… oder nicht?

Als ich vor gut sieben Jahren angefangen habe, in der deutschsprachigen Online-Pädophilenszene aktiv zu werden, war diese noch weitestgehend von sogenannten Pro-Contactern dominiert, also Menschen, die sexuelle Kontakte mit Kindern legalisieren möchten. Auf der Seite der Anti-Contacter, also derjenigen, die eine solche Legalisierung ablehnen, gab es eigentlich nur Schicksal und Herausforderung, das abgesehen von einem Gästebuch keine Möglichkeiten zum Austausch hatte. Dem gegenüber standen mehrere Foren und Webseiten, die von Pro-Contactern betrieben wurden (und immer noch werden), und in denen Pro-Contact-Ideologie mindestens toleriert wurde.

Seitdem hat sich einiges geändert. 2017 rekrutierte mich Max Weber, um beim Aufbau des Forums Gemeinsam statt allein zu helfen. 2019 ist aus aus dem wiederholten Wunsch einzelner Nutzer:innen, sich auch per Chat austauschen zu können der P-Punkte-Chat (erst noch unter anderen Namen) entstanden, und dieses Blogportal ist wenige Tage später online gegangen. Aus der vormals formlosen Gruppe rund um Schicksal und Herausforderung hat sich 2020 ein eingetragener, gemeinnütziger Verein gebildet. Etwa zu der Zei haben Ruby und ich uns von Schicksal und Herausforderung getrennt und 2021 das Anti-Stigma-Projekt Wir sind auch Menschen mitgegründet, und seit 2023 gibt es mit Paravielfalt.zone auch einen Anti-Contact ausgerichteten Mastodon-Server. Kurz gesagt, im Vergleich zu 2017 gibt es heute deutlich mehr Angebote im Anti-Contact-Bereich, während jene im Pro-Contact-Bereich seit Jahren stagnieren oder langsam zu sterben scheinen.

Meine eigene Haltung gegenüber Pro-Contact-Aktivisten (bewusst nicht gegendert) ist dabei im Laufe der Jahre durchaus radikaler geworden. In der Anfangszeit von Gemeinsam statt allein habe ich noch dafür gestimmt, Deutschlands bekanntesten Pro-Contact-Aktivisten, Dieter Gieseking, eine Chance im Forum zu geben — rückblickend eine absolute Fehlentscheidung, die dazu führte, dass einige der ersten Nutzer:innen das neue Forum gleich wieder verlassen haben. Jahre später waren Ruby und ich einige Zeit lang mit einigen weiteren Anti-Contact-Aktivisten Teil der Arbeitsgruppe, die versucht, per Verfassungsbeschwerde gegen das Verbot von Sexpuppen mit kindlichem Aussehen vorzugehen, trotz dass auch bekennende Pro-Contacter Teil der Gruppe sind. Obwohl die Zusammenarbeit ursprünglich unter der Vereinbarung stattfand, dass Haltungen zu Sex mit Kindern außen vor bleiben, ist dies vielleicht wenig überraschend auf lange Sicht nicht gut gegangen, und am Ende haben wir uns entschieden, die Gruppe wieder zu verlassen.

Die Frage, ob Sexualität mit Kindern an sich harmlos und ein Grundrecht ist, welches Pädophilen ungerechterweise verwehrt wird, oder zu Recht als Verbrechen gesehen wird mit einer hohen Chance, Kindern schlimmen Schaden anzutun, ist eben mehr als ein unwichtiges Detail, über das man mit ein wenig Willen ruhig hinwegsehen kann.

