Nur die wenigsten Menschen haben bewusst persönliche Kontakte zu pädophilen Menschen. Das, was sie über Pädophilie wissen haben sie meistens aus den Medien gelernt, und wenn sie von Menschen mit Pädophilie hören, dann meistens nur von denjenigen, die straffällig geworden sind. Diese Straftäter sind diejenigen, die öffentlich bekannt werden, während diejenigen, die nicht straffällig werden häufig ihr Leben im Stillen leben und sich niemanden anvertrauen – und damit auch nie jemand von ihrer Existenz erfährt. Entsprechend gehen viele Menschen davon aus, dass Pädophilie und Kindesmissbrauch eng zusammenhängen, indem entweder jeder pädophile Mensch grundsätzlich Kinder missbraucht oder zumindest in ständiger Gefahr schwebt, zu einer der gruseligen Gestalten aus den Fernsehnachrichten zu werden. Die subjektive Wahrnehmung (jeder Pädophile, von dem ich mitbekomme ist straffällig) wird (oft unterbewusst) verallgemeinert auf die gesamte Gruppe aller pädophilen Menschen, also auch diejenigen, von denen man eigentlich gar nichts weiß: jeder Pädophile ist (potentiell) straffällig.

In der Statistik kennt man ein ähnliches Problem, das Sampling Bias, oder zu deutsch "Stichprobenverzerrung" genannt wird. Dazu ein Beispiel: angenommen, wir möchten untersuchen, ob deutsche Schüler sich von ihren Hausaufgaben überfordert fühlen. Da wir unmöglich jeden deutschen Schüler befragen können, müssen wir also eine Auswahl von Schülern treffen, die wir befragen. Wenn diese Auswahl nicht repräsentativ für die gesamte Gruppe ist, haben wir einen solchen Sampling Bias erzeugt. Beispielsweise könnte es sein, dass wir (aus welchen Gründen auch immer) nur hochbegabte Schüler in unserer Stichprobe haben, für welche die Schulaufgaben kein Problem darstellen. In der Befragung könnten wir jetzt also den Eindruck bekommen, dass deutsche Schüler von ihren Hausaufgaben eher unterfordert sind – dabei wäre das Ergebnis womöglich ein ganz anderes, wenn wir eine repräsentative Stichprobe von Schülern ausgesucht hätten. Die Auswahl der befragten Schüler verzerrt also das Ergebnis unserer Umfrage gegenüber der Realität: wir wollten eigentlich eine Aussage zu allen deutschen Schülern treffen, aber aufgrund unserer gewählten Stichprobe können wir eigentlich nur etwas über hochbegabte deutsche Schüler sagen.

Sampling Bias (Stichprobenverzerrung)

Ein Sampling Bias liegt vor, wenn aus einer Gruppe eine nicht-repräsentative Stichprobe ausgewählt wird. Dadurch kann es passieren, dass einzelne Untergruppen über- oder unterrepräsentiert sind und man Aussagen über die Stichprobe nicht ohne weiteres auf die Gesamtgruppe verallgemeinern kann. ![](/uploads/sirius/sampling_bias.png?classes=caption "Wenn eine Stichprobe aus einer größeren Menge nicht repräsentativ ausgewählt wird, kann der ausgewählte Ausschnitt einen verzerrten Eindruck von der Gesamtheit vermitteln")

Dieses Problem der Stichprobenverzerrung ist beim Thema Pädophilie aufgrund des hohen Stigmas besonders problematisch. Da die meisten pädophilen Menschen notgedrungen im Verborgenen leben, ist es so gut wie unmöglich, eine repräsentative Auswahl an pädophilen Menschen zu finden. Diejenigen, die öffentlich wahrgenommen werden sind meistens diejenigen, die Straftaten an Kindern verübt haben. Entsprechend sind die Themen Pädophilie und Kindesmissbrauch in der öffentlichen Wahrnehmung derart eng miteinander verknüpft, dass es fast unmöglich ist das eine Thema zu besprechen ohne das andere zumindest zu erwähnen. Aber nur weil in der Stichprobe der pädophilen Menschen, von denen man überhaupt erfährt überwiegend (oder gar ausschließlich) Straftäter vertreten sind heißt das nicht, dass (fast) alle pädophile Menschen auch Missbrauch begehen - oder dass Aussagen, die für die Gruppe der pädophilen Straftäter gelten sich auch ohne weiteres auf alle pädophile Menschen, also auch die nicht-übergriffigen, übertragen lassen.

