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Wie viele Popsongs gibt es eigentlich, die sexuelle Gefühle verarbeiten, welche die Künstler als Kind für erwachsene Männer empfunden haben? Zumindest eines fällt mir da auf Anhieb ein. Das war Grund genug für mich, sich dieses Lied einmal genauer anzuschauen, was sich auch gelohnt hat: nicht nur handelt es sich bei dem Lied um eine absolute Perle der Musikgeschichte, beim näheren Hinsehen eröffnen sich einem mehrere Bedeutungsebenen, deren Betrachtung durchaus spannend ist.

Aber fangen wir einmal ganz von vorne an. Björk Guðmundsdóttir, geboren und aufgewachsen in Island, gehört zweifelsohne zu den ideenreichsten und kreativsten Künstlerinnen unserer Zeit. Ihren ersten Plattenvertrag bekam sie bereits 1977 im Alter von 11 Jahren – das Album kann man sich heute auf YouTube anhören (Highlight ist ein gar nicht mal so übles Cover des Beatles-Songs The Fool on the Hill auf Isländisch). In den 48 Jahren seitdem hat sie 10 Studioalben mit eigenem Material veröffentlicht, die unterschiedlicher und teils absonderlicher nicht seien könnten, und dabei so viele Preise gewonnen, dass die Liste dieser Preise eine eigene Wikipedia-Seite hat.

Bevor sie jedoch als Solokünstlerin ihren Durchbruch feierte, war sie Teil der isländischen Rockband The Sugarcubes. 1988 veröffentlichte die Band ihr Debutalbum Life’s Too Good, das unerwartet zu internationaler Bekanntheit gelangte. Dies lag vor allem an einem Lied, das eigentlich eher als Nebenprojekt aufgenommen wurde und bereits im Vorjahr von Hörer:innen in den UK als bestes Lied des Jahres gekürt wurde.

Ein Mädchen und ihr Freund

Birthday wurde von allen Mitgliedern der Band geschrieben, wobei der Text vor allem Björk zugeschrieben wird. Das Lied beginnt mit einem kurzen, achttaktigen instrumentalen Intro, das die grundlegende Atmosphäre etabliert: fröhlich, energetisch, scheinbar unbekümmert, aber auch irgendwie mysteriös. Nach einem kurzen Einwurf vom Schlagzeug sind wir auch schon in der ersten Strophe.

She lives in this house over there
Has her world outside it
Scrabbles in the earth with her fingers and her mouth
She's five years old

Threads worms on a string
Keeps spiders in her pocket
Collects fly wings in a jar
Scrubs horse flies and, and pinches them on a line

Die erste Strophe stellt uns im Text die Protagonistin des Songs vor: ein fünfjähriges Mädchen, bei deren Beschreibung mir als Erstes das englische Wort Tomboy einfällt (Deepl schlägt als deutsche Übersetzung „burschikoses Mädchen“ vor, daher bleibe ich lieber bei Tomboy). Sie genießt scheinbar weitestgehende Freiheit, verbringt ihre Zeit vor allem draußen (has her world outside it) und sammelt Insekten, Spinnen und Würmer als Hobby. Ein ungewöhnliches Mädchen, das in ungewöhnlichen Verhältnissen aufwächst.

Musikalisch etabliert die erste Strophe den vor allem von Bass und Schlagzeug getragenen Groove, der die Basis für das ganze Lied bildet. Darüber werden Gitarre und Gesang gelegt. Und der Gesang … oh Mann, wir müssen über den Gesang reden.

Björk ist eine dieser Sängerinnen, die sofort innerhalb von ein, zwei Noten erkennbar ist. Das liegt nicht nur an ihrer Stimme, sondern auch an ihrer Art zu singen, die laufend mit Konventionen bricht, tut was eigentlich nicht funktionieren sollte, aber am Ende doch irgendwie funktioniert. In Birthday kommt diese Gesangstechnik vielleicht zum ersten Mal richtig zur Geltung, ist zugleich prototypisch angelegt und bereits im Wesentlichen zur Perfektion verfeinert.

