Am 09.01.2022 hat das Team von "Wir sind auch Menschen" dem neu ernannten "Beauftragten der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt", Sven Lehmann, MdB, eine E-Mail geschickt. Wir haben ihm darin zu seiner Ernennung gratuliert und ihn auf die Situation pädophiler Menschen hingewiesen. Leider haben wir trotz Nachfrage bis heute keine Antwort erhalten, weshalb wir die E-Mail jetzt zumindest öffentlich machen möchten.

Sehr geehrter Herr Lehmann,

wir, das Team des Anti-Stigmaprojekts "Wir sind auch Menschen", gratulieren Ihnen recht herzlich zu Ihrem neuen Amt als Beauftragter der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt.

Das Anliegen von "Wir sind auch Menschen" (https://wir-sind-auch-menschen.de) ist es, ein differenzierteres Bild über pädophile Menschen in die Öffentlichkeit zu tragen. Wir möchten mit gängigen Vorurteilen aufräumen - allem voran der falschen Vorstellung, dass Pädophilie und Missbrauch synonym sind. Selbstverständlich lehnen wir dabei jegliche Art von sexuellen Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen entschieden ab und positionieren uns somit auch gegen Gruppierungen, deren Ziel es war und ist, sexuelle Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen zu legalisieren oder das Schutzalter zu senken.

In der öffentlichen Wahrnehmung werden Pädophile hauptsächlich als "gefährliche Monster", "abartige Kriminelle" oder "tickende Zeitbomben" wahrgenommen. Dabei sucht sich niemand aus, pädophil zu sein. Es geht uns darum klarzustellen, dass es sich bei der Pädophilie erst einmal nur um das Interesse an vorpubertären Kindern handelt. Es sagt nichts über die Persönlichkeit eines Menschen oder darüber aus, wie jemand sich verhält oder welche Moralvorstellungen jemand hat. Pädophilie ist keine Tat.

Trotzdem werden in den Medien Missbrauchstaten direkt mit einer pädophilen Neigung in Verbindung gebracht, was allerdings in den meisten Fällen gar nicht zutrifft. Die Mehrzahl der sexuellen Übergriffe wird nicht durch Pädophile, sondern durch sogenannte Ersatzhandlungstäter begangen (je nach Studie liegt der Anteil dieser Ersatzhandlungstäter zwischen 60 % und 90 %). Diese Vermischung von Missbrauch und Pädophilie führt zu einer massiven Stigmatisierung von vielen Menschen, die nie eine Straftat begangen haben und auch nicht begehen wollen. Außerdem empfinden wir es als äußerst unfair und unmenschlich, für Taten verantwortlich gemacht und verurteilt zu werden, die wir gar nicht begangen haben.

Die einseitige Berichterstattung in den Medien führt dazu, dass der Großteil der Öffentlichkeit in Pädophilen grundsätzlich eine Gefahr sieht sowie diese vorverurteilt und ausgrenzt. So stellt zum Beispiel eine Studie aus dem Jahr 2015 [1] fest, dass rund 49 % der befragten Teilnehmer pädophile Menschen einsperren möchten, selbst wenn diese nie eine Straftat begangen haben, rund 27 % der Teilnehmer wünschten sich gar, dass pädophile Menschen tot seien. Nur gut 4 % der Befragten können sich vorstellen, mit einem pädophilen Menschen befreundet zu sein und nur gut 5 % würden einen Pädophilen in der Nachbarschaft dulden.

Diese Stigmatisierung kann zu starken psychischen Problemen führen. Wir erleben es in unserer Selbsthilfearbeit immer wieder, dass pädophile Männer und Frauen in ständiger Angst leben, entdeckt zu werden, das Stigma internalisieren und sich selber wie ein Monster fühlen und sich dabei in ihrem Umfeld mit niemandem über ihre Gefühle und Probleme austauschen können. Das kann zu Vereinsamung, Depressionen oder Suchtkrankheiten führen und gleichzeitig die Bereitschaft, sich Hilfe zu suchen, senken.

Aus diesem Grund finden wir es sehr wichtig, Menschen mit einer pädophilen Neigung nicht auszugrenzen, sondern auch diesen die Möglichkeit zu geben, sich sicher und ohne Angst vor negativen Konsequenzen mitteilen zu können. Wie Sie es passend ausgedrückt haben: "Jeder Mensch soll frei, sicher und gleichberechtigt leben können."

Auch wenn Pädophilie nicht zum LGBT+ - Begriff gehört, heißt dies nicht, dass Pädophilie keine sexuelle Minderheit ist, oder nicht zur sexuellen Vielfalt gehört. Zwar können wir im Gegensatz zu anderen sexuellen Minderheiten unsere Sexualität nur sehr eingeschränkt ausleben, dies rechtfertigt aber nicht die grundsätzliche Ablehnung und den Hass auf pädophile Menschen. Ebenso darf sich die Verurteilung von sexuellem Kindesmissbrauch nicht auf die Verurteilung von Menschen mit einer nicht ausgesuchten sexuellen Präferenz ausweiten, die mit Kindesmissbrauch nichts zu tun haben.

Wir erleben es in unserer Arbeit immer wieder, dass sich kaum jemand mit unseren Belangen auseinandersetzen möchte oder die Stigmatisierung überhaupt als problematisch wahrnimmt. Wir hoffen daher sehr, dass Sie in ihrer Arbeit auch für uns und unsere Belange ein offenes Ohr haben. Für einen Austausch zu dem Thema stehen wir selbstverständlich jederzeit zur Verfügung.

Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg!

Mit freundlichen Grüßen,

das WsaM-Team

[1] Jahnke, S., Imhoff, R., & Hoyer, J. (2015). Stigmatization of people with pedophilia: two comparative surveys. Archives of sexual behavior, 44(1), 21–34. https://doi.org/10.1007/s10508-014-0312-4

Dass wir nicht mit einer übermäßig positiven Antwort rechnen konnten, war uns im Vorfeld bewusst. Pädophile Menschen gar nicht als Gesprächs - und Diskurspartner wahrzunehmen und sie stattdessen direkt zu ignorieren, ganz egal was sie zu sagen haben, scheint leider der verbreiteteste Weg zu sein, mit uns umzugehen, da wir dies sehr häufig so erleben.

Aus der Position von Sven Lehmann heraus ist diese Nicht-Reaktion zwar nachvollziehbar, da er gerade erst sein neues Amt übernommen hat und sich nicht durch irgendwelche Zusagen uns gegenüber angreifbar machen will, aber dennoch ist es irgendwo enttäuschend, überhaupt keine Reaktion zu erhalten.

Wir hoffen, dass Herr Lehmann unsere Mail zumindest zur Kenntnis genommen hat und den Inhalt berücksichtigt, anstatt wie so viele andere die Stigmatisierung unterstützt und weiter vorantreibt und sich nur aus den erwähnten Gründen nicht dazu äußert.