Vor wenigen Wochen hat sich etwas Schreckliches ereignet. Einem aufmerksamen Beobachter in Frankreich ist aufgefallen, dass auf der Seite des asiatischen Billighändlers und Fast-Fashion-Konzerns Shein eine Puppe zum Verkauf angeboten wurde. Dass daraus in Windeseile ein handfester Skandal wurde, lag natürlich daran, dass es dabei nicht um irgendeine Puppe ging, sondern um eine Puppe für Pädophile. Genauer gesagt handelte es sich um eine Puppe, die einem etwa sechsjährigen Mädchen nachgebildet war und als Objekt zur Vornahme sexueller Handlungen beworben wurde. Also: um eine Kindersexpuppe.

Löste Schrecken und Entsetzen aus: eine Mädchenpuppe mit Teddybär
In einer vernünftigen Welt würden wir gar nicht darüber reden, dass ein Konzern Puppen für Menschen mit von der Norm abweichenden Bedürfnissen verkauft, vor allem, da es wirklich genügend echte Probleme bei Shein gibt, die mehr Aufmerksamkeit verdient hätten (wie ich in meinen anderen Beitrag zu dem Konzern schon angedeutet habe). Da wir in einer solchen Welt offensichtlich aber nicht leben, hat es von der ersten Meldung an die französische Verbraucherschutzbehörde keine Woche gedauert hat, bis der Fall sogar Spitzenpolitiker:innen in Frankreich und auf EU-Ebene beschäftigte. So schaltete die französische Regierung nur wenige Tage nach Bekanntwerden des Falls die Webseite von Shein in Frankreich zeitweise ab und forderte die EU-Kommission auf, auch auf EU-Ebene härter gegen den Konzern vorzugehen. Gleichzeitig gab es einen von Kinderschutzorganisationen organisierten Protest bei der Eröffnung einer Filiale von Shein in Paris, wo dem Konzern die Unterstützung von „Pädokriminalität“ vorgeworfen wurde.

Shein reagierte umgehend auf die Vorwürfe und entfernte erst die Puppe, und wenig später sämtliche Sexspielzeuge aus seinem Marktplatz. Ein Sprecher des Konzerns erklärte, die Puppe sei von einem Drittanbieter angeboten worden, der unternehmensinterne Kontrollen umgangen habe. Auch andere, ähnliche Anbieter wie Temu, AliExpress und Wish gerieten ins Visier der Strafverfolgungsbehörden und entfernten vorsichtshalber Angebote aus den eigenen Marktplätzen; in eigenen Recherchen konnte ich Hinweise darauf finden, dass die gleiche Puppe dort zeitweise ebenfalls angeboten wurde. Parallel dazu zeigte zeitgleich eine Kinderschutzorganisation in Schweden Amazon und zwei weitere Onlinehändler wegen des Verkaufs von Kindersexpuppen an. Daraufhin forderte Schwedens Sozialministerin Camilla Waltersson Gronvall die Teilnahme der Plattformen an einem für Ende November angesetzten Treffen, an dem diskutiert werden soll, wie die „Existenz dieser Puppen“ gestoppt werden könne. Derzeit werden also international schwere Geschütze aufgefahren, um die Verfügbarkeit solcher Puppen in der EU komplett zu unterbinden.

Rechtliche Situation

Wie kann es sein, dass es überhaupt so viel Handlungsspielraum gibt, um gegen den Verkauf von harmlosen Puppen vorzugehen? Eigentlich gibt es in Europa nur zwei Länder, in denen es explizite Gesetze gegen Kindersexpuppen gibt, nämlich Dänemark und Deutschland. Das bedeutet aber nicht, dass der Verkauf oder auch nur der Besitz von Kindersexpuppen in allen anderen Ländern legal ist. In vielen Ländern, darunter auch Frankreich, fallen Kindersexpuppen als „Repräsentation eines Kindes“ unter die Definition von Kinderpornografie. Wer in Frankreich eine solche Puppe besitzt, kann ohne einem Menschen je ein Haar gekrümmt zu haben für bis zu fünf Jahre im Gefängnis landen – ein Strafmaß, das ansonsten etwa für Diebstahl, Erpressung und Körperverletzung vorgesehen ist. Auch in Deutschland sind schon für den bloßen Besitz bis zu drei Jahre Haft möglich. In anderen Ländern, wie der Schweiz zum Beispiel, wissen selbst Fachpersonen nicht so recht, ob Kindersexpuppen eigentlich legal sind oder nicht. Die Frage wird dann wohl der erste arme Schlucker klären, der zum Ziel eines übereifrigen Staatsanwalts wird und vor Gericht landet.

