Titelbild zu Was ist Pädophilie?
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Nach sechs Jahren auf diesem Blog, inzwischen über 100 Beiträgen und mehr als einer Viertelmillion Wörter zum Thema Pädophilie ist es für mich langsam mal an der Zeit, eine grundlegende Frage zu beantworten: Was ist Pädophilie eigentlich?

Okay, vielleicht meinst du, die Antwort schon zu kennen und fühlst dich dazu verleitet, gelangweilt wegzuklicken. Wenn dem so ist, bitte ich nur um etwas Geduld. Ich verspreche, dass diese Frage interessanter ist, als es zunächst vielleicht den Anschein hat, und dass du auch dann etwas Neues lernen kannst, wenn du glaubst schon zu wissen, was Pädophilie ist.

Von Schamhaaren und Erektionsmessgeräten

Fangen wir ganz grundsätzlich damit an, was das Projekt Kein Täter Werden, das im deutschsprachigen Raum so ziemlich als unangefochtene Experteninstanz zum Thema Pädophilie gilt, zu der Frage zu sagen hat. In ihrer FAQ findet sich dazu folgender Text:

Pädophilie ist eine sexuelle Präferenz und bedeutet, dass man sich sexuell zu Kindern mit einem vorpubertären Körperschema hingezogen fühlt. Körperlichen [sic!] Merkmale sind beispielsweise fehlende Scham- und/ oder Achselbehaarung, kleine Genitalien, was meist auf Kinder bis ca. 11 Jahren zutrifft.

Diese Definition fokussiert sich vor allem auf physische Merkmale von Kindern. Zugespitzt könnte man sie zusammenfassen mit: Pädophil ist, wer kleine unbehaarte Genitalien mag. Das ist zwar nicht unbedingt ganz falsch, denn wer pädophil ist, findet in der Regel tatsächlich körperliche Merkmale von Kindern attraktiv, wozu eben auch eine kleine Körpergröße und weniger Körperbehaarung gehören. Gleichzeitig legt diese Definition aber auch einen merkwürdigen Fokus, so als wäre Schambehaarung (bzw. das Fehlen davon) das definierende Element der Pädophilie. So wirklich den Kern dessen, was Pädophilie ist, trifft diese Definition also nicht.

Pädophilie ausschließlich anhand einer sexuellen Erregbarkeit zu definieren, ist generell in den meisten Definitionen des Wortes verbreitet. Wikipedia spricht von Pädophilie als das „ausschließliche oder überwiegende sexuelle Interesse von Menschen an Kindern vor Erreichen der Pubertät“, im Duden ist Pädophilie das „[sexuelle] Interesse Erwachsener an Kindern, die noch nicht in der Pubertät sind“, im ICD ist Pädophilie charakterisiert durch ein „anhaltendes, fokussiertes und intensives Muster sexueller Erregung“ und auch ChatGPT antwortet auf die Frage, was Pädophilie ist damit, dass es ein „anhaltendes oder starkes sexuelles Interesse an Kindern im präpubertären Alter“ sei.

Diesen Fokus auf die Erregbarkeit zu bestimmten physischen Merkmalen findet sich auch bei Expert:innen jenseits des großen Teichs. Vor allem renommierte Forscher:innen in Kanada wie Michael Seto, Martin Lalumiere und James Cantor schwören auf phallometrische Messungen zur vermeintlichen Feststellung einer Pädophilie. Dabei wird der (männlichen) Testperson ein Messgerät am Penis angebracht und ihr nackte Personen (Kinder und Erwachsene) gezeigt, während gleichzeitig Änderungen des Penisumfangs gemessen werden.1 Wer eine Erektion bei den Kinderbildern bekommt (bzw. eine stärkere Erektion als bei den Erwachsenenbildern), wird als pädophil eingestuft. Nach diesen Verfahren gilt also: Pädophil ist, wer bei nackten Kindern einen Ständer bekommt. Offensichtlich können nach dieser Definition überhaupt nur Menschen, die einen Penis haben, pädophil sein.2 Dieses höchst invasive Messverfahren ist in Deutschland übrigens aus ethischen Gründen (wie ich finde völlig zu Recht) verboten.

