Lieber Leser,
diese Woche steht vor allem unter dem Schatten eines weiteren Missbrauchsfalls von immensen Auswirkungen, der die Medien erschüttert hat. Nach Lügde und Bergisch-Gladbach ist diesmal Münster der Schauplatz von umfangreichen Ermittlungen gegen Sexualstraftäter, welche die Medien sicherlich auch in den kommenden Wochen und Monaten noch sehr beschäftigen wird. Ein paar Negativbeispiele aus der Berichterstattung um diesen Fall habe ich jetzt schon in meiner Kiste mitgebracht, zusammen mit einigen anderen ausgewählten Themen und Berichten, die diese Woche in den Medien waren.
1. WDR stellt KTW infrage
Auf WDR 5 ist am Dienstag eine interessante und ziemlich scharfe Kritik an KTW im Allgemeinen, und den Düsseldorfer Standort des Projekts insbesondere gesendet worden.
Kritisiert wurde vor allem, dass es keine empirischen Belege dafür gibt, dass die Therapie bei KTW Straftaten an Kindern vermeiden kann. Das entspricht durchaus der Wahrheit, und wird auch von Mitarbeitern des Netzwerkes nicht angefochten (etwas ausführlicher über den aktuellen Stand der Forschung habe ich in meinen Blogbeitrag Akzeptanz statt Prävention geschrieben).
Hier stellt sich mir allerdings eine zentrale Frage, die bisher bei jeder Besprechung des Erfolgs des Projekts aber unerwähnt blieb: warum definiert man den Erfolg eines Therapieprogramms für pädophile Menschen ausschließlich über die Anzahl verhinderter Straftaten?
Grundsätzlich sollte ein Therapieprojekt doch zum Ziel haben, die psychische Gesundheit der behandelten Menschen zu stärken, oder nicht? Warum wird die psychische Verfassung der Patienten dann überhaupt nicht in der Evaluation des Projekts beachtet? Das soll nicht heißen, dass der Aspekt der Prävention nicht auch in die Auswertung mit einfließen sollte – aber warum nicht zusammen mit der psychischen Verfassung der Patienten? Haben die Medien, und hat KTW Angst davor, einen Satz auszusprechen, der eigentlich unbedingt immer und immer wieder ausgesprochen werden müsste: dass pädophile Menschen auch ein Recht darauf haben, glücklich zu sein?
Für mich offenbart sich darin eine äußerst verletzende und stigmatisierende Botschaft: nämlich dass die psychische Gesundheit pädophiler Menschen absolut irrelevant ist, selbst für psychologische Hilfsangebote, die sich speziell an pädophile Menschen wenden. Das einzige was zählt, ist es uns zu "entschärfen", damit wir kein Täter werden.
2. Missbrauchsnetzwerk in Münster
Ein weiteres bundesweites Netzwerk von Missbrauchstätern ist diese Woche aufgedeckt worden, dessen Maßstäbe derart immens sind, dass es die Medien sicherlich noch lange Zeit beschäftigen wird. Der Polizei ist es gelungen, einen bereits vor einem Jahr bei einer Hausdurchsuchung sichergestellten Laptop eines 27-jährigen IT-Technikers aus Münster zu entschlüsseln. Auf dem entschlüsselten Laptop fanden die Ermittler Aufnahmen des Missbrauchs von drei Jungen, die der 27-jährige Hauptverdächtige zusammen mit einigen anderen Männern von 2018 an bis vor wenigen Wochen noch begangen hatte. Diese Aufnahmen führten zu der Festnahme von insgesamt 11 Tatverdächtigen aus unterschiedlichen Bundesländern, darunter auch die in einer KiTa arbeitende Mutter des Hauptverdächtigen.
Über den Fall an sich möchte ich gar nicht viel sagen, da haben Andere schon die richtigen Worte für gefunden. Schade finde ich es, dass in der Berichterstattung um den Fall wieder sehr schnell das Wort Pädophilie gefallen ist und damit der Eindruck erweckt wird, bei den Straftaten gehe es um Pädophilie – wenn es doch eigentlich um schweren Kindesmissbrauch geht, was eben nicht gleichbedeutend ist mit Pädophilie.
Konkret sieht das zum Beispiel wie folgt aus:
3. Gefährliche Unwahrheiten
Ein Medienerzeugnis zum Missbrauchsfall aus Münster verdient doch noch einen gesonderten Kommentar. In einem Interview mit RTL macht Kriminalpsychologe Dr. Egg einige Aussagen, die derart falsch und stigmatisierend sind, dass sie mir die Haare zu Berge stehen lassen.
