Down in a hole and I don't know if I can be saved
See my heart, I decorate it like a grave
Oh, you don't understand who they thought I was supposed to be
Look at me now, a man who won't let himself be

- Alice in Chains, „Down in a hole“


No Dogs Allowed ist eigentlich kein Film über Pädophilie, sondern ein Film über sexuelle Gewalt und dessen Folgen. Normalerweise würde diese Feststellung ausreichen, um den Film zu verdammen und in jene Schublade zu stecken, die schon überfüllt ist mit zahlreichen Werken, die von Pädophilie reden und Missbrauch meinen. Aber wenn den Film eines auszeichnet, dann, dass er mit Konventionen und Stereotypen bricht und gerade keine Geschichte erzählt, die wir schon hunderte Male gehört haben. Es ist nicht Gabo, der pädophile Protagonist der Geschichte, der zum Täter wird. Tatsächlich ist er es, der zum Opfer wird.

Gabo ist 15 Jahre alt und kämpft zu Beginn des Films mit der dämmernden Erkenntnis, sich zu vorpubertären Jungs hingezogen zu fühlen. Hetero- und homosexuelle Beziehungen zu Gleichaltrigen hat er zwar ausprobiert, diese haben ihn aber nicht wirklich erfüllt. Stattdessen verliebt er sich Hals über Kopf in Sam, den achtjährigen Bruder seines besten Freundes. Das lässt ihn verwirrt und unsicher zurück, kann noch nicht einschätzen, was das für ihn bedeutet und wie er am besten damit umgehen kann. Aus Angst davor, ausgestoßen und gehasst zu werden, spricht er mit niemandem aus seinem Umfeld über seine Gefühle und hat folglich auch niemanden, der ihm Rat und Feedback geben kann.

Gabos Situation zu Beginn des Films dürfte die Situation vieler Heranwachsender spiegeln, die gerade in der Phase des Coming-Ins sind, also an sich feststellen, pädophil zu sein. Die Geschichte des Films ist an der realen Geschichte eines Jugendlichen orientiert, mit denen die Filmmacher anonym Kontakt hatten. Das Ergebnis ist ein Drehbuch, das von einigen kleineren künstlerischen Freiheiten abgesehen durchaus realistisch ist.

Da Gabo mit seinen Freunden und seiner Familie nicht reden kann, sucht er im Internet nach Menschen, die verstehen können, wie er sich fühlt, und trifft dabei auf Dave – den Mann, der ihn später vergewaltigen wird. Der Film beginnt damit, dass Gabo mit Dave chattet und sich kurz darauf mit ihm in einem Café trifft. Gabo ist sichtlich nervös und verunsichert, es ist das erste Mal, dass er jemanden trifft, „der das auch hat“. Unklar bleibt, wie der Kontakt zwischen Dave und Gabo ursprünglich zustande gekommen ist. Schade ist, dass dadurch der einzige andere Mensch, der sich zu Minderjährigen hingezogen fühlt und den Gabo kennenlernt, ein übergriffiger Täter ist, der einen schlechten Einfluss auf ihn hat. Natürlich kann man nicht alles in einen Film unterbringen, aber es wäre schön gewesen, wenn das Potenzial anonymer Online-Selbsthilfegruppen, die für viele (auch jugendliche) Menschen eine wichtige niedrigschwellige Stütze darstellen, auch Erwähnung gefunden hätte. Peer-Support-Gruppen werden häufig mit einem pauschalen Misstrauen betrachtet oder gleich kriminalisiert, und der Film bestätigt leider eher die Ansicht, dass Peer Support für Pädophile im Internet dubios und gefährlich ist. Das ist besonders schade, da ohne genau so eine Gruppe, über welche die Filmemacher Kontakt zu dem Jugendlichen gefunden haben, dessen Geschichte die Vorlage für den Film bildet, dieser vermutlich gar nicht zustande gekommen wäre. Dennoch bleibt das Forum Gemeinsam statt Allein und alle anderen Peer-Support-Plattformen sowohl im Film als auch im Abspann unerwähnt.

