Noch vor einigen Jahren habe ich die sogenannte "Therapiesprache" als eine Art Vorbild gesehen, eine wünschenswerte Art der Kommunikation, die respektvoll ist, die eigenen Gefühle zum Ausdruck bringt, mit der man sich besser abgrenzen und eher Gehör verschaffen kann, ohne andere Menschen anzugreifen. Offenbar ist genau das schon seit ein paar Jahren ein größeres Thema, mit dem sich bereits viele Menschen beschäftigt haben, ich möchte mich heute meiner eigenen Version widmen.

Eines gleich vorweg, ich beziehe mich hier in erster Linie auf die Art der Kommunikation, nicht wie in vielen Beiträgen zu diesem Thema auf einzelne häufig genutzte Begriffe, wie toxisch, Gaslighting,  Traumadumping oder narzisstisch, denn das ist ein Problem in sich selbst, welches an dieser Stelle zu viel Platz einnehmen würde. Worauf ich mich beziehe, ist eine Art der Kommunikation, die nur den Anschein erweckt, als erfülle sie die in der Einleitung genannten Charakteristiken, aber in Wahrheit einen anderen Hintergrund hat.

Die Tatsache, dass heutzutage deutlich mehr Menschen in therapeutischer Behandlung sind oder waren und dazu auch recht offen stehen, trägt dazu bei, dass auch mehr Leute mit häufigen Sätzen und der typisch sachlich-neutralen (oder auch: professionell distanzierten) Art vieler Therapeuten in irgendeiner Weise zu tun haben. Das macht sich z.B auch in den sozialen Medien bemerkbar. Texte, Videos und Kommentare sind voll mit Nutzern und Erstellern, die sich therapeutische Floskeln, aber auch die Art und Weise zu sprechen angeeignet haben und damit sehr erfolgreich sind. Das muss selbstverständlich nicht per se etwas schlechtes sein, zeigt aber wie sehr diese relativ neue Entwicklung die Gesellschaft bereits jetzt prägt.

Aber wovon rede ich hier jetzt eigentlich?

Worauf das Ganze aufbaut, ist im Grunde die Gewaltfreie Kommunikation, ein Konzept entwickelt von Marshall B. Rosenberg. Dieses basiert auf der Grundannahme, dass Empathie eine Grundvoraussetzung für eine gelingende Kommunikation ist. Die gewaltfreie Kommunikation soll also dabei helfen, sich ehrlich und klar auszudrücken, aber auch in der Lage zu sein empathisch zuzuhören. Voraussgetzt ist, dass der Gesprächspartner auch an einer wertschätzenden Beziehung zueinander interessiert ist. Ziel ist nicht, die andere Person zu einem gewünschten Handeln zu bewegen, sondern sie ist auf die Bedürfnisse und Gefühle gerichtet, die hinter Handlungen und Konflikten stehen.

Die gewaltfreie Kommunikation hat also, korrekt angewendet und im richtigen Kontext, definitiv ihre Daseinsberechtigung. Sie kann in einer Diskussion hilfreich sein, um Bedürfnisse und Gefühle zu kommunizieren, wie z.B dass einen die Diskussion gerade wütend macht, weil man sich unverstanden fühlt. Stattdessen wird sie allerdings oft genutzt, um anderen Menschen Gefühle und Intentionen zuzuschieben, die entweder nicht vorhanden oder nicht Teil der Diskussion sind. Leider wird sie heutzutage sehr oft zweckentfremdet, um sich über jemanden zu stellen und Beleidigungen hübsch zu verpacken. Das äußert sich dann schnell in einer bevormundenden Ausdrucksweise, implizierten Vorwürfen und Gönnerhaftigkeit. 

Ein paar Beispiele, damit deutlicher wird, was ich meine, wären z.B.:

"Es tut mir Leid, dass du in der Vergangenheit von [hier beliebige Gruppe einfügen] verletzt wurdest"

Klingt erstmal neutral, ist es aber mitunter nicht, wenn man gerade in einer hitzigen Diskussion steckt. Damit wird impliziert, man könne nicht ernstgenommen werden, da man "vorbelastet" und daher nicht objektiv ist. Diese Art von Unterstellungen werden im selben Satz zu Tatsachen. Strohmannargumente können damit "nett" verpackt werden. Die Aussage ist also im Prinzip dazu da, sich als besser, reifer und friedlicher darzustellen als den Gesprächspartner, um zu erzielen, dass Außenstehende diesen weniger ernstnehmen. 

"Falls dich das ärgert oder enttäuscht, tut mir das Leid" 

Tut es dir nicht. Hier werden Gefühle adressiert, die unter Umständen nicht einmal vorhanden sein müssen und die man auch nicht von wildfremden Diskutanten adressiert haben will, was die Diskussion anheizt, anstatt sie zu entschärfen. Es handelt sich um eine versteckte Provokation. Anstatt sachlich zu bleiben, wechselt man auf eine vermeintlich persönliche Ebene, während man gleichzeitig kalt und emotionslos bleibt, denn schließlich ist all das ja nur dazu da, von der eigentlichen Argumentation abzulenken und "nett" und "verständnisvoll" zu klingen, während man sich selbst aufwertet. 

Ich möchte an der Stelle gern ein Zitat von Anna-Marie Hefler aus einem Beitrag zu genau diesem Thema teilen, das ich sehr passend finde:

Empathie sieht anders aus. Der „Therapiesprech“ wirkt hier egoistisch, geskriptet und fast schon entwaffnend. Ein intellektuell verpacktes: „Wenn du das nicht akzeptierst, bist du Schuld, wenn es mir schlecht geht.“

Dies lässt sich auf viele Bereiche übertragen, nicht nur auf nahestehende Personen. Diskussionen im Internet z.B. Dann wird aus einem "Du bist Schuld, wenn es mir schlecht geht" schnell mal ein "Du bist voreingenommen", "Du schaust auf andere herab/fühlst dich als etwas besseres" oder auch "Du bist bloß unwillig, die Ansichten anderer Leute zu verstehen". 

Mein Fazit ist, dass es manchmal besser ist, ehrlich und direkt zu sein, weg von dem Gedanken "nichts darf Krachen" und jeder muss immer und überall freundlich und verständnisvoll sein - besonders dann, wenn dies nicht ehrlich gemeint ist und dein Gegenüber dir eigentlich bloß eines sagen will: Fick dich.


Gute Beiträge zu dem Thema, die mir Inspiration gegeben haben:

https://www.edit-magazin.de/das-triggert-mich-therapiesprache-im-alltag.html
https://www.refinery29.com/de-de/therapie-sprache-beziehungen