Aus meiner Sicht greifen all diese Definitionen zu kurz. Selbst der Anblick nackter Kinder im echten Leben führt nicht dazu, dass ich automatisch eine Erektion bekomme, eine Phallometrie würde mich also vermutlich gar nicht als pädophil einstufen. Das Messen von Erektionen hat zwar den Vorteil, dass es relativ einfach objektive vergleichbare Werte produziert, reduziert die psychologische Komplexität und Vielschichtigkeit menschlicher Sexualität aber gleichzeitig auf die Banalität einer körperlicher Erregung, welche die Gesamtheit der Sexualität eines Menschen wohl kaum abzubilden vermag. Und auch, wenn eine sexuelle Ansprechbarkeit auf vorpubertäre Körper sicherlich zur Pädophilie meist dazu gehört, fühlt es sich seltsam an, dies als den definierenden Kern meiner Pädophilie zu sehen. Pädophilie ist doch mehr, als nur die Fähigkeit, von kindlichen Körpern und fehlender Scham- und Achselbehaarung sexuell erregt werden zu können.

Andersherum gibt es auch Gründe, weshalb jemand beim Anblick von Kindern körperliche Erregung verspüren kann, die nicht direkt etwas damit zu tun haben, dass es sich dabei um Kinder handelt. So mögen einige durch den Machtunterschied zwischen Kindern und Erwachsenen erregt werden, oder durch der Reiz des Verbotenen und Extremen. Und natürlich gibt es auch Menschen, die mit Kindern überhaupt nichts anfangen können, aber kleine Geschlechtsteile und eine perfekte Intimrasur bei anderen Erwachsenen ansprechend finden. Der reine Fokus auf eine körperliche Erregbarkeit birgt also auch die Gefahr, Menschen als pädophil einzustufen, denen es eigentlich gar nicht konkret um Kinder geht.

Das sexuell-romantische Spektrum

Eine der besseren Definitionen für Pädophilie stammt von dem Sexualwissenschaftler Gunter Schmidt, der in einem Vortrag 1999 sagte:3 „Pädophile sind Männer, deren sexuelle Wünsche und deren Wünsche nach Beziehung und Liebe vorrangig oder ausschließlich auf vorpubertäre Kinder gerichtet sind, wobei diese drei Bereiche – Sexualität, Beziehung, Liebe – wie bei anderen Menschen auch unterschiedlich gewichtet sein können.“ Wenn wir „Männer“ durch „Menschen“ ersetzen, um auch Frauen und nichtbinäre Menschen einzuschließen, ist diese Beschreibung gar nicht mal so übel und vor allem umfassender, als alle vorigen Definitionen. Statt das sexuelle Begehren als einziges Element der Pädophilie zu beschreiben, erkennt Schmidt, dass – genauso wie bei nicht-pädophilen Hetero- oder Homosexuellen – emotionale Wünsche genauso dazugehören. Damit können wir ergänzen: Pädophil ist, wer sich in Kinder verlieben kann.

Wenn wir die Wünsche nach Beziehung und Liebe als den romantischen Aspekt der Pädophilie zusammenfassen, können wir also zwei Komponenten identifizieren, die Pädophilie charakterisieren: eine sexuelle (die Fähigkeit, vorpubertäre Körper erregend zu finden) und eine romantische (die Fähigkeit, sich in vorpubertäre Kinder zu verlieben). Ähnlich wie Schmidt, der davon sprach, dass diese Aspekte „unterschiedlich gewichtet“ sein können, wage ich die Hypothese, dass es sich bei diesen beiden Aspekten um ein Spektrum handelt. An einem Ende dieses Spektrums stehen Menschen, die Kinder ausschließlich sexuell erregend finden aber keine romantische Verbundenheit zu ihnen fühlen, und am anderen Ende stehen asexuell pädophile Menschen, die also starke Gefühle für Kinder entwickeln können, ohne sie sexuell ansprechend zu finden. Bei den meisten pädophilen Menschen (so etwa auch bei mir) werden vermutlich beide Aspekte eine Rolle spielen.