Björk singt ihren Text nicht nur einfach, sie grölt, kreischt, haucht und jodelt ihn, manchmal alles gleichzeitig. Ihre generell eher mädchenhafte und helle Stimme klingt auf der Aufnahme besonders jung, was wunderbar zu dem Stück und der (scheinbar) unbekümmerten, kindlichen Atmosphäre passt. Während die Harmonik und die Struktur des Liedes recht einfach und weitestgehend symmetrisch angelegt sind, wehrt sich der Gesang gegen diese konventionelle Struktur, ist nicht ganz im Takt und phrasiert den Text so, wie man es eigentlich nicht machen würde, mit Atempausen und Akzenten an ungewöhnlichen Stellen. Genauso wie das Mädchen gesellschaftlichen Konventionen nicht entspricht, weigert sich auch der Gesang, Konventionen der Popmusik zu entsprechen.

Nach der Strophe kommen wir schließlich in den Refrain.

Oh-oh-oh-oh-oh
Oh-oh-oh-oh, eeh-oh
Oh-oh-oh-oh-oh
Oh-oh, oh

Ich denke, es ist dieser Refrain, der den internationalen Durchbruch der Sugarcubes und damit auch von Björk erreicht hat. In gewisser Weise handelt es sich um die logische Schlussfolgerung der bereits unkonventionellen Gesangstechniken, die wir in der Strophe gesehen haben. Statt einer eingängigen Melodie hören wir wortlose, ekstatische Schreie, wie ein Ausdruck ungebändigter und wechselhafter kindlicher Lebensfreude, die sich in einem Moment noch kreischend nach oben erhebt und im nächsten fast schon schüchtern wieder nach unten gleitet. Eine eingängige Melodie zum mitsingen mag es nicht sein, aber wer den Refrain einmal gehört hat, vergisst ihn so schnell nicht wieder.

She has one friend, he lives next door
They're listening to the weather
He knows how many freckles she's got
She scratches his beard

She's painting huge books
And glues them together
They saw a big raven
It glided down the sky
She touched it

Die zweite Strophe ist strukturell und musikalisch mehr oder weniger identisch zu der ersten. Nachdem wir in der ersten Strophe mit dem fünfjährigen Mädchen bekannt gemacht wurden, erfahren wir nun von ihrem besten Freund. Erst in Nachhinein und fast schon zögerlich erfahren wir, dass es sich dabei um einen Mann handelt (she scratches his … beard). Gemeinsam hören sie die Wetternachrichten und beobachten einen gewaltigen Raben, der zu ihnen fliegt. Die Strophe endet damit, wie Björk ekstatisch verkündet, wie das Mädchen ihn anfasst, um dann in die altbekannten exzentrischen Emotionsausbrüche des Refrains überzugehen.

Today is her birthday
They're smoking cigars
He's got a chain of flowers
And sews a bird in her knickers

Die dritte Strophe ist verkürzt, in der ersten Hälfte ist der instrumentale Unterbau ein paar Takte alleine, bevor der Gesang in der zweiten Hälfte einsetzt. Wir erfahren jetzt, warum das Lied Birthday heißt – es ist der Geburtstag des Mädchens, und sie feiert ihn zusammen mit ihrem besten Freund von nebenan. Er macht ihr kleine Geschenke in Form eines Blumenkranzes und eines Vogels, den er in ihre Hose näht, und erlaubt ihr sogar, zusammen mit ihm Zigarren zu rauchen.

Noch einmal hören wir den wunderbaren Refrain, bis sich das Lied mit einem kurzen Outro verabschiedet.

