Vor etwa eineinhalb Jahren habe ich hier über einen Vorfall geschrieben, der sich zu der Zeit gerade in Wien abgespielt hatte. Konkret ging es um die Querdenkerin Jennifer Klauninger, die auf einer Anti-Corona-Demonstration eine Bühne erstürmte und dort öffentlich eine LGBT-Flagge zerriss, mit den Worten: "Ihr seid kein Teil unserer Gesellschaft."

Der Fall hat damals einiges an Empörung und sogar eine eigene Gegendemonstration ausgelöst, und zog schließlich eine Strafanzeige wegen Verhetzung gegen Klauninger und zwei weitere Aktivisten aus der Querdenker-Szene nach sich. Auf diesem Straftatbestand drohen in Österreich bis zu drei Jahren Haft. Die Angeklagten verteidigten sich daraufhin, indem sie behaupteten, in der Flagge ein Zeichen von "Kinderschändern" erkannt zu haben. Laut Klauninger sei ein halbes Dutzend weinender Mütter auf sie zugegangen und habe sie darauf aufmerksam gemacht, dass es sich bei der Flagge um ein Symbol der "Pädophilenszene" handle - woraufhin sie sich genötigt gefühlt habe, ein öffentliches Zeichen zu setzen und die Flagge zu zerstören.

Fast noch unglaublicher als diese Argumentation ist die Tatsache, dass sie tatsächlich funktioniert hat. Klauninger und ihre Mitstreiter wurden diese Woche am Wiener Straflandesgericht in allen Anklagepunkten freigesprochen (mangels Erklärung der Staatsanwaltschaft allerdings noch nicht rechtskräftig). 

Richter Thomas Kreuter argumentierte, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Angeklagten irrtümlicherweise die Fahne unter der Annahme zerrissen haben, dass es kein LGBT-Symbol sei. Implizit steckt dahinter die Aussage, dass das Zerreißen von Pädophilensymbolen grundsätzlich unproblematisch ist und – im Gegensatz zu der Zerstörung von LGBT-Symbolen – nicht als Verhetzung gezählt werden kann. Das ist zwar nicht überraschend, aber trotzdem immer wieder aufs Neue äußerst bitter zu sehen, dass Verhaltensweisen, die bei anderen Gruppen (völlig zurecht) als unmenschlich, verhetzend und grausam gesehen werden, plötzlich akzeptiert, normalisiert und selbstverständlich sind, wenn sie sich gegen Pädophile richten. 

Hätte Klauninger recht gehabt, so Richter Kreuter, wäre das Zerreißen kein Problem, da es gegen die "rechtlich nicht geschützte Gruppe der Kinderschänder" gegangen wäre. Dabei ist das Symbol, das Klauninger auf der Fahne erkannt haben wollte, gar kein Symbol sogenannter "Kinderschänder". Es handelt sich dabei um das "GL-Symbol", das von einigen Pädophilen als Symbol für die eigene Identität genutzt wird. Gerne wird diesem Zeichen etwas Anrüchiges oder gar illegales angeheftet, indem behauptet wird, dieses Zeichen sei geheim und wäre nur durch ein geleaktes Dokument des FBI an die breitere Öffentlichkeit geraten. Tatsächlich ist das GL-Symbol nicht sonderlich geheim oder versteckt, und wird stellenweise auch auf öffentlich zugänglichen Foren und Webseiten offen als Identifikationssymbol oder Logo verwendet. Und genauso wie nicht jeder Pädophile ein "Kinderschänder" ist, so gilt dies natürlich auch nicht für jeden Pädophilen, der sich mit dem Symbol identifiziert.

Das GL-Symbol
Dass hier scheinbar unangefochten von einem "Kinderschändersymbol" gesprochen wird zeigt also mal wieder eine absolut fehlende Differenzierung zwischen Pädophilie und Kindesmissbrauch und ist leider auch nicht die einzige Stelle, an dem diese Konzepte vermischt wurde. Auch im Rest des Prozesses wurde alternativ von "Pädophilen" oder "Kinderschändern" gesprochen, als wären es Synonyme. Diese Vermischung ist besonders zynisch, da es gerade aufgrund einer wahrgenommenen Vermischung von LGBT und Missbrauch zu vielen lauten Protesten gekommen ist, teils von den gleichen Leuten, die im selben Atemzug Pädophilie und Missbrauch vermischt haben. 

Staatsanwalt Martin Ortner ging sogar noch weiter, und sagte in seinem Eröffnungsplädoyer: "Hier wurden Homosexuelle mit Pädophilen gleichgesetzt. Das ist ein Aufstacheln zum Hass und eine Beleidigung der LGBTQ-Community." Eine Aussage, die sich gut einreiht in die Stellungnahmen diverse LGBT-Aktivisten, die schon vor eineinhalb Jahren nicht müde waren zu betonen, wie schlimm es sei, wenn Homosexuelle mit Pädophilen in Verbindung gebracht werden.

Was bleibt an dieser Stelle noch zu sagen? Mir fehlen ehrlich gesagt die Worte, um adäquat auszudrücken, wie entwürdigend derartige Reden sind. Wie es sich anfühlt, wiederholt derart abgewertet und entmenschlicht zu werden, dass schon die bloße Andeutung, andere, "richtige" Menschen könnten auch nur irgendetwas mit einem gemeinsam haben zu einer strafrechtlich relevanten Beleidigung wird. Und wie bitter es ist, gleichzeitig jeden Tag mit Missbrauchstätern gleich gestellt zu werden, und dabei kaum jemand auf die Idee kommt, dass dies verletzend oder beleidigend sein könnte. 

Mit einer Sache hatte Jennifer Klauninger, überzeugte Verschwörungstheoretikerin, Corona-Leugnerin mit rassistischem Gedankengut und toxische Persönlichkeit damit durchaus Erfolg: Ihre Aktion sollte erneut ohne Zweifel allen pädophilen Menschen gezeigt haben, dass sie kein Teil der Gesellschaft sind. Möglich ist dieser Erfolg nur Dank der Kooperation derjenigen, die dabei gerade die Gegenposition der Verfechter von Toleranz, Vielfalt und Mitmenschlichkeit einnehmen und dennoch pädophile Männer und Frauen davon ausnehmen, als wäre dies das Selbstverständlichste der Welt – so als hätten Pädophile einen fundamentalen und für alle offensichtlichen Fehler im Kern ihres Wesens, der eine Behandlung mit Empathie, Toleranz und Respekt für jeden vernünftig denkenden Menschen von vorneherein ausschließt. 

Persönlich konnte ich bisher zwar keinen solchen fundamentalen Unterschied feststellen – tatsächlich unterscheiden sich pädophile und nicht-pädophile Menschen in meiner Wahrnehmung kaum. Vielleicht muss man ja Teil der Gesellschaft sein, um ihn wahrnehmen zu können? 

"Cry about the simple hell people give other people—without even thinking. Without even stopping to think that they’re people, too."
Harper Lee, To Kill A Mockingbird