Mindestens ebenso charakterisierend wie die körperliche Erregung ist für Pädophilie also das Gefühl, sich Hals über Kopf in ein kleines Wesen zu verlieben, die fast schon absurde Situation, sich als erwachsener Mensch durch den Anblick oder das Lachen eines kleinen Kindes plötzlich ganz schwach zu fühlen, oder nachts nicht schlafen zu können während man dem nächsten Mal entgegenfiebert, wenn man Zeit mit dem geliebten Kind verbringen darf. Anstatt Penisumfänge beim Anblick nackter Kinder zu messen wäre es vielleicht viel zielgerichteter, das Klopfen des Herzens zu messen, wenn man von einem Kind angelächelt wird.

Der Fairness halber muss erwähnt werden, dass auch Kein Täter Werden diesen romantischen Aspekt anerkennt und in ihrer FAQ als ergänzenden Satz nachschiebt: „Wie bei jeder Präferenz ist auch bei der Pädo- und Hebephilie der Wunsch nach sexueller Lustbefriedigung nur ein Teil der Sexualität, denn auch der Beziehungsaspekt spielt eine zentrale Rolle.“ Es stellt sich dennoch die Frage, warum dieser Beziehungsaspekt in der eigentlichen Definition völlig ausgeklammert wird, wenn dieser doch eine ebenso zentrale Rolle spielt. So wie die anderen Definitionen von Pädophilie sorgt dieser einseitige Fokus jedenfalls dafür, dass das Erleben asexueller Pädophiler unsichtbar gemacht und sie zu einer Art wandelnden Oxymoron degradiert werden.

Denken in Schubladen

Ich habe eine Hypothese, warum die meisten Definitionen von Pädophilie so unvollständig und einseitig auf das Sexuelle beschränkt sind. Menschliche Sexualität lässt sich nicht unbedingt in einfache und klar voneinander abgetrennte Kategorien einteilen, wie es Begriffe wie Pädophilie, aber auch Teleiophilie, Heterosexualität oder Homosexualität suggerieren. In der Realität ist Sexualität komplexer, spielt sich eher auf kontinuierlichen Spektren ab und erlaubt alle möglichen Ausprägungen und Mischformen, die durch unsere Begriffe dafür nur ungenügend beschrieben werden können. Wer versucht, Pädophilie zu definieren, schafft damit zunächst künstlich eine Kategorie, und sagt damit erst einmal etwas über sich selber aus, nämlich darüber, was er begrifflich eigentlich versuchen möchte abzutrennen.

Genau das ist vielleicht auch der Grund, warum sich die allermeisten Pädophilie-Definitionen rein auf das Sexuelle beschränken, und den ebenso wichtigen romantischen Aspekt völlig unerwähnt lassen. Pädophilie wird überwiegend im Kontext des sexuellen Kindesmissbrauchs und der Prävention betrachtet. Dabei gilt der sexuelle Anteil, also das sexuelle Verlangen zu kindlichen Körpern, als das eigentlich Bedrohliche und Gefährliche. Entsprechend existiert vor allem ein Interesse daran, dieses vermeintlich Gefährliche in Worte zu fassen, damit greifbar und vor allem auch erkennbar und ausgrenzbar zu machen. Der romantische Aspekt, das sich in Kinder verlieben, wird im Vergleich dazu als wesentlich unbedenklicher eingestuft, sodass ein geringeres Interesse daran besteht, Menschen, die so empfinden können, in eine begriffliche Kategorie zu stecken.

Der Begriff der Pädophilie ist damit für viele vielleicht vor allem eine Schublade für Menschen, die sie als gefährlich sehen. Und da sie als gefährlich vor allem das sexuelle Interesse an Kindern sehen, bleiben die meisten Definitionen auf diesen einen Aspekt beschränkt.

