Auch wenn wir schon die ein oder andere Kritik zum Film "Kopfplatzen" hier lesen können, wurde ich ermutigt doch auch meine Kritik hierzu zu veröffentlich, dem ich hiermit gerne nachkomme.
Der Film zeigt ein ziemlich klares Bild aus dem Leben eines Pädophilen und seiner Gefühlswelt, die größtenteils sehr zerrissen wirkt und von Verzweiflung, Scham und Selbsthass geprägt ist. Soweit so gut, und ich möchte auch nicht abstreiten, dass es Menschen gibt, die sich zu 100% mit Markus identifizieren können, da sie all das genau so erlebt haben oder gerade erleben. Worauf der Film leider kein bisschen eingeht, und dies ist meiner Meinung nach die allergrößte Schwäche, ist das Aufzeigen, dass Markus EIN Pädophiler ist, nicht DER Pädophile. Es entsteht der Eindruck, dass wirklich alle Pädophilen so empfinden und sich so verhalten wie Markus, der trotz Therapieversuch an seiner Neigung zerbricht und eine große Gefahr für alle Kinder (gut, in diesem Fall „nur“ Jungs) darstellt.
Prinzipiell würde ich ja sagen, da es sich um einen fiktiven (Unterhaltungs-) Spielfilm und nicht um eine Dokumentation handelt ist dies in Ordnung. Trotzdem habe ich mit diesem Umstand „Bauchschmerzen“, da Zuschauer, die sich noch nicht groß mit der Materie beschäftigt haben ein sehr einseitiges Bild von pädophilen Menschen erlangen und ich mir nicht sicher bin, ob der „gewöhnliche“ Zuschauer in der Lage ist dies differenziert zu betrachten und sich bewusst zu sein, dass dies nur eine Möglichkeit ist (da dies auch in absolut keiner Weise einmal auch nur erwähnt wird). Genauso kann es eine katastrophale Wirkung für alle Menschen haben, die gerade dabei sind ihre pädophile Neigung zu entdecken, sagt der Film zu ihnen, „Du wirst kein glückliches Leben haben können, selbst wenn Du einen Therapeuten aufsuchst. Denk mal drüber nach, ob dieses Leben denn überhaupt lebenswert ist“.
Denn ja, meinen Beobachtungen nach, haben sehr viele Pädophile psychische Probleme, wie zum Beispiel Depressionen oder Angststörungen oder ähnliches, die natürlich auch nicht immer einen direkten Zusammenhang mit der Pädophilie haben müssen, aber hin und wieder schon Wechselwirkungen erzeugen. Wie auch Markus, wenn auch nicht explizit erwähnt oder gezeigt, zumindest anscheinend ein großes Problem mit dem sozialen Leben und Freundschaften hat. Dazu kommt im späteren Verlauf noch selbstverletzendes Verhalten, was in dieser Situation zwar auch durchaus nachvollziehbar ist, jedoch könnte man denken, dass jeder Pädophile zu solch einem Verhalten neigt. Wie bereits erwähnt, zeigt der Film in keiner Weise, dass es auch pädophile Menschen gibt, die durchaus ein glückliches Leben leben können und dabei auch keine Gefahr für andere sind. Meiner Meinung nach hätte dies im Rahmen der Therapie bei der Markus war, sehr leicht eingebaut werden können. Meinetwegen dürfte der Film ja trotzdem enden, wie er endet, jedoch wäre zumindest dem Publikum gezeigt, dass manche Menschen eben auch anders mit einer pädophilen Neigung umgehen können und man sie nicht im Voraus verurteilen sollte.
Insgesamt ist der Film vollgestopft mit Extremen. Wie der Hausarzt, der Markus seiner Praxis verweist nachdem dieser ihm die Pädophilie gestanden hat, oder der Sexualtherapeut, der zwar oberflächlich auf Markus einzugehen scheint, ihn dann aber ohne weitere, tiefgehendere Gespräche extremst restriktive Anordnungen gibt und zusätzlich ohne weitere Aufklärung mit Medikamenten versorgt (vermutlich ein triebhemmendes Medikament, welches man nicht mal so „nebenher“ verabreichen sollte, ohne die Situation und Notwendigkeit im Genauesten analysiert zu haben). Eventuell sollen diese nötigen, intensive Gespräche in Abwesenheit des Zuschauers auch stattgefunden haben. Dies wird allerdings wenn nicht deutlich, so dass ich eher den Eindruck habe, dass hier nach „Schema F“ verfahren wird, „weil es ja eben auf jeden Pädophilen angewandt werden kann“.