They're, they're smoking cigars
They lie in the bathtub
A chain of flowers
Dum dum dum-dum-dum dum dum-dum …

Leise und fast traumartig werden Bilder aus der vorigen Strophe noch einmal vorgetragen. Dazwischen erfahren wir beiläufig, dass sie inzwischen zusammen in der Badewanne liegen. Das Ende bleibt offen, ohne wirklichen finalen Abschluss endet das Lied ambivalent damit, dass Björk den tragenden Rhythmus von Bass und Schlagzeug aufnimmt und vorträgt, fast so wie ein vor sich her summendes Kind.

Das Spiel mit der Ambivalenz

Was machen wir also aus diesem Song?

Auf dem ersten, oberflächlichen Blick ist es eine Zelebrierung von Kindheit und kindlicher Freiheit. Dazu passt der naive, fröhliche Ton, die ungezügelt ekstatischen Gesangseinlagen und der Text, der uns erst einmal in Sicherheit wiegt und von einer ungewöhnlichen, aber nicht unbedingt problematischen Freundschaft erzählt.

Hört man etwas genauer hin, stellen sich aber schnell Fragen. Der Freund weiß, wie viele Sommersprossen das Mädchen hat (he knows how many freckles she's got), was nahe legt, dass er sie nackt gesehen hat und ihren Körper sehr gut kennt. Am Ende liegen sie sogar gemeinsam in der Badewanne. Das alleine muss noch nichts heißen, aber dann ist da die Art, wie das in dem Lied eingebaut ist. Die Zeile mit den Sommersprossen kommt, bevor wir erfahren, dass es sich bei dem Freund um einen erwachsenen Mann handelt. Auch das müssen wir nur indirekt daraus ableiten, dass das Mädchen den Bart des Mannes kratzt, mit einer merkwürdig platzierten Pause vor dem Wort beard. Solche Pausen kommen immer wieder vor, und sie erzeugen eine permanente Spannung in dem Lied. Irgendwas ist nicht ganz das, wonach es aussieht, ein ominöser Unterton schwingt hinter der auf den ersten Blick unbekümmerten Atmosphäre.

Dann ist da der riesige Rabe, der aus dem Himmel heruntergleitet und den das Mädchen anfassen kann. Es ist unwahrscheinlich, dass ein wilder Rabe sich von einem Menschen anfassen lässt, spätestens hier ist also klar, dass der Text nicht wörtlich zu deuten ist, sondern als Metapher oder als Symbol. Aber wofür? Für kindliche Freiheit? Aber was ist mit dieser ominösen Zeile „sie fasste ihn an“ (she touched it), die besonders laut und bedeutungsschwanger direkt vor dem nächsten Refrain gesungen wird? Was fasste sie an? Kann es … kann es sein, dass der Rabe ein Symbol für den Penis des Freundes ist? Kann es sein, dass es in diesem fröhlichen Popsong um den Missbrauch eines fünfjährigen Mädchens geht?

Es gibt weitere Hinweise, die diese Interpretation stützen. Den Refrain, diese wortlosen Schreie kann man als Ausdruck kindlich-unbekümmerter Freiheit und Energie lesen, oder als Hilferufe eines Kindes, das für das, wonach es um Hilfe sucht noch keine Worte hat. Dass sie im Alter von fünf Jahren Zigarren rauchen darf, scheint auch unwahrscheinlich … handelt es sich bei dem gemeinsamen Rauchen der Zigarren vielleicht um eine Metapher für Oralverkehr? Stehen die Spinnen, die das Mädchen in ihrer Hosentasche sammelt für psychische Verletzungen, die sie während der Übergriffe durch ihren Nachbarn ansammelt? Der Freund darf auch einen Vogel in die Hose des Mädchens nähen, was eine sehr körperlich intime Vertrautheit zwischen den beiden zeigt, und auch metaphorisch für Traumata stehen kann, die der Mann dem Mädchen anheftet.