Das pädo-teleio-Spektrum

Nach bisherigen Wissensstand ist davon auszugehen, dass die meisten Pädophilen nicht-exklusiv sind, also auch Erwachsene attraktiv finden und sich in sie verlieben können. Wie stark das Interesse an Kindern im Vergleich zu Erwachsenen ist, unterscheidet sich dabei von Person zu Person. Auch hier können wir zwei Extreme identifizieren: auf der einen Seite die exklusiv Pädophilen, die ausschließlich an Kinder interessiert sind, und auf der anderen Seite die exklusiv Teleiophilen, die ausschließlich an Erwachsenen interessiert sind (auch bekannt als: die Mehrheit der Menschen da draußen). Dazwischen bewegen sich Menschen, die sowohl Kinder als auch Erwachsene anziehend finden können.

Das führt zu einer weiteren Sichtweise auf das Thema. Anstatt Pädophilie und Teleiophilie als strikt voneinander abgetrennte Kategorien zu sehen, können wir sie als Ausprägungen eines weiteren kontinuierlichen Spektrums betrachten. Die Frage, die sich dann stellt, ist: ab welchem Punkt betrachten wir jemanden als pädophil? Sobald überhaupt irgendein Interesse an Kindern besteht? Wenn das Interesse im Verhältnis mindestens genauso groß ist, wie das Interesse an Erwachsenen? Oder sogar erst dann, wenn ausschließlich ein Interesse an Kindern und überhaupt keins an Erwachsenen vorliegt?

Je nachdem, wie man diese Frage beantwortet, ergeben sich auch unterschiedliche Schätzungen dazu, wie viele Menschen als pädophil gelten können. In einer 2015 veröffentlichten Studie im Rahmen des MiKADO-Projekts etwa gaben 4,1 % der Studienteilnehmer an, überhaupt sexuelle Fantasien zu Kindern zu haben, aber nur 0,1 % berichteten, öfter zu Kindern als zu Erwachsenen zu fantasieren. Je nachdem, ab wann wir einen Menschen auf dem pädo-teleio-Spektrum als pädophil einstufen, ergibt sich aus dieser Studie also ein Anteil von 0,1 % oder 4,1 % Pädophiler an der Gesamtbevölkerung.

Auch hier gibt es also ein Spektrum, entlang dessen sich Sexualität ausprägt. In den meisten Definitionen heißt es, dass das Interesse an Kindern im Vergleich zu einem eventuell parallel vorhandenen Interesse an Erwachsenen überwiegend vorhanden sein muss, damit ein Mensch als pädophil gilt. Schon bei Krafft-Ebing, der den Begriff der Pädophilie als erster prägte, heißt es, dass das Interesse an Kindern „primär“ existieren muss. Aus meiner Sicht ergibt das keinen Sinn: warum sollte Pädophilie nur in Relation zu anderen sexuellen Interessen definiert werden können? Ist jemand, der starke Gefühle zu Kindern empfindet nicht pädophil, nur weil er noch stärkere Gefühle zu Erwachsenen empfinden kann? Sollte das Interesse an Kindern nicht für sich genommen bewertet, und alleine an dem Vorhandensein eines solchen Interesses festgemacht werden, ob jemand pädophil ist?

Auch diese Festlegung von Pädophilie als primäres Interesse an Kindern ist vielleicht der Ursache geschuldet, dass Pädophilie eher als Bezeichnung für als gefährlich angesehene Menschen benutzt wird. Menschen, die überwiegend an Kindern interessiert sind, gelten dabei wohl als besonders gefährlich im Vergleich zu Menschen, deren Interesse zwar auch Kindern gilt, aber stärker noch Erwachsenen, an denen sie sich entsprechend „abreagieren“ können. Dies würde erklären, warum Menschen mit einem weniger starken Interesse an Kindern in vielen Definitionen nicht als pädophil gelten, auch wenn die Gefühle zu Kindern dennoch eindeutig da und wahrnehmbar sind.