Auch hier möchte ich gar nicht sagen, dass diese Szenen an der Haaren herbei gezogen und vollkommen unrealistisch sind. Sicherlich KANN es zu solchen Situationen und Einschränkungen auch im wahren Leben kommen, aber meinem Geschmack nach entsteht zu sehr der Eindruck, dass es eben immer so ist, bzw. sein MUSS – was auch das Verhalten Markus‘ Angehöriger und Freundin angeht. Auch hier ist es natürlich nachvollziehbar, dass sowohl die Freundin als auch die Schwester den Kontakt zu Markus abbrechen. Auch hier wäre es möglich gewesen, dass zumindest eine der beiden Frauen nach einer gewissen Bedenkzeit zurückgekehrt wäre, um ihrem Bruder bzw Freund zu zeigen, dass sie ihn in dieser schweren Zeit unterstützt. Trotz Markus‘ labiler Psyche würde die Gefahr eines Kindesmissbrauchs wohl nicht vorliegen, könnten sie einfach dafür sorgen, dass Markus nur in Anwesenheit der Mutter den Jungen sehen darf, oder eben auch ein Kontakt zum Kind erst einmal ausgesetzt wird. Aber gut, das wären mögliche, alternative Handlungsentwicklungen, die dann natürlich nicht mehr zu diesem dramatischen, tragischen und offenen Ende geführt hätten. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn es ein „Happy End“ gegeben und der Zuschauer gesehen hätte, dass ein Pädophiler auch „nur“ ein Mensch ist, der durchaus ein glückliches Leben haben kann, auch ohne Sex mit Kindern oder eine Gefahr für diese zu sein.
Da der Film, soweit ich weiß, allerdings auch nicht den Anspruch erhebt aufklärend sein zu wollen, relativiert dies meine Kritik natürlich ein Stück weit. Dennoch ist es, wie ich finde, bei einem so schwierigen und sensiblen Thema wie Pädophilie ein „falscher Weg“, das stereotypische Bild des Pädophilen zu bestärken und kritischen Menschen den „Beweis“ zu liefern, dass sie ja schon immer wussten, mit ihren verurteilenden Meinungen Recht zu haben. Natürlich sollen und dürfen sexuelle Missbrauchstaten nicht relativiert oder gar schön geredet werden, jedoch wäre dies bestimmt nicht der Fall, wenn sie es zumindest in irgendeiner Art und Weise thematisiert hätten, dass sexueller Missbrauch und Pädophilie nicht gleichzusetzen sind. Der Hinweis des Therapeuten, dass Markus selbst für seine Handlungen verantwortlich ist geht zwar in diese Richtung, aber man gewinnt ja trotzdem den Eindruck, dass Markus es eben auf Dauer nicht schafft, seine Taten zu kontrollieren, was aber eben nicht für alle Menschen mit dieser Neigung gilt.
Fazit: Chance vertan – dies hätte ein guter Beitrag zur Aufklärung über Pädophilie sein können. Am Ende zeigt es leider nur eine (zwar mögliche, aber eben nur diese) hoffnungslose, beklemmende Welt eines wahrlich kranken Menschen, der wie man das Gefühl bekommt, einfach zu jeder Zeit am falschen Ort zu sein scheint.
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Soweit so gut, und ich möchte auch nicht abstreiten, dass es Menschen gibt, die sich zu 100% mit Markus identifizieren können, da sie all das genau so erlebt haben oder gerade erleben. Worauf der Film leider kein bisschen eingeht, und dies ist meiner Meinung nach die allergrößte Schwäche, ist das Aufzeigen, dass Markus EIN Pädophiler ist, nicht DER Pädophile.
Das sehe ich auch als Kernpunkt. Der Film zeigt zwar nur ein Porträt, aber dieses Porträt ist so negativ, wie es nur sein kann. Wie du sagst, vollgestopft mit Extremen. Das heißt nicht, dass das komplett unrealistisch ist. Es gibt Leute, die sich so zerreißen, wie es Markus tut. Es gibt Ärzte, die so reagieren wie der Arzt aus dem Film. Und es gibt Therapeuten, die so unempathisch sind wie der dargestellte Therapeut. Aber das sind die maximal negativen Erfahrungen, und es gibt eben auch andere Erfahrungen.
