Es gibt Gruppen, bei denen ist es nicht wirklich überraschend, hetzerische und menschenverachtende Aussagen gegen Pädophile zu hören. Boulevardmedien wie die BILD etwa, oder das neurechte Magazin Nieus von Ex-BILD Chef Reichelt. Oder Rechte und rechtsextreme Kräfte, die generell gegen Minderheiten hetzen, und Pädophilie dabei häufig als Thema instrumentalisieren um andere Minderheiten zu diffamieren. Oder auch konservative „Law and Order“ – Politiker:innen, die sich gerne als Hardliner inszenieren und dafür Pädophile als große gesellschaftliche Bedrohung und sich selber als Helden im Kampf dagegen darstellen. Nicht, dass dies menschenverachtende und stigmatisierende Aussagen weniger schlimm, abscheulich oder gefährlich machen würde. Aber es ist zumindest nicht unerwartet.

Dann gibt es Gruppen, von denen würde man solche hetzerische und stigmatisierende Aussagen nicht unbedingt erwarten. Dazu gehörten bis vor kurzem für mich die Autor:innen des Blogs „Volksverpetzer“, der sich eigentlich für Minderheitenrechte, wissenschaftlich objektive Berichterstattung und gegen Hetze und Desinformationen engagiert. „Wir müssen uns nur auf demokratische Grundlagen einigen, die für das Funktionieren einer weltoffenen, liberalen Demokratie entscheidend sind“, schreiben sie in ihrer Selbstbeschreibung. Und weiter: „Kräfte und Parteien, die täglich durch Lügen, Hass und Zwietracht diesen demokratischen Konsens verletzen, gehören entlarvt und angeprangert.“

Umso enttäuschter war ich, als ich vor einiger Zeit den Artikel AfD: Wieso denken Rechtsextreme bei Sex sofort an Kinder … ? gelesen habe. Dabei ist die Grundaussage des Artikels durchaus richtig. Es geht nämlich um Instrumentalisierung von Kinderschutz durch rechte Akteure (oft aus dem Umfeld der AfD) für die Hetze gegen unliebsame Minderheiten, die als inhärente Gefahr für Kinder dargestellt werden. Unter Kampfbegriffen wie „Frühsexualisierung“ oder „Umerziehung“ wird dabei insbesondere queeren Menschen, Dragqueens und Transsexuellen vorgeworfen, sexuelle Übergriffe gegen Kinder begehen zu wollen. Dies ermöglicht es, die Diskriminierung gegen diese Minderheiten als Kampf für den Schutz von Kindern umzudeuten, und dadurch mehr Unterstützung in der allgemeinen Bevölkerung zu gewinnen.

Problematisch wird es in dem Artikel allerdings immer dann, wenn es um Pädophilie geht. Auch dieses Thema wird in rechten Desinformationskampagnen gerne instrumentalisiert, um damit gegen andere Minderheiten zu hetzen. Dies funktioniert wiederum nur, weil das Stigma gegen Pädophile so massiv ist, dass jegliche Assoziation mit dem Thema als rufschädigend gesehen werden kann. Und hier versagt der Artikel des Volksverpetzers leider völlig, indem es diese Vorurteile am Ende nur bestätigt und bekräftigt.

Das präsenteste Vorurteil ist wohl, dass Pädophilie und sexueller Kindesmissbrauch ein und dasselbe sind. Der Volksverpetzer betont hier, dass die meisten „pädophilen Übergriffe“ heterosexuell seien, und es keinen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Pädophilie geben würde, da Kindesmissbrauch nichts mit Homosexualität zu tun habe. Hier werden also einerseits Homosexuelle davor beschützt, pauschal für Kindesmissbrauch verantwortlich gemacht zu werden, und gleichzeitig Pädophilie mit Kindesmissbrauch gleichgestellt. Das ist nicht nur offenkundige Doppelmoral, sondern auch rein faktisch falsch. Die meisten dieser sogenannten „pädophilen Übergriffe“ sind nicht nur nicht homosexuell, sondern vor allem auch nicht pädophil. Zu dem Ergebnis kommen Studien immer wieder aufs Neue. Selbst die Quelle, die vom Volksverpetzer hier selber verlinkt wird (!), kommt zu dem Schluss, dass Pädophilie nicht die Hauptmotivation für Täter:innen ist, so liest man dort: „Als ein wesentliches Motiv gilt in vielen Fällen der Wunsch, Macht auszuüben und durch die Tat ein Gefühl von Überlegenheit über eine Person zu erlangen. Bei einigen Tätern und wenigen Täterinnen kommt eine sexuelle Fixierung auf Kinder hinzu.“

Auch beim Thema klerikalen Missbrauchs schießt der Artikel einen ziemlichen Bock. Hier wird ebenfalls darauf hingewiesen, dass die Taten nichts mit Homosexualität zu tun hätten, und gleichzeitig unterstellt, dass sie intrinsisch mit Pädophilie verknüpft seien. Als Quelle wird eine Studie der katholischen Kirche aus dem Jahr 2011 erwähnt, die zwar nicht direkt verlinkt ist, allerdings mit ein bisschen Recherche leicht online gefunden werden kann. Und die Studie kommt tatsächlich zu dem Ergebnis, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen Homosexualität und Kindesmissbrauch gibt. Doch mehr noch: in der Studie steht auch, dass Kindesmissbrauch auch nicht direkt mit Pädophilie zusammenhängt. Weniger als fünf Prozent der Beschuldigten seien pädophil, und deutlich öfter als Pädophilie sei bei den Tätern Drogenmissbrauch, insbesondere Alkoholismus, vorhanden, heißt es dort. Die Studie kritisiert außerdem in deutlichen Worten, dass in der medialen Berichterstattung über Missbrauch in der katholischen Kirche die Täter häufig fälschlicherweise als pädophil bezeichnet werden. Also genau das, was der Volksverpetzer hier, mit Verweis auf eben diese Studie, selber macht.