Wissenschaftliche Erkenntnisse: mit Vorsicht zu genießen

Die MiKADO-Studie zeigt schon, dass je nachdem, wie Pädophilie definiert wird wissenschaftliche Untersuchungen zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen gelangen können. Generell ist es ein Problem, dass in wissenschaftlichen Arbeiten mit Pädophilie teilweise völlig verschiedene Sachen gemeint sind. Obwohl es bei Pädophilie eigentlich um einen körperlichen und geistigen Entwicklungsstand geht, beziehen sich viele Studien zum Beispiel auf bestimmte Altersbereiche, die als Proxy-Variable für den Entwicklungsstand herangezogen werden. In manchen Studien geht die Pädophilie dabei bis zu einem Alter von 12, bei anderen ist es 13, andere schließen sogar Jugendliche mit ein und gehen bis 16 hoch. Diese Unterschiede in den Definitionen erschwert die Interpretation der jeweiligen Ergebnisse und macht deren Vergleichbarkeit schwer bis unmöglich.

In einer 2021 veröffentlichten Metastudie schauten sich zum Beispiel einige Wissenschaftlerinnen aus dem UK wissenschaftliche Arbeiten an, die untersuchten, wie hoch der Anteil pädophiler Menschen in der Bevölkerung ist. Die Ergebnisse variierten dabei je nach Studie zwischen 0,2 % und 21 %. Die großen Unterschiede erklären die Autorinnen genau damit, dass unterschiedliche und in vielen Studien auch ungenaue Definitionen benutzt wurden, was Pädophilie überhaupt sein soll. Da die Frage „wie viele Menschen sind pädophil“ wesentlich davon abhängt, ab wann man einen Menschen als pädophil klassifiziert, sind die großen Unterschiede auch nicht wirklich überraschend. Auswirkungen hat das auch für Studien, die untersuchen, wie viele Kindesmissbrauchstäter pädophil sind, wobei hier noch eine weitere Ebene der Ungenauigkeit dadurch hinzukommt, dass mit fragwürdigen Methoden wie phallometrischen Untersuchungen versucht wird, Tätern in den Kopf zu schauen und als pädophil auch dann zu „entlarven“, wenn sie selber das nicht freiwillig zugeben wollen.

Erkenntnisse aus der Wissenschaft über Pädophilie sind daher immer mit Vorsicht zu genießen, insbesondere wenn es um Aussagen wie „x % der Menschen sind pädophil“ oder „x % aller Täter sind pädophil“ geht. Die erste Frage bei solchen Aussagen sollte immer sein, wie die Wissenschaftler:innen Pädophilie in ihrer Arbeit definiert haben, gefolgt von der Frage, wie sie festgestellt haben, ob jemand pädophil ist. Nur vor dem Hintergrund dieser beiden Informationen ist es überhaupt möglich, Studienergebnisse und wissenschaftliche Erkenntnisse richtig zu interpretieren und einzuordnen.

Versuch einer grundsätzlichen Definition

Bei all diesen Schwierigkeiten in der Definitionsfindung könnten wir es uns auch ganz einfach machen und sagen: pädophil ist, wer sich als pädophil identifiziert. Das hat auch einen gewissen Charme: anstatt Pädophilie zu einem Label zu machen, dass von außen teils mit Gewalt (Phallometrie) den Menschen aufgeklebt wird (nicht selten, um sie als gefährlich und inakzeptabel zu stigmatisieren), könnten wir so betroffenen Menschen die Deutungshoheit über ihre Identität und ihre selbst gewählte Bezeichnung zurückgeben und es jedem selber überlassen, ob er oder sie sich mit diesem Wort treffend beschrieben fühlt.

