Vor wenigen Wochen stellte ich einen psychologischen Fragebogen als Selbsttest bereit (der auch immer noch ausgefüllt werden kann), der 1996 von dem forensischen Psychologen Kurt M. Bumby entwickelt wurde und bis heute breite Verwendung in Wissenschaft und Therapie findet, um sogenannte kognitive Verzerrungen zu Kindesmissbrauch zu ermitteln. Gemeint ist damit vor allem das, was wir als Pro-Contact (Pro-C) Ideologie bezeichnen würden: die Ansicht, dass Kinder Sex mit Erwachsenen wollen und einvernehmliche Sexualkontakte zwischen Erwachsenen und Kindern möglich sind. Der Test ist dabei so aufgebaut, dass ein besonders hohes Ergebnis für ein hohes Maß an kognitiven Verzerrungen sprechen soll.
Wie angekündigt werde ich mich nun detaillierter und kritischer mit dem Fragebogen, aber auch mit dem Konzept der kognitiven Verzerrungen allgemeiner beschäftigen. Anfangen möchte ich damit, mein eigenes Ergebnis auf der Bumby-Skala zu diskutieren, denn zum Selbsttest habe ich versucht, den Fragebogen so unvoreingenommen wie irgendwie möglich erst einmal selber zu beantworten. Zur Erinnerung: in der Literatur findet sich ein grober Richtwert von um die 50 Punkten bei Menschen, die keinen Kindesmissbrauch begangen haben, während Sexualstraftäter gegen Kinder meist so um die 80 Punkte erzielen.
Mein eigenes Ergebnis liegt bei 86 Punkten – nur dem Endergebnis nach bin ich in Bezug auf Kindesmissbrauch also stärker kognitiv verzerrt, als selbst der durchschnittliche Kindesmissbrauchstäter. Immerhin bin ich damit in guter Gesellschaft: bei den 21 Antworten, die eingesendet wurden, liegt der Durchschnittswert bei 73 Punkten (Standardabweichung: 24,62), und der höchste abgegebene Wert sogar bei 146 von 152 möglichen Punkten. Bevor wir aber die Schlussfolgerung ziehen, dass KiH-Leser:innen eine Bubble von besonders stark kognitiv verzerrten Hochrisiko-Menschen bilden, sollten wir erst einmal den Fragebogen an sich kritisch hinterfragen.
Die Bumby-Skala misst keine kognitiven Verzerrungen
In einigen Kommentaren des Selbsttests wurde schon angemerkt, dass viele der Aussagen in dem Test von Bumby merkwürdig wirken, und als vermeintliche Zustimmung zu Verharmlosung von Kindesmissbrauch keinen Sinn ergeben.
So gibt es Aussagen in dem Test, die einfach offensichtlich wahr sind, zum Beispiel Aussage 10: „Ein Kind zärtlich zu streicheln, wird ihm nicht so sehr schaden, wie mit ihm Geschlechtsverkehr zu haben.“ Zunächst muss „zärtlich streicheln“ gar nichts Übergriffiges bedeuten, sondern kann auch wichtige Zuneigung sein, die Eltern ihren Kindern geben. Damit wäre der Aussage natürlich voll zuzustimmen, da alles andere fürsorgliche elterliche Zuneigung auf eine Stufe mit Kindesmissbrauch stellen würde. Aber selbst wenn wir „zärtlich streicheln“ als nicht-penetrativen Missbrauch (Streicheln zwischen den Beinen u. ä.) interpretieren, gibt es starke Hinweise darauf, dass dies tendenziell zu weniger schlimmen psychischen Folgen führt, als penetrativer Missbrauch (und körperliche Folgen sind sowieso weniger drastisch).12 Eine Zustimmung zu dieser Aussage führt am Ende aber zu mehr Punkten im Endergebnis, wird also von dem Test als Ausdruck einer kognitiven Verzerrung gewertet.