Und dann, kurz vor Schluss, liegt das Mädchen plötzlich und unvermittelt mit dem Mann in der Badewanne (they lie in the bathtub). Die Art, wie Informationen in dem Lied präsentiert und relevante Fakten versteckt oder nur beiläufig erwähnt werden, wirkt teils so, als sollen wir als Zuhörer manipuliert werden, wie Humbert Humbert die Leser von Lolita zu manipulieren versucht. Statt mit einer eindeutigen Antwort endet das Lied damit, wie der Gesang den Groove von Bass und Schlagzeug wortlos-perkussiv aufnimmt, vielleicht wie ein Kind, das sich im Angesicht eines drohenden sexuellen Übergriffs in sich selbst kehrt. Signifikant ist auch das Musikvideo, in dem Bilder von Vulkanausbrüchen und Geysiren, leicht sexuell gedeutet werden können zu sehen sind, und ausgerechnet während der Zeile she touched it Aufnahmen nackter Kinder gezeigt werden. Ach ja, und wo sind eigentlich die Eltern? Wissen sie, dass ihre Tochter an ihrem Geburtstag mit dem Nachbarn in der Badewann liegt?

Jetzt muss ein gemeinsames Bad nicht auf Missbrauch hindeuten, und manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre, wie Freud bekanntlich sagte. Die Natur der Beziehung zwischen dem Kind und dem Mann ist aber zumindest äußerst ambivalent. Durch den exzentrischen Gesangsstil und der fast schon greifbaren physischen Präsenz von Björk erhält diese Spannung eine immense energetische, fast schon erotische Aufladung, die zumindest Fragen aufwirft, wenn es um eine Beziehung zwischen einem Erwachsenen und einem Kind geht.

Aber treten wir nochmal einen Schritt zurück. Vielleicht gucken wir auf dieses Lied aber auch zu sehr aus der Perspektive des für sexuelle Übergriffe extrem sensibilisierten 21. Jahrhunderts? Versuchen wir noch eine alternative Deutung. Was, wenn das Lied zwar sexualisierte Szenen darstellt, aber gar keinen Missbrauch? Was, wenn die Situation nicht von dem Mann, sondern von dem Mädchen sexualisiert wurde, und Gefühle dargestellt werden, die nicht der Freund, sondern das Mädchen hat?

Spiel mir das Lied von den vorbewussten sexuellen Fantasien kleiner Mädchen

Ich gebe zu, dass ich auf diese Idee alleine wahrscheinlich nicht gekommen wäre. Wenn man die Hintergründe zu dem Lied recherchiert, stößt man aber recht schnell auf ein Zitat von Björk zu dem Lied aus einem Interview, das in Martin Astons inoffizieller Björkgraphy abgedruckt ist:

It’s a story about a love affair between a five-year-old girl, a secret, and a man who lives next door. […] I was always changing my mind about what the lyrics should be about. I had the atmosphere right from the start but not the facts. It finally ended up concentrating on this experience I remembered having as a little girl, among many other girl’s experiences. It’s like huge men, about fifty or so affect little girls very erotically but nothing happens … Nothing is done, just this very strong feeling. I picked up on this subject to show that anything can affect you erotically: a material, a tree, anything.

Es geht um eine Liebesbeziehung zwischen einem fünfjährigen Mädchen, einem Geheimnis und einem Mann, der nebenan wohnt. […] Ich änderte ständig meine Meinung darüber, wovon der Text handeln sollte. Die Atmosphäre hatte ich von Anfang an, aber nicht die Fakten. Am Ende konzentrierte sich der Text auf diese Erinnerung an eine Erfahrung, die ich als kleines Mädchen gemacht hatte, neben vielen anderen Erfahrungen. Da sind diese riesigen Männer, so um die fünfzig, die sehr erotische Gefühle bei kleinen Mädchen auslösen, ohne dass etwas passiert … nichts passiert, es gibt nur dieses sehr starke Gefühl. Ich habe dieses Thema aufgegriffen, um zu zeigen, dass dich alles erotisch berühren kann: ein Material, ein Baum, alles.