Um das Problem noch einmal zu illustrieren: stellen wir uns zwei pädophile Menschen vor, Frau A. und Herr B. Frau A. ist gewissermaßen der "Vorzeigepädo": sie hat sich (trotz zahlreicher Gelegenheiten) nie einem Kind gegenüber in irgendeiner Form übergriffig verhalten, im Gegenteil: weil sie besonders gut mit Kindern umgehen kann hat sie viele schöne Momente mit ihnen verbracht ohne sich dabei je unangemessen zu verhalten. Herr B. ist das genaue Gegenteil: er nutzt seine Kontakte zu Kindern mit dem Endziel, sich an ihnen zu seiner eigenen Befriedigung sexuell zu vergehen, und nutzt regelmäßig Kinderpornographie. Frau A. wird sich aufgrund des Stigmas hüten, groß bekannt zu machen, dass sie pädophile Neigungen hat. Vermutlich wird sie sich höchstens einigen sehr engen Freunden und Familienmitgliedern anvertrauen, aber ansonsten ihre Neigungen und Fantasien für sich behalten um nicht die zu erwartende Ablehnung spüren zu müssen oder zu erleben, wie ihr wahrscheinlich der Kontakt zu Kindern untersagt werden wird. Bei Herr B. wiederum ist es nicht unwahrscheinlich, dass er im Laufe seiner kriminellen Karriere auffliegt und sich rechtlich verantworten muss. Wenn dies aber passiert, werden sehr viele Leute von ihm und seinen Neigungen erfahren: sein ganzes näheres Umfeld, Ermittlungsbehörden, Richter, Gutachter, Therapeuten und womöglich noch viel mehr Menschen indirekt, wenn die Medien von seinem Missbrauch berichten.

Das Beispiel zeigt, dass nicht-übergriffige pädophile Menschen gewissermaßen einen numerischen Nachteil haben. Von ihrer Existenz erfahren im Normalfall nur eine Handvoll Menschen in ihren näheren Umfeld, wenn überhaupt. Von übergriffigen pädophilen Menschen wiederum erfahren, wenn ihre Übergriffe bekannt werden, potentiell Hunderte, Tausende, in den schlimmsten Missbrauchfällen wie in Lügde sogar bundesweit Millionen von Menschen. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass übergriffige pädophile Menschen viel präsenter im Bewusstsein der der Menschen verankert sind – was aber, um es noch einmal zu wiederholen, nicht bedeutet dass Straftäter tatsächlich die Mehrheit unter den pädophilen Menschen darstellen oder diese medial stark verbreiteten Fälle represäntativ für den "Durchschnitts-Pädophilen" sind.

Meiner Ansicht nach ist die fehlende Wahrnehmung nicht-übergriffiger pädophiler Menschen die wesentliche Triebkraft, welche die Stigmatisierung pädophiler Menschen antreibt. Ich möchte daher einmal darstellen, wie sich diese zu Gunsten von Straftätern verzerrte Wahrnehmung bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen in der Beschäftigung mit dem Thema Pädophilie zeigt und auswirkt.