Dadurch, dass der Film so extrem negativ ist, nicht so recht weiß wie man mit dem Thema umgehen soll und absolut keine möglichen Wege auch nur andeutet (abgesehen von Medikamenten) wirkt es so, als ob das eine absolute Darstellung von Pädophilie ist.
Die Grundaussage, die ich aus dem Film daher mitnehme, ist, dass man als Pädophiler damit rechnen muss, ausgestoßen und verlassen zu werden, man nie akzeptiert wird, und niemand einen wirklich helfen kann, damit umzugehen. Für alle Pädophilen, die diesen Film sehen und dann mit dieser destruktiven Aussage zum Schluss alleine gelassen werden, ist der Film wie eine Faust in die Magengegend. Vor allem nachdem ich dieses Interview mit dem Regisseur gelesen habe, habe ich den Eindruck, die Botschaft des Films ist: als Pädophiler muss man sich umbringen, bevor man einem Kind etwas antut.
Ein Spielfilm über ein tabuisiertes Thema ist immer auch gleichzeitig ein Lehrstück. Die Zuschauer*innen sollen sich mit einer bestimmten Problematik auseinandersetzen, über die Wissen vermittelt wird. Die breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust wurde z.B. in Deutschland erst mit der Ausstrahlung der US-amerikanischen Serie "Holocaust" angestoßen. Das heißt in meinen Augen aber auch, dass Filmemacher eine besondere Verantwortung tragen, wenn sie sich einem Thema widmen, wie einer extrem stigmatisierten Minderheit über die noch dazu kaum etwas bekannt ist. Dieser Verantwortung werden die Macher des Films m.E. nicht gerecht. Bestenfalls führt er zu einer Verschiebung von Hass und Unverständnis zu Mitleid.
Ich habe noch nie einen Spielfilm zu einem bestimmten Thema gesehen, worin in dem Film extra darauf hingewiesen wird, dass die Darstellung zu diesem Thema nicht für alle Betroffene gilt. Einen solchen Anspruch hat ein Spielfilm einfach nicht.
Nur, weil es nicht üblich ist, bedeutet nicht, dass es in manchen Fällen vielleicht angemessen wäre. Es hätte ja auch nicht mal ein expliziter Hinweis in Form eines Disclaimers am Beginn oder Ende sein müssen.
Ich denke, man hätte es auch implizit einbetten können, in dem zum Beispiel der Therapeut darauf eingegangen wäre, dass andere mit derselben Neigung damit auch (glücklich) leben können. Wieso dies nicht geschehen ist, keine Ahnung. Ob es nun der Dramatik geschuldet ist, oder der Angst davor Pädophilie zu "verharmlosen", ist am Ende auch egal.
Ich persönlich finde es halt schade, dass das Thema Pädophilie hier halt so einseitig präsentiert wurde. Die Hauptgeschichte hätte ja gern so verlaufen können wie sie es tat, aber die paar "wissenschaftliche" Fakten über die Neigung waren dann doch sehr oberflächlich und einseitig wie ich finde.
Und meiner Meinung nach verstärkt dies dann das klassische Bild des triebgesteuerten Pädophilen, auch wenn nicht jeder mit dieser Neigung denn so empfindet oder gar sich so verhält, was aber in der breiten Masse eben nicht bewusst ist, wie man beispielsweise auch einer Kritik von Antje Wessels (https://wessels-filmkritik.com/2020/03/24/kopfplatzen/) zum Film entnehmen kann:
"[...]Damit umgeht Savaş Ceviz gekonnt den Fehler, falsche Sympathien für seine Hauptfigur zu schüren, stellt ihn aber auch nicht als Täter bloß, sondern betont zuverlässig die Gefahr der Störung aber auch die dringende Notwendigkeit, sich als Pädophiler dringend in notwendige Behandlung zu begeben.[...]"
Im Falle von der fiktiven Figur Markus mag das ja stimmen, aber die Verallgemeinerung, dass tatsächlich JEDER Pädophile eine Gefahr ist und sich dringend in Behandlung begeben muss, halt ich persönlich eben für falsch und vollkommen undifferenziert und wir durch solche Filme eben leider verstärkt.