Nun schon seit Monaten werden wir auf Wir sind auch Menschen von Hassbotschaften geflutet. Der Fragebereich, den wir ursprünglich eingerichtet haben, um interessierten Menschen die Gelegenheit zu geben, ihre Fragen zum Thema Pädophilie direkt an Pädophile zu stellen, ist inzwischen vor allem zu einem Instrument geworden, über das Menschen ihre Gewaltfantasien und ihren ungehemmten Hass gegen uns transportieren. Eine typische „Frage“, von denen wir täglich meist mehrere erhalten, sieht etwa so aus (wer keine Gewaltfantasien lesen möchte, mag den nächsten Absatz gerne überspringen):
Hallo ihr Kranken Menschen ! Euch müsste man foltern ganz langsam, nach und nach kastrieren.. ihr wollt nicht wissen was wir die NORAMLEN Menschen mit euch drecks Tiere machen würden wenn wir das mit bekommen würden!! Keine Gefahr für unsere Kinder ? Was denkt ihr ? Das dass normal ist wenn man ein armes unschuldiges Kleinkind anfasst und missbraucht und das Kind sich zu Tode schreit, davon werden ihr missgeburten geil ? Pfui ein abschaum für die Menschheit.!!!! Ich hoffe es wird heraus gefunden wer hinter dieser abartigen Seite steckt und dann ab mit euch. Asoziale Bastarde, eure Mutter hat euch wohl zu oft auf den Kopf fallen lassen.. ihr Tiere !!!!
In diesem Beitrag soll es nicht darum gehen, wie schlimm solche Botschaften sind oder was sie bei Betroffenen wie mir auslösen. Das sollte eigentlich jedem offenkundig sein, der seine menschliche Empathie nicht beim Wort „Pädophile“ ausschaltet. Stattdessen soll es um die Frage gehen, wie dieser Hass auf Pädophile entstehen und sich halten kann, und wie er inzwischen derart gesellschaftsfähig werden konnte, dass Menschen sich mit ihrem Hass hemmungslos und meist ohne nennenswerten Gegenrede schmücken, sei es in Online-Kommentarspalten oder auf Familienfeiern.
Sicherlich gibt es darauf keine einfache Antwort, es ist ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren und komplexen gesellschaftlichen Entwicklungen, die sich zum Teil seit Jahrzehnten (und noch länger) abspielen. Aber mit Sicherheit ein wesentlicher Faktor, der ganz unmittelbare Auswirkungen auf unser alltägliches Leben hat, ist die Art und Weise, wie Medien über Kriminalfälle im Bereich Kindesmissbrauch und Kinder- und Jugendpornografie berichten. Ein aktuelles Beispiel dafür, an dem sich dies gut illustrieren lässt, ist die vor kurzem erfolgte Abschaltung der Kinder- und Jugendpornografieplattform Kidflix.
Der Fall „Kidflix“
Am 02. April hielten Bayerns Innenminister Joachim Herrmann und Justizminister Georg Eisenreich eine Pressekonferenz ab, in der sie über die Abschaltung einer Darknet-Plattform für die Verbreitung von Kinder- und Jugendpornografie berichteten. Auf der Plattform mit dem Namen „Kidflix“ seien kinder- und jugendpornografische Videos verbreitet worden, wobei laut Informationen der Polizei Previews in niedriger Qualität kostenlos, und höher auflösende Versionen der Videos gegen Zahlungen in Kryptowährungen angeboten wurden. Die Nachverfolgung der Zahlungswege ermöglichte die Identifikation von etwa 1400 Nutzer:innen weltweit, 79 davon wurden bislang verhaftet.