Der Durchschnittsbürger

Also, Pädophile wiederum, ich glaube die sind einfach nicht normal… ich kannte mal so einen, der sitzt jetzt im Gefängnis, und der war schon irgendwie echt komisch drauf.
– Ein Freund in einem Gespräch

Nur wenige Menschen beschäftigen sich freiwillig ohne konkreten Anlass mit dem Thema Pädophilie. Wenn es wiederum einen Anlass für eine Beschäftigung mit dem Thema gibt, ist dieser meistens negativ: ein Fernsehbericht über Missbrauchstäter, ein Missbrauchsfall in der Verwandschaft, ein entfernter Bekannter der wegen Besitz von Kinderpornographie verurteilt wurde oder ähnliches. Selbst diejenigen, die wissen dass es auch pädophile Menschen gibt, die nicht übergriffig werden sehen in pädophilen Menschen zumindest eine potenzielle Gefahr, die man am besten von Kindern fern hält – nur um auf Nummer sicher zu gehen. In einer in Stuttgart und Dresden durchgeführten Straßenumfrage gaben etwa 60% der Befragten an, Angst davor zu haben, dass ein pädophiler Mensch übergriffig werden könnte, selbst wenn dieser das nie war und auch nicht vorhat. Diese Angst führt dazu, dass 60% der Befragten auch nicht-übergriffige pädophile Menschen am liebsten wegsperren würden, und ein Anteil von 15% sogar der extremen Meinung waren, pädophile Menschen sollten lieber tot sein.1

Dabei muss man sich eines vor Augen halten: pädophile Menschen sind bereits ein fester Bestandteil der Gesellschaft, und haben daher in zig Fällen regelmäßigen Kontakt mit Kindern in ihrer Umgebung: mit Kindern in der Verwandschaft, Kindern von Freunden und Bekannten, eigenen Kindern und deren Freunde, und nicht wenige arbeiten in Berufen mit Kindern. Rein statistisch gesehen wird jeder, der eigene Kinder hat diese wahrscheinlich irgendwann einmal einem pädophilen Menschen blind anvertrauen – blind in der Hinsicht, dass sie gar nicht wissen, dass die entsprechende Person pädophile Fantasien hat. Dabei wird von den 100 Fällen, in denen nichts passiert aber niemand je erfahren, stattdessen wird der eine Fall, in dem ein Missbrauch stattgefunden hat Aufsehen erzeugen. Genau dies füttert das Bild der meisten Menschen, dass pädophile Menschen irgendwie anders, abnormal, gefährlich oder immer übergriffig sind nur weiter, und sorgt dafür, dass diese Angst weiter aufrecht erhalten bleibt. Nur wenige wären bereit, ihre Kinder jemanden anzuvertrauen, von dem sie wissen, dass diese Person pädophil ist, und damit ist es grundsätzlich schon fast unmöglich zu überprüfen, ob diese Angst grundsätzlich eigentlich berechtigt ist.

Die eigenen Gefühle von Angst und Ekel reflektiert zu betrachten und falls notwendig zu überwinden ist keine leichte Sache, vor allem dann nicht wenn die eigenen Kinder betroffen sind. Der Gedanke, dass ein Kind einen Missbrauch erleiden könnte ist für die meisten unvorstellbar grauenvoll, und so ist es nur mehr als verständlich dass der Wunsch besteht, Kinder so gut wie möglich vor allen Gefahren zu schützen. Viele dieser Gefahren sind aber diffus, schwer greif- und noch schwerer vermeidbar. Und so ist der Wunsch nach einem leicht greifbaren Feindbild verständlich, und das medieninszenierten Bild des triebgesteuerten, grundgefährlichen Pädophilen loszusagen füllt genau diese Lücke. Sich davon zu lösen und den Gedanken zuzulassen, dass es sich bei uns auch um Menschen handelt, die individuell verschieden und eben nicht uneingeschränkt eine grundsätzliche Gefahr für die Schwächsten in unserer Gesellschaft sind ist daher sicherlich eine echte Herausforderung. Dennoch möchte ich appelieren, zu versuchen uns als Menschen wahrzunehmen, und uns individuell nach unseren Taten, Eigenschaften und Haltungen zu beurteilen, und nicht nach dem Bild das sich aus gruseligen Medienberichten ergibt.