Auf EU-Ebene wiederum ist die Richtlinie 2011/93/EU maßgebend (die oft aufgrund eines Druckfehlers fälschlicherweise als 2011/92/EU bezeichnet wird, dabei handelt es sich aber um eine völlig andere Umweltschutzrichtlinie). Diese Richtlinie erwähnt Kindersexpuppen zwar nicht ausdrücklich (was zumindest der EU-Rat in seiner im letzten Dezember veröffentlichten Position zur Überarbeitung der Richtlinie gerne ändern möchte). Allerdings definiert die Richtlinie in der aktuellen Fassung Kinderpornografie als „jegliche Darstellung der Geschlechtsorgane einer Person mit kindlichem Erscheinungsbild für primär sexuelle Zwecke“, sodass Sexpuppen mit kindlichem Aussehen schon jetzt möglicherweise darunter fallen können. Es steht Mitgliedsstaaten zwar frei, unter bestimmten Umständen den Besitz zum rein privaten Gebrauch nicht zu bestrafen, das gilt aber nicht für den Verkauf.

Dies ist ein Problem für Shein & Co., denn nach dem europäischen Digital Services Act (DSA) kann das als sehr große Onlineplattform eingestufte Unternehmen auch für illegale Angebote zur Verantwortung gezogen werden, die Drittanbieter auf ihrer Plattform anbieten. Eine von der EU-Abgeordneten Karin Karlbro eingereichte Prioritätsfrage zielt entsprechend auch darauf ab, dass die EU-Kommission Verfahren gegen Shein und ähnliche Plattformen wegen Verstößen gegen den DSA eröffnen solle.

Neue alte Debatten um Kindersexpuppen

Im Rahmen der Kontroverse ist in Teilen der Gesellschaft auch wieder eine Grundsatzdebatte für Kindersexpuppen als solche aufgeflammt, die man zum Beispiel in den Leser:innenkommentaren auf zeit.de und watson.ch verfolgen kann. Während viele Menschen es bei dem Thema für notwendig halten, ihre eigene Abscheu wie eine persönliche Auszeichnung stolz vor sich herzutragen („Was für kranke Leute die sowas kaufen“ / „Das ist absolut widerwärtig“), beschränken sich ernsthafte(re) Debatten vor allem auf die Frage, ob Kindersexpuppen eher gefährlich oder hilfreich sind. Hier teilen sich die Ansichten im Wesentlichen in zwei Lager auf: die einen, die in Puppen ein mögliches Ventil sehen, mit dem Kindesmissbrauch verhindert werden kann („lieber Puppen als Kinder“) und die anderen, die befürchten, dass Puppen gerade erst Hemmschwellen senken und Missbrauch wahrscheinlicher machen („irgendwann reicht die Puppe nicht mehr“).

Die beliebtesten Kommentare bestehen vor allem aus Hass und Unterstellungen gegen Puppenbesitzer:innen
Auch Expert:innen, beziehungsweise genauer gesagt eine Expertin schaltete sich in die Debatte ein. Monika Egli-Alge, Geschäftsführerin des Forensischen Instituts Ostschweiz (forio), wurde vom SRF zu dem Thema interviewt. Ihre Haltung ist im Wesentlichen, dass es vom individuellen Einzelfall abhänge, ob Puppen eher gefährlich oder hilfreich sind, und dies vor allem davon abhänge, wie viel Impulskontrolle jemand besitzt.

