„In jedem von uns steckt ein Hitler und ein Gandhi.“

Das war sinngemäß die Aussage eines Bekannten von mir. Ob er diese von anderswo hat, weiß ich nicht. Es soll aber auch gar nicht um diese konkrete Aussage gehen, sie symbolisiert nur ganz gut das, worum es hier gehen soll.

Heute hatte ich wieder eine Diskussion auf der Plattform gutefrage.net. Ich erwähnte, dass die Akzeptanz nicht straffälliger pädophiler Menschen auch positive Auswirkungen auf den Kinderschutz hätte. Meine Argumente waren hier vor allem, dass Stigmatisierung und Hass zu psychischen Problemen führen können. Psychische Probleme sind wiederum ein Risikofaktor für einen sexuellen Übergriff. Zudem äußern viele Menschen den Wunsch, Pädophile aus der Gesellschaft auszuschließen („Wer auf Kinder steht, darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben.“). Menschen, die aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, fragen sich ggf., warum sie sich noch an die Gesetze einer Gesellschaft halten sollen, von der sie doch kein Teil mehr sind und in der sie eh nicht erwünscht sind.

Zusammengefasst argumentierte ich damit, dass der derzeitige Umgang mit pädophilen Menschen negative Auswirkungen auf bestimmte psychische und soziale Faktoren hat, die das Begehen einer Straftat begünstigen.

Darauf wurde mir geantwortet, was mir einfalle, die Schuld für Kindesmissbrauch auf die Gesellschaft abzuwälzen; dass jeder Pädophile selbst verantwortlich für seine Taten sei und es nicht die Aufgabe der Gesellschaft sei, „uns gut zu stimmen“, sondern unsere, „sauber zu bleiben“.

An dieser Stelle die Anmerkung: Ja, jeder hat selbst die Verantwortung für sein Handeln und ich bin fest davon überzeugt, dass kein Mensch – egal unter welchen Bedingungen er lebt – zum Täter werden muss. Das gilt (wie eigentlich alle Aussagen in diesem Beitrag) für jeden Menschen, nicht nur für Pädophile. Dennoch ist die Frage von Schuld und Verantwortung etwas komplexer.

Schaut man sich einmal die Biografien berüchtigter Serienmörder an, fällt auf, dass viele von ihnen eine wirklich furchtbare Kindheit hatten. Nun werden natürlich längst nicht alle, die eine furchtbare Kindheit hatten, zu Serienmördern oder laufen auch nur Gefahr, zu solchen zu werden. Es spielen also natürlich noch viele weitere Faktoren eine Rolle, wie die genetische Veranlagung und weitere Risiko- und Schutzfaktoren, um letztlich diese Entscheidung zu treffen. Dennoch scheint die Wahrscheinlichkeit durch eine schlechte Kindheit erhöht zu sein.

Ich bin mir sicher – und da kommt das Zitat von Beginn wieder ins Spiel – dass jeder Mensch die Anlagen für jede erdenklich schlechte Tat, aber auch jede erdenklich gute Tat, bereits in sich trägt. Wofür er sich letztlich entscheidet, wird bestimmt durch eine Vielzahl von Faktoren und deren Zusammenspiel. Das Temperament, die eigenen Erfahrungen mit der Umwelt, das soziale Umfeld und vieles mehr spielen hierfür eine Rolle. Und selbst wenn jeder Mensch diese Entscheidung am Ende doch selbst treffen muss, also entweder eine schlechte oder eine gute Tat zu vollbringen, können wir es dem Menschen doch so einfach wie möglich machen, sich für die gute Tat zu entscheiden.

Auch wenn wir sagen, dass jeder Pädophile, der ein Kind missbraucht hat, diese Tat selbst zu verantworten hat, können wir es doch jedem Pädophilen so leicht wie möglich machen, sich eben gegen diese schlechte Tat zu entscheiden. Indem wir Risikofaktoren verringen und Schutzfaktoren schaffen. Soziale Ächtung ist ein Risikofaktor, soziale Eingebundenheit ist ein Schutzfaktor. Psychische Probleme sind ein Risikofaktor, psychische Gesundheit ist ein Schutzfaktor.

Und bevor es jemand falsch versteht: Nein, natürlich wird ein Pädophiler nicht automatisch straffällig, wenn er nicht gesellschaftlich akzeptiert wird. Das würde ja bedeuten, dass Pädophile wirklich eine größere Gefahr wären als andere Menschen. Die meisten Pädophilen werden so oder so nie straffällig. Ich könnte gar nicht so sehr ausgegrenzt und gehasst werden, dass ich auch nur auf die Idee kommen könnte, einem Kind, diesem wundervollen kleinen Wesen, etwas anzutun. Aber es gibt eine Minderheit, die eben gefährdet ist, einen Missbrauch zu begehen. Genau für diese gibt es ja Angebote wie das von „Kein Täter werden“. Und diesen könnte man es durch ein toleranteres gesellschaftliches Klima einfacher machen, keinen Übergriff zu begehen. Immerhin ist soziale Zugehörigkeit ein zentrales Bedürfnis des Menschen und daher – natürlich neben der Tatsache, dass man keinem Kind schaden möchte – ein riesiger Antrieb, seine Pädophilie nicht an einem Kind auszuleben.

Wer Pädophile, auch wenn sie nicht straffällig geworden sind, ausgrenzt, hasst, ihnen sagt, dass sie kein Teil der Gesellschaft sind oder sogar eingesperrt gehören, der beraubt sie zumindest dieses einen Antriebs. Und da kann noch so viel (und vielleicht auch noch so berechtigt) davon geredet werden, dass jeder für seine Taten selbst verantwortlich ist. Am Ende das Tages hätte vielleicht ein Missbrauch durch eine andere Einstellung verhindert werden können. Und wenn man schon nicht bereit ist, Pädophile mit Respekt zu behandeln, weil sie - weil wir - nichts anderes getan haben als so zu sein wie wir sind, ist das nicht dennoch mehr als Grund genug, seinen Hass, Ekel oder Abscheu einmal beiseite zu schieben?