Du solltest unbedingt eine Therapie machen! Solche oder ähnliche Sätze hört man oft, wenn man zugibt pädophile Fantasien zu haben. In den Augen vieler Menschen ist die Pädophilie eine psychische Störung, und zwar eine die das Potential hat, Anderen (also: Kindern) enormen Schaden zuzufügen. Eine Therapie wird daher oft gefordert, damit die Gefahr, die ein pädophiler Mensch der Meinung vieler nach darstellt "entschärft" wird und der Betroffene lernen kann, "nicht übergriffig zu werden". Wenn man dann nach Therapieangeboten für pädophile Menschen sucht findet man recht schnell das bundesweit angebotene Programm Kein Täter Werden (KTW), das an 12 Standorten Anlaufstellen für Menschen mit pädophilen Neigungen anbietet. Doch wie sieht so eine Therapie überhaupt aus, und was genau macht man da? Ich habe vor kurzem eine etwa zweijährige Therapie an einem Standort des Netzwerks abgeschlossen, und möchte nun über einige meiner Erfahrungen dort berichten.

Die Kontaktaufnahme

Direkt nach dem Coming-In gab es eine Phase, in der ich große Probleme hatte mit der Erkenntnis, pädophil zu sein umzugehen. Der Gedanke, deswegen womöglich niemals eine erfüllende Beziehung führen zu können hat mich in ziemlich tiefe Depressionen gestoßen. Gleichzeitig kam ich nur sehr schwer mit den pädophilen Gedanken und Fantasien selber klar. Kindern im Alltag zum Beispiel auf der Straße zu begegnen hat mich oft mit tiefer, unstillbaren Sehnsucht und Verlangen erfüllt und einen starken inneren Tumult in mir ausgelöst, der mich schier zerrissen hat. Dies schien mit jedem Jahr, das vorbei ging nur noch schlimmer zu werden, und in mir wuchs die Angst dass ich eines Tages einen Übergriff auf ein Kind begehen könnte, wozu ich es unter keinen Umständen kommen lassen wollte. All diese Ängste und Probleme führten dazu, dass mir schließlich professionelle therapeutische Unterstützung gewünscht und recht schnell KTW als Ansprechpartner #1 zu dem Thema gefunden habe.

Zu dem Zeitpunkt, als ich mich schließlich telefonisch bei der nächsten Anlaufstelle gemeldet habe, war ich schon einige Zeit in dem englischsprachigen Selbsthilfeforum Virtuous Pedophiles aktiv und habe mich dort mit anderen pädophilen Menschen über das Thema ausgetauscht. Es war also nicht das allererste Mal, dass ich mit Anderen über meine Neigung geredet habe. Telefonisch direkt mit einer anderen Person darüber zu reden ist aber trotzdem noch einmal eine ganze andere Stufe, und es hat mehrere Monate gebraucht bis ich schließlich den notwendigen Mut gefunden habe, diesen Anruf zu tätigen. Das war das allererste Mal, dass ich einer anderen Person gegenüber die Worte "ich bin pädophil" geäußert habe, was an und für sich schon nervenaufreibend genug war – und dabei war das ja erst der Anfang…

Wenig später schon wurde ich zu einem Termin für ein Erstgespräch eingeladen und fuhr zum ersten Mal an meinen Standort. Ich erinnere mich noch recht gut an die Fahrt, die durch konstante Nervosität gezeichnet war. Die ganze Zeit über war ich äußerst paranoid und hatte Angst, dass jeder Mitfahrer im Zug mir ansehen könnte, wo ich hin will und warum. Der Ausblick, bald fremden Menschen gegenüber zu stehen und denen von meinen am meisten gehüteten Geheimnis zu erzählen tat ihr übriges hinzu, dass ich die Fahrt über kaum zu Ruhe kam und auch schon Tage vorher vor Angst kaum an etwas anderes denken konnte. Dank sozialer Phobien wäre diese Situation für mich schon unter normalen Umständen äußerst stressig gewesen, und das Thema um das es ging hat es nicht gerade besser gemacht.