Auch laut Bandkollege Einar Örn ging es um dieses Thema:

The story is reminiscient of an older lady, who remebers when she was a kid, and all the old men aroused her erotically without going in the full sexual intercourse way. It’s distorted pictures of memories.

In der Geschichte geht es um eine ältere Frau, die sich daran erinnert, wie sie als Kind von alten Männern erotisch erregt wurde, ohne dass es zu echtem Geschlechtsverkehr kam. Es sind verzerrte Erinnerungsbilder.

Hier eröffnet sich eine ganz neue Bedeutungsebene. Demzufolge hat das Lied tatsächlich sexuelle Untertöne, aber nicht, weil es einen Missbrauch darstellt, sondern ein Begehren, das von dem Mädchen ausgeht. Die surrealen Bilder sind demnach halb erinnerte Fragmente von Fantasien, die ein erwachendes Verlangen ausdrücken, das sich schließlich geradezu orgastisch in den ekstatischen Schreien des Refrains entlädt. Die auf den ersten Blick harmlosen gemeinsamen Situationen zwischen dem Mädchen und ihrem erwachsenen Freund haben einen sexuellen Unterton, der aber nicht von dem Mann, sondern von dem Mädchen stammt.

Aus heutiger Sicht scheint in diesem Lied eine regelrechte Bombe versteckt zu sein. Insbesondere die Aussage von Björk erfordert jedenfalls eine nähere Betrachtung. Ich kann die Ausrufe von zwei entgegengesetzten Parteien eines Spektrums förmlich schon hören. Auf der einen Seite der Triumphschrei der Pro-Cs: „Da! Wir haben es doch gesagt! Kleine Mädchen wollen Sex mit Erwachsenen haben! Hier ist der Beweis, dass ihr die ganze Zeit falsch lagt.“ Und auf der anderen Seite die auf Prävention spezialisierten Kinderschützer: „Da! Wir haben es doch gesagt! Pädophile glauben, dass Kinder von ihnen erregt werden und Sex mit ihnen haben wollen! Hier sieht man mal wieder die typischen kognitiven Verzerrungen, denen Pädophile unterliegen.“

Erstere kann ich nur darauf hinweisen, dass eine vermeintliche Asexualität von Kindern nie Teil der Anti-C-Ideologie war. Auch in der Pädagogik ist es längst angekommen, dass Kinder sexuelle Empfindungen haben, die sich auch (wenn auch wohl eher selten) auf Erwachsene richten können. Daraus folgt nicht, dass es als Erwachsener in Ordnung ist, darauf einzugehen. Auch Björk und Einar betonen (mehrfach!) dass nichts passiert, dieser Aspekt ist ihnen offenbar besonders wichtig. Letztere sind damit vielleicht auch beruhigt, aber wenn man mir kognitive Verzerrungen unterstellen möchte, weil ich die Aussagen der Songwriter ernst nehme und hier diskutiere, dann ist das halt so.

Am Ende ist es wohl ein Fehler, ein Lied wie Birthday zu wörtlich zu deuten – sei es in die eine Richtung als Darstellung sexuellen Missbrauchs, oder in die andere Richtung als Darstellung der scheinbaren Unbedenklichkeit sexueller Handlungen an Kindern. Das Lied fängt keine konkrete Situation ein, kein gezieltes Verlangen, sondern eher ein Gefühl – die fragmentierten und durch Jahre verzerrten Erinnerungen an das Erwachen einer Art vorbewusster kindlicher Sinnlichkeit, die aber womöglich auch erst im Nachhinein ihren sexualisierten Charakter zugeschrieben bekommen haben. Diese „sehr erotischen Gefühle“ des kleinen Mädchens sind genau nur deswegen unschuldig, und ultimativ eine positive Erinnerung, weil es eben nicht mehr als nur Gefühle sind, die am Ende von dem erwachsenen Freund nicht erwidert werden.