So behauptet Dr. Egg etwa, der Missbrauchsfall aus Münster sei ungewöhnlich, da es normalerweise häufiger sei, "dass ein einzelner Pädophiler Kinder auf dem Spielplatz auflauere". Dabei ist es genau anders herum: die meisten Missbrauchsfälle finden im sozialen Nahfeld des Opfers statt, meistens in der Familie. So wie in dem Fall aus Münster, wo die missbrauchten Opfer wohl auch aus dem direkten Umfeld der Täter kamen. Dr. Egg beschwört stattdessen das altbekannte Klischeebild des Pädophilen, der in den Büschen am Spielplatz nur darauf wartet, Kinder entführen zu können – was aber nur einen verschwindend geringen Anteil an Missbrauchsfällen ausmacht.
Doch es wird noch schlimmer. Als nächstes behauptet Dr. Egg, sexueller Missbrauch sei im Wesentlichen etwas, was im Laufe der sexuellen Entwicklung einfach so passiert, und nichts, worauf man direkten Einfluss hat. Es scheint so, als sei er der Meinung, dass jeder pädophile Mensch irgendwann einen Missbrauch begeht, und darüber hinaus dem auch noch absolut hilflos ausgeliefert ist.
Ich denke mal, ich muss nicht extra betonen, wieso es immens gefährlich ist, Menschen zu sagen, sie seien dazu verdammt Missbrauch zu begehen und könnten nichts dagegen tun.
4. Der Fall ins Wunderland
Durch einen Bericht bin ich auf einen kürzlich neu erschienen Krimi aufmerksam geworden, der eine durchaus interessante Grundidee verfolgt: und zwar geht es um eine Reihe von Morden, die im Zusammenhang mit dem Fund einer verlorenen Tagebuchseite von Lewis Carroll, dem Autor von Alice im Wunderland, steht, und die Aufschluss über seine möglicherweise vorhandenen pädophilen Neigungen geben soll.
Kleine Nebenbemerkung: auch mit dem uns heute zur Verfügung stehenden Wissensstand ist es meiner Ansicht nach mehr als offensichtlich, dass Carroll pädophil war. Nur um ein Beispiel zu nennen: Carroll markierte in seinem Tagebuch besonders erinnerungswürdige Tage mit einem weißen Stein – und fast alle dieser "Weiße-Stein-Tage" waren Tage, an denen er mit kleinen Mädchen zu tun hatte. Die pädophilen Neigungen Carrolls lassen sich meiner Meinung nach nur leugnen, wenn man ein sehr verklärtes Bild von Carroll hat, oder pädophile Menschen nur als sexbesessene Monster sieht – was Carroll definitiv nicht war.
Wie dem auch sei. Ich habe den Roman noch nicht gelesen, finde aber, dass er durchaus interessant klingt. Auf amazon kann man sich eine Leseprobe des Romans durchlesen, in der bereits einige interessante Anmerkungen zu Carrolls Neigung zu Mädchen steht. Unter anderem dieser Satz:
Und wenn es stimmt, dass die menschliche Natur Leerstellen verabscheut, dann sollten wir nicht ausschließen, dass es innerhalb der riesigen Bandbreite menschlicher Typen auch solche gab – und selbst jetzt noch gibt –, die Kinder auf eine absolut keusche Art liebten und sie niemals berührt hätten.
5. Konversionstherapien werden verboten
Das Verbot von Konversionstherapien an Jugendlichen, über die ich schon mehrmals geschrieben habe, ist nun auch vom Bundesrat beschlossen worden. Von Anfang an kennzeichnend für die gesamte Berichterstattung über den Fall war die fortlaufende Betonung, dass Pädophile von dem Verbot ausgenommen sind, so als ob die Medien versuchen würden, einer Torpedierung des Verbots durch eine Gleichstellung von Homosexualität mit Pädophilie vorzukommen. Und so findet sich auch diesmal zum Beispiel in einem Artikel der FAZ zum Thema dieser obligatorische Satz:
Verboten werden Therapien, die eine Änderung oder Unterdrückung der sexuellen Präferenz oder der Geschlechtsidentität zur Folge haben. Geschlechtsumwandlungen, die die selbst empfundene Identität unterstreichen, sind davon ausdrücklich ausgenommen. Das gilt auch für Behandlungen von Störungen wie Exhibitionismus und Pädophilie.
6. Anstiftung zur Lynchjustiz
Im Kreis Unna in der Nähe von Dortmund hat sich diese Woche ein Video wie ein Lauffeuer verbreitet. Das Video zeigt das Kennzeichen eines Autos, dann den dort drin sitzenden Mann. Der Mann wird daraufhin beschuldigt, pädophil zu sein und versucht zu haben, ein Kind zu missbrauchen.