Journalisten

Mit der Freundschaft [zu Kindern] entsteht Vertrauen. Ein Vertrauen, das der Pädophile mehr und mehr für sexuelle Übergriffe ausnutzt. Er kann gar nicht anders […] Tatsächlich habe auch ich in der ganzen Zeit keinen Pädophilen getroffen, der an einer "platonischen Beziehung" zu einem Kind interessiert gewesen wäre.
– Zitat aus dem Buch "Es geschieht am hellichten Tag" des Undercover-Journalisten Manfred Karremann

Pädophile können nicht anders, als Kinder sexuell zu missbrauchen. Der Journalist Manfred Karremann hat ein Jahr lang verdeckt in pädophilen Gruppierungen recherchiert, die (seiner Aussage nach) ohne Ausnahme übergriffig waren oder missbrauchsverharmlosendes Gedankengut hatten. In dem Kontext ist die obige Aussage vielleicht nachvollziehbar. Aber auch Karremann hat in seiner Recherche nur einen ganz bestimmten Ausschnitt der pädophilen Bevölkerung zu sehen bekommen, und sein unreflektiertes Verallgemeinern seiner Erkenntnisse auf alle pädophilen Menschen ist in dem Kontext genauso ungerechtfertigt und äußerst stigmatisierend.

Die Aufgabe von Journalisten ist es, darüber zu berichten wenn etwas passiert. Von daher ist es auch nicht überraschend, dass es eher die Geschichte "Pädophiler missbraucht 200 Kinder!" in die Medien schafft, als die Geschichte "Pädophiler lebt langweilig normales und gesetzeskonformes Leben." Geschichten des ersten Typs dominieren damit die Berichterstattung, auch wenn Geschichten des zweiten Typs womöglich in der Realität viel öfter vorkommen. Vor allem im Englischsprachigen Raum hat es sich eingebürgert, die Worte "Kindesmissbrauchstäter" (child molester) und "Pädophiler" (pedophile) quasi als Synonym zu benutzen (ein paar Beispiele dafür). In Deutschland ist die Situation wohl vor allem dank der Öffentlichkeitsarbeit von Kein Täter Werden wesentlich besser, aber auch hier zeigen Überschriften wie "Serien-Pädophiler von Vergewaltiger erstochen", die Gelegentlich die Titelseiten von Boulevardblättern und zum Teil auch der seriösen Presse zieren, dass die Gleichsetzung von Pädophilie und Kindesmissbrauch auch tief in den Köpfen vieler Journalisten verankert ist.

Gerade Journalisten haben hier aber eine besondere Verantwortung, da journalistische Erzeugnisse das Potential haben gesellschaftliche Strukturen zu durchbrechen und diejenigen der Öffentlichkeit zu präsentieren, über die man sonst nichts hören würde. Ein ausgewogener Journalismus könnte also ein breiteres und realistischeres Bild von Pädophilen in der Öffentlichkeit verbreiten und dazu beitragen, dass auch das Dunkelfeld der pädophilen Menschen in der Öffentlichkeit Beachtung findet, die keine Straftaten begehen. Und in der Tat gibt es hier einige gute Beispiele dafür, etwa die Dokumentation Unter Pädophilen vom Y-Kollektiv oder der Reportage "Ich verliebe mich in Kinder" von H1. Rein zahlenmäßig geht die Menge der positiven Berichterstattungen zu dem Thema aber leider immer noch allzu häufig unter neben stigmatisierenden Berichten, welche die bestehenden Vorurteile nur bestätigen.

Therapeuten

Wir sehen es kritisch, wenn jemand, mit einer solchen Neigung in diesem Umfeld [in der Kinderbetreuung] tätig ist. Die Gefahr, dass Phantasien aufkommen und es auch zu entsprechenden Taten kommt, ist relativ hoch.
– Michael Osterheider, Professor für forensische Psychiatrie und Leiter des KTW-Standorts in Regensburg (Quelle)

