Ich möchte einmal versuchen zu verdeutlichen, weshalb ich diesen Film als sehr beleidigend empfunden habe.
Er will wertfrei sein, verstärkt bestehende Vorurteile aber alleine schon dadurch, dass man (meiner Ansicht nach) merkt, wie unwohl sich die Schauspieler während des gesamten Films fühlen. Sie wirken auf mich angespannt. Als hätten sie die ganze Zeit über Angst etwas Falsches zu sagen, was ihnen später zum Vorwurf gemacht werden könnte. Als wären sie gerade lieber ganz woanders und froh gewesen, als der Film endlich vorbei war. Bestätigt wird dieser Eindruck durch Interviews mit dem Hauptdarsteller (unter anderem hier nachzulesen: https://salzgeber.de/kopfplatzen). Die Betonung der ausbleibenden Verharmlosung des Themas trägt zu diesem Eindruck bei.
Die Figuren wirken auf mich häufig empathielos und insgesamt wenig emotional. Der Film selbst grau und trostlos. Sicher ist dieser Effekt zu einem gewissen Grad gewollt, unterstreicht dadurch aber nur die Anspannung und "Gefahr", die permanent mitschwingt und ist deshalb nicht wertfrei.
Aber weiter zum Inhalt des Films.
– beinhaltet Spoiler –
Markus führt zwar nach außen hin ein gewöhnliches Leben, geht seiner Arbeit als Architekt nach, betreibt Boxen als sportliches Hobby, isoliert sich aber selbst und lehnt Freundschaften ab. Der Sinn davon wird nicht deutlich, denn er hat weder Schwierigkeiten mit seinem Sozialverhalten (z.B. eine soziale Phobie), noch wirkt er auf sein Umfeld seltsam. Im Gegenteil, Arbeitskollegen und Boxkollegen fragen ihn regelmäßig nach privaten Treffen, welche er aber konsequent meidet.
Nachvollziehbar wäre dies, wenn es alleine um Freundschaften zu Frauen ginge, aus Angst, dass diese romantisches Interesse an ihm entwickeln könnten - er lehnt allerdings auch eine Freundschaft zu Männern ab. Einzig zu seiner Familie, welche aus seiner Schwester und deren Sohn und ihren gemeinsamen Eltern besteht, hält er selbstständig Kontakt. Das vermittelt den Eindruck als seien Pädophile alleine auf den Kontakt zu Kindern aus und hätten ansonsten keinerlei Interesse an sozialen Interaktionen.
Die Rolle des Markus wirkt nicht authentisch, denn er verhält sich sehr widersprüchlich. Als hätten die Autoren versucht mehrere Klischees zu vereinen, dabei aber die Logik vergessen. Beispiel: Er hat Angst einen Übergriff zu begehen, scheut soziale Kontakte, eventuell aus Angst vor einem ungewollten Outing, sagt dann aber sofort zu, als Jessica ihn fragt, ob er auf Arthur aufpassen kann. Er verhält sich auch im Umgang mit ihm nicht unsicher, außer er bekommt Lust/sieht ihn teilweise oder komplett unbekleidet. Dann verlässt er die Situation um seinen "Druck" abzubauen.
Das Spielen und die Unternehmungen mit Arthur scheinen für ihn ansonsten problemlos möglich zu sein, doch wirkt Markus dabei nicht wirklich glücklich. Überhaupt ist die Beziehung zu Arthur ausschließlich von Lust geprägt. Markus' Aussage, er hätte sich in den Jungen verliebt, die er in einem ominösen Chat mit einem anderen "Pädophilen" trifft, scheint nur ein weiteres Mittel zu sein "den Pädophilen" als fehlgeleitet darzustellen. Dahinter steckt die Aussage, Pädophile haben niemals aufrichtiges Interesse an Kindern, sie wissen nicht was echte Liebe ist und deuten ihre Lust deshalb fälschlicherweise als Liebe.
Es wird versucht Markus als sympathischen, attraktiven Mann darzustellen, durch kurze Szenen wie z. B. der Schlüsselszene, in der er Arthur zum ersten Mal trifft und sich Jessica gegenüber hilfsbereit zeigt. Auf sein Umfeld scheint er auch genau so zu wirken, nur merkt der Zuschauer davon kaum etwas. Häufig befindet sich Markus plötzlich in Situationen, bei denen man sich fragt, wie er da überhaupt hineingeraten ist. Es fehlt stark an zwischenmenschlicher Interaktion. Es wirkt als würde sich die Welt um Markus herum drehen, ohne, dass er wirklich Teil davon ist.