So beschreibt das Video zumindest eine Lokalzeitung aus Unna. Wirkliche Beweise darauf, dass der Mann tatsächlich Missbrauch geplant hatte, gab es demnach wohl nicht. Die Reaktionen waren dennoch so, wie man es erwarten könnte: haufenweise Kommentare auf den sozialen Medien, die den Fahrer wüst beschimpfen, bedrohen oder zu Selbstjustiz aufrufen.
Der Fall macht die Gefahr sozialer Medien sehr direkt deutlich. Es reicht aus, dass eine einzelne Person eine Handykamera auf jemanden richtet und denjenigen als pädophil beschuldigt, und schon findet sich ein Heer aus Tausenden Menschen, die dem blind folgen und ihre Wut gegen den Beschuldigten richten wollen, ohne weitere Fragen zu stellen.
Dabei ist die Situation in Deutschland noch relativ gelassen. Solche Fälle wie in Unna gibt es vergleichsweise selten. In den USA und einigen anderen Ländern ist das "Jagen von Pädophilen" zu einem regelrechten Sport auf den sozialen Medien geworden, und lauter "Pädophilenjäger" haben sich gefunden, die versuchen pädophile Menschen zu identifizieren und online bloßzustellen. Das Resultat davon sind bis jetzt mehrere Gewaltausschreitungen, zum Teil gegen Unschuldige, sowie einige Suizide. Hoffen wir, dass es in Deutschland nicht so weit kommen wird.
7. Kriminalisierung pädophiler Menschen in den Medien
Nicht jeder pädophile Mensch wird zum Straftäter, und die meisten Kindesmissbrauchstäter und Konsumenten von Kinderpornographie sind nicht pädophil.
Leider wird diese wichtige Unterscheidung in den Medien oft nicht gemacht, und Pädophilie mit Straftaten oft in einen Topf geworfen. Gerade das trägt aber massiv zur Stigmatisierung pädophiler Menschen bei, da die meisten Menschen so den Eindruck gewinnen, dass Pädophilie und Kindesmissbrauch ein und dieselbe Sache ist. Um auf dieses Problem aufmerksam zu machen, möchte ich hier jede Woche Beispiele für diese Behandlung des Themas Pädophilie in den Medien sammeln.
8. Dir gehört mein Herz
- von David
Der folgende Song bedeutet mir sehr viel. Er stammt im Original aus dem Film „Tarzan“ von Disney und wurde von Phil Collins gesungen. Mir persönlich gefällt die Version von Gregor Meyle (aus Gründen, die hier den Rahmen sprengen) allerdings besser. Das Lied behandelt die Situation von Kala (einer Gorilladame), die sich Tarzan (einem Menschenbaby) annimmt und sich gegen die Vorbehalte der anderen Gorillas wehren muss. Es geht um Mutterliebe und dennoch trifft dieses Lied voll und ganz in mein eigenes Herz. Es beschreibt exakt, was ich für den Jungen empfinde, den ich liebe. Es beschreibt, was ich für alle Kinder empfinde. Und es beschreibt den Kampf gegen die Gesellschaft, die diese Liebe weder versteht, noch zu dulden bereit ist. Am Ende des Tages ist Liebe vielleicht einfach Liebe. Und dieses Lied beschreibt die Liebe gegenüber einem Kind. Es beschreibt die Mutterliebe, wie auch meine pädophile Liebe.
Anmerkung: Ich werde in einem separaten Blogpost tiefer auf meine persönliche Geschichte mit dem Film „Tarzan“ und dem Song „Dir gehört mein Herz“ eingehen. Wer sich dafür interessiert, kann dann gern weiterlesen.
9. Aufruf zur Teilnahme!
Wer meine Sonntagskiste seit längerem regelmäßig verfolgt, dem ist vielleicht aufgefallen, dass ich mir in den letzten Ausgaben immer mal wieder Hilfe von anderen Autoren von Kinder im Herzen geholt habe. Auch diese Woche wurde mir der traditionelle musikalische Abschluss von David geliefert – vielen Dank dafür!
Hiermit möchte ich noch einmal offiziell um Mithilfe bitten – denn je mehr Augen die Medienlandschaft beobachten, desto weniger schlüpft uns durch die Finger! Wenn du also einen Hinweis auf einen kommentierwürdigen Artikel hast, einen Musikvorschlag für den Abschluss, oder vielleicht sogar selber einen Abschnitt für die Sonntagskiste beitragen möchtest, dann melde dich gerne per Mail (sirius@kinder-im-herzen.net) oder Threema (ID: SJ4FTAEH) an mich. Ich würde mich über jede Beteiligung sehr freuen!
Bis nächste Woche,
Sirius