Liebe Leser, 

wir haben das Ende einer weiteren Woche erreicht, und pünktlich zum Sonntag möchte ich wieder meine Sonntagskiste für euch öffnen. Dieses Mal habe ich einige Berichte über eine neue Technologie von Microsoft und eine Diskussion zu einem Urteil im Missbrauchsfall von Staufen mitgebracht. Daneben gibt es leider auch diese Woche wieder einige Negativbeispiele für die stigmatisierende Art, wie Pädophilie in den Medien erwähnt und behandelt wird.

1. Projekt Artemis

Microsoft hat am Donnerstag eine neue Technologie vorgestellt, die zum Schutz von Kindern online eingesetzt werden soll. "Projekt Artemis" ist eine KI-Technologie, die erkennen soll, wenn Erwachsene versuchen sexuelle Kontakte zu Minderjährigen aufzubauen (sog. "Cyber-Grooming"). Der Algorithmus ist keine Wunderwaffe, aber kann bei der Vorauswahl verdächtiger Nachrichten helfen und soll in der Zukunft zum Beispiel auch in Skype eingesetzt werden. 

Soweit, so gut. Blöd nur, dass sich Microsoft so umständlich ausgedrückt hat bei der Vorstellung ihres Projekts. Dort ist die Rede von einer "Grooming Detection Technique", mit der erkannt und gemeldet werden kann, wenn jemand versucht sich einem Kind für sexuelle Zwecke anzunähern. Was soll man da machen als Journalist, der aus dieser langweiligen Ankündigung jetzt eine Aufmerksamkeit erregende Schlagzeile machen muss? Wir brauchen ein Feindbild, jemanden, der mit dieser neuen Technologie bekämpft werden kann. 

Wie gut, dass es da eine Gruppe gibt, die sich direkt anbietet…

(winfuture.de)

(nau.ch)

Grooming von Kindern und Jugendlichen ist nicht gleich Pädophilie. Sich gegen Grooming einzusetzen ist genauso wenig ein "Vorgehen gegen Pädophilie", wie ein Einsetzen gegen sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz ein "Kampf gegen Heterosexuelle" ist. Dass es auch besser geht, zeigt zum Beispiel futurezone. Auch die Originalankündigung von Microsoft selber verwendet nicht ein einziges Mal das Wort "Pädophil".

2. Pädophilie und verminderte Schuldfähigkeit

Eine weitere Sache, die diese Woche die Medien beschäftigte, hat mit dem Missbrauchsfall aus Staufen zu tun. Ein 45-jähriger, dem sadistische und pädophile Neigungen diagnostiziert wurden, hat sich über das Darknet mit den Eltern aus Staufen verabredet, mit der Intention deren Sohn zu foltern und zu missbrauchen. Da das Paar aus Staufen zu der Zeit bereits von der Polizei verhaftet worden war, konnte er stattdessen festgenommen werden. In erster Instanz wurde er zu 8 Jahren Haft verurteilt, dieses Urteil wurde jetzt revidiert. Stattdessen soll er nun in die geschlossene Psychiatrie auf unbestimmte Zeit eingewiesen werden, da ihm Gutachter eine "verminderte Schuldfähigkeit" zugeschrieben haben. Mehrere Informationen zu dem Fall gibt es unter anderem vom NDR.

Das wirft eine wie ich finde sehr interessante Frage auf. Warum der Täter vermindert schuldfähig ist, geht aus den Artikeln zu dem Thema leider nicht wirklich hervor. Viele Berichte darüber legen aber nahe, dass die pädophile und sadistische Neigung der Grund für die verminderte Schuldfähigkeit ist. "Aufgrund eines Gutachtens sei in der Verhandlung klar geworden, dass bei dem Mann eine sadistisch geprägte Pädophilie vorliege und dieser vermindert schuldfähig sei", schreibt zum Beispiel die Welt. Der Gedanke, der sich dahinter zu verbergen scheint: wenn jemand sexuelle (und sadistische) Triebe hat, dann liegt ein Übergriff nahe und er kann nicht die volle Verantwortung für sein Handeln tragen.