Entsprechend anstrengend waren die ersten Gespräche für mich dann auch. In mehreren Fragebögen und Gesprächen wurde nach jedem Winkel meiner sexuellen Fantasien und Verhalten nachgefragt, und es ist zunächst äußerst merkwürdig jemanden detailliert von den eigenen Masturbationsfantasien zu berichten. Und auch wenn ich mir eigentlich schon vorher im klaren war, pädophil zu sein, so war es doch noch einmal etwas anderes nach all dem tatsächlich dann von einer Fachperson die Bestätigung zu hören: "Ja, sie sind pädophil". Im Anschluss daran gab es einige Informationsveranstaltungen, die in einer Gruppe mit mehreren anderen pädophilen Menschen stattfanden, die ebenfalls dabei waren eine Therapie zu beginnen. Dies war das erste Mal, dass ich anderen pädophilen Menschen begegnete, wobei mich die Angst damals noch so sehr gelähmt hat, dass ich nicht wirklich mit ihnen interagiert habe.

Etwa einen Monat später konnte ich dann die eigentliche Therapie beginnen.

Die Jahre der Therapie

Eine Therapie bei KTW findet normalerweise in Gruppen statt. Ich hatte in dem ersten Jahr zunächst noch Einzelsitzungen, da ich aufgrund meiner sozialen Ängste Schwierigkeiten gehabt hätte, mich in eine Gruppe sinnvoll zu integrieren. Ein Schwerpunkt der Therapie lag damit zu Beginn vor allem darin, negative und destruktive Gedanken- und Verhaltensmuster zu erkennen, die mich in sozialen Situationen stark gehemmt haben, und Methoden zu finden um ihnen entgegen zu steuern sowie Probleme im sozialen Umgang und beim eigenen Selbstwert anzugehen. Dies hat für mich auch eine Menge gebracht, auch da das meine erste Erfahrung mit Therapie überhaupt war. Die Neigung an sich hat in der Zeit oftmals noch nicht einmal so eine große Rolle gespielt, auch wenn der Umgang mit unerfüllten Wünschen und Sehnsüchten, die mich zu der Zeit sehr belastet haben, immer wieder Thema war und ich insgesamt zu einem besseren Umgang damit gekommen bin.

Nach etwa einem Jahr bin ich dann in eine der Therapiegruppen gewechselt. Die Therapiegruppen laufen insgesamt wesentlich strukturierter ab. Der Vorteil in einer Gruppe ist in meinen Augen, dass man mehr Perspektiven von unterschiedlichen Menschen bekommt, die sich tatsächlich in ähnlichen Situationen befinden oder befanden, und man dadurch dass man hört wie Andere mit bestimmten Situationen umgehen auch für sich seine eigenen Haltungen reflektieren kann. Für mich waren die Gruppensitzungen außerdem ein gutes Übungsfeld, um weiter zu lernen mit sozialen Phobien umzugehen und mich zum Beispiel auch bei Meinungsverschiedenheiten oder unterschiedlichen Ansichten zu einem Thema zu behaupten und diese konstruktiv zu bewältigen.

Eine Therapie zu machen ist, wenn man es ernst meint, selten einfach. In meinen Fall habe ich, bevor ich bei KTW angefangen habe, ein ziemlich zurückgezogenes und einsames Leben geführt. Mir haben viele Sachen wie Freundschaft und Nähe gefehlt, ohne dass mir richtig klar war, dass mir diese Sachen fehlten – mein Leben war halt einfach so zu der Zeit, und man gewöhnt sich an vieles. Durch die Therapie habe ich unter anderen auch einen Zugang zu meinen eigenen Wünschen und Bedürfnissen gefunden und mitunter erst so richtig realisiert, wie sehr mir diese Sachen fehlten. Das Resultat war, dass meine Depressionen, die vorher mich eher unterbewusst beeinflusst haben, vollständig ausgebrochen sind und ich stimmungsmäßig einige ziemlich düstere Tage in dieser Zeit erlebt habe. Insgesamt waren diese zwei Jahre keine leichte Zeit für mich, aber auch in schlechten Phasen konnte ich kurzfristig Termine für individuelle Einzelgespräche bekommen, um es zu schaffen durch diese Phasen zu kommen.