Das Gleiche gilt auch bei Aussagen 20 und 22, die behaupten, dass manche Täter glauben, mit ihren Taten Kindern etwas Gutes zu tun. Dass dies wahr ist, gilt ebenso offensichtlich – schließlich soll gerade der Fragebogen von Bumby abfragen, ob man so etwas glauben könnte. Absurderweise führt aber ausgerechnet die Anerkennung, dass derartige Kognitionen existieren dazu, dass man selber Punkte auf dem Konto der kognitiven Verzerrungen zugeschrieben bekommt.3
Besonders perfide ist auch Aussage 7: „Sexuelle Gedanken oder Phantasien über ein Kind zu haben, ist nicht so schlimm, weil es das Kind nicht wirklich verletzt.“ Auch hier gilt: Wer zustimmt, sammelt Punkte, die am Ende auf eine kognitive Verzerrung hindeuten sollen. Als Pädophiler kann man hier also nur ein niedriges Ergebnis bekommen, wenn man die eigenen Phantasien ablehnt und auf eine Stufe mit echtem Missbrauch stellt.
Bei vielen Aussagen des Tests ist es also absolut unklar, inwiefern eine Zustimmung dazu ein Hinweis auf kognitive Verzerrungen sein soll. Eher scheint der Test Menschen zu bestrafen, die nicht als emotionale Abwehrhaltung alles instinktiv von sich wegschieben, was bei ihnen eventuell unangenehme Gefühle auslöst, und sich tiefergehender zum Beispiel mit den Motivationen von Missbrauchstäter:innen auseinandersetzen.
Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob der Test überhaupt geeignet ist, um tatsächliche Pro-C Ansichten zu erkennen, denn schon die Wortwahl ist voreingenommen und enthält eine klare moralische Wertung, welche das Antwortverhalten beeinflussen kann. So ist an vielen Stellen die Rede von „Opfer“, „Täter“ und „Missbrauch“. Das Problem dabei ist, dass Pro-Cs, die wirklich an die Möglichkeit einvernehmlicher Sexualkontakte zwischen Erwachsenen und Kindern glauben, diese ja gerade eben nicht als Missbrauch sehen. Das heißt, dass sie womöglich den Aussagen gerade deshalb nicht zustimmen, weil die Rede von Missbrauch ist.
Komplexe Ansichten werden auf eine Zahl reduziert
Ein großes Problem der Skala von Bumby ist, dass das Testverfahren versucht, komplexe Einstellungen zu einem schwierigen Thema auf eine einfache Zahl herunterzubrechen. Dabei gehen notwendigerweise wichtige Informationen verloren. Es reicht eben nicht nur, festzustellen, ob jemand einer Aussage zustimmt oder sie ablehnt, sondern es ist womöglich viel relevanter, warum diese Zustimmung oder Ablehnung erfolgt.
Wer zum Beispiel zustimmt, dass Missbrauch unter Gewaltanwendung tendenziell schlimmere Folgen hat als „zärtlicher“ Missbrauch (Aussagen 8 & 10), stimmt nicht unbedingt auch zu, dass dieser „zärtliche“ Missbrauch dadurch gar keine Negativfolgen hat oder irgendwie akzeptabel ist. Es ist durchaus möglich, „zärtlichen“ Missbrauch abzulehnen und gleichzeitig Vergewaltigungen unter Gewalteinwirkung als tendenziell noch schlimmer zu sehen. Wer Mord für schlimmer als Diebstahl hält, bagatellisiert damit ja auch nicht automatisch Diebstahl oder ist nicht zwingend der Ansicht, dass Diebstahl im Grunde in Ordnung ist. Für derartige Differenzierungen lässt die Skala aber keinen Raum, denn es zählt ausschließlich, ob man der Aussage überhaupt zustimmt.
Ähnliches gilt auch für die Aussagen, dass manche Täter glauben, ihren Opfern eigentlich Gutes zu tun. Zuzustimmen, dass es Täter gibt, die aus ihrer Sicht ernsthaft davon überzeugt sind, ist auch nicht gleichbedeutend damit zu glauben, dass die Handlungen auch tatsächlich gut für die betroffenen Kinder waren, oder dass die Taten dadurch nicht verurteilenswert wären. Ein weiteres Beispiel: in Aussage 24 wird abgefragt, ob man der Meinung ist, dass sich manche Kinder sehr verführerisch verhalten können. Als pädophiler Mann muss ich dieser Aussage zustimmen, daraus folgt aber sicherlich nicht, dass ich glaube, dass Kinder bewusst versuchen, Erwachsene zu verführen (wohl eher nicht), oder dass sie wissen, was das überhaupt bedeutet (auch eher nicht), oder dass es in Ordnung wäre, sich „verführen zu lassen“, also sich auf sexuelle Handlungen mit dem Kind einzulassen (definitiv nicht).