Die endlose Vielfalt menschlichen Sexualempfindens

Zum Schluss lohnt es sich auch, noch einmal auf den letzten Satz in Björks Interview zu schauen: „Ich habe dieses Thema aufgegriffen, um zu zeigen, dass dich alles erotisch berühren kann: ein Material, ein Baum, alles.“ Es ist eine schöne Anerkennung der Vielfalt menschlicher Sexualität, die nicht von irgendwoher kommt. Björk selber sprach in einem Interview davon, mit „Normcore Sexuality“ nichts anfangen zu können, und gab sogar zu, selber auch zoophile Neigungen zu haben. Das Lied stellt demnach diese Vielfalt dar, indem es auf abstrakte Weise musikalisch ein Empfinden darstellt, das ebenso unkonventionell und ungewöhnlich ist, nämlich sexuelle Empfindungen von Kindern zu Erwachsenen.

Und hier schließt sich der Kreis und es zeigt sich, warum das Lied auch heute noch für Pädophile relevant ist. Nicht, weil es um Missbrauch geht, wobei diese viel zu wörtliche Interpretation eh auf äußerst wackeligen Beinen steht. Sondern weil es auch die Zelebrierung unkonventioneller Sexualität und der schier endlosen Vielfalt menschlichen Sexualempfindens ist, wozu eben auch gehört, dass es fünfjährige Mädchen geben kann, die sich erotisch von riesigen Männern angezogen fühlten.

Appendix

Dieser Beitrag ist mal etwas anderes als die üblichen Doom and Gloom-Ergüsse. Mir hat es viel Spaß gemacht, sich tiefer mit einem Lied zu beschäftigen, das derart viele Bedeutungsebenen zulässt und und in dem sich nicht ganz einfache und herausfordernde Ideen verstecken. Lasst es mich gerne wissen, wenn ihr mehr solche Sachen hier lesen möchtet. Es gibt noch eine ganze Reihe interessanter Kunstwerke, bei denen es sich lohnt näher hinzuschauen.

Wer hiernach mehr von Björk hören möchte, dem sei zum Abschluss noch ein paar Hörempfehlungen ans Herz gelegt.

Ammæli (1988). Die isländische Version von Birthday. Interessanterweise klingt die Version noch mehr so, als würde sie von einem Kind gesungen werden, was die besondere Atmosphäre des Stückes noch einmal besonders hervorhebt.

Gling-Gló (1990). Dieses Lied klingt wie ein exzentrisches Kinderlied und ist ein weiteres gutes Beispiel für Björks bemerkenswerte und absolut einzigartige Art zu singen.

Human Behavior (1993). Noch ein Lied, das von einer Kindheitserinnerung inspiriert ist. Björk beobachtet als Alien von außen die Menschen und ihr Verhalten, um festzustellen: da gibt es sicherlich, sicherlich, sicherlich keine Logik. Dieses Lied eröffnete ihr erstes Soloalbum Debut, das sie nach ihrer Zeit bei den Sugarcubes veröffentlichte.

Bachelorette (1997). Ich bin ein Brunnen aus Blut, in der Gestalt eines Mädchens. Wer schonmal dabei ist, kann sich gleich den Rest von Homogenic anhören, was oft als ihr bestes oder zumindest populärstes Album bewertet wird.

Ancestress (2022). Ein bewegendes Porträt ihrer verstorbenen Mutter aus ihrem zuletzt veröffentlichten Album Fossora. Hier zeigt sich besonders ihre oft ungewöhnliche Art, Texte zu phrasieren.

Atopos (2022). Zum Thema zusammenbringen, was nicht zusammen passt: Wer hätte gedacht, dass Bassklarinetten, Avantgarde-Gesang und Hardcore Techno-Beats so gut zusammenpassen?