Schon von der ersten Begegnung in dem Café an verhält sich Dave übergriffig und rückt Gabo mehr auf die Pelle, als es diesem offensichtlich lieb ist. Der weiß sich zu Beginn aber durchaus noch souverän zu wehren, indem er von sich aus räumliche Distanz aufbaut und klare Grenzen zieht. Schon aus dem ersten Treffen geht Gabo daher mit einer Mischung aus Unwohlsein aufgrund der ungewollten Annäherungsversuche und aufgeregter Faszination, endlich einen „Mentor“ gefunden zu haben, mit dem er offen über seine Gefühle reden kann. Diese Faszination ist es, die ihn immer wieder zu Dave zurückkommen lässt. Und Daves Ratschläge sind durchaus nicht alle schlecht. Er erzählt Gabo Sachen, die er in seiner Situation dringend hören muss. „Lass dir das Gefühl von keinem nehmen“, sagt Dave zu Gabo, als dieser in einer emotionalen Rede von seinem Gefühlschaos und seiner Verliebtheit zu Sam berichtet. Was für ein wichtiger Satz, wenn man in einer Welt erwachsen werden muss, die mit unermüdlicher Gewalt das eigene Gefühl der Liebe pathologisiert und kriminalisiert.

© ZDF / Manuel Meinhardt
Überhaupt ist es schön zu sehen, wie sehr sich der Film auf die romantischen Gefühle fokussiert, die bei Darstellungen des Themas Pädophilie meist völlig vernachlässigt werden, obwohl sie für die meisten pädophile Menschen mindestens genauso stark und wichtig sind, wie die sexuellen Aspekte. Selbst in der Wissenschaft wurde nach jahrzehntelanger Forschung erst dieses Jahr die allererste Studie veröffentlicht, die sich mit romantischen Gefühlen pädophiler Menschen beschäftigt. Hier ist No Dogs Allowed also seiner Zeit meilenweit voraus. Während andere Filme, die versuchen sich mit dem Thema Pädophilie zu beschäftigen ihre Laufzeit mit voyeuristisch ausgedehnten Masturbationsszenen verschwenden, hören wir in No Dogs Allowed vor allem Gabo davon schwärmen, wie toll er Sam findet. Es zeigt, dass sich das Gefühl der Liebe und das erste Verliebtsein bei Pädophilen nicht wirklich unterscheidet von den Erlebnissen anderer Menschen. Vergisst man für einen Moment, dass das Subjekt von Gabos Faszination noch zur Grundschule geht, könnten Gabos emotionale Ausbrüche die x-beliebige Geschichte eines zum ersten Mal verliebten Jugendlichen sein.

Mit Dave hat Gabo jemanden, der versteht, wie er sich fühlt, der sein größtes Geheimnis kennt und ihn dennoch akzeptiert. Dies ist eine wichtige Erfahrung für jeden pädophilen Menschen, umso mehr für Jugendliche. Es gibt Dave aber auch Macht über Gabo, zusätzlich zu der, die er schon wegen seines Alters, seines Geldes und seines gesellschaftlichen Status besitzt. Gabo idealisiert Dave mehr und mehr, übernimmt sogar Gewohnheiten von ihm. Und Dave beginnt bald, dies auszunutzen und für sein womöglich nur vorgetäuschtes Interesse und Verständnis sexuelle Gegenleistungen einzufordern. Gabo macht nach anfänglichem Zögern mit, fühlt sich aber sichtlich unwohl dabei, was von Dave entweder ignoriert oder gar nicht erst wahrgenommen wird. Dies kulminiert darin, dass Dave Gabo in einem Hotelzimmer durch Ausüben von psychischem Druck in einer nicht leicht zu ertragenden Szene erst zu Oral- und schließlich auch zu Analverkehr überredet.

