Liebe Leser,
nächste Woche ist Weihnachten, und damit eigentlich die Zeit der Besinnlichkeit, Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit. Meine Funde, die ich in meiner Kiste mitgebracht habe, können diese Eigenschaften leider nicht erfüllen – eher im Gegenteil. Nachdem letzte Woche um das Thema Pädophilie eher eine Flaute herrschte, haben sich die Medien diese Woche mit negativen und stigmatisierenden Berichten fast schon überschlagen. Positive Berichte gab es diese Woche keinen einzigen.
1. Der "Pädo" und der Junge im Schrank
Was passiert ist: "wegen des Verdachts der Verbreitung kinderpornografischer Schriften" wurde von der Polizei eine Hausdurchsuchung bei einem 44-jährigen Mann durchgeführt. Dabei wurde auch ein Jugendlicher gefunden, der seit seinem 13. Lebensjahr vermisst ist und sich in der Wohnung aufgehalten hatte. Der Junge wurde in einem Schrank in der Wohnung gefunden, befand sich aber dem Polizeisprecher zu Folge schon lange freiwillig in der Wohnung.
Für viele Medien, die darüber berichteten ist der Fall schnell klar. Da wegen Kinderpornographie gegen denn Mann ermittelt wird, ist er direkt als "Pädophiler" abgestempelt (diejenigen, die zumindest noch ein bisschen den Anschein von Objektivität wahren wollen schreiben zumindest von "mutmaßlichen Pädophilen"). Das ergibt natürlich eine schön dramatische Geschichte: ein jahrelang vermisster Junge wird von der Polizei im Schrank (!) eines Pädophilen (!) gefunden. Oder, wie es der Blick formuliert hat:
Eine Razzia im deutschen Recklinghausen im Bundesland Nordrhein-Westfalen bringt Schauriges ans Licht. In der Wohnung eines Pädophilie-Verdächtigen findet die Polizei den Marvin K.* (15). Seit über zwei Jahren galt der Teenager als vermisst.
Und so liest man die letzten Tage unter anderem folgende Schlagzeilen zu dem Fall:
(n-tv.de)
(blick.ch)
(stern.de)
(faz.net)
(sn.at)
Und eine besondere Erwähnung verdient noch diese Schlagzeile der NachWelt:
Zwei Fragen:
- Wann ist aus dem 15-jährigen Jungen ein Mädchen geworden?
- Wer genau ist da pädophil? Das Mädchen, die Wohnung, oder wer sonst?
2. Verbot von Konversionstherapien
Der von Gesundheitsminister Jens Spahn vorgelegte Gesetzesentwurf für den Verbot von Konversionstherapien, über den ich bereits in meiner Sonntagskiste #6 berichtet hatte, ist jetzt vom Kabinett verabschiedet worden. Darüber berichtet unter anderem die Zeit. Die grundsätzlich gute Entscheidung wird leider dadurch für mich getrübt, dass Pädophile von dem Verbot explizit ausgenommen sind.
Die Bundesregierung gibt dazu etwa bekannt:
Diese sogenannten Konversionstherapien hinterlassen bei Betroffenen oftmals psychische Schäden. Negative und schädliche Effekte sind wissenschaftlich zuverlässig nachgewiesen.
In einem großen gelben Banner steht aber später als wichtige Info:
Das Gesetz gilt nicht für Erwachsene, die selbstbestimmt handeln können. Ausgenommen sind auch Behandlungen bei Störungen der Sexualpräferenz wie Exhibitionismus oder Pädophilie.
Sprich: von der Regierung wird anerkannt, dass Konversionstherapien negative Effekte haben und psychische Schäden auslösen. Dennoch ist das Durchführen dieser Methoden bei Pädophilen weiterhin erlaubt und jetzt auch vom Gesetzgeber ausdrücklich legitimiert. Besonders bitter ist es, dass laut Spahn mit dem Verbot ein wichtiges Zeichen gesetzt werden sollte: "es ist okay, so wie du bist".
Wie wäre es stattdessen mit einer ehrlicheren Formulierung: "es ist okay, so wie du bist – außer du gehörst zu einer der Gruppen die wir als die gesellschaftliche Mehrheit für krankhaft und nicht okay befunden haben"?
3. Straftaten gegen Jugendliche und Pädophilie
Wie ich versucht habe mit meiner Sonntagskiste zu dokumentieren, gibt es in den Medien den Hang dazu, Pädophilie und Straftaten an Kindern durcheinander zu werfen. Gerne wird etwa jeder Kindesmissbrauchstäter direkt zum "Pädophilen", auch wenn Statistiken nach nur ein geringer Anteil tatsächlich pädophil sind.
In den englischsprachigen Medien ist dies oft noch extremer. Dort werden sämtliche Straftaten an Minderjährigen (sprich: unter 18-jährigen) als "Pädophilie" bezeichnet. Dies ist gleich doppelt absurd, da Pädophilie laut Definition die Präferenz für vorpubertäre Kinder ist und zum Beispiel 15-jährige gar nicht mehr einschließt.
Hin und wieder schwappt dieser Trend auch nach Deutschland rüber. Diese Woche gibt es dafür zwei Beispiele: einmal ein Artikel von 20min, in dem über einen Fall berichtet wird, bei dem eine Frau ihren Vergewaltiger ermordet hat. Die Frau war 16 Jahre alt, als sie missbraucht wurde. 20min beschreibt dies so:
Chrystul Kizer muss sich vor Gericht verantworten, weil sie einen Pädophilen getötet hat. Der Mann soll ihr Grausames angetan haben. […] Einem Teenager aus dem US-Bundesstaat Wisconsin droht eine lebenslange Haftstrafe im Gefängnis, nachdem die junge Frau zugegeben hat, einen der Pädophilie beschuldigten Mann getötet zu haben. Er soll sie zuvor missbraucht und für Sex an andere Männer verkauft haben, wie abc news berichtet.
Bei dem zweiten Fall geht es um einen 67-jährigen Rentner, der verurteilt wurde weil er versucht hat einen sexuellen Kontakt zu einer 13-jährigen aufzubauen. Der Blick macht aus ihm durchgängig einen "Pädo-Rentner" und "Pädophilen".
4. Kriminalisierung pädophiler Menschen in den Medien
Nicht jeder pädophile Mensch wird zum Straftäter, und die meisten Kindesmissbrauchstäter und Konsumenten von Kinderpornographie sind nicht pädophil.
Leider wird diese wichtige Unterscheidung in den Medien oft nicht gemacht, und Pädophilie mit Straftaten oft in einen Topf geworfen. Gerade das trägt aber massiv zur Stigmatisierung pädophiler Menschen bei, da die meisten Menschen so den Eindruck gewinnen, dass Pädophilie und Kindesmissbrauch ein und dieselbe Sache ist. Um auf dieses Problem aufmerksam zu machen, möchte ich hier jede Woche Beispiele für diese Behandlung des Themas Pädophilie in den Medien sammeln.
(brf.be)
(rtl.de)
(blick.ch)
5. Solidarität
Nach den ganzen ziemlich betrüblichen Einträgen diese Woche möchte ich diesen Beitrag mit einem Appell zur Solidarität beenden. Ich bezweifel zwar, dass Tocotronic an uns gedacht haben, als sie ihr Lied Solidarität geschrieben haben. Aber ich finde das Lied dennoch auch für die Situtation pädophiler Menschen als treffend und tröstend.
Allen Lesern wünsche ich ein frohes Weihnachtsfest!
Sirius