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Zähneputzen nicht vergessen

Sirius

Mein Name hier ist Sirius – angelehnt an den Doppelstern im Großen Hund. Ich bin etwa Anfang 30, und studierter Informatiker. Seit meiner Jugend weiß ich, dass ich mich zu Kindern – vor allem Mädchen – besonders hingezogen fühle. Und auch wenn der Umgang damit nicht immer einfach war, so hat es mich doch auch unter anderem zu meinem Rotkäppchen geführt, mit der ich in einer glücklichen Beziehung lebe. In meiner Freizeit versuche ich einen Beitrag zur Selbsthilfe und Destigmatisierung von Pädophilie zu leisten, mache gerne Musik und verzweifle gelegentlich an der Gesellschaft.

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Neuste Kommentare

Ja, denn der ICD-11 ist seit dem 01.01.2022 in Kraft. In Deutschland wird er noch nicht im Alltag angwendet, da das ganze Gesundheitssystem umstrukturiert werden muss. Logischerweise heißt das nicht, das man das nicht einfach ignorieren kann, denn es ist in Kraft. Deutschland muss es nur umsetzen und hat dafür 5 Jahre Zeit - es wird also kommen. Das man jetzt an alten wissenschaftlichen Erkenntnissen verweist nur weil die Bürokratie/Politik so langsam ist wäre absurd. In 2 BvR 686/19, Zeile 18 wird bspw. auf den ICD-11 verwiesen (dort war es nicht einmal in Kraft getreten). Ich hoffe daher das der ICD-11 in den Verfassungsbeschwerden benannt wurden, denn diese ganzen Gesetze verfolgen somit gesunde Menschen ohne Erkrankung, aber auch solche mit einer pädophilen Störung. Es ist daher doppelt Scheiße.
Wie sieht es eig. mit dem ICD-11 aus? Muss sich das BVerfG daran orientieren? Denn sonst wird es doch wieder nur den ICD-10 nutzen und von Präferenzstörung reden und ggf. die Entscheidung negativ beeinflussen. In all den Entscheidungen, wo Pädophilie erwähnt wird geht es immer um Störung und die Gefahr einer pädophilen Neigung. Eindach selbat mal "pädophil" auf der Seite des BVerfG suchen. Im Jahr 2020 ist in einem Urteil von "schwere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB" die Rede (- 2 BvR 2473/17 - - 2 BvR 2696/18 -)
Unsere Verfassung ist einfach nicht so sehr auf den Schutz eines Individuums gerichtet. In den USA wurde letzte Woche geurteilt dass das Verbot von KI generierter KiPo verfassungswidrig ist, da keine realen Kinder betroffen und es somit eine opferlose Straftat ist. Abstrakte Gefährdungen rechtfertigen nicht die Verweigerung von essentiellen Grundrechten: https://www.techpolicy.press/court-rules-that-constitution-protects-private-possession-of-aigenerated-csam/ Damit dürften auch die ganzen Puppengesetze in enigen der Bundesstaaten nichtig sein.
Regenbogenfisch zu Paravielfalt: Ein Post Mortem
@Phil Daher hat es mittlerweile für mich einen äußert faden Beigeschmack, wenn queere Verbände und -Organisiationen von Toleranz, Akzeptanz, Menschenrechten und Menschenwürde reden. Geht mir genauso. Ich kann das schlichtweg nicht mehr ernst nehmen, weil ich genau weiß, dass das nicht für uns gilt. @Anonym Bei uns ist das alles mit den Pro-Contact Leuten vergleichbar, die alle in den Dreck ziehen obwohl der Großteil in Ruhe leben möchte ohne Kontakt zu Kindern. Ich würde hier spezifizieren, dass es um sexuellen Kontakt geht. Normalen Kontakt zu Kindern sehen Anti-Cs nicht zwangsläufig als problematisch und viele hätten ihn auch gerne.