Ich erinnere mich noch gut an das frustrierende Gefühl, als ich diesen Fragebogen das erste Mal bei Kein Täter Werden (KTW) ausfüllen sollte. Auch, ohne damals von Bumby und seiner Skala vorher je gehört zu haben, macht der Aufbau des Fragebogens es sehr offensichtlich, was sein Ziel ist und welche Antwort erwartet wird, wenn man als „nicht kognitiv verzerrt“ gelten möchte. Hilfreich ist dabei auch, dass keine Aussage invers kodiert ist, eine Zustimmung also immer die „falsche“ Antwort ist. An vielen Stellen konnte ich guten Gewissens keine Ablehnung angeben, hätte mir aber die Möglichkeit gewünscht zu erklären, warum eine Zustimmung für mich nicht bedeutet, dass sexuelle Handlungen an Kindern deswegen akzeptabel sind. Da das Ergebnis aber am Ende eine einfache Zahl sein muss, sind derartige Anmerkungen im Konzept nicht vorgesehen.
Messverfahren für Täter eignen sich nicht automatisch für Pädophile
Diese Unzulänglichkeiten des Bumby-Tests können vermutlich dadurch erklärt werden, dass er ursprünglich an Kindesmissbrauchstätern entwickelt wurde – deswegen heißt der Test im Deutschen auch „Skala zur Erfassung kognitiver Verzerrungen bei Missbrauchern“.4 Viele Aussagen fragen also nicht unbedingt Einstellungen zu Sex mit Kindern ab, sondern eher den Hang, begangene Sexualdelikte zu relativieren und vor sich und anderen zu rechtfertigen. Für nicht-straffällige (pädophile) Menschen ist das Testverfahren damit womöglich völlig nutzlos. Selbst die deutschsprachige Verfahrensdokumentation, quasi der Beipackzettel des Testverfahrens, weist darauf hin, dass das Verfahren nicht unbedingt auch auf Nicht-Täter ohne weiteres übertragbar ist:4
Zudem ist der Fragebogen gut in der Handhabung und hat sich in zwei Studien bewährt. Letzteres sollte allerdings nicht überbewertet werden, da die Studien durch die Inhaftierung, die zugesicherte Anonymität und das Fehlen einer Tätertherapie viele Gemeinsamkeiten aufwiesen, so dass sich die Frage der Übertragbarkeit stellt, wenn diese Gemeinsamkeiten entfallen.
Dass dieses Verfahren trotz dieser Warnung auch an nicht-straffälligen Pädophilen durchgeführt wird und regelmäßig Pädophilen in Studien und Therapie vorgelegt wird, ist damit eher ein weiteres Zeichen, dass Pädophile selbst in der Wissenschaft als Täter:innen oder zumindest Täter:innen im Grunde gleichgestellt gesehen werden.
Ein hohes Testergebnis ist kein Risikofaktor für Missbrauch
Der Einsatz der Bumby-Skala in der Therapie wird dadurch gerechtfertigt, dass damit kognitive Verzerrungen aufgedeckt werden sollen, die (insbesondere bei Pädophilen) ein dynamischer Risikofaktor für Kindesmissbrauch seien. Heißt, wer solche kognitiven Verzerrungen besitzt, der begeht angeblich eher tatsächlichen Kindesmissbrauch. Dieser Risikofaktor wird als dynamisch bezeichnet, weil sich kognitiven Verzerrungen prinzipiell ändern können. Für Therapeut:innen, deren Hauptmotivation die Prävention von Kindesmissbrauch ist, sind dynamische Risikofaktoren gewissermaßen der heilige Gral, denn dynamische Faktoren können in einer Therapie tatsächlich bearbeitet und die Klienten damit weniger gefährlich gemacht werden – so ist zumindest der Gedanke.
Nun ist die Vorstellung, dass Menschen, die einvernehmlichen Sex mit Kindern für grundsätzlich möglich halten eher auch tatsächlich sexuelle Handlungen mit Kindern durchführen als Menschen, die dies strikt ablehnen, intuitiv ja erstmal durchaus plausibel. Nur ist es, wie bereits gezeigt, äußerst fragwürdig, ob der Fragebogen von Bumby diese Haltung überhaupt misst.
