Kurzfassung. Die Vereinten Nation sind kurz davor, einen internationalen Vertrag zur Bekämpfung von Computerkriminalität zu verabschieden. In einigen Kreisen verbreitet sich die Behauptung, der Vertrag würde zumindest in Teilen Kinderpornografie legalisieren und Kinder verwundbar gegenüber sexuellen Übergriffen machen. Dies basiert auf einem fundamental falschen Verständnis der Zusammenhänge: tatsächlich werden die internationalen Regeln zu Kinderpornografie durch den Vertrag wesentlich verschärft.
Was ist die Behauptung? Ausgehend von einigen rechtskonservativen US-Medien ist auch im deutschsprachigen Raum die Behauptung angekommen, die Cybercrime Convention der Vereinten Nationen sei von einer „Pädophilenlobby“ gesteuert, um gefährliche Ausnahmeregelungen in den Vertragstext zu Kinderpornografie einzubauen. Diese würde Kinder gezielt schwächen, indem Formen von Kinderpornografie legalisiert und die Ausbeutung von Kindern ermöglicht wird. Nur eine Minderheit der Mitgliedsstaaten, angeführt vom Iran soll versucht haben, dies zu verhindern, sei aber durch eine Mehrheit von Staaten rund um die EU und die USA überboten worden.
Eine Petition zu dem Thema fordert deshalb ganz konkret Bundeskanzler Olaf Scholz und die deutsche UN-Botschafterin Antje Leendertse auf, sich gegen den Vertrag zu positionieren, da dieser „einige Formen der Kinderpornografie, die lange als illegal galten“ entkriminalisieren sowie „die gesellschaftliche Wahrnehmung von Pädophilen verbessern“ würde. Zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels hatte die Petition eine Viertelmillion Unterschriften.
Etwas Kontext: Was ist die Cybercrime Convention? Die Cybercrime Convention ist ein internationaler Vertrag, der alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zur Umsetzung gemeinsamer Maßnahmen gegen Computerkriminalität verpflichtet. Zu den Inhalten gehört unter anderen auch eine Einigung über ein gemeinsames Vorgehen gegen Kinderpornografie. Der Vertrag ist ursprünglich von Russland eingebracht worden und nun nach mehr als drei Jahren Verhandlungen im August dieses Jahres vom Verhandlungskomitee verabschiedet worden. Derzeit wird auf die finale Zustimmung der letzten Entwurfsfassung durch die Generalversammlung gewartet, die noch dieses Jahr erfolgen soll. Die Konvention wird sehr kontrovers gesehen, und zahlreiche Zivilorganisationen wie der CCC, die EFF und weitere kritisieren, dass der Entwurf internationalen Menschenrechtsstandards nicht gerecht wird.
Was sagt die Cybercrime Convention zu Kinderpornografie? Die Bestimmungen zu Kinderpornografie finden sich in Artikel 14 der Konvention. Dort wird jeder Staat dazu verpflichtet, die Herstellung, Verbreitung, Finanzierung, Beschaffung und den Besitz von kinderpornografischem Material unter Strafe zu stellen. Kinderpornografie (im Entwurf als Kindesmissbrauchsmaterial oder Material der sexuellen Ausbeutung von Kindern bezeichnet) wird definiert als bildliche, auditive oder auch nur rein textuelle Darstellungen von unter 18-Jährigen, die diese entweder im Kontext sexueller Handlungen darstellt, oder deren Geschlechtsteile für sexuelle Zwecke abbildet.
Welche Ausnahmen ermöglicht die Cybercrime Convention bei Kinderpornografie? Grundsätzlich sind die Regeln sehr umfassend. Verboten werden sollen gleichermaßen Aufnahmen von Vergewaltigungen von Kleinkindern als auch fiktive erotische Geschichten, in denen 17-Jährige vorkommen. Die Konvention erlaubt Staaten aber, in vier Konstellationen von einer Kriminalisierung abzusehen:
- Bei fiktivem Material, das keine real existierende Person zeigt;
- Bei nicht-visuellen, also insbesondere rein textuellen Inhalten;
- In Konstellationen, in denen Minderjährige Inhalte von sich selber erstellen oder besitzen;
- Bei einvernehmlich erstellten Aufnahmen legaler Handlungen zum privaten Gebrauch.
Option 1 und 2 ermöglicht es Mitgliedstaaten also, die Strafverfolgung auf die bildliche Darstellung real existierender Minderjähriger zu beschränken. Option 3 und 4 wiederum erlauben Ausnahmeregelungen, um die Kriminalisierung von Minderjährigen für von sich selbst erstellte Aufnahmen zu verhindern.