Die darauf folgende Berichterstattung in den deutschen Medien war vor allem von Superlativen und durchweg boulevardesker Emotionalisierung gekennzeichnet. So war die Rede vom „größten Schlag gegen Kinderpornografie-Plattform“ oder sogar „einen der bedeutendsten Einsätze gegen Kinderpornografie seit der Gründung von Europol“, die Plattform selber wurde als eine der größten ihrer Art im Darknet bezeichnet. Immer wieder war dabei auch von der unfassbaren Zahl von fast zwei Millionen Nutzenden die Rede, wobei unklar bleibt, ob es sich dabei um individuelle Personen, registrierte Accounts oder Login-Vorgänge handelt. Trotz dieser Unklarheiten ist unter anderem bei der Süddeutschen effekthascherisch von einer „Plattform des Grauens mit Millionenpublikum“ die Rede. Gleichzeitig fielen in der Berichterstattung regelmäßig emotionalisierende Adjektive wie „widerwärtig“ oder „pervers“. Einige Medien, darunter der Spiegel und der Tagesspiegel, nennen explizite Details der auf der Plattform gehosteten Inhalte, darunter Kategorien und Altersklassen der dargestellten Opfer, in denen die Videos einsortiert wurden, und sogar einzelne Videotitel. Mehrfach wurde der Vizepräsident des LKA Bayern zitiert, der von „unvorstellbar schrecklichen Missbrauchshandlungen“ redet und besonders betont, dass diese „sogar an Babys“ ausgeführt wurden.
Diese Art der Berichterstattung geht über das reine Informieren über Tatsachen hinweg. Statt nur objektiv zu berichten, was passiert ist, werden die Leser:innen auf der emotionalen Ebene gepackt und dabei vor allem Fassungslosigkeit, Wut und Hass geweckt. Diese Wut und dieser Hass braucht nun aber ein Ziel, auf das es sich entladen kann. Anders als man erwarten sollte ist dieses Ziel in der Berichterstattung allzu oft nicht die Täter:innen, also diejenigen, die für die Existenz dieser kriminellen Plattform überhaupt verantwortlich waren. Stattdessen wird als Ziel für den Hass, den die emotionalisierende Berichterstattung weckt, vor allem Pädophile präsentiert.
Wie viel Pädo darf’s denn sein?
Um zu zeigen, was ich meine, präsentiere ich hier mal einen Ausschnitt der Schlagzeilen, die man zum Thema Kidflix zu lesen bekam:
- „Großes Pädophilen-Netzwerk ausgehoben - 79 Festnahmen“ (Bayerischer Rundfunk, FAZ und viele weitere)
- „Ermittler zerschlagen weltweites Pädophilen-Netzwerk“ (ZDF)
- „Pädophilen-Plattform: Zehn Personen in der Schweiz verhaftet“ (SRF)
- „Riesige Pädophilen-Plattform – Verdächtige in NRW“ (FAZ, Rheinische Post und weitere)
- „LKA-Vize: Spur des Geldes überführt 1400 Pädophile“ (n-tv)
Um das Ausmaß dieser hetzerischen Berichterstattung genauer beziffern zu können, habe ich mir die Mühe gemacht und insgesamt 150 Artikel über das Thema gesammelt, kategorisiert und ausgewertet. Die Liste der Artikel gibt es hier zum Download (.csv). Das sind bei weitem nicht alle Artikel, die zu dem Thema erschienen sind, insbesondere habe ich alles ausgeklammert, was nicht deutschsprachig ist oder sich hinter einer Paywall befindet. Außerdem habe ich mich auf Textbeiträge beschränkt, also Radio- oder Fernsehbeiträge nicht mit betrachtet. Einige Artikel in der Liste sind sich zudem sehr ähnlich, weil es sich zum Beispiel um eine dpa-Meldung handelt, die nur leicht angepasst an mehreren Stellen veröffentlicht wurde. Die gesammelten Artikel bilden dennoch eine gute Bandbreite der Berichterstattung innerhalb der deutschsprachigen Medien zu dem Thema ab.
Von den insgesamt 150 Artikeln enthalten 121 das Fragment „Pädo“. Mehr als 80 % der Artikel bringen die Straftaten rund um Kidflix also in Verbindung mit Pädophilie. Etwa jeder dritte Artikel hat wie die oben erwähnten Beispiele etwas mit „Pädo“ sogar schon im Titel stehen. Besonders beliebt sind dabei die Formulierungen „Pädophilen-Plattform“ (71 Artikel) und „Pädophilen-Netzwerk“ (63 Artikel). Vereinzelt ist auch von „Pädophilen Inhalten“ als Bezeichnung für Kinderpornografie zu lesen (3 Artikel), sowie dem Klassiker „Pädophilen-Ring“ (5 Artikel).