Wenn das Ergebnis auf der Bumby-Skala tatsächlich ein dynamischer Risikofaktor für Missbrauch ist, müsste zu beobachten sein, dass Menschen mit einem hohen Testergebnis öfter Straftaten begehen als Menschen mit einem eher niedrigen Ergebnis. Tatsächlich aber konnte dieser Zusammenhang bislang nicht empirisch festgestellt werden. Zwar erzielen in Studien Täter konsistent durchaus höhere Testergebnisse als Nicht-Täter.5 6 Das ist aber erst einmal nur ein Hinweis darauf, dass der Test gut darin ist, Rechtfertigungsstrategien von Tätern zu erfassen, und bedeutet nicht zwingend, dass Menschen mit einem hohen Wert auch eher (wieder) Täter werden. Den Zusammenhang zwischen dem Bumby-Wert und Rückfälligkeit wiederum untersuchte eine Studie von 2024 an 146 Sexualstraftätern aus forensischen Einrichtungen, mit dem Ergebnis, dass sich die Rückfallquote bei Tätern mit einem hohen Wert nicht signifikant von Tätern mit einem niedrigen Wert unterschied.7 Ein empirischer Beweis dafür, dass das Ergebnis im Bumby-Test mit dem Risiko für zukünftige Straftaten zusammenhängt, fehlt damit bis heute.
Auf einen ziemlich unerwarteten Zusammenhang zwischen der Bumby-Skala und Kindesmissbrauch bin ich allerdings doch während der Recherche für diesen Beitrag gestoßen. In einem Fall von bitterer Ironie wurde ausgerechnet Kurt Bumby, der Erfinder des Testverfahrens, das eingesetzt wird um vermeintlich zu Missbrauch neigende Personen zu identifizieren, 2023 wegen Kindesmissbrauch zu einer Höchststrafe von sieben Jahren Haft verurteilt. Leider lassen sich keine Informationen dazu finden, ob Bumby je seinen eigenen Test durchlaufen hat.
„Kognitive Verzerrungen“ behandeln zu wollen, ist der falsche Ansatz
Fassen wir noch einmal zusammen, was also gegen den Fragebogen von Bumby spricht: Er enthält fragwürdige Aussagen, die keinen Hinweis auf kognitive Verzerrungen oder Pro-C Einstellungen zulassen; es gibt keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen einem hohen Testergebnis und einem erhöhten Missbrauchsrisiko; und er wurde von einem verurteilten mehrfachen Missbrauchstäter entwickelt. Trotz all dem wird der Fragebogen unter anderen bei KTW immer wieder eingesetzt, um die vermeintliche kognitive Verzerrtheit der Klienten zu messen. Die Senkung des Testergebnisses wird dadurch zu einem Therapieziel erhoben und zu einer Metrik, an dem auch der Erfolg des Projekts KTW ganz grundsätzlich gemessen wird.
Die Frage, ob die Therapie bei KTW überhaupt etwas bringt, ist noch einmal einen eigenen Beitrag wert. An dieser nur soviel: obwohl KTW sich gerne so präsentiert, als wäre die präventive Wirkung der Therapie erwiesener Fakt, ist die empirische Beweislage deutlich fragwürdiger.8 Das zeigt sich schon in den von KTW selber durchgeführten Untersuchungen. Letztes Jahr veröffentlichte Prof. Klaus Beier mit Kolleg:innen der Berliner Charité eine Studie, in der sie 56 Klienten von KTW untersucht haben, denen einmal zu Beginn, einmal direkt nach Abschluss der Therapie und schließlich noch einmal mit zeitlichem Abstand von mindestens einem Jahr eine Reihe von Fragebögen vorgelegt wurde, darunter auch der Bumby-Test. Das Ergebnis darf als vernichtend bezeichnet werden: im Bereich Kinderpornografie lag die Rückfallquote bei mindestens etwa 90 % – in der Realität könnte sie sogar bei 100 % liegen, da von einigen Teilnehmern zu der Frage Daten fehlten. Ein Teilnehmer hat sogar erst nach der Therapie überhaupt erst mit dem Konsum von Kinderpornografie angefangen. Bei Kindesmissbrauch lag die Rückfallquote bei deutlich geringeren 8 %, was in etwa vergleichbar mit dem Wert im Hellfeld ist – bei untherapierten Täter:innen.