Nur mal nebenbei: Es ist durchaus zu loben, dass die Autor:innen des Volksverpetzers regelmäßig zahlreiche Links in ihren Artikeln setzen. Dies ermöglicht es einem Leser wie mir, die aufgestellten Behauptungen zu prüfen, und ist in der Medienbranche leider alles andere als gängige Praxis. Peinlich wird es nur, gerade für ein faktenorientiertes Medium, wenn in diesen Links teils das genaue Gegenteil von dem steht, was der Artikel behauptet, bis man sich als Leser irgendwann die Frage stellt, ob sich die Autorin die verlinkten Ressourcen überhaupt mal angeschaut hat.

Nicht nur, dass der Volksverpetzer der Meinung zu sein scheint, alle Kindesmissbrauchstäter:innen seien pädophil. Auch scheint die Möglichkeit gar nicht in Betracht gezogen zu werden, dass es auch pädophile Menschen gibt, die keine Täter:innen sind. Den traurigen Höhepunkt erreicht diese verzerrende und realitätsfremde Darstellung in der Behauptung, „einen ‚guten‘ Pädophilen gibt es nicht“. Hier wird allen pädophilen Menschen, ganz unabhängig ihrer Persönlichkeit, ihres Charakters oder ihrer Erfahrungen, alleine aufgrund ihrer Sexualität, die Fähigkeit abgesprochen „gute“ Menschen sein zu können. Dies ist erstklassige Hetze, eine menschenverachtende und stigmatisierende Aussage, die so (bezogen zum Beispiel auf queere Menschen) problemlos aus dem Mund eines Rechtsextremen hätte kommen können.

Die Aussage wird mit einem Link auf ein zehn Jahre altes Interview mit Sexualtherapeuten Gerhard Senf in der taz belegt. Dort findet sich tatsächlich die Frage der taz, ob es „solche ‚guten‘ Pädophile“ geben würde, was Senf pauschal verneint. Aus dem Kontext wird aber deutlich, was mit „solche“ gemeint ist: Es geht um Menschen, die im Kontrast zu nicht-pädophilen Kindesmissbrauchstäter:innen tatsächlich pädophil sind, und sexuelle Handlungen mit Kindern in der Annahme begehen, dass diese das auch wollen. Also nicht um grundsätzlich alle Pädophilen. Die durchaus äußerst unglücklich formulierte Aussage, solche guten Pädophile würde es nicht geben heißt in dem Zusammenhang nichts anderes, als dass auch solche Fälle Gewalt an und Ausnutzung von Kindern darstellen. Der Volksverpetzer verzerrt diese Darstellung und macht daraus eine pauschale Aussage über alle Pädophilen, scheinbar in dem Unvermögen sich vorzustellen, dass es auch nicht-straffällige Pädophile geben kann.

Es offenbart die Geisteshaltung, die hinter dem Artikel steckt. Immer wieder wird betont, sogar mit Verweis auf Kein Täter Werden – Chef Prof. Beier, dass Pädophilie nichts mit Homosexualität zu tun habe. Das marginalisiert nicht nur die Erfahrungen pädophiler Menschen, die sich gleichzeitig auch als homosexuell oder queer identifizieren. Gleichzeitig fällt der Volksverpetzer dabei selber auf die rechte Rhetorik rein, die gerade von der extremen Stigmatisierung von Pädophilie profitiert, und schließt sich ihr kritiklos an, wenn es gegen Pädophile geht. Anstatt grundsätzlich anzukreiden, wenn Menschen pauschal aufgrund ihrer Sexualität kriminalisiert und Ziel von Hassbotschaften werden, wird genau das gemacht, was die rechten Akteure auch machen: Es wird eine Linie gezogen zwischen den „Guten“ und den „Bösen“, bzw. „validen“ und „nicht validen“ Identitäten, und dies aufgrund einer Eigenschaft, die sich niemand aussuchen kann. Am Ende haben genau wie in rechtsextremen Narrativen nur die „Guten“ Schutz vor Hetze verdient, die gegen die „Bösen“ wiederum als gerechtfertigt verkauft wird.

Es ist bestürzend, derart extreme Hetze gegen Pädophile in einem Artikel zu lesen, der sonst klare Worte gegen queerfeindliche Narrativen findet, der an anderer Stelle betont, dass man sich seine Sexualität nicht aussucht und sich dafür einsetzt, dass jedes queere Kind in einer Gesellschaft aufwachsen kann, die es „so akzeptiert, wie es ist, ohne sich schämen zu müssen.“


Übrigens: ein kritischer Hinweis an die Redaktion mit zahlreichen Quellenverweisen blieb unbeantwortet. Erst auf Nachfrage teilte man mir mit, dass die Kritik an die Autorin weitergeleitet worden wäre. Der Artikel steht bis heute unverändert online, und in zwei seitdem veröffentlichten Artikeln ist von Kinderpornografie als „pädophile Inhalte“ die Rede.