Es werden die negativen Folgen des Outings beleuchtet, die Verzweiflung von Markus wird sichtbar für den Zuschauer, z.B. durch die unprofessionelle Reaktion des Arztes und den späteren Kontaktabbruch seiner Bezugspersonen. Insofern vorhersehbar, alternative Reaktionen werden gar nicht in Erwägung gezogen. Durch die Darstellung von Markus wird dem Zuschauer verdeutlicht, dass dies die einzig richtige Reaktion seines Umfeldes ist. Zitat seiner Schwester: "Ich muss Paul schützen". Sie war bei den Treffen der beiden immer dabei, ein Umgang mit Paul "unter Aufsicht", hätte eine Alternative sein können seinen Neffen weiterhin zu sehen. Stattdessen wurde der Junge mit unangenehmen Fragen seitens seiner Mutter gelöchert, ohne offensichtliche Notwendigkeit.
Der größte Schwachpunkt des Filmes ist wohl die Darstellung der pädophilen Neigung als solches, besonders wie sie Betroffene empfinden und in ihrem Alltag erleben. In mehreren Szenen besucht Markus einen eingesperrten Wolf. Diese Szenen dienen der plumpen Metapher den "Trieb" als wildes Tier darzustellen, als unberechenbare und allgegenwärtige Gefahr. Spätere Szenen in denen der Wolf frei herumläuft könnten auch als Outing verstanden werden à la "Nun ist das Tier frei".
Markus selbst bezeichnet die Pädophilie in einer Szene als "Stimme im Kopf", als handle es sich um etwas Eigenständiges, ein Monster, über das er kaum Kontrolle hat. Das entspricht der Vorstellung uninformierter Menschen, welches wohl der durchschnittliche Zuschauer des Filmes sein wird. Ihr stereotypisches Bild eines Pädophilen wird dadurch aufgegriffen und bestätigt, statt darüber aufzuklären, wie es in der Realität ist pädophil zu sein.
Der empathielose "Therapeut", wenn man ihn als solchen bezeichnen mag, entspricht nicht dem, was Kein-Täter-Werden ausmacht. Es geht in einer Therapie darum für den Patienten Verständnis aufzubringen, ihm Alternativen aufzuzeigen, gemeinsam positive Ziele zu erarbeiten, statt seine Hoffnungslosigkeit zu verstärken, indem man ihm einen Vortrag darüber hält, was er alles nicht darf und haben kann.
Es ist absolut unrealistisch jede Situation zu meiden, in der er auf Kinder treffen könnte, z. B. aus dem Bus auszusteigen, sobald ein Kind mitfährt, wie es der Therapeut im Film verlangt. Die Szene soll vermeintlich wissenschaftlich klingen, ist dabei allerdings in jeder Hinsicht falsch: Sowohl für den Patienten als auch für den Kinderschutz sind die Aussagen absolut kontraproduktiv. Der Therapeut interagiert zudem nicht mit Markus, er ignoriert seine geäußerten Sorgen und Fragen und wirft ihm stattdessen an den Kopf was der Zuschauer denkt, das man einem Pädophilen sagen muss (denn der ist schließlich selbst zu dumm das zu wissen)
Suizid wird nach dieser Belehrung als nachvollziehbare Option dargestellt, denn eine glückliche Zukunftsperspektive wird Markus schließlich für immer verwehrt bleiben. Als i-Tüpfelchen verschreibt der Therapeut (der zugleich auch Arzt ist) Medikamente ohne Absprache mit Markus und ohne Aufklärung über mögliche Nebenwirkungen und Risiken, als sei es ein Bonbon.