Vor Gabos Zimmertür hängt ein Schild mit dem Bild eines Hundes, daneben steht: „Wir müssen draußen bleiben“. Es scheint eine Art Mantra zu sein, mit dem sich Gabo daran erinnert, einer von den „Guten“ sein zu wollen, und nicht zum „Hund“ zu werden. Im Chat mit Dave hat Gabo das Bild eines Wolfes als Profilbild. Es scheint so, dass Gabo die gesellschaftlichen Vorurteile schon zu einem guten Stück internalisiert hat und sich selber zum Teil als gefährliches Tier sieht. Die tragische Ironie des Films ist, dass der Mann, der ihm den Weg aus dieser zerstörerischen Selbststigmatisierung zeigt, genau die Art von Mensch ist, die Gabo nicht sein will. Während er selber darauf bedacht ist, nicht zum Hund zu werden, hat der Hund schon längst den Weg zu ihm gefunden. Gabo ist das Schaf im Wolfspelz, das auf einen Wolf im Schafspelz trifft.

Es ist unklar, ob Dave überhaupt selber pädophil ist. Sein Interesse scheint eher Jugendlichen als Kindern zu gelten. Dieses Interesse verfolgt er rücksichtslos, ihm scheint es egal zu sein, was er bei den Jugendlichen auslöst. Gabo war nicht Daves erstes Opfer. Ein paar Tage nach dem Missbrauch im Hotelzimmer wird Dave festgenommen. Die Eltern eines andere, vierzehnjährigen Jungen, den Dave ebenfalls missbraucht haben soll, haben ihn angezeigt. Doch was eigentlich eine Erleichterung für Gabo sein sollte, wird für ihn zum Beginn vieler weiterer Probleme.

Look at me now, a man who won't let himself be

An dieser Stelle beginnt die zweite Hälfte des Films. Das Thema Pädophilie tritt an dieser Stelle eher in den Hintergrund, es geht nun eher darum, wie Gabo seine Erlebnisse mit Dave verarbeitet und sich langsam immer mehr zu wehren beginnt. Dennoch bleibt Gabos Pädophilie ein wichtiger Faktor und führt ihn in ein Dilemma, in dem er immer weniger Auswege hat.

Trotz der sexuellen Übergriffe ist der Abbruch der Beziehung zu Dave für Gabo erst einmal mit gemischten Gefühlen verbunden. Mit ihm verliert er schließlich auch die einzige Person, der gegenüber er völlig ehrlich sein kann und die ihn trotzdem akzeptiert, wenn auch aus verwerflichen und egozentrischen Gründen. Er ist wieder alleine mit seinem Geheimnis. Seine Mutter hat ihre eigenen Probleme und begegnet Schwierigkeiten und Konflikten vor allem mit Vermeidung und Weglaufen, in gemeinsamen Szenen wirkt sie eher wie ein Kind und Gabo wie der reife Erwachsene. Zu seiner Schwester hat er zwar ein gutes Verhältnis, kann aber auch ihr gegenüber nicht ehrlich sein, das unaussprechbare Geheimnis liegt wie eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen. Und die Freundschaft zu seinem besten Freund Sebbo zerbricht, als die Polizei bei der Durchsuchung von Daves Cloudspeicher Bilder seines Bruders Sam findet, und Sebbo – nicht ganz unbegründet – Gabo in Verdacht hat, etwas damit zu tun zu haben.

Mit dem Abstand zu Dave erkennt Gabo zunehmend, wie sehr er ihn ausgenutzt hat. Doch um ihn verurteilen zu können, muss Gabo selber Anzeige erstatten. Das Problem: dazu muss er offenbaren, wie der Kontakt zu ihm zustande gekommen ist, und die gemeinsamen Chatverläufe offenbaren, sich also als pädophil outen – und das vor der Polizei. Dies bildet das grundlegende Dilemma, zu dem Gabo in der zweiten Hälfte des Films eine Antwort finden muss.