Diese Ansicht ist nur auf den ersten Blick ausgewogen. So behauptete Egli-Alge, es gebe „keine fundierten Forschungsergebnisse“ zur Wirkung von Kindersexpuppen und unterschlägt damit völlig die Existenz eines wachsenden Korpus von Forschungsarbeiten, die bislang alle eher zu dem Ergebnis gekommen sind, dass die Benutzung von Puppen das Missbrauchsrisiko einer Person gerade nicht erhöht und Verbote eher zu mehr Übergriffen führen. Gleichzeitig beschreibt sie lediglich ein Fallbeispiel eines Klienten, der im Rahmen einer Therapie seinen Wunsch nach dem Besitz einer Puppe aufgegeben und sich stattdessen entschieden habe, „seine Fantasien besser kontrollieren zu wollen“. Diese Darstellung baut (möglicherweise unbeabsichtigt) eine falsche Dichotomie in den Köpfen der Leser:innen auf: auf der einen Seite die Pädophilen, die verantwortungsvoll ihre Fantasien kontrollieren und auf der anderen Seite diejenigen, die verantwortungslos ihre Fantasien mit Puppen noch füttern. Tatsächlich werden Puppen aber ja gerade von denjenigen gekauft, die ihre völlig menschlichen Bedürfnisse nach Nähe und Intimität verantwortungsvoll erfüllen wollen, ohne dabei reale Kinder in Mitleidenschaft zu ziehen. Die Perspektive von Menschen, die dies schaffen und mit Puppen ein zufriedenes Leben führen, kommt dahingegen wieder einmal überhaupt nicht vor.

Soweit ist der Verlauf der Debatte vorhersehbar frustrierend. Ein Aspekt, der erneut gar keine Erwähnung findet: dass es sich bei dem Verbot um einen signifikanten Eingriff in das Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung pädophiler Menschen handelt. Dieser Eingriff ist umso schwerwiegender, da es für (insbesondere ausschließlich) pädophile Menschen grundsätzlich wenige Alternativen für einen gesunden Umgang mit menschlichen Grundbedürfnissen nach Intimität gibt. Während dem durchschnittlichen, nicht-pädophilen Menschen partnerschaftliche Beziehungen, Gelegenheitssex, endlose Variationen an Pornografie und die Dienste von Sexarbeiter:innen grundsätzlich zur Verfügung stehen, haben pädophile Menschen diese Möglichkeiten nicht, sodass jede Wegnahme der wenigen übrig bleibenden Alternativen als umso invasiver bewertet werden muss. Und dabei geht es nicht nur um sexuelle, sondern auch um romantische Bedürfnisse und Bedürfnisse nach körperliche Nähe, die von Puppen genauso befriedigt werden können.

Dass dieser Aspekt in den Debatten so regelmäßig unbeachtet bleibt, zeigt vor allem, wie sehr es gesellschaftlich abgelehnt wird, über Pädophile auch als Träger von Rechten nachzudenken. Stattdessen findet der Diskurs zu Themen im Kontext Pädophilie immer unter dem Aspekt statt, ob etwas (in diesen Fall Kindersexpuppen) Pädophile weniger oder (noch) mehr gefährlich macht – eine Sichtweise, mit der Pädophile grundsätzlich nur als potenzielle Gefahren gesehen werden. Dies ist eine zutiefst entmenschlichende Perspektive. Selbst Expert:innen, die eigentlich mit Pädophilen arbeiten und dadurch einen tieferen Einblick in deren Lebensrealitäten haben entkräften diese nicht nur nicht, sondern sogar bestärken sie sogar noch – was wohl daran liegt, dass alle Expert:innen, die öffentlich Gehör finden, sich ausschließlich im Kontext Prävention von Kindesmissbrauch mit Pädophilen beschäftigen. Auch Egli-Alge musste unbedingt betonen, dass das „oberste Ziel“ im Umgang mit Pädophilen immer sei, „die Selbstkontrolle zu erhöhen.” Diese einseitige Darstellung löscht aber gerade die Lebensrealitäten pädophiler Menschen aus, für die Selbstkontrolle gar kein Thema ist und denen es einfach nur darum geht, sich ein bisschen weniger einsam zu fühlen, wenn sie abends ins Bett steigen und dabei mit der schmerzhaften Realität konfrontiert werden, dass dort nie ein echtes Kind zum Kuscheln liegen wird.

