Die Grausamkeit des Schweigens

Wisst Ihr, was für mich das Schwierigste daran ist, pädophil zu sein?

Es ist nicht, meinen Trieb ständig kontrollieren zu müssen. Es fällt mir grundsätzlich nicht schwerer, ein Kind nicht zu missbrauchen, wie es einem "normalen" heterosexuellen Mann wohl auch nicht schwerfällt, keine Frauen zu vergewaltigen.

Es ist auch nicht, dass ein Teil meiner Sexualität für immer unerfüllt bleiben muss. Was nicht bedeutet, dass dies nicht manchmal verdammt frustrierend sein kann. Dennoch habe ich inzwischen Wege gefunden, mit der Sexualität umzugehen, sie gewissermaßen auf andere Wege auszuleben, ohne dass dabei ein Kind zu Schaden kommt. Jedenfalls ist es nichts, was stark belastend wäre oder mich in tiefe Depressionen und Lebenskrisen versinken lässt.

Es ist noch nicht einmal, dass es da draußen einen ganzen Haufen an Menschen gibt, die alleine aufgrund meiner Sexualität eine schlechte Meinung von mir haben, mich am liebsten wegsperren oder sogar foltern und ermorden wollen würden. Damit könnte ich umgehen, wenn ich zumindest etwas darauf erwidern könnte.

Nein, das Schwierigste für mich ist es damit umzugehen, permanent zum Schweigen verdammt zu sein.

Aufgrund des hohen Stigmas ist es immer noch potentiell sehr gefährlich, sich als pädophil zu outen. Die Folgen können der Verlust von Freunden und Familie, Arbeitsplatz oder Wohnung bis hin zu körperlichen Angriffen sein. Entsprechend muss ich sehr vorsichtig sein, wem ich im sogenannten echten Leben von meiner Pädophilie erzähle. Und Online, wie etwa hier auf diesem Blog, kann ich deswegen nur unter Pseudonym auftreten. Die Konsequenz davon: in vielen Situationen bin ich stark eingeschränkt und muss genau aufpassen, was ich sage, um mich nicht unnötig in Gefahr zu bringen. Zum Schweigen verdammt. Und das ist äußerst belastend.

Vor kurzem erst war ich in ein Gespräch verwickelt, das irgendwann auf das Thema LGBT kam. Im Laufe des Gesprächs kam dann die Aussage eines Bekannten: "also ich hab kein Problem damit, auf was jemand steht… Bis auf Pädophilie, das ist krank und geht gar nicht!"

Wie gerne hätte ich an dieser Stelle mich als pädophil zu erkennen gegeben und geäußert, wie sehr mich solche Aussagen als selber pädophiler Mensch verletzen. Dann wäre die Aussage an sich gar nicht so schlimm gewesen, wenn ich meinen Ärger in solchen Situationen Ausdruck verleihen könnte. Wer weiß, vielleicht wäre sogar ein konstruktiver Austausch möglich gewesen. Aber aufgrund der besagten Gefahren ist ein Outing in dieser Situation nicht möglich gewesen. Und so bleibt nur eins: schweigen.

Im öffentlichen Diskurs zum Thema Pädophilie hat es sich auch eingebürgert, dass wie selbstverständlich über uns geredet wird, aber die Leute fast schon in Panik verfallen, wenn wir auch mitreden wollen. Für die meisten Menschen scheint der Gedanke fast schon absurd zu sein, auch mal mit uns zu reden. In Online-Diskussionen zu dem Thema bin ich deswegen oft auf Erstaunen bis hin zu Empörung gestoßen, wenn ich mich offen als pädophil bekannt und zu Wort gemeldet habe. Nicht selten wurde ich alleine dafür schon gesperrt.

In der Öffentlichkeit haben wir kaum eine eigene Stimme. Therapieprogramme wie Kein Täter Werden übernehmen die Aufklärung und Information für uns. Die meisten Medienberichte über Pädophilie ziehen mindestens einen Therapeuten zu Rate, selten wird es akzeptiert, dass wir einfach nur zu Wort kommen, ohne dass unsere Aussagen direkt von irgendwelchen Experten relativiert und eingeordnet werden. Es scheint fast so, als würde man uns nicht zutrauen für uns selber zu sprechen.

Für Menschen mit Behinderung gibt es die von der Bundesregierung unterstützte Devise nicht ohne uns über uns. Bei uns wiederum ist es Normalität, dass ohne uns über uns geredet und entschieden wird.

Genau das macht die Stigmatisierung, die Ablehnung und den Hass gegen uns noch viel schwerer zu ertragen: dazu verdammt zu sein, schweigend daneben zu stehen ohne etwas sagen zu können. Der ganze Ärger, Frust, die Wut, aber auch die eigene Traurigkeit und Verletzlichkeit bleiben notwendigerweise ungeäußert und stauen sich innerlich an, bis sie sich irgendwann gegen einen selber richten und zu Selbsthass und -Zerstörung werden.

Ich hoffe, dass es irgendwann möglich sein wird, offen als pädophil aufzutreten und sich gegen die Stigmatisierung und Diskriminierung zu wehren. Der Blog ist vielleicht ein erster Schritt in diese Richtung, zumindest hier kann ich das äußern, was ich anderswo nicht loswerden kann.