Der Film zeigt mit diesem Dilemma sehr eindrücklich die besondere Vulnerabilität pädophiler Menschen, insbesondere pädophiler Jugendlicher und pädophiler Missbrauchsbetroffener. Die überwältigende Stigmatisierung brachte Gabo überhaupt in die Situation, online nach Menschen zu suchen, die ihn verstehen, und damit auch in den Kontakt mit Dave zu kommen und immer wieder zu ihm zurückzukehren. Hätte er jemanden in seinem Umfeld gehabt, dem er sich hätte anvertrauen können, dann wäre er vielleicht gar nicht erst auf Dave gestoßen oder hätte den Kontakt schon nach den ersten unangenehmen Berührungen abgebrochen. Und danach muss Gabo auch die Polizei, die ihn als Missbrauchsbetroffenen eigentlich schützen sollte, voller Misstrauen und Angst begegnen. Obwohl er Opfer ist, muss er befürchten, von der Polizei als Täter behandelt zu werden. Diese Angst ist weder unrealistisch noch unbegründet. Mehr als einmal habe ich gehört, dass pädophile Missbrauchsbetroffene aus Hilfsprogrammen ausgeschlossen werden, mit der Begründung, dass ihre Existenz andere Betroffene „triggern“ könnte. Missbrauchsbetroffene, die pädophil sind, gelten oft als Opfer zweiter Klasse, ihnen wird der Status als Betroffene abgesprochen und sie werden stattdessen in die Nähe der Täter gerückt. Das Ergebnis ist, dass Menschen in dieser Situation jede Hilfe verweigert wird, und ihnen kein Ausweg mehr bleibt.

© ZDF / Manuel Meinhardt
Diese ausweglose Situation stellt der Film sehr eindrucksvoll dar. Nach Daves Festnahme bleibt Gabo verwirrt und zerrüttet zurück. Obwohl er rational begreift, dass das, was Dave mit ihm gemacht hat, nicht in Ordnung war und es ihm nicht gutgetan hat, blickt er immer noch irgendwie zu ihm hoch, entwickelt sogar Gefühle von Eifersucht als er erfährt, dass Dave gleichzeitig noch andere Opfer gehabt hat. Erst, als sie sich noch ein letztes Mal treffen und Dave Gabo ins Gesicht lügt, versteht und akzeptiert er, dass er für Dave nur einer von vielen war, von ihm ausgenutzt und manipuliert wurde, und kann die emotionale Abhängigkeit zu ihm durchbrechen. Alleine und ohne jegliche Unterstützung geht er zum Staatsanwalt, um Anzeige zu erstatten, und kooperiert mit der Polizei, die mit seiner Hilfe ein Handy von Dave sicherstellen kann, das dieser bisher vor den Beamten verstecken konnte.

Auch hier sehen wir, dass das, was eigentlich ein Befreiungsschlag sein sollte, die Schlinge um Gabos Hals nur noch enger werden lässt. Denn auf dem Handy sind auch die Chatverläufe zwischen Dave und Gabo noch gespeichert, in denen er unter anderem sexuelle Fantasien zu Kindern mit ihm ausgetauscht hat. Er muss befürchten, deswegen selber in den Fokus der Ermittlungen zu gelangen. Tatsächlich werden er und seine Mutter wenig später auf das Revier geladen.

In der Hoffnung, sein Geheimnis zumindest noch vor seiner Familie bewahren zu können, fleht er seine Mutter an, ihn alleine zur Polizei gehen zu lassen. Doch die ist wie im Rest des Films unempathisch, hört ihm nicht wirklich zu und fährt nach einem heftigen Streit wutentbrannt alleine zur Polizei. Für Gabo ist dies der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, und er bricht mitten auf der Straße zusammen. Seine Schwester versucht, ihn zu trösten, kann aber nicht verstehen, was ihn eigentlich bedrückt. Verzweifelt brechen aus ihm schließlich die Worte hervor, die er eigentlich die ganze Zeit schon sagen wollte, kaum hörbar erst: „ich bin pädophil“.