Dennoch fühlt sich diese Definition ein wenig wie ein geschummelter Zirkelschluss an. Um den Beitrag zu einem zufriedenstellenden Ergebnis kommen zu lassen, möchte ich zum Abschluss daher doch noch eine eigene Definition versuchen, was Pädophilie für mich bedeutet. Vor dem Hintergrund der zuvor betrachteten Aspekte halte ich dabei folgende Punkte für wichtig:

  1. Pädophilie ist das sexuelle oder romantische Interesse an vorpubertären Kindern. Beides ist gleich wichtig, muss aber nicht unbedingt zusammen vorhanden sein; es reicht auch, ausschließlich sexuell oder ausschließlich romantisch an Kindern interessiert zu sein.
  2. Ausschlaggebend ist eine gezielte Ansprechbarkeit auf die körperlichen und psychischen Merkmale vorpubertärer Kinder. Gemeint ist damit die Fähigkeit, vorpubertäre Körper erregend zu finden oder sich in Kinder verlieben zu können. Sexuelle Gefühle zu Kindern, die eigentlich aus einer Sexualisierung von Machtgefällen herrühren, sind damit ebenso wenig eingeschlossen wie Ersatzhandlungstäter:innen, die sexuelle Handlungen an Kindern zum Beispiel nur deshalb ausführen, weil diese im Vergleich zu Erwachsenen leicht verfügbare Opfer sind. Das Alter der Kinder, um die es geht, ist dabei irrelevant; einzig wichtig ist, dass sie die Pubertät noch nicht erreicht haben.
  3. Relevant ist eine hinreichend starke Ausprägung der Ansprechbarkeit. Das heißt, dass sie auch über einen längeren Zeitraum wahrnehmbar ist. Ob gleichzeitig eine Ansprechbarkeit auf Erwachsene vorliegt, und wie stark diese im Vergleich ist, ist irrelevant – für die Einstufung als „pädophil“ ist einzig von Bedeutung, ob man überhaupt Kinder ansprechend finden kann.

Vor diesen Hintergrund können wir die Frage, was Pädophilie ist, zusammengefasst wie folgt beantworten: Pädophil ist, wer die Fähigkeit besitzt, sich in vorpubertäre Kinder zu verlieben oder sie sexuell erregend zu finden.


  1. Die genaue Prozedur kann stellenweise variieren, so werden den Testpersonen manchmal gleichzeitig noch erotische Geschichten vorgelesen. 

  2. Es gibt auch analog dazu Messverfahren, die bei Menschen mit weiblichen Genitalien eingesetzt werden können, bei denen etwa die Durchblutung der Schamlippen oder die Feuchtigkeit der Vagina gemessen wird. Diese werden im Vergleich zur Phallometrie aber kaum eingesetzt. 

  3. Gunter Schmidt: Über die Tragik pädophiler Männer. In: Zeitschrift für Sexualforschung. Nr. 2/99, S. 133–139. 

CC BY-SA

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2 Kommentare

Danke für diesen Beitrag, Sirius. Es ist super, mal zu erfahren, wie Michael Seto und Co. arbeiten (Beispiel Phallometrie). Zudem finde ich es auch sehr verwunderlich, dass nicht schon längst eine vernünftige Definition für Pädophilie gefunden wurde, die nicht auf Abhängigkeiten zu anderen Chronophilien oder sonstigen basieren. Aber sie ist nun mal die menschliche Natur: immer über andere sprechen und versuchen sie in Schubladen zu stecken, die zu ihnen nicht mal passen.

Zur Definition kann ich sagen, dass ich mich dir da vollständig anschließe; schlüssig formuliert und all die wichtigen Punkte berücksichtigt.

Dazu fällt mir noch, dass auf sozialen Medien von gewissen Feministinnen zu hören ist, dass der Wunsch einiger Männer, dass die Partnerin keine Körperbehaarung haben soll, pädophile Wurzeln hätte. Dabei denke ich mir, dass dies lediglich ein Versuch ist, durch Stigma Angst und Unsicherheit auszulösen, um solche Wünsche zu unterbinden. Zum einen spaltet das die Gesellschaft noch mehr, während es gleichzeitig das Stigma gegen uns Pädophile fördert. Also eine destruktive These, die uns allen in mehreren Bereichen, wie der Gleichstellung und Gleichbehandlung sowie im Kampf gegen das Stigma, unsere Bemühungen um eine bessere gesellschaftliche Situation erschweren.

der Wunsch einiger Männer, dass die Partnerin keine Körperbehaarung haben soll, pädophile Wurzeln hätte

Als Vietnamese fällt mir dazu nur "Cringe" ein. Das ist westliche Moralpanik und nichts weiter. Ich habe als Mann so gut wie keine Körperbehaarung. Rassismus und nix weiter.