Insgesamt enthält im Schnitt jedes 181. Wort in der Berichterstattung um Kidflix das Fragment Pädo. Zum Vergleich: das Wort Kinderpornografie – jenes Thema also, um das es eigentlich in dem ganzen Komplex geht – kommt ähnlich oft alle 168 Wörter vor.1 Im Durchschnitt steht in jedem Artikel 2,35x irgendwas mit Pädo. Spitzenreiter ist ein Beitrag von n-tv, in dem bei einer Gesamtlänge von gerade einmal 75 Wörtern ganze fünfmal das Wort „Pädophilie“ fällt. Insgesamt am häufigsten wird das Thema aber in einem Blick-Artikel mit Pädophilie verknüpft: 11x stößt man hier auf teils absurde Wortkreationen wie „Pädo-Ring“, „Online-Pädophilie“ oder „Pädo-Seite“.
Man könnte jetzt vielleicht davon ausgehen, dass dies vorrangig ein Problem reißerischer und unseriöser Boulevard-Blätter ist. Das ist überraschenderweise aber überhaupt nicht der Fall: ausgerechnet die BILD schafft es, in ihrem Artikel kein einziges Mal von Pädophilie zu schreiben. Im Gegensatz dazu ziehen angeblich seriöse Medien wie taz, ZDF, die Süddeutsche, die FAZ und Deutschlandfunk die Verbindung zu Pädophilie schon direkt im Titel ihrer Artikel. Lediglich die ZEIT weist als einzige in einem Hinweiskasten auf den Unterschied zwischen Pädophilie und Missbrauch hin, übernimmt dafür aber an anderer Stelle wieder eine dpa-Meldung, in der von einer „Plattform für Pädophile“ die Rede ist.
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt: ja, einige der Vorkommen des Fragments Pädo in der Berichterstattung gehen auf das Konto des Wortes Pädokriminalität, das von einigen Journalist:innen als scheinbar neutralere Bezeichnung für Straftaten rund um Kindesmissbrauch verwendet wird. Ich habe in der Vergangenheit hier schon argumentiert, warum ich den Begriff auch für problematisch und stigmatisierend halte. Einige Artikel, unter anderem von Deutschlandfunk, der Süddeutschen und von Blick wechseln gar beliebig zwischen den Bezeichnungen „Pädophilie“ und „Pädokriminalität“ und bestätigen damit, dass „Pädokriminalität“ keineswegs hilft Pädophilie und Straftaten zu differenzieren, sondern im Gegensatz zur weiteren Vermischung der beiden Konzepte beiträgt. Aber auch, wenn man das Wort „Pädokriminalität“ und Varianten davon ausklammert, wird das Bild nicht viel besser: über zwei Drittel aller von mir untersuchten Artikel enthalten explizit das Wort „Pädophilie“.
Die beiläufige Unterstellung schlimmster Straftaten
Diese Form der verantwortungslosen und hetzerischen Berichterstattung, selbst von eigentlich seriösen Medien, macht mich wirklich wütend. Von Kidflix als einer „Pädophilie-Plattform“ zu sprechen, unterstellt, dass alle Täter:innen auf der Plattform pädophil gewesen sein müssen. Das ist schon rein objektiv falsch, denn viele Täter:innen im Bereich Kinderpornografie sind nicht pädophil. Davon abgesehen gab es auf der Plattform laut Bericht des Spiegels Alterskategorien für die Videos, die bis ins Erwachsenenalter hineinreichten, trotzdem liest man nirgendwo was von einer „Hebephilie-Plattform“ oder einem „Ephebophilie-Netzwerk“. Auch den Spiegel selber hat das nicht aufgehalten, in Bezug auf den kommerziellen Handel von Kinderpornografie reißerisch von „Pädophilie als Geschäftsmodell“ zu sprechen.
Dann ist da gleichzeitig diese ekelhafte, verabscheuungswürdige Unterstellung: dass wir alle als Pädophile ein Interesse an dem Handel mit Kinderpornografie hätten, dass wir es mögen, Kinder leiden zu sehen und dabei zuzuschauen, wie ihnen Gewalt angetan, wie sie missbraucht und vergewaltigt werden. In 46 Artikeln musste ich unter anderem in der Tagesschau lesen, Kidflix sei „eine der populärsten Plattformen für Pädophile“ gewesen – eine Formulierung, die wohl auf eine Pressemitteilung von Europol zurückgeht und von vielen Medien unkritisch abgeschrieben wurde.