Seine Schwester reagiert durchaus realistisch, wie es Familienmitglieder nach einem Outing oft tun: erst ist sie sichtlich überfordert. Doch was für Vorurteile, Abneigungen und Ängste gegenüber Pädophilen ihr auch immer durch den Kopf gehen, am Ende erinnert sie sich daran, dass Gabo vor allem ihr Bruder ist, ein Junge, den sie kennt und liebt, der gerade dringend ihre Hilfe braucht, und nimmt ihn in den Arm. Damit gibt sie ihm das, was er die ganze Zeit gesucht hat: eine Person, die ihn sieht als das, was er ist, und ihn mit allem, was ihn ausmacht akzeptiert. Das ist es, was ihm die Stärke gibt, die vor ihm liegende Herausforderung anzugehen. Oft ist es nur diese eine Person im Leben, die einen so sieht, wie man ist und die sagt „ich akzeptiere und mag dich für die Person, die du bist“, die den Unterschied zwischen Leben und Tod darstellen kann.
© ZDF / Manuel Meinhardt
An dieser Stelle muss auch die großartige Schauspielleistung von Carlo Krammling erwähnt werden, der Gabo im Film spielt. Generell glänzt der Film mit einem kompetenten Ensemble an Darsteller:innen, aber so eine Geschichte steht und fällt sicherlich mit der Glaubwürdigkeit des Protagonisten. Krammling schafft es, die sich langsam aufbauende stille Verzweiflung von Gabo subtil und gleichzeitig sehr eindrucksvoll rüber zu bringen.

Als letzte Herausforderung muss Gabo zum Schluss zum Polizeirevier, und soll dort seine Unschuld beweisen. Seine Mutter, die ihm auf dem Flur entgegenkommt und wohl gerade von den Beamten von der Pädophilie ihres Sohnes erfahren hat, geht nur wortlos an ihm vorbei. Ohne Unterstützung muss er sich alleine der Befragung der Polizeibeamtin stellen. Die fängt an, Gabo Chatverläufe vorzulesen, die er mit Dave hatte. Dazu gehören auch Schwärmereien und intime sexuelle Fantasien, die Gabo über Sam geschrieben hat. Gabo beteuert seine Unschuld und antwortet: „Es sind halt Fantasien. Aber jeder hat doch irgendwelche Fantasien. Das heißt nicht, dass ich auch was machen würde.“ Richtig, so einfach kann es sein!