Legalisiert die Cybercrime Convention also Formen von Kinderpornografie? Nein. Zunächst einmal sind diese Ausnahmen nicht verpflichtend. Wenn Mitgliedstaaten Kinder strafrechtlich verfolgen oder kinderpornografische Geschichten und Zeichnungen verbieten wollen, dann steht ihnen das auch nach Verabschiedung der Konvention frei. Staaten dürfen in diesen Fällen von einer Strafverfolgung absehen, müssen es aber nicht. Dass der Artikel 14 ausdrücklich die Kriminalisierung Minderjähriger und künstlerischer Darstellungen ermöglicht, wurde unter anderem von der EFF und dem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte kritisiert. In dem Artikel findet sich außerdem ein Zusatz, dass nichts in der Konvention der Umsetzung von Richtlinien im Wege stehen soll, die für die Wahrung von Kinderrechten als sinnvoller erachtet werden. Praktisch heißt dies, dass der Artikel nur das absolute Mindestmaß definiert, das überall auf der Welt verboten werden muss. Es steht jedem Land aber frei, eigene Regeln zu erfinden, die beliebig hart über dieses Mindestmaß hinausgehen können.
An keiner Stelle in dem Entwurf werden Arten von Darstellungen beschrieben, die unbedingt legal bleiben müssen.
Auch historisch stellt die Cybercrime Convention keine Entschärfung des Umgangs mit Kinderpornografie dar, im Gegenteil. Der Vorgängervertrag der Cybercrime Convention ist die bereits 2001 beschlossene Budapest Convention, die aber nur lückenhaft von den Mitgliedstaaten umgesetzt wurde. Auch hier finden sich (in Artikel 9) Bestimmungen für den Umgang mit Kinderpornografie, und bereits dort wurden Ausnahmen für rein fiktive Darstellungen ermöglicht. Darüber hinaus ermöglicht die alte Budapest Convention es den unterzeichnenden Staaten sogar, den Besitz auch realer Missbrauchsabbildungen straffrei zu lassen. Dies ist mit der Cybercrime Convention nicht mehr möglich. Außerdem wird mit der Cybercrime Convention die Definition von Kinderpornografie deutlich erweitert und umfasst dort auch reine Nacktaufnahmen, die in der Budapest Convention noch unerwähnt bleiben.
Die internationalen Regeln für den Umgang mit Kinderpornografie werden von der Cybercrime Convention also nicht gelockert, sondern im Gegenteil deutlich erweitert.
Was hat es mit dem Iran auf sich? Es stimmt, dass der Iran noch in der letzten Verhandlungssitzung versucht hat, die Ausnahmeregelungen für Minderjährige und Fiktivpornografie aus der Cybercrime Convention zu streichen. Der iranische Repräsentant argumentierte unter anderen, dass kein nennenswerter Unterschied zwischen der Aufnahme realen Kindesmissbrauchs und fiktiven Darstellungen existiere und beide gleich schädlich seien. Zusammen mit einigen anderen Ländern war der Iran bis zum Schluss bemüht, weitere Passagen streichen zu lassen, die den Schutz von grundlegenden Menschenrechten gewährleisten sollen. All diese Vorschläge konnten keine Mehrheit finden.
Die Kritik an den möglichen Ausnahmen muss außerdem im Kontext der im Iran vorherrschenden Sexualmoral betrachtet werden. Voreheliche Beziehungen zwischen Männern und Frauen werden strikt reguliert, dass Jugendliche ihre eigene Sexualität vor der Eheschließung erkunden ist staatlich unerwünscht. Homosexuellen Menschen droht die öffentliche Hinrichtung. Gleichzeitig sind im Iran Kinderehen legal, was die Darstellung des Landes als globale Vorkämpfer in Sachen Kinderschutz besonders fragwürdig erscheinen lässt.
Auch hier gilt der Hinweis, dass die Cybercrime Convention es dem Iran nicht verbietet, für sich selber Fiktivpornografie zu verfolgen.
Was hat das mit Pädophilie zu tun? Nichts. Erzählungen von Pädophilen, die insgeheim die Weltgeschichte lenken, sind insbesondere in rechten Kreisen weit verbreitet. Diese Erzählungen bedienen sich dem gesellschaftlichen Stigma gegen Pädophilie, nach dem Pädophile als gesellschaftliche Bedrohung gelten, und der weit verbreiteten fehlenden Differenzierung zwischen Pädophilie und Sexualstraftaten gegen Kinder. Tatsächlich sind die meisten Menschen, die im Darknet nach Kinderpornografie suchen, nicht pädophil, und ein Großteil der Tatverdächtigen ist selber minderjährig. Es gibt keine politische Organisation pädophiler Menschen mit nennenswertem Einfluss, und keinen Hinweis darauf, dass pädophile Menschen an der Erstellung des Vertragstextes beteiligt waren. Im Entwurfstext selber ist an keine Stelle von Pädophilie die Rede.