Eine klare Anti-Contact-Haltung war mir in allen Projekten, an denen ich mitgearbeitet habe, immer wichtig. Aufgrund der Erfahrungen, die ich in den vergangenen Jahren gemacht habe, hat sich diese Haltung nur verschärft, und ich würde heute nie mehr auch nur eine temporäre Zusammenarbeit bei Themen in Erwägung ziehen, selbst wenn sie uns scheinbar gemeinsam betreffen. Auf der Gegenseite stößt diese Haltung regelmäßig auf offene Verachtung. Anti-Contactern wird oft vorgeworfen, die Szene zu spalten, unnötig Streit zu provozieren und aus Intoleranz anderen Meinungen gegenüber die Szene zu schwächen und das Erreichen gemeinsamer Ziele zu sabotieren. Aus Sicht der Pro-Contacter ist das auch nachvollziehbar, denn durch die Erstarkung der Anti-Contact-Szene in den letzten Jahren hat sich eine vormals weitestgehend homogen als Pro-Contact ausgerichtete Szene plötzlich in mehrere Lager mit gegensätzlichen Ansichten aufgeteilt. Pro-Contacter behaupten daher gerne, dass sie genauso wie wir für die Entstigmatisierung von Pädophilie eintreten würden, und wird durch unseren Unwillen, mit ihnen zu kooperieren, diesem gemeinsamen Ziel enorm schaden würden.

Aber stimmt das überhaupt? Wollen wir wirklich dasselbe?

Ich möchte mich der Frage einmal aus einem anderen Winkel nähern. „Das Thema Pädophilie muss entstigmatisiert werden“ – diese Aussage hört man recht häufig, wenn man sich jenseits der Boulevardmedien mit dem Thema Pädophilie beschäftigt. Es scheint ein Punkt zu sein, in dem sich Pädophile (sowohl Pro- als auch Anti-Contact als auch alles dazwischen), Wissenschaftler:innen und Menschen, die professionell mit Pädophilen arbeiten, einig zu sein scheinen. Insbesondere die letztgenannten Gruppen betonen dies oft in Interviews.

Das Problem ergibt sich bei der Frage, warum die meisten Expert:innen eine Entstigmatisierung von Pädophilie sehen wollen. Meist wird hier der Kinderschutz als Rechtfertigung genommen. Die Theorie ist: weniger Stigma führt zu weniger Hemmschwellen für pädophile Menschen, sich in Therapie zu begeben, wo sie lernen, keine Kinder zu missbrauchen, was schließlich dazu führt, dass weniger Kinder von Pädophilen missbraucht werden.

Ich will damit nicht unbedingt sagen, dass diese Argumentation im Kern falsch ist. Das Problem liegt darin, dies als Hauptargument gegen die Stigmatisierung pädophiler Menschen zu benutzen, da es die Perspektive auf das Thema verzerrt. Was eigentlich eine Frage des humanitären Umgangs der Mehrheitsgesellschaft mit einer Minderheit sein sollte, wird so rein zu einem Aspekt der Prävention sexuellen Kindesmissbrauchs. Als primär Leidtragende des Stigmas werden somit nicht die davon betroffenen Pädophile genannt, sondern Kinder, die aufgrund des Stigmas nicht adäquat vor Pädophilen geschützt werden können.

Ich schlage für dieses Phänomen den Namen „Stigmatisierung zweiter Ordnung“ vor. Im Kern werden dabei zwar erst einmal Sachen gefordert, die durchaus zur Entstigmatisierung beitragen können, wie etwa die Forderung nach einer Differenzierung zwischen Pädophilie und Missbrauch. Die Motivation dafür befeuert selber aber wieder stigmatisierende Vorurteile – vor allem, dass Pädophile grundsätzlich für Kinder gefährlich sind, und in Therapien erst langwierig lernen müssen, wie man keine Kinder missbraucht. Diese Stigmatisierung zweiter Ordnung ist selbst in der Stigmaforschung, in der das Ausmaß und die Auswirkungen der gesellschaftlichen Stigmatisierung erforscht wird, sehr prävalent.