Da diese Daten nicht unbedingt eine Erfolgsstory beschreiben, ziehen Beier und Kollegen eine Reihe alternativer Metriken heran, die belegen sollen, dass die Therapie bei KTW trotzdem etwas bringt. Eine dieser Metriken ist das Testergebnis auf der Bumby-Skala: Eine Reduzierung soll hier beweisen, dass die Therapie es schafft, „kognitive Verzerrungen“ zu bearbeiten und die Klienten somit weniger gefährlich zu machen. Selbst hier war die Therapie nicht wirklich erfolgreich: so ist der Wert auf der Bumby-Skala bei den Klienten zwar direkt nach der Therapie etwas zurückgegangen, hat sich aber im Anschluss an die Therapie wieder mehr oder weniger auf den vorigen, „untherapierten“ Wert wieder eingependelt. Die Senkung des Bumby-Wertes zu einem Ziel des Therapieprojekts zu machen hat aber direkte Folgen für die Therapie als solche.
Der Bumby-Test unterteilt die Welt in scheinbar objektiv richtige Ansichten und Aussagen, die als „dysfunktional“ und „kognitiv verzerrt“ zählen. Für individuelle Ansichten, die komplexer sind, als es die einfache Bumby-Skala zulässt, gibt es damit gar keinen Raum mehr, da für die Therapieevaluation nur der finale Wert von Bedeutung ist. Die Mitarbeitenden bei KTW nehmen damit für sich in Anspruch, die objektive Wahrheit zu kennen (was, nebenbei bemerkt, selber eine Art von kognitiver Verzerrung ist), wobei alles, was gegen diese Ansichten spricht, zu einer Form von Pathologie degradiert wird, die es zu „heilen“ gilt. Eine Therapie, deren Ziel es ist Klienten vom „falschen“ Glauben abzubringen und zum „richtigen“ Glauben zu führen, ist aber kaum mehr als eine Konversionstherapie im religiösen Sinne.
Dieser Ansatz ist nicht nur fundamental respektlos gegenüber den Klienten und ihren individuellen Ansichten und vermutlich völlig wirkungslos zur Prävention (da es keinen beweisbaren Zusammenhang zu Straftaten gibt), sondern auch potenziell katastrophal für das Wohlergehen der Klienten. Besonders deutlich wird dies an Aussage 7 des Tests, „Sexuelle Gedanken oder Phantasien über ein Kind zu haben, ist nicht so schlimm, weil es das Kind nicht wirklich verletzt.“ Wenn die Senkung der Bumby-Skala zum Erfolgsmerkmal der Therapie gemacht wird, muss KTW ihre Klienten dazu bringen dieser Aussage nicht zuzustimmen, sie also dahin führen, dass sie ihre eigenen Fantasien als gleich schlimm wie echten Missbrauch sehen, was natürlich einen hohen Leidensdruck erzeugen kann. Leider wurden in der Studie von Beier und Kolleg:innen nur bei der letzten Befragung Daten dazu gemessen. Über Auswirkung der Therapie auf die Lebensqualität der Klienten lässt sich damit nichts sagen, allerdings zeigen die existierenden Daten, dass es den Klienten zumindest nach Abschluss der Therapie nicht gut geht und sie ihre Lebensqualität als deutlich schlechter bewerten, als es Durchschnitt in der Allgemeinbevölkerung ist.
Da KTW im Selbstverständnis die Verhinderung von Sexualstraftaten das oberste Ziel ist, und die Verbesserung des Wohlergehens der Klienten im besten Fall an zweiter Stelle steht, stellt sich hier eine drängende Frage: nimmt KTW es in Kauf, dass es ihren Klienten unter Umständen schlechter geht, indem sie ihnen für das Selbstbild schädliche Kognitionen vermitteln, wenn sie glauben, dadurch die Klienten weniger gefährlich zu machen? Jedenfalls ist es eine entwürdigende Erfahrung, wenn Hilfe suchende (und damit besonders vulnerable) Pädophile als Erstes einen von einem Missbrauchstäter entwickelten Fragebogen ausfüllen soll, der bewerten soll, wie gefährlich und kognitiv verzerrt man ist, und es erinnert an ähnliche Fälle, an denen sich Missbrauchstäter moralisch über Pädophile stellen wollen.