Pädophilie als inakzeptabler Makel

Dass kontroverse Debatten um Kindersexpuppen in Teilen der Gesellschaft und unter Expert:innen zwar teils noch geführt werden, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf der Ebene der Realpolitik die Einstellung zu dem Thema schon unerschütterlich feststeht. Frankreichs Wirtschaftsminister Roland Lescure etwa sprach von „furchtbaren Objekten“, die völlig zu recht illegal seien. Mit dem Angebot der Puppe habe Shein eine Grenze überschritten. Nicht zufrieden damit, den Verkauf in Frankreich gestoppt zu haben, setzten sich Frankreichs Minister für ein EU-weites Vorgehen gegen Shein und ähnliche Plattformen ein, um andere EU-Länder vor den „Risiken“ zu bewahren, welche die Puppen darstellen würden. Die EU-Kommission ließ daraufhin verkünden, dass sie Verständnis für diese Bedenken habe und auch nicht wolle, dass Kindersexpuppen in Europa überhaupt zum Verkauf angeboten werden. Und auch Shein selbst knickte innerhalb weniger Stunden ein und ließ durch den Pressesprecher verkünden, dass Kindersexpuppen selbstverständlich „komplett inakzeptabel“ und gegen „alle Werte, die wir verteidigen“ gerichtet seien. Selbst von denjenigen, die mit dem Verkauf von Kindersexpuppen bis vor kurzem noch bedenkenlos Profit generiert haben, ist also kein Fragezeichen zu vernehmen, ob ein strafrechtliches Verbot von humanoid geformten Plastik überhaupt gerechtfertigt sei.

Dass Kindersexpuppen gefährlich sind, sie verboten und ihre Käufer:innen und Verkäufer:innen verfolgt und hart bestraft gehören, ist in der internationalen Spitzenpolitik also eine scheinbar offensichtliche Wahrheit geworden, an der niemand mehr so wirklich zweifelt. Anstelle von Argumenten wird auf vermeintliche Verbindungen zur Pädophilie hingewiesen, als würde dies deren Strafbarkeit schon hinreichend legitimieren. Schon die französische Verbraucherschutzbehörde, an die als Erstes eine Meldung zu dem Fall einging, ließ verkünden, dass an dem „pädopornografischen Charakter kaum zu zweifeln“ sei, und sprach weiter von Puppen mit „pädophilen Charakter“. Anstatt einer Erklärung, was an dem Verkauf einer Puppe problematisch sein soll, findet man vor allem Empörung darüber, dass ein Konzern Produkte verkauft, die vermeintlich für Pädophile gemacht sind. Die Botschaft ist klar: die Puppen stehen in Verbindung mit Pädophilie, sollen Pädophilen gefallen, und das alleine macht sie schon grotesk, widerlich, kriminell und in jeder Hinsicht inakzeptabel. Dahinter steckt letztlich der diskriminierende Glaube, dass alles, was gut für Pädophile oder für Pädophile gemacht ist, notwendigerweise schlecht für die Gesellschaft im Ganzen und insbesondere Kinder sein muss.

Die harten Reaktionen gegen Shein und vergleichbare asiatische Händler lässt sich aber auch anders erklären. Immer wieder wiesen Kritiker in der Debatte darauf hin, dass Shein den europäischen Markt mit Billigware überschwemmen, was zwar nicht falsch ist, mit dem Verkauf von einer Kindersexpuppe aber überhaupt nichts zu tun hat. Die Vermutung liegt daher nahe, dass politische Akteure den Vorfall als Vorwand nutzen, um den chinesischen Konzern in seine Schranken zu weisen. Auch der Handelsverband Deutschland forderte eine Sperrung der Anbieter in Deutschland, um „unfairen Wettbewerb“ aus Fernost zu stoppen. Anders gesagt: hier wird ein vermeintlicher Kinderschutz als Grund vorgeschoben, um nationale Wirtschaftsinteressen zu schützen. Das erklärt auch, warum ein sehr ähnlicher Fall aus Schweden, bei dem es aber primär gegen den US-Konzern Amazon ging, nicht annähernd so hohe Wellen geschlagen hat.