3 Kommentare

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jochen

Hallo Sirius,

ich stimme Dir zu, dass dieses Schweigen eine sehr zermürbende Notwendigkeit ist, um eben nicht Gefahr zu laufen, gravierende Konsequenzen zu erfahren, welche meiner Meinung nach einfach nur durch Unwissenheit und oftmals falscher Berichterstattungen in den Medien entsteht. Es gibt leider viele Bereiche, in denen die Masse der Gesellschaft einfach keine Ahnung hat, mit kruden Meinungen um die Ecke kommen oder sich einfach nicht für interessieren, so wie es auch bei psychischen Erkrankungen wie beispielsweise Depressionen der Fall ist. Aber die zu befürchtenden Reaktionen ist wohl nirgends so extrem wie bei der Pädophilie.

Natürlich habe ich mir das Schweigen auch angewöhnt und das vorgetäuschte Desinteresse, sollte in einer Runde mal das Thema auf Pädophilie oder diese Richtung schwenken, nur um ja nicht aufzufallen, bzw mich womöglich zu verraten. Dabei ist es mir in den letzten Wochen und Monaten immer bewusster geworden, dass diese Neigung eben ein großer Teil von mir ist und ich "Bauchschmerzen" damit habe, dass ich diesen Teil nicht vor anderen offenbaren kann. Ich habe mittlerweile sogar die Vermutung, dass es mir deshalb schwer fällt neue Freunde zu finden, da es für mich grundsätzlich wichtig wäre, wenn diese von meiner Neigung wissen, da es sonst keine "echten" Freunde wären, sondern lediglich "nur" Kumpel. Aber ich merke, wie sehr mir wahre Freunde fehlen und gleichzeitig ist da diese Hemmung bezüglich meiner Pädophilie.

Eine wirkliche Lösung für dieses Dilemma habe ich leider noch nicht gefunden, bei einer sehr guten Freundin konnte ich mich schon vor über einem Jahr "erfolgreich" outen, doch gibt es auch andere Menschen, die ich eigentlich gerne mag und die mir wichtig sind, bei denen ich aber einfach mir nicht sicher bin, ob sie da das nötige Verständnis aufbringen können und auch wollen.

Vielleicht wird die Gesellschaft ja langsam offener für diese Thematik, ich würde es mir wünschen, aber um ehrlich zu sein, denke ich dass das noch ein verdammt weiter Weg sein wird, schaut man sich an wie lange allein auch die gesellschaftliche Akzeptanz von Homosexualität gebraucht hat (und ja auch immer noch nicht zu 100% abgeschlossen ist, wobei das wohl auch nie passieren wird).

Sirius

Ich weiß, was du meinst… es ist sehr schwer wirklich tiefer gehende zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen, wenn man ständig im Hinterkopf hat, dass man nur deshalb überhaupt akzeptiert wird, weil die Anderen einen nicht vollständig kennen und nicht alles über einen wissen.

Die Neigung ist nun einmal ein wesentlicher Teil von uns, und wie soll man Freundschaften aufbauen, wenn man das Gefühl hat einen Teil von sich immer verbergen zu müssen?

Ein paar Lichtblicke gibt es immerhin. Im RL reagieren die Menschen oftmals doch ganz anders, als man es vorher befürchtet. Ich hatte bisher tatsächlich noch kein einziges Outing, bei dem die andere Person negativ reagiert hätte. Und das Internet ermöglicht es heutzutage, Freundschaften in relativer Sicherheit aufzubauen, die später dann auch ins RL übergreifen können. Wenn es diese Möglichkeit nicht geben würde, dann würde ich heute wahrscheinlich auch total isoliert und einsam ohne wirkliche soziale Kontakte vor mich hin vegetieren.

jochen

"Wenn es diese Möglichkeit nicht geben würde, dann würde ich heute wahrscheinlich auch total isoliert und einsam ohne wirkliche soziale Kontakte vor mich hin vegetieren. "

Aus dieser Isolation versuche ich gerade halt auszubrechen und ich merke, wie schwer es mir fällt, auch wenn man es meinen Kommentaren und Beiträgen möglicherweise nicht so anmerkt, da sie möglicherweise selbstbewusst wirken können (Weiß ich nicht, ist jetzt nur eine Vermutung, das müsstest Du, bzw andere "urteilen" ;)) Na klar habe ich auch Kontakte zu Aussenwelt, aber eben (fast) keine tiefergehenden Freundschaften und da merke ich mehr und mehr wie das in meinem Leben fehlt, nachdem ich halt vor ein paar Monaten so langsam überhaupt angefangen habe mich dahin gehend zu öffnen.

Und ja, meine bisherigen Outings waren ja auch zum Glück weniger schlimm als befürchtet, aber waren auch gerade einmal 2 (im nicht therapeutischen Umfeld). Evtl hab ich auch das Gefühl, dass es von Mal zu Mal auch schwerer wird, anstelle von leichter, weil das Bewusstsein da ist, dass so ein Outing auch hin und wieder "in die Hose" geht und je öfter es gut geht, desto mehr denkt man, dass es das nächste Mal ja schief gehen könnte. Aber keine Ahnung, so genau hab ich das bei mir noch nicht hinterfragt.

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