Sirius

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Mein Name hier ist Sirius – angelehnt an den Doppelstern im Großen Hund. Ich bin etwa Anfang 30, und studierter Informatiker. Seit meiner Jugend weiß ich, dass ich mich zu Kindern besonders hingezogen fühle. Und auch wenn der Umgang damit nicht immer einfach war, so hat es mich doch auch unter anderem zu meinem Rotkäppchen geführt, mit der ich in einer glücklichen Beziehung lebe. In meiner Freizeit versuche ich einen Beitrag zur Aufklärung über Pädophilie zu leisten, mache gerne Musik und verzweifle gelegentlich an der Gesellschaft.

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Danke, Sirius. Ich persönlich vertraue KTW einfach nicht. Ein Hilfsangebot, welches auf "Unterdrückung", "Kontrolle" und einem ständigen Gefühl von "das Problem ist meine Neigung, nicht dessen Umgang oder die Gesellschaft" machen ein positives Erleben schwer möglich. Wenn KTW sagt man solle "seine Neigung akzeptieren", dann ist damit gemeint das die Neigung für ein Leben lang bleibt. Das Ziel ist also den dortigen Patienten klar zu machen, das es keine "Heilung" gibt. Man soll also die Permanenz der Neigung akzeptieren, aber nicht dessen Wesen oder Inhalt. Anders kann ich mir nicht erklären, warum sämtliche Befriedigung mittels Stimuli abgelehnt und verteufelt wird. Das ist kein akzeptabler Zustand für viele und allenfalls für Sexualstraftäter hilfreich, aber nicht für Pädophile die eine gefestigte Persönlichkeit besitzen und jeglichen Missbrauch ablehnen - ohne das es dazu Gesetze, Verbote oder Unterdrückung braucht. Die Frage, ob ich ein Kind missbrauchen, oder reale Kinderpornographie konsumieren würde ist also eine Frage der Persönlichkeit. Meine Persönlichkeit, Moral und grundlegende Prinzipien menschlicher Ethik gehen nicht verloren, weil ich Spaß mit meiner Sexualität habe ohne reale Kinder zu involvieren. Diese Denkweise zeigt die Verachtung und die Abwertung des Individuums gut auf. Das Bild eines Pädophilen, welches Klaus Beier vertritt ist dementsprechend menschenverachtend, verpackt in wissenschaftlicher Sprache ohne die dahinterstehende Evidenz. Ich bin ebenfalls der Meinung das man Individuen nicht anhand von Statistiken und Wahrscheinlichkeiten beurteilen sollte, denn ich bin nicht für das Verhalten eines Missbrauchstäters verantwortlich. Genau so wie teleiophile Männer und Frauen nicht für Vergewaltiger verantwortlicht gemacht werden können.
Ja Sirius, Sie haben Recht! Leider besitzt Herr Beier diese Macht und ich sehe ich genauso wie Sie. Tatsächlich könnte er seinen Einfluss nutzen, um die psychischen Herausforderungen pädophiler Menschen sichtbarer zu machen und so dazu beitragen, Verzweiflung zu mindern. Tut er aber nicht! Auch mit Ihrer nächsten Einschätzung stimme ich überein. Die Lücke im Hilfesystem für Pädophile ist viel zu groß, als dass sie durch das Engagement Einzelner überbrückt werden könnte. Und das sage ich mit großem Bedauern. Der Gang zu einem Therapeuten ist für pädophile Menschen nach wie vor ein Spiel mit dem Feuer und er birgt reale Risiken. Ebenso gibt es, wie Sie richtig sagen, keine Nummer an dem in akuten Krisen garantiert ein offenes Ohr und Akzeptanz zu finden wäre außer in der Selbsthilfe! Das erschüttert mich - gerade, während ich das hier schreibe. KTW ist heute zwar nahezu flächendeckend bekannt, doch ich bezweifle, dass das Netzwerk mit seinen Strukturen und Angeboten dasselbe