„Was soll ich denn machen, um es zu beweisen?“, fragt er die Beamtin aufgelöst als nächstes. „Ich kann nur nichts machen. Alles, was ich machen kann, ist nichts machen.“ Es ist eine Aussage mit mehreren Bedeutungsebenen. Auf der einen Seite steht dahinter die Selbsterkenntnis, dass seine auf Jungs bezogenen Fantasien für immer Fantasien bleiben werden. Er beweist damit, dass er einen klaren moralischen Kompass besitzt, der von den Erlebnissen mit Dave nur weiter gefestigt wurde. Gleichzeitig zeigt er damit aber auch, dass er als Pädophiler immer in Generalverdacht stehen wird, Täter zu sein, und es für ihn keine Möglichkeit geben wird je seine Unschuld definitiv für alle zu beweisen. Egal, wie aufrichtig man sich verhält, es gibt immer Menschen, die Pädophilen pauschal unterstellen zu lügen, einfach noch nicht erwischt worden zu sein oder halt nur noch nicht zum Täter geworden zu sein, dies aber nur eine Frage der Zeit sei. Es ist unmöglich, zu beweisen, dass man etwas nie getan hat oder nie tun wird, und dies von einem Jugendlichen alleine aufgrund seiner nicht selbstgewählten Sexualität zu erwarten, ist absolut unfair. Zugleich steckt hinter der Aussage aber vielleicht auch ein wenig Hoffnung. „Alles, was ich machen kann, ist nichts machen – und wenn ich nur lange genug nichts mache, erkennen einige Menschen vielleicht, dass ich eben kein Täter bin.“
© ZDF / Manuel Meinhardt
Am Ende verlässt Gabo die Polizeiwache unbescholten, gegen ihn wird kein Verfahren eröffnet. Das ist einerseits ein wenig unrealistisch. Die Vorstellung, dass man als Beschuldigter mit einem emotionalen Plädoyer die Polizei von der eigenen Unschuld überzeugen kann, ist reine Polizeiromantik. Als Verdächtiger kann man sich vor der Polizei nur noch verdächtiger machen, und Gabo hätte an der Stelle schon lange einen Anwalt einschalten sollen. Ein realistischeres Ergebnis der Befragung wäre vermutlich, dass sein Eingeständnis, pädophil zu sein und engen Kontakt zu Sam gehabt zu haben die Ermittlungen gegen ihn intensiviert hätten, es wohl auch zu einer Hausdurchsuchung gekommen wäre, und die Polizei auch Sam und seine Familie noch einmal gründlich befragt hätte (was wiederum Gabos Freund noch mehr gegen ihn aufgebracht hätte, und schließlich auch zu einem Zwangsouting vor Gabos ganzer Schule hätte führen können). Andererseits ist es ein starkes Signal, dass Gabos Fantasien – wie unangenehm und ekelig sie für den durchschnittlichen, nicht-pädophilen Zuschauer auch sein mögen – eben keine Straftat sind. Gabo fantasiert über strafbare Dinge, aber das macht ihn nicht zum Straftäter. Im ganzen Film nähert sich Gabo kein einziges Mal unangemessen Sam an, auch dann nicht, als Sam ihn einmal alleine besuchte und Gabo mit ihm alleine in seinem Zimmer war.

Der Schluss war vielleicht die größte (positive) Überraschung, die der Film für mich zu bieten hatte. Ich habe erwartet, dass es am Ende um Therapie gehen würde, und Gabo in der letzten Szene vielleicht mit seiner Schwester im Wartezimmer eines Therapieangebots sitzen würde. Und wie sehr das die Geschichte vermindert hätte! Schon jetzt gibt es zu viele Erzählungen, die Therapie als Allheilmittel propagieren (meist eher für die Gesellschaft und weniger für den Betroffenen) und die Komplexität und Vielschichtigkeit des Themas dadurch unsichtbar machen. No Dogs Allowed wagt es, diese Komplexität zu erforschen, und tut dies, ohne am Ende ein „Gott sei Dank geht der Pädophile jetzt in Therapie“ als Happy Ending anzubieten. Generell nimmt das Thema Therapie erstaunlich wenig Raum ein. Zwar ruft Gabo in der ersten Hälfte bei einem Präventionsprojekt an, legt aber schnell frustriert auf, wenn er erfährt, worum es dort geht. Was er sucht, ist keine klinische Behandlung, sondern Akzeptanz und Rat von Leuten, die ihn wirklich kennen und zu denen er aufblicken kann. Therapien können so etwas nur begrenzt vermitteln und sind kein Ersatz für Beziehungen im sogenannten „echten Leben“.

Ebenfalls bemerkenswert ist, dass der Film insgesamt auf einer ziemlich positiven Note endet. Gabo versöhnt sich wieder mit seinem besten Freund. Auch wenn er sich ihm gegenüber nicht outet, scheint sein Bedürfnis danach auch gar nicht mehr so groß zu sein. Seine Mutter kann sich zwar nicht überwinden, Gabo zu sagen, dass sie ihn akzeptiert und liebt, lehnt ihn aber auch nicht ganz ab und streckt am Ende sogar sachte ihre Hand nach Gabo aus. Es ist das einzige Mal in dem Film, dass sie so etwas wie Zuneigung ihrem Sohn gegenüber ausdrückt. In der letzten Szene wartet er mit seiner Schwester an seiner Seite darauf, gegen Dave vor Gericht auszusagen, und wirkt sichtlich erleichtert, sich nicht mehr verstecken zu müssen. Neben ihm warten weitere Jugendliche, die offenbar ebenfalls Opfer von Dave wurden. Nicht nur, dass Gabo keine Übergriffe begeht, mit seiner mutigen und sich selbst aufopfernden Aussage hat er also vermutlich sogar verhindert, dass noch mehr Jugendliche in Daves Falle geraten.