Ein wesentlicher Teil der Therapien von Menschen mit Pädophilie findet im forensischen Kontext statt. Das heißt, es geht um Therapien an pädophilen Menschen, die wegen Sexualstraftaten verurteilt wurden und bei denen eine Rückfallwahrscheinlichkeit so weit wie möglich gesenkt werden soll. Selbst Kein Täter Werden (KTW) erreicht zwar auch zahlreiche Menschen, die nicht justizbekannt sind und vorher im Dunkelfeld gelebt haben. Aber auch KTW erreicht kaum pädophile Menschen, die kein Problem damit haben, nicht übergriffig ("kein Täter") zu werden, oder überhaupt keinen Therapiebedarf bei sich sehen. Entsprechend haben auch Therapeuten nur Kontakt mit einer Auswahl pädophiler Menschen, die gegenüber der Menge aller pädophilen Menschen vermutlich verzerrt ist und keine repräsentative Stichprobe darstellt. Damit ist auch hier äußerste Vorsicht geboten, Erfahrungen und Arbeitsweisen aus der Arbeit mit (straffällig gewordenen) pädophilen Menschen auf alle Menschen mit Pädophilie zu übertragen.

Für Menschen, die ernsthafte Probleme damit haben Kindern gegenüber nicht übergriffig zu werden oder diese Grenze bereits überschritten haben mag es tatsächlich nicht ratsam sein, den engen Kontakt zu Kindern zu suchen, zumindest nicht solange er nicht die Sicherheit erworben hat nicht (wieder) übergriffig zu werden. Aber warum sollte dies jemand tun, der überhaupt keine Schwierigkeiten damit hat, seine Sexualität im Umgang mit Kindern für sich zu behalten? Ist dies nicht ähnlich dazu, heterosexuellen Männern pauschal dazu zu raten, sich nicht alleine in einem Raum mit einer Frau aufzuhalten weil es einige Männer gibt, die sich in so einer Situation nicht beherrschen können und einen sexuellen Übergriff begehen?

Solche pauschalen therapeutische Ratschläge, die aus der Arbeit mit übergriffigen pädophilen Menschen resultieren und auf die Allgemeinheit aller Menschen mit Pädophilie übertragen werden können dabei durchaus negative Konsequenzen haben – und zwar sowohl für den pädophilen Menschen, der sich danach richtet, als auch für den Kinderschutz. Neuere Erkenntnisse legen nämlich nahe, dass im Allgemeinen der Kontakt zu Kindern bei pädophilen Menschen stark zusammenhängt mit einer Reduzierung von Risikofaktoren für sexuellen Missbrauch, wie zum Beispiel missbrauchsverharmlosenden Einstellungen ("Sex mit Kindern ist nicht schädlich für sie") oder psychischen Erkrankungen wie Ängsten oder Depressionen.2 Pädophilen Menschen, die keine Straftaten begangen haben also die gleichen Beschränkungen aufzuerlegen, die in der Arbeit mit straffällig gewordenen pädophilen Menschen möglicherweise sinnvoll sind ist also unter Umständen nicht nur unnötig, sondern womöglich sogar höchst kontraproduktiv, sowohl was die Missbrauchsprävention als auch die psychische Gesundheit der Patienten angeht.

Wissenschaftler

Die Tatsache, dass Pädophile aus freiem Willen heraus Handlungen ausüben, die hochgradig schädlich für ihre Opfer sind zusammen mit dem häufigen Fund antisozialer Charaktereigenschaften lässt die Frage aufkommen, ob sich bei Pädophilen besonders häufig aggressive Charakterzüge finden.
– Cohen et al., "Impulsive Personality Traits in Male Pedophiles Versus Healthy Controls: Is Pedophilia an Impulsive-Aggressive Disorder?", übersetzt von mir

Pädophilie wissenschaftlich zu studieren ist nicht einfach. Aufgrund des hohen Stigmas kann man, anders als bei anderen Themen, nicht einfach Aushänge an einer Uni mit dem Aufruf "Pädophile für klinische Studie gesucht" aufhängen und erwarten, dass sich dann hinreichend viele Leute melden werden. Selbst online-Umfragen (die ihre eigenen methodischen Probleme haben) sind für viele pädophile Menschen zu riskant, sodass sie eher darauf verzichten diese zu beantworten. Entsprechend greifen viele Wissenschaftler, die den Themenbereich Pädophilie untersuchen, für ihre Studien auf die einzigen pädophilen Menschen zurück, auf die sie wirklich Zugriff haben, und das sind – wieder einmal – größtenteils verurteilte Straftäter.