Reale und erfundene Probleme

Sich im Namen des Kinderschutzes auf eine Puppe zu stürzen, setzt den Fokus sowieso auf die völlig falsche Stelle. Es gibt nämlich mehr als genug Punkte, in denen Billigwarenhändler aus China die Sicherheit von Kindern ganz konkret und unmittelbar gefährden. Der deutsche Verband der Spielwarenindustrie stellte etwa bei 18 von 19 getesteten Produkten des Anbieters Temu fest, dass diese ein Sicherheitsrisiko für Kinder darstellten. Die gefundenen Mängel reichten von Babyrasseln mit scharfen Kanten und verschluckbaren Kleinteilen bis hin zu chemischen Schadstoffen in Kinderspielzeug – Probleme also, die tatsächlich zu Verletzungen oder im schlimmsten Fall sogar den Tod eines Kindes führen können. Als Hersteller von Kleidung, die dazu bestimmt ist möglichst schnell wieder weggeworfen zu werden (beschönigend auch Ultra Fast Fashion genannt) trägt Shein außerdem wesentlich dazu bei, die Klimakatastrophe zu befeuern und damit die Kinder von heute um ein lebenswertes Leben auf einem habitablen Planeten in der Zukunft zu berauben.

Und die Probleme hören noch lange nicht bei Kinderspielzeug mit gefährlichen Qualitätsmängeln auf. 2023 stellte Shein selbst fest, dass die eigenen Produkte in mindestens zwei Fällen in Kinderarbeit hergestellt wurden. Der Händler kündigte zwar die „Arbeitsverträge“ mit den betroffenen Kindern, arbeitet aber nach wie vor mit den Zulieferern zusammen. Auch bei Temu könne laut der Verbraucherzentrale Niedersachsen nicht garantiert werden, dass „grundlegende Menschenrechtsstandards, wie das Verbot von Kinderarbeit und Zwangsarbeit“ eingehalten werden.

Vor 10 Jahren einigte sich die Weltgemeinschaft eigentlich darauf, Kinderarbeit bis 2025 gänzlich auszulöschen. Kaum Beachtung fand vor einigen Monaten dann die Meldung, dass dieses Ziel haushoch verfehlt wurde. Es wird wohl doch einige Jahre länger dauern als gedacht. Unter anderem, um Kinderarbeit zu bekämpfen, wollte die EU eigentlich ein Lieferkettengesetz auf den Weg bringen. Doch während ich diesen Beitrag hier geschrieben habe und nur wenige Tage, nachdem sich Mitglieder des EU-Parlaments für ein hartes Vorgehen gegen Shein wegen der verkauften Puppe eingesetzt hatten, kooperierten dann Konservative im EU-Parlament erstmals mit Rechtsextremen, um das geplante Gesetz signifikant aufzuweichen. Die Sache mit dem Kinderschutz (und die Brandmauer gegen Rechtsextremismus) scheint plötzlich doch nicht so dringlich zu sein, wenn man dafür in die eigene Tasche greifen muss oder es um Kinder geht, die irgendwo anders weit weg leiden.

Und einmal nebenbei gefragt, wann wird eigentlich mit der gleichen Härte gegen alle Käufer:innen bei Online-Plattformen wie Shein, Temu oder AliExpress vorgegangen, wie gegen Käufer:innen von Kinderpuppen vorgegangen werden soll? Schließlich kann man die Argumente, mit denen sonst das harte Vorgehen gegen Besitzer:innen von Kinderpornografie gerechtfertigt wird, problemlos auch auf diese Gruppe anwenden. Hinter jedem in Kinderarbeit hergestellten Produkt steckt das Leid eines echten Kindes. Jeder, der ein solches Produkt kauft, unterstützt einen Markt, der Kinder ausbeutet und ihre Rechte verletzt (von allgemein menschenrechtsverletzenden Arbeitsbedingungen auch bei den erwachsenen Arbeiter:innen mal ganz abgesehen). Dass Menschen, die im Privaten mit Puppen kuscheln mit Haftstrafen bedroht werden, während andere nichts zu befürchten haben, die bewusst in Kinderarbeit hergestellte Produkte kaufen, offenbart vor allem ein perverses Ungleichgewicht in der moralischen Bewertung.