Viele Fragen bleiben am Ende offen, insbesondere, wie das Urteil gegen Dave ausfällt und wie es mit Gabo und Sam weitergeht. Aber insgesamt endet der Film sehr hoffnungsvoll, und das ist wirklich wichtig. Diesen Film werden vermutlich auch Jugendliche gucken, die gerade selber im Coming-In und sich mit Gabo identifizieren können. Die Suizidquote unter pädophilen Jugendlichen ist erschütternd hoch, was es so wichtig macht, dass wir mehr Geschichten mit pädophilen Protagonisten haben, die auch positive Lebensperspektiven zeigen, die nicht nur aus Suizid, Therapie oder Gefängnis bestehen. Es wäre sehr leicht gewesen, den Film zu einem „Leiden des jungen Gabo“ zu machen, und es ist gut, dass er das nicht geworden ist. Das lässt auch darüber hinwegsehen, dass einige positive Wendungen aus dem Nichts zu kommen scheinen und nicht ganz realistisch sind.

Schlussworte

Es ist wie ein kleines Wunder, dass ein Film wie No Dogs Allowed im heutigen pädophilenfeindlichen Zeitgeist überhaupt existieren kann. Ich bin mir leider sicher, dass der Film in Diskussionen und Rezensionen vermutlich in einen Kontext gestellt wird, der sich auf Gabo als potenziellen Täter fokussiert. Regisseur Bache geht bedauerlicherweise selber schon in die Richtung, wenn er über den Film sagt, die zentrale Botschaft sei ein klares „Plädoyer zu mehr Prävention“. Vielleicht sagt er dies, um den Film besser bewerben zu können und Kritiker präventiv zu entwaffnen, die in der humanisierenden Darstellung eines Pädophilen eine Verharmlosung von Missbrauch erkennen werden – für mich ist die zentrale Botschaft jedenfalls eine ganz andere. Der Film zeigt, dass Pädophile – und ganz besonders auch pädophile Minderjährige – selber eine Gruppe bilden, die besonders vulnerabel für Gewalt ist, und die Gesellschaft durch die Stigmatisierung daran versagt, diese Menschen zu schützen und ihnen positive Zukunftsperspektiven anzubieten. Ohne das Stigma hätte Gabo Dave nicht gebraucht und wäre nie zum Opfer geworden – oder er hätte sich zumindest früher wehren und Hilfe bekommen können. Gabo wird doppelt Opfer: einmal durch Dave, und einmal durch die Gesellschaft, die in ihm aufgrund seiner Fantasien automatisch einen (potenziellen) Täter sieht und ihn mit all seinen Fragen, Problemen und Gefühlen alleine und im Stich lässt.

Der Gedanke, dass Pädophile auch Opfer sein können, ist in den heutigen Debatten, in denen Pädophile nur als (potenzielle) Täter vorkommen dürfen, herausfordernd und unbequem. Ich wünsche mir dennoch, dass dieser Film nicht nur Diskussionen darüber startet, wie „Pädophile nicht zum Täter werden“, sondern auch Debatte auslöst, wie die Gesellschaft besser mit pädophilen Heranwachsenden umgehen und sie besser vor Übergriffen schützen kann.

Transparenzhinweis: Ruby und ich durften in einem frühen Stadium des Films Feedback zum Script geben.