Ob Markus kernpädophil sein soll wird nicht direkt gesagt, allerdings angedeutet. Als ein solcher ist es sehr unwahrscheinlich, dass Sex mit Jessica überhaupt möglich gewesen wäre, auch wenn er dabei an Arthur denkt. Mangelnde Empathie und gesteigerten Trieb kann man in diesem Fall wohl eher Jessica unterstellen, wenn ihr der fehlende Enthusiasmus von Markus nicht einmal auffällt oder sie schlichtweg nicht interessiert. Sie scheint an Markus zu kleben wie ein alter Kaugummi, obwohl der absolut nichts dazu beiträgt, auf sie sympathisch zu wirken oder irgendeine Art von Interesse an ihr zeigt. Soll sie derartig verzweifelt wirken als alleinerziehende, einsame Frau mit Anhang, dass sie sich dem nächstbesten Mann an den Hals wirft, der mit ihrem Sohn spielt? Die Beziehung, auf die Markus sich notgedrungen (um mit Arthur in Kontakt zu bleiben) mit seiner Passivität einlässt, ergibt als solches keinen Sinn, besonders nicht Jessicas "Liebe" zu ihm.
Dazu kommt seltsames, nicht zeitgemäßes Verhalten: Markus schießt Fotos mit einem Fotoapparat mitten in einem öffentlichen Schwimmbad und fotografiert mit der Kamera den Fernsehbildschirm ab, dabei soll der Film in der Gegenwart spielen. Handys scheinen gar nicht zu existieren in diesem Film. Normale Situationen werden so dargestellt, als wären sie problematisch, wie die Szene in der Markus Arthur für alle sichtbar im Schwimmbad fotografiert. Dem ist die Situation sichtlich unangenehm, Markus fragt ihn nicht vorher und handelt "triebhaft", indem er ihn von mehreren Perspektiven fotografiert. Es folgt die Aussage von Markus: "Das muss aber unser Geheimnis bleiben, nichts der Mama verraten… versprochen?" obwohl nichts daran schlimm gewesen wäre, wenn er bei einer gemeinsamen Unternehmung Fotos von Arthur und sich gemacht hätte, statt ein unangenehmes Geheimnis daraus zu machen.
Die Duschszene im Anschluss, in der Arthur von Markus gewaschen wird, ist ebenfalls verzerrt dargestellt durch den anderen Badegast, welcher die beiden die ganze Zeit über skeptisch beäugt. In der Realität wäre es eine ganz normale Angelegenheit, dass ein Vater seinen Sohn einschäumt, wobei sich niemand etwas denken würde.
Die vielen Masturbationsszenen mit denen man immer wieder im Film konfrontiert wird, sind unnötig und wirken so als wären sie nur dazu da den Zuschauer zu "gruseln" oder zu ekeln, wie in einem schlechten Horrorfilm.
Fazit: meiner Meinung nach ist Kopfplatzen in keiner Weise ein mutiger Film, er ist eine Bestätigung der Vorurteile die sowieso schon über die pädophile Neigung bestehen und dient der Befriedigung des Voyeurismus der Gesellschaft. Es gibt nur wenige zutreffende, wissenschaftliche Aussagen im Film. Schauspieler Max Riemelt merkt in einem Interview an, dass nicht mit Betroffenen gesprochen wurde, was meiner Meinung nach, wenn man so einen Film dreht, definitiv sinnvoll gewesen wäre. Man stelle sich vor, man würde einen Film über einen Autisten drehen wollen und sich während der Dreharbeiten nicht einmal mit einem Autisten unterhalten.
Einziger Pluspunkt: Markus begeht keinen tatsächlichen Übergriff.
Insgesamt wirkt der Film so, als wisse er selbst nicht wohin es gehen soll. Es wird einfach nicht klar, was genau er aussagen möchte. Dass Pädophile sich doch besser umbringen sollten? Dass es nur die Alternative gibt, dass sie ein einsames, freudloses Leben führen, fernab von der Gesellschaft und das auch nur, wenn sie immer brav ihre triebdämpfenden Medikamente nehmen?
Oder möchte der Film tatsächlich zeigen, dass der Umgang der Gesellschaft mit pädophilen Menschen problematisch ist und darf eher als Anprangerung der Stigmatisierung gegen Pädophile verstanden werden? Diese Möglichkeit der Interpretation wird offengelassen, doch leider wird sie durch die Interviews mit den Schauspielern wieder geschmälert. Auch die bisherigen Filmkritiken die ich gelesen habe zeigen, dass der Film von den meisten so nicht gedeutet wurde.