Diesen Gedanken halte ich für ziemlich problematisch. Erst einmal ist dem meiner Erfahrung nach überhaupt nicht so. Auch mit sexuellen Neigungen, egal ob pädophil, sadistisch oder sonstwie gelagert, kann man immer noch selber entscheiden, wie man damit umgeht. Problematisch wird das höchstens, wenn es zum Beispiel mit Hypersexualität, also einem übermäßig gesteigerten Sexualtrieb einhergeht – das ist dann aber unabhängig von der genauen Sexualität problematisch, kann also auch bei "normal" Heterosexuellen zu Problemen fühen. Die Darstellung, Sadismus oder Pädophilie alleine ist Grund für eine verminderte Schuldfähigkeit fördert weiterhin das Stigma: dass Pädophilie grundsätzlich schwer zu kontrollieren ist und tendenziell zu Taten führen kann. 

3. Straftaten gegen Jugendliche und Pädophilie: Episode IV

In letzter Zeit scheinen sich Medienberichte zu häufen, die nicht nur Straftaten gegen Kinder mit Pädophilie gleichsetzen, sondern allgemein Straftaten gegen Minderjährige – also auch Jugendliche, welche die Pubertät schon erreicht haben und damit für einen pädophilen Menschen schon per Definition uninteressant sind. Das scheint auch leider kein Ende zu nehmen, und so muss ich hier zum vierten Mal in Folge einige Beispiele dafür nennen. 

Schon die oben erwähnte Berichterstattung zu Microsofts Projekt Artemis fällt in diese Kategorie. Die meisten Kinder haben vor der Pubertät noch keinen eigenen unüberwachten Internetzugang. Cyber-Grooming ist somit ein Problem, das vor allem für (pubertäre) Jugendliche relevant ist. Damit ist es noch einmal absurder, hier von einem "Kampf gegen Pädophile im Netz" zu schreiben.

Auch das Nachrichtenportal InFranken.de hat einen Bericht über einen 70-jährigen veröffentlicht, der unter anderem wegen Missbrauch an einem 15-jährigen Verurteilt wurde. Überschrieben ist dieser Bericht mit der schockierenden Titelzeile: Pädophilie hat niemand vermutet. Mal ganz abgesehen davon, dass es mir etwas seltsam erscheint von den Sexualstraftaten eines Menschen zu erfahren und dann von dessen sexueller Orientierung (statt von besagten Taten) schockiert zu sein, stellt sich auch hier die Frage, inwiefern der Missbrauch an einem 15-jährigen Jugendlichen noch mit Pädophilie zu tun hat. 

Nur um es einmal klar gesagt zu haben: mit dieser "Haarspalterei" möchte ich keine Straftaten beschönigen oder weniger schlimm aussehen lassen. Eine Sexualstraftat wird deswegen nicht schlimmer, dass man sie als Pädophilie bezeichnet, es ist dann einfach nur eine falsche Bezeichnung, welche die Stigmatisierung von Menschen mit Pädophilie weiter fördert, indem auch Straftaten die mit Pädophilie überhaupt nichts zu tun haben mit der Neigung in Verbindung gebracht werden. 

4. Kriminalisierung pädophiler Menschen in den Medien

Nicht jeder pädophile Mensch wird zum Straftäter, und die meisten Kindesmissbrauchstäter und Konsumenten von Kinderpornographie sind nicht pädophil. 

Leider wird diese wichtige Unterscheidung in den Medien oft nicht gemacht, und Pädophilie mit Straftaten oft in einen Topf geworfen. Gerade das trägt aber massiv zur Stigmatisierung pädophiler Menschen bei, da die meisten Menschen so den Eindruck gewinnen, dass Pädophilie und Kindesmissbrauch ein und dieselbe Sache ist. Um auf dieses Problem aufmerksam zu machen, möchte ich hier jede Woche Beispiele für diese Behandlung des Themas Pädophilie in den Medien sammeln.

(ln-online.de)

(kosmo.at)

(zofingertagblatt.ch)

5. Mutter Matilda

Als musikalischen Abschluss diese Woche habe ich ein Lied aus dem Debutalbum der legendären Rockband Pink Floyd ausgewählt. Mathilda Mother ist ein Lied aus der Perspektive eines Kleinkindes, das fasziniert der Mutter beim Geschichtenlesen zuhört. Wie viele Lieder von Syd Barrett fängt das Lied eine kindliche Stimmung ein, und so wird aus den schwarzen Kritzeleien eine magische Fantasiewelt voller Könige und Ritter, die über glitzernde Ströme hohe Berge hinauf reiten.

Bis zum nächsten Sonntag
Sirius