Mal in Ernst, was soll das? Ich habe vor dem 02. April noch nie von Kidflix gehört und bin mir sicher, dass es den meisten Pädophilen nicht anders geht. Solche beleidigenden und boshaften Unterstellungen sind eine verachtenswerter Herabwürdigung aller Menschen, die pädophil sind und nie auf dieser Seite gewesen sind, oder eventuell sogar Betroffene der dort zu sehenden Straftaten sind. Es ist erschreckend, mit welcher Normalität und Beiläufigkeit einfach mal so allen Pädophilen ein inhärentes starkes Interesse an schwersten Straftaten nahe gelegt wird.
Um es noch einmal klar zu sagen: Kidflix war keine „Pädophilen-Plattform“. Dieser Blog ist eine Pädophilen-Plattform. Kidflix war eine Plattform für Kriminelle. Ebenso war Kidflix auch kein Pädophilen-Netzwerk. Die P-Punkte ist ein Pädophilen-Netzwerk. Kidflix war ein Netzwerk für Täter:innen.
Die Folgen der medialen Hetze
Dass sich die Berichterstattung so sehr auf die (vermeintliche) Pädophilie der Täter:innen konzentriert, hat beeinflusst natürlich die Wahrnehmung der Konsument:innen der Medien. Das betrifft, wie wir gesehen haben, alle gesellschaftlichen Mileus: vom Blick-Leser über den Tagesschau-Gucker bis hin zum Leser der Süddeutschen.
Der Fall Kidflix ist nur das jüngste Beispiel. Wann immer etwas Schlimmes im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch aufgedeckt wird, werden diese Taten regelmäßig mit Pädophilie in Verbindung gebracht. Das war 2010 so, als die Missbrauchsfälle um die Odenwaldschule an das Licht kam ("Ein Nest von Pädophilen"); bei der Edathy-Affäre 2014 (Pädophilie-Ermittlungen: Edathy sorgt für Irritation und Empörung); 2019, als der Missbrauchsfall um Lügde bekannt wurde (Jugendamt vernachlässigte Hinweise auf Pädophilie); 2020, als der Missbrauchskomplex in Münster aufgedeckt wurde (Das erschütternde Pädophilen-System des Adrian V.); 2022, als mit Boystown eine andere Darknet-Plattform für Kinder- und Jugendpornografie abgeschaltet wurde (Boystown: Pädophile wissen, was sie tun); und zuletzt auch bei der Abschaltung der Darknet-Plattform Alice in Wonderland (Pädophile missbrauchten sogar zweijährige Mädchen). Jedes Mal lautet die Botschaft: hier ist etwas unsagbar Schreckliches geschehen, und Pädophile tragen die Schuld dafür. Immer und immer wiederholt, bei jeder Schreckenstat aufs Neue, bis diese Botschaft jeder internalisiert hat. Dass gleichzeitig nie über Pädophilie geredet wird, ohne das Thema in den Kontext von Straftaten und Prävention zu stellen, tut das Übrige dazu.
Was soll diese Berichterstattung auch anderes hervorbringen als blinden Hass gegen Pädophile? Wenn ein metaphorischer „Schlag gegen Pädophile“ medial zelebriert wird, ist es dann verwunderlich, dass Menschen bald auch ganz reale Schläge gegen Pädophile feiern?
Danach, ob die Täter:innen in solchen Fällen tatsächlich pädophil sind, fragt schon lange keiner mehr. Aber selbst, wenn dies der Fall wäre, würde dies keine Berichterstattung rechtfertigen, die sich alleine auf diesen einen Aspekt konzentriert und dabei pauschal allen, die deren Sexualität teilen ebenfalls kriminelle Absichten unterstellt. „Das ist ein großes Unrecht, das diesen Menschen damit getan wird. Das ist ähnlich, wie wenn man heterosexuelle Männer oder Frauen per se als potenzielle Vergewaltiger bezeichnen würde“, sagte dazu einst der ehemalige Pressesprecher von Kein Täter Werden, Jens Wagner, gegenüber einem öffentlich-rechtlichen Rundfunksender. Der gleiche Rundfunksender titelt nun, acht Jahre später: „Nach Schlag gegen ein Pädophilen-Netzwerk weitere Maßnahmen gegen Sexualverbrechen an Kindern gefordert“.
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Varianten wie Missbrauchsabbildungen oder -dokumentationen, CSAM oder ähnliches kamen in der Berichterstattung so gut wie gar nicht vor. Lediglich in fünf Artikeln ließen sich diese Wörter finden. ↩