Therapie – die Lösung für alles?

Insgesamt betrachtet bin ich sehr froh, die Überwindung gefunden zu haben die Therapie bei KTW zu beginnen, und diese auch wenn es oft nicht einfach war bis zum Ende durchgezogen zu haben. Es hat mir eine Menge gebracht und mir zu persönlichen Kompetenzen geholfen und die Möglichkeit verschafft, engere soziale Beziehungen aufzubauen und Löcher zu stopfen, von denen mir vorher noch nicht einmal ganz klar war dass sie überhaupt existieren.

Das heißt aber nicht, dass die Therapie ein Allheilmittel für den Umgang mit pädophilen Neigungen ist. Weder ist eine Therapie meiner Ansicht nach für jeden notwendig, noch alleine hinreichend um zu einem guten Umgang mit der Neigung zu kommen, und es gibt viele Hürden die für viele schlicht unmöglich machen, eine Therapie überhaupt zu beginnen. Zunächst einmal ist KTW nur an 12 Standorten in Deutschland vertreten, was bedeutet dass man lange Fahrtzeiten auf sich nehmen muss, wenn man nicht gerade in der Nähe von einem Standort wohnt. Ich musste einmal die Woche mehrere Stunden mit Bus & Bahn fahren, um an den nächstgelegenen Standort zu kommen. Und außerhalb von KTW einen geeigneten Therapeuten zu finden, ist leider ebenfalls alles andere als einfach: einer Umfrage unter niedergelassenen deutschen Therapeuten zu Folge wären 95% nicht bereit, einen pädophilen Menschen zu behandeln, selbst wenn dieser nie eine Straftat begangen hat.1

Ich habe den Eindruck, der Ratschlag eine Therapie zu beginnen ist oftmals eine Art von Abwehrreaktion. Viele wollen sich mit dem Thema gar nicht genauer auseinandersetzen, möchten aber trotzdem dass irgendwas getan wird um sicherzustellen, dass ein pädophiler Mensch nicht übergriffig wird. Dahinter steckt also auch die Ansicht, dass bei pädophilen Menschen grundsätzlich eine Gefahr besteht, dass sie ein Kind missbrauchen. Dies ist aber nicht bei allen der Fall, auch bei mir bestand soweit ich das einschätzen kann nie das Risiko, dass ich einem Kind etwas antun würde, auch wenn ich selber oft die Angst hatte dass dies irgendwann passieren könnte. Was viele pädophile Menschen brauchen, ist das Verständnis und die Unterstützung von Menschen aus ihren Umfeld, und da kann es sehr entmutigend wirken im Wesentlichen hören zu müssen: "such dir 'nen Therapeuten und lass mich damit in Ruhe!"

Für mich war die Therapie insgesamt betrachtet sehr wichtig in meiner persönlichen Entwicklung und hat einige wesentliche Steine ins Rollen gebracht. Ich fände es wichtig, dass neben KTW mehr und flächendeckender Therapieangebote aufgebaut werden, und zwar auch solche die sich an pädophile Menschen wenden, die sich nicht in Gefahr sehen zum Täter zu werden, aber trotzdem mit Probleme in ihren Leben zu kämpfen haben. Gleichzeitig würde ich mir aber auch wünschen, dass mehr Menschen bereit sind sich mit pädophil empfindenden Menschen auseinandersetzen, anstatt unmittelbar die Reaktion zu haben uns zu einem Therapeuten "abschieben" zu wollen. Alles in allem denke ich, dass die Situation in Deutschland noch einiges an Verbesserung vertragen kann, auch wenn wir im internationalen Vergleich schon ziemlich gut da stehen2.


  1. Stiels-Glenn, M. (2010). The availability of outpatient psychotherapy for paedophiles in Germany. Recht & Psychiatrie, 28(2), 7480. 

  2. In vielen englischsprachigen Ländern etwa sind Therapeuten berechtigt die Polizei zu benachrichtigen, wenn sich ein pädophile empfindender Mensch bei ihnen auf der Suche nach Hilfe meldet.