Wir wissen, dass pädophile Menschen in der Regel starke psychische Belastungssymptome zeigen, häufig Begleiterkrankungen wie Depressionen haben und sich aus Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung isolieren. […] Darüber hinaus wissen wir, dass soziale Einsamkeit ein durch die Forschung bestätigter Risikofaktor für das Begehen sexuellen Kindesmissbrauchs ist.
- Uwe Hartmann


Mögliche negative Folgen des Stigmas für Individuen mit Pädophilie, wie soziale Ausgrenzung und verringertes Selbstbewusstsein, könnten zu mangelhafter sozialer Kontrolle und Unterstützung sowie starken negativen Zuständen führen, wobei angenommen wird, dass all dies das Risiko für sexuell übergriffiges Verhalten steigert.
- Sara Jahnke, Roland Imhoff und Juergen Hoyer (aus dem Englischen übersetzt)


Je weniger sie zu verlieren haben, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie sich an soziale Gepflogenheiten halten. Es sieht so aus, als wäre es für die Gesellschaft von Vorteil, wenn diese Individuen, die zu abweichendem Verhalten neigen, besseren Kontakt zu sozialen Einrichtungen und Normen sowie besseren gesellschaftlichen Anschluss haben. Das ist ein Schutzfaktor.
- Michael Miner

Haben wir, wenn wir im Team von Wir sind auch Menschen von Entstigmatisierung reden also das gleiche Ziel wie zum Beispiel Kein Täter werden? Nun, zum Teil ja, aber irgendwie auch nicht. In einer für uns utopischen Welt würden Pädophile als menschliche Wesen und nicht als tickende Zeitbombe behandelt werden, würden wie andere sexuelle Orientierungen vor Diskriminierung geschützt werden, hätten legale und sichere Möglichkeiten zum Umgang mit sexuellen und emotionalen Bedürfnissen wie z. B. Zeichnungen und Puppen (solange diese nicht erwiesen schädlich sind), und könnten öffentlich auftreten und reden ohne Silencing und Gewalt befürchten zu müssen. Eine für Kein Täter Werden utopische Welt, geht man nach offiziellen Statements und Interviews, ermöglicht möglichst vielen pädophilen Menschen, sich in Therapien zur Missbrauchsprävention zu begeben, eliminiert Barrieren beim Aufbau von Therapieangeboten und erlaubt es pädophilen Menschen, sich gefahrlos zu outen, vor allem, um sich damit zusätzlicher sozialer Kontrolle zu unterliegen.

Und wie sieht es mit Pro-Contactern aus?

Auch hier gibt es auf den ersten Blick Überschneidungen in den Zielen, die sich beim genaueren Hinsehen dennoch deutlich unterscheiden. So wollen zum Beispiel sowohl wir im Team von Wir sind auch Menschen als auch Pro-Contacter, dass Pädophilie als sexuelle Orientierung anerkannt wird, meinen damit aber durchaus unterschiedliche Sachen. Für uns bedeutet das, Pädophilie nicht länger als Krankheit zu sehen und die Inklusion in Gesetze, die sexuelle Minderheiten vor Gewalt oder Diskriminierung am Arbeitsplatz schützen sollen. Was wir damit eindeutig nicht meinen, ist die Legalisierung von Sex mit Kindern. Anders sieht es bei Pro-Contactern aus: Die Anerkennung als sexuelle Orientierung heißt für sie auch die Gleichstellung mit z. B. Homosexualität in der Hinsicht, dass sexuelle Kontakte zu Kindern nicht pauschal kriminalisiert werden sollten.

Alle Ziele, die wir wenn es um Entstigmatisierung geht haben, werden von Pro-Contactern nur soweit geteilt, wie sie als Trittsteine für das ultimative Ziel der Abschaffung der Streichung von Kindesmissbrauch und Kinderpornografie aus dem Strafgesetzbuch. Dieses Ziel wird mal mehr, mal weniger offensiv verfolgt.
Genau deshalb müssen wir gerade dann, wenn Menschen vordergründig dieselben Ziele zu haben scheinen immer kritisch hinterfragen, was diese Menschen tatsächlich für Ziele haben. Denn allzu oft stecken hinter dem Bekenntnis, die Stigmatisierung pädophiler Menschen bekämpfen zu wollen tatsächlich Ideologien und Narrativen, die am Ende sogar geeignet sind, das Stigma noch tiefer zu verankern.