Anliegen verfolgt wie Sie oder ich. Inwiefern KTW für pädophile Menschen in Krisen wirklich eine geeignete Anlaufstelle ist, bleibt ungewiss. Auch hier scheint es ein Spiel mit dem Feuer zu sein, abhängig davon an welchem Standort man landet und auf welche Menschen man dort trifft. Keine Nummer, kein sicherer Raum (außer in der Selbsthilfe) – während für viele andere Themen längst Hilfestrukturen existieren. Das ist nicht nur eine Versorgungslücke, sondern ein ethisches Problem. Viele Betroffene berichten von einer Atmosphäre innerhalb des bestehenden Systems, die stärker von Kontrolle und Risikoabwehr geprägt ist als von echter emphatischer Hilfe.
Wir dürfen auch nicht Hebephile vergessen, welche oft den Pädophilen zugerechnet werden. Zur Hebephilie gibt es noch weniger Literatur, da es nie in eine Klassifikation aufgenommen wurde. Nach Angaben einiger Studien sind ca. 17% der Menschen hebephil (Bártová et al., 2021). Da wären wir also schon bei einer ganz anderen Dimension. Noch wurden keine "Sexpuppen mit jugendlichem Erscheinungsbild" verboten, aber da Hebephile Kinder ab ca. 11 Jahren attraktiv finden sind sie natürlich auch genau wie Pädophile von § 184l StGB und ähnlichen Gesetzen betroffen.
Schlechte Parodie. Der echte Klaus Beier hätte erst einmal infrage gestellt, ob Rubricappula überhaupt existiert, in Wirklichkeit nicht doch ein Mann oder vielleicht gar nicht wirklich pädophil ist. Pädophile Frauen gibt es für Beier schließlich eigentlich gar nicht, außer vielleicht in ganz extrem seltenen Sonderfällen.
Vielen Dank für die netten Worte. Ich bewundere Ihren Einsatz für pädophile Menschen sehr und möchte diesen keineswegs klein reden. Mir geht es vor allem darum, dass Beier eine immense epistemische Macht in diesem Themenbereich besitzt - was er sagt, gilt als Fakt, wird oft ungeprüft übernommen und bildet die Grundlage für gesellschaftliche und politische Diskussionen, selbst, wenn es völliger Unsinn ist (und vieles von dem, was Beier in diesen Tagen sagt, ist bei näheren Hinsehen kruder Unsinn, der jeglicher wissenschaftlicher Basis entbehrt). Er könnte seinen Einfluss nutzen, um die psychischen Herausforderungen pädophiler Menschen sichtbar zu machen, stattdessen erhöht er den gesellschaftlichen Druck, der einige überhaupt erst in die Verzweiflung treibt. In Deutschland leben grob geschätzt wohl so um die 500.000 pädophile Menschen, die, wie wir wissen, besonders oft von psychischen Erkrankungen betroffen sind. Gleichzeitig gibt es exakt keine professionelle Hilfsangebote, die man vorbehaltlos empfehlen kann. So wichtig Ihre Arbeit gerade auch im Angesicht der aktuellen gesellschaftlichen Situation ist, kann dieser Gap, fürchte ich, nicht alleine durch engagierte Einzelpersonen aufgefangen werden. Als Betroffener ist der Gang zum Therapeuten nebenan immer noch ein Spiel mit dem Feuer (ich selber habe hier sowohl positive als auch negative Erfahrungen gemacht), und es gibt keine Nummer, die man im Krisenfall wählen kann und wo Verständnis und Akzeptanz garantiert sind. Es bräuchte hier bundesweit agierende Strukturen und Hilfsangebote. KTW, was zumindest bis zum Ende diesen Jahres mit 5 Millionen Euro pro Jahr gefördert wird, hätte die Ressourcen, um den Bedarf teilweise abzufangen. Dass dort der Suizid von Patienten lediglich als bedauernswert gilt, lässt aber auch zweifeln, ob dieses Projekt eine empfehlenswerte Ressource für Menschen in Krisensituationen ist.