Falscher Fokus

Der Zirkus um die Shein-Puppe ist an Absurdität eigentlich kaum zu überbieten. Die moralische Empörung um eine Puppe verdrängt die sehr realen Schäden, die Händler wie Shein oder Temu Kindern zufügen, indem sie von Kinderarbeit profitieren, aus Profitgier die Welt von morgen verbrennen und lebensgefährliche Kinderspielzeuge in die ganze Welt verschicken. Und diejenigen, deren Aufgabe es eigentlich sein sollte, sich von solchen Nebelkerzen und Scheindebatten nicht verwirren zu lassen und stattdessen auf reale Gefahren für Kinder hinzuweisen, sind oftmals gerade diejenigen, die an dem Zirkus am meisten beteiligt sind.

Dies trifft in besonderem Maße auf die französische Jugendstaatssekretärin Sarah El Haïry hinzu. Bereits Anfang Oktober verbreitete sie extreme Narrative und Desinformation, nachdem bekannt wurde, dass gegen einen Mann wegen Kauf einer Kindersexpuppe Ermittlungen eingeleitet wurden. So behauptete sie ernsthaft, dass jede Puppe „die Hölle eines Kindes“ befeuert. Dass der Käufer wegen Sexualstraftaten gegen Kinder vorbestraft war, sei ein Beweis dafür, dass Puppen zu Missbrauch führen. Dabei beging er diese Tat bevor er sich eine Puppe beschaffte und verübte danach allem Anschein nach keine Übergriffe mehr – wenn überhaupt ist dieser Fall also eher ein Argument dafür, dass Puppen Missbrauch verhindern können. Schon damals verkündete sie, dass sie Käufer:innen von Puppen erbarmungslos jagen möchte, um Kinder in deren Umfeld zu „schützen“, was sie angesichts der neuen Kontroverse noch einmal wiederholte. Der Pressesprecher für Shein wiederum, vermutlich erleichtert inmitten des Skandals eine Gelegenheit zur Schadensminimierung ergreifen zu können, versicherte volle Kooperation und kündigte an, mit den Behörden zu kooperieren und auf Anfrage sämtliche Daten der Käufer:innen herauszugeben. Für Menschen, die sich eine Puppe über Shein bestellt haben, wird der Fall also vermutlich noch ein bitteres Nachspiel haben. Einen Präzedenzfall gibt es bereits: 2022 wurde ein Käufer in Frankreich zu drei Monate auf Bewährung verurteilt, nachdem dieser über Amazon eine ähnliche Puppe erworben hatte.

Es ist fatal, wenn selbst hohe Würdenträgerinnen nichts Besseres zu tun haben, als auf den Zug der moralischen Entrüstung aufzuspringen und populistischen Ideen zu folgen, statt einer rationalen Bewertung der tatsächlichen Risiken, die Kinder in der modernen Gesellschaft drohen. Viel wurde hier auf dem Blog schon über die Folgen, welche die irrationale Strafrechtspolitik bei Kindersexpuppen für deren Käufer:innen hat geschrieben. Dennoch dürfen wir auch nicht vergessen, welche problematische Folgen diese völlig verzerrten Debatten auch für Kinder haben, die ja eigentlich geschützt werden sollen. Jeder Euro, und jede Arbeitsstunde, die zur Verfolgung vermeintlich gefährlicher sexueller Minderheiten eingesetzt wird, fehlt bei Kinderschutzprojekten, die wirklich evidenzbasiert sind und reale Gefahren adressieren. Allzu oft verkommt das Thema Kinderschutz zu einer billigen Gelegenheit zur moralischen Profilierung zweifelhafter Individuen, worunter letztlich vor allem Kinder leiden.

Es ist einfach nicht gut genug, wenn Kinderarbeit irgendwann für die Enkelkinder der heutigen 138 Millionen Kinderarbeiter:innen vielleicht erfolgreich abgeschafft wird, nachdem ihnen dies eigentlich schon für heute versprochen wurde. Genauso inakzeptabel ist es, dass Händler anscheinend jahrelang Kinderspielzeug verschicken können, das gefährlich und schädlich für Kinder ist und erst dann ernsthafte Maßnahmen gegen sie ergriffen werden, wenn sie zusätzlich auch Produkte anbieten, die vermeintlich für Pädophile gemacht sind. Kinderschützer müssen sich unbedingt mehr um die tatsächlichen und sehr realen Risiken für Kinder kümmern, anstatt aus persönlicher Abscheu irrationale Gefahren zu erfinden und Energie und Ressourcen in sinnlosen moralischen Kreuzzügen zu verschwenden.