Die Verantwortung für die durchwachsenen Ergebnisse suchen Beier und Kolleg:innen übrigens an keiner Stelle bei sich. Wenn es den Klienten nach der Therapie schlecht geht, sei dies ihnen zufolge ein Zeichen dafür, wie belastend Pädo- und Hebephilie sei. Als Grund dafür, dass der Bumby-Wert nicht langfristig reduziert werden konnte, vermuten die Autor:innen, dass Pädohebephilie einen Konflikt zu den in der Therapie korrigierten Überzeugungen erzeugen würde, was zu einem Rückfall in die „disfunktionalen Kognitionen“ führe. Und auch die hohe Rückfallquote liege nicht daran, dass KTW als Präventionsprojekt versagt, sondern sei vielmehr die Folge davon, dass pädophebephile Menschen nun halt einmal „besonders gefährliche Individuen“ (high-risk individuals) mit einem „dauerhaften Risiko für sexuellen Missbrauch“ seien. Das Therapieprogramm von KTW wird an keiner Stelle fundamental hinterfragt, stattdessen wird der Grund für unbefriedigende Ergebnisse stets in der Pädo- und Hebephilie gesucht. Dabei hält zumindest Prof. Andrej König von der FH Dortmund in einem Kommentar zu dem Artikel es für möglich, dass die Therapie bei KTW sogar negative Folgen hat und zumindest einige Klienten überhaupt erst gefährlich macht.9 Dieser Mangel an Selbstreflexion und Selbstkritik, zusammen mit dem grundsätzlich verächtlichen und respektlosen Umgang gegenüber Pädophilen, passt jedenfalls gut zu dem von Bumby induzierten Ansatz, nach dem eine Seite im Besitz der objektiven Wahrheit ist, und jede Abweichung davon Zeichen einer Pathologie ist.
Ein alternativer Ansatz
Dass bestehende Ansätze wie das Bumby-Testverfahren ungeeignet sind, um die Ansichten pädo- und hebephiler Menschen zu Sex mit Kindern abzubilden, argumentieren auch Sara Jahnke, Sabine Schmitt und Agustín Malón in einer 2017 veröffentlichten Arbeit, 10 in der sie einen alternativen Ansatz vorschlagen, um Ansichten zu Sex mit Kindern besser abzubilden. Dabei identifizieren sie fünf Kernargumente, die meist gegen Sex mit Kindern vorgebracht werden: direkte Schädlichkeit für Kinder, indirekte Schädlichkeit durch negative Reaktionen von außen, mangelnde Fähigkeit zum informierten Einverständnis, leicht auszunutzende Machtungleichgewichte zwischen Kindern und Erwachsenen, sowie Inkompatibilität zwischen der Sexualität von Kindern und Erwachsenen. Darauf aufbauend formulieren sie ein hypothetisches Szenario, in dem ein Erwachsener sexuelle Handlungen an einem 10-12-jährigen Kind vornimmt, und fragen die Einstellung zu dieser Konstellation über verschiedene Aussagen ab, deren Zustimmung bzw. Ablehnung ähnlich wie bei der Bumby-Skala gemessen wird. Eine Aussage lautet zum Beispiel: Es ist unwahrscheinlich, dass das Kind durch den sexuellen Kontakt negativ beeinflusst wird. Dieser Ansatz hat zwar ebenfalls das Problem, dass komplexe individuelle Ansichten auf eine einfache Zahl reduziert werden, die sich aus der Einstellung zu isolierten Aussagen ergibt. Dennoch scheint dieser Ansatz deutlich vielversprechender, um Pro-Cs von Anti-Cs zu differenzieren, da tatsächlich zentrale Argumente zu Sex mit Kindern statt nur von Tätern geäußerte Rechtfertigungen abgefragt werden.
Ausgetestet haben die Autor:innen dieser Fragebogen an einer Gruppe, die zum Teil aus nicht-pädophilen und zum Teil aus pädohebephilen Menschen bestand, die aus Online-Plattformen für Pädophile rekrutiert wurden. Dass letztere dabei deutlich höhere Werte hatten, ist nicht unbedingt verwunderlich, da der Studienaufruf vor allem in Pro-C Communitys verbreitet wurde. Interessant ist dabei, dass Pädophile, die zu Pro-C Ansichten tendierten generell eher ein sozial erwünschtes Antwortverhalten zeigten (also eher sagen, was andere hören wollen), was gegen den oft von Pro-Cs vorgebrachten Vorwurf spricht, Anti-Cs wären nur gegen Sex mit Kindern, weil wir uns bei der Gesellschaft anbiedern wollen.
