingeschränkt wird, ohne dass sie jemals daran denken würden, einem Kind etwas anzutun. Menschlich mögen diese Rechtfertigungs- und Verharmlosungsversuche nachvollziehbar sein. Trotzdem ist es äußerst problematisch, dass diesen in einem öffentlich einsehbaren Forum eine Plattform gegeben wird.
Der Täter erhielt seitens der Moderation viel Verständnis und einen großen Raum, seine Haltungen darzustellen. Das wird rechtfertigt mit der Meinungsfreiheit, die der „Geist von GSA“ sei. Aber auch das ist am Ende nur ein Vorwand, um nicht moderieren zu müssen, wo es vielleicht angebracht gewesen wäre. GSA war nie ein Ort der Meinungsfreiheit, sondern ist ausdrücklich als Ort gestartet, der sich von anderen Foren zum Thema dadurch abhebt, dass verharmlosende Ansichten zu sexuellen Handlungen mit Kindern nicht zugelassen werden. Diese Abgrenzung ist auch gut so, denn viele Menschen, die sich derzeit in Anti-C Bereichen aufhalten würden sich wohl komplett aus der Szene zurückziehen, wenn es derartige Brandmauern nicht geben würde. Sich als hilflos der Meinungsfreiheit ausgeliefert darzustellen verwischt den Blick auf die eigentliche Frage, nämlich für welche Menschen man einen Safe Space bereitstellen möchte. In der Debatte und der dazugehörigen Stellungnahme zeigt sich, dass die Rechtfertigungsversuche von Missbrauchstätern vor Kritik geschützt werden, keine gedankliche Differenzierung zwischen Menschen, die Kinder missbraucht haben, und solchen, die dies nie tun würden stattfindet, die grundlose Ablehnung und Problematisierung bestimmter Ausdrucksformen von Sexualität akzeptiert sind und gegenläufige Forschungsergebnisse ignoriert oder als nerviges „Totschlagargument“ diskreditiert werden, während man sich im Nachhinein Werte wie „Sachlichkeit“, „Wissenschaft und Forschung“ an die Brust pinnen möchte.
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Wenn man es genau liest, erhebt das GSA-Team diesen Vorwurf explizit sogar einseitig nur gegen Ruby. ↩