Gute Wissenschaftler sind sich der Stichprobenverzerrung bewusst, die sie damit erzeugen, und unternehmen Schritte um diese Verzerrung auszugleichen, oder weisen darauf hin dass sich die Ergebnisse nicht ohne weitere Prüfung auf alle pädophilen Menschen verallgemeinern lassen. Viele wissenschaftliche Arbeiten beachten diese Feinheit allerdings nicht. Eine beunruhigende Zahl an Studien untersucht eine handvoll von Sexualstraftätern (oft sogar ohne festzustellen, ob diese überhaupt pädophil sind) und versucht daraus Erkenntnisse zu allen pädophilen Menschen abzuleiten. Viele Aussagen, die wir heute über pädophile Menschen "wissen", müssen daher kritisch hinterfragt werden. Ein Beispiel dafür ist die Forschung von Dr. James Cantor, der in seiner Arbeit zu den Schlussfolgerungen kam, dass Pädophile im Durchschnitt signifikant kleiner und weniger intelligent sind und überdurchschnittlich oft körperliche Anomalien haben (Quelle). Diese Ergebnisse basieren allerdings auf Untersuchungen von Straftätern, was in der Kommunikation dieser Ergebnisse allerdings völlig untergeht. Ob pädophile Menschen im Allgemeinen weniger intelligent sind als die Durchschnittsbevölkerung lässt sich dadurch nicht wirklich sagen.

Fazit

Pädophilie ist ein Thema, das zum überwiegenden Teil im Schatten liegt. Über den Großteil der pädophilen Menschen können wir leider keine Aussagen machen, da wir nichts über sie wissen und sie nur selten mit Freunden, Therapeuten oder Wissenschaftlern über ihre Neigung reden. Wir wissen nicht (genau), wie viele davon irgendwann übergriffig werden und wie viele nie einen Missbrauch begehen. Auf Kinder im Herzen versuchen wir, ein bisschen mehr Licht ins Dunkel zu bringen und denjenigen eine Möglichkeit zu geben sich zu äußern, deren Stimme sonst ungehört bleiben würde. Aber es ist klar, dass auch wir nur einen Ausschnitt aller pädophilen Menschen bilden und alleine schon durch unsere Grundsätze die Teilgruppe der Menschen mit Pädophilie, die diesen Grundsätzen nicht folgen möchten, hier nicht vertreten sind.

Eine wirklich repräsentative Stichprobe pädophiler Menschen zu bekommen ist eine schwere Herausforderung. Es ist wichtig, dass wir immer im Hinterkopf behalten, dass wir nur über wenige Teilgruppen wirklich handfeste Aussagen treffen können, und uns bewusst machen, dass unser Bild von pädophilen Menschen maßgeblich von denjenigen gefärbt ist, die in der Öffentlichkeit präsent sind. Dies sind in vielen Fällen Straftäter, und gerade hier ist es wichtig, dass wir uns immer wieder erinnern, dass nicht jeder pädophile Mensch ein Straftäter ist, und Aussagen die bei pädophilen Straftätern zutreffen nicht unbedingt auch für nicht-straffällige pädophile Menschen gelten müssen.


  1. Jahnke, S.; Imhoff, R. & Hoyer, J. Stigmatization of People with Pedophilia: Two Comparative Surveys Archives of Sexual Behavior, 2015, 44, 21-34 

  2. Geradt, M.; Jahnke, S.; Heinz, J. & Hoyer, J. Is Contact with Children Related to Legitimizing Beliefs Toward Sex with Children Among Men with Pedophilia? Archives of Sexual Behavior, 2018, 47, 375-387