Auch mit ihrem Fragebogen konnten die Autor:innen allerdings keinen Zusammenhang zwischen den Testergebnissen und Verurteilungen wegen Sexualstraftaten gegen Kinder feststellen. Wer also Pro-C Ansichten hatte, gab nicht öfter als andere an, wegen solcher Straftaten verurteilt worden zu sein. All dies stellt die intuitive Hypothese, dass Menschen mit Pro-C-Ansichten eher Kinder missbrauchen, ziemlich infrage. Womöglich spielt es für die Frage, ob ein Mensch fähig ist, ein Kind sexuell zu missbrauchen am Ende gar keine so große Rolle, ob dieser Mensch Sex mit Kindern grundsätzlich ablehnt oder nicht.
Für den therapeutischen Kontext haben die Autor:innen schließlich auch einen Vorschlag. Anstatt zu versuchen, die Ansichten der Klienten so zu „korrigieren“, dass sie mit den moralischen Vorstellungen der Therapierenden übereinstimmen, solle man sich lieber auf einen Kompromiss einigen. Sowohl Pro-Cs, als auch Anti-Cs und die nicht-pädophile Gesamtgesellschaft ist sich nämlich in einem Punkt weitestgehend einig: dass Sex mit Kindern (auch) immer die Gefahr birgt, die Kinder zu stigmatisieren und durch Ermittlungsverfahren und Gerichtsprozesse zu belasten, also ein hohes Risiko für (zusätzlichen) Schaden durch die Reaktion der Umwelt besteht. Da sich alleine daraus ergibt, dass sexuelle Handlungen mit Kindern nicht stattfinden dürfen, reicht dies aus Präventionssicht womöglich auch dann, wenn Sex mit Kindern nicht kategorisch abgelehnt wird.
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Negriff, Sonya, Janet U. Schneiderman, Caitlin Smith, Justine K. Schreyer, and Penelope K. Trickett. “Characterizing the Sexual Abuse Experiences of Young Adolescents.” Child Abuse &Amp; Neglect 38, no. 2 (February 2014): 261–70. https://doi.org/10.1016/j.chiabu.2013.08.021. ↩
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Andrews, Gavin, Justine Corry, Tim Slade, Cathy Issakidis, Heather Swanston, and others. “Child Sexual Abuse.” Comparative Quantification of Health Risks: Global and Regional Burden of Disease Attributable to Selected Major Risk Factors 2 (2004): 1851–1940. ↩
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An diesem Punkt würde mich einmal sehr interessieren, welchen Wert diejenigen Wissenschaftler:innen und Therapeut:innen in dem Test erzielen, die ihn routinemäßig in ihrer Arbeit anwenden. ↩
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Feelgood, S., G.A. Schaefer, and J. Hoyer. “KV-M - Skala zur Erfassung kognitiver Verzerrungen bei Missbrauchern.” ZPID (Leibniz Institute for Psychology) – Open Test Archive, 2009. https://doi.org/10.23668/PSYCHARCHIVES.4745. ↩
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Rambow, J., K. Elsner, S. Feelgood, and J. Hoyer. “Einstellungen Zum Kindesmissbrauch.” Zeitschrift Für Sexualforschung 21, no. 04 (December 2008): 341–55. https://doi.org/10.1055/s-0028-1098723. ↩
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Bumby, Kurt M. “Assessing the Cognitive Distortions of Child Molesters and Rapists: Development and Validation of the MOLEST and RAPE Scales.” Sexual Abuse: A Journal of Research and Treatment 8, no. 1 (January 1996): 37–54. https://doi.org/10.1007/bf02258015. ↩
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Nunes, Kevin L., Cathrine Pettersen, Chantal A. Hermann, Jan Looman, and Jessica Spape. “Does Change on the MOLEST and RAPE Scales Predict Sexual Recidivism?” Sexual Abuse 28, no. 5 (July 2014): 427–47. https://doi.org/10.1177/1079063214540725. ↩
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König, Andrej. “Über 15 Jahre „Kein Täter Werden“ – Mehr Schaden Als Nutzen?” Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 17, no. 4 (October 2023): 389–94. https://doi.org/10.1007/s11757-023-00797-1. ↩
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König, Andrej. “The German ‘Dunkelfeld’ Approach: When the Dark Figure of Sexual Delinquency against Minors Remains Shady.” Journal of Prevention, April 2025. https://doi.org/10.1007/s10935-025-00852-z. ↩
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Jahnke, Sara, Sabine Schmitt, and Agustín Malón. “What If the Child Appears to Enjoy It? Moral Attitudes toward Adult–Child Sex among Men with and without Pedohebephilia.” The Journal of Sex Research 55, no. 7 (January 2017): 927–38. https://doi.org/10